Es ist kalt, es ist grau, es gibt immer noch Corona. Die ideale Zeit also, um Tag für Tag bei unserem Adventskalender mitzufiebern. Wieder werfen wir einen Blick zurück auf die letzten 24 Jahre: Welche Meilensteine gab es? Welche Momente sorgten dafür, dass deutscher Rap einflussreicher wurde denn je? Weil uns Alben zu einfach sind (und wir sie schon hatten, siehe hier), haben wir uns dieses Jahr drangemacht und den jeweils einen Track gesucht, der die Szene über sein Erscheinungsjahr hinaus entscheidend geprägt hat. Jeden Tag stellen wir Euch somit – angefangen 1997 – einen Song vor, der entweder durch seinen Sound, seinen Inhalt oder seine Form unserem Lieblingsgenre seinen Stempel aufgedrückt hat.
2011: Casper – Auf und davon
Weit weg, da, wo dir Fehler verzeihbar sind.
An den Ort, wo wir mit 16 dachten, wo wir mit 30 sind.
Da sind wir nun also. Im Jahr 2011. Am Anfang der Zukunft, in die uns Marteria letztes Jahr zum Glück geschickt hat. Mit der nun geöffneten Tür für eine ganz neue Strömung herrscht Aufbruchstimmung im deutschen Rap. So langsam beginnen auch andere Musikrichtungen, ihren Einfluss auf die hiesige Szene zu nehmen – Genregrenzen verschwimmen. Wer könnte diese Stimmung besser einfangen als Casper?
Genau das macht er nämlich mit "Auf und davon", der großen Single seines lang erwarteten und heiß ersehnten Albums "XOXO". Musikalisch wird sich von den harten und düsteren Instrumentals, die im Gangsterrap der 2000er den Mainstream dominiert haben, wegbewegt. Stattdessen gibt es einen melodischen, beinahe poppigen Beat, der sich aber keineswegs irgendwelchen Trends anbiedert, sondern nach etwas Eigenem, Aufregendem klingt. Auch inhaltlich geht es um Aufbruch. Raus aus dem Alltag, raus aus dem ewigen Trott, endlich eigene Pfade beschreiten, "endlich […] [anfangen], aufzuhören". Und so gelingt es Cas, gegen jeglichen Widerstand aus dem Mainstream den Zeitgeist einer Generation einzufangen, die dem in der Szene vorherrschenden pubertären Rap der vergangenen Jahre langsam entwächst. "XOXO" ist Caspers Coming-of-Age-Platte, was auf keinem der 13 Anspielpunkte so deutlich wird wie auf "Auf und davon".
Zuvor musste man sich jahrelang in den Untergrund begeben, um mal etwas anderes zu hören als die sich immer wiederholenden Protagonisten bei MTV TRL. Casper nutzt jedoch die Chance, mit einer Richtung, die zunächst als "Hipsterrap" verschrien wird, in den Mainstream vorzudringen. Über derartige Engstirnigkeiten kann man 2020 angesichts des Impacts, den der Wahlberliner damit verursacht hat, nur noch lachen. Also: "Auf und davon" in bessere Zeiten!
(Michael Collins)
(Grafik von Daniel)