"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
2015 auf dem splash! Festival: Auf einer der Bühnen performen Rapper, die sich mit ihrem modernen und traplastigen Sound vom damaligen Mainstream abzugrenzen wissen. Zu Beginn hatte ich Schwierigkeiten, mit großen Teilen dieser neuen Bewegung warm zu werden. Mit LGoony und Crack Ignaz traten damals aber zwei Artists auf, die den neuen Sound im darauffolgenden Jahr für mich zugänglicher gemacht haben. Ihr gemeinsames Mixtape "Aurora" ist der Soundtrack meines Sommers 2016.
So liefen etwa auf der Fahrt zur NASA Universe Tour 2016 von LGoony und Crack Ignaz die elf Songs der Platte in Dauerschleife. Die Single "Oida Wow" wurde durch ihre ikonische Hook schnell zu einem Klassiker und zu einer Zeltplatz-Hymne auf dem splash!, wo die beiden im selben Jahr die Strandbühne zerlegten. Das Tape ist wie ein großer Rap-Kochtopf: Zum einen gibt es ratternde High-Hats und auffällig schräge Adlibs zu hören, womit ich mich bis zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich anfreunden konnte. Zum anderen geht das Ganze aber mit einer altbekannten Battlerap-Attitüde einher, die mit unglaublich viel Energie transportiert wird und mir damals ein Gefühl von Vertrautheit gegeben hat. LGoony und Crack Ignaz funktionieren optimal als Solokünstler – auf "Aurora" bilden sie aber ein unschlagbares Team. Sie liefern eine kreative Punchline nach der anderen und erzeugen mit ihrer Wortwahl durchgehend Bilder in meinem Kopf – egal, ob als "Echsenmenschen" oder beim "Moonwalk auf dem Mond". Die unterschiedlichen Stile der beiden lockern das Gesamtprodukt auf und lassen bei mir keine Langeweile aufkommen.
Ein Release wie "Aurora" gab es so vorher noch nicht im deutschen Rap. Es hebt sich von anderen Erscheinungen aus dem Kosmos der oben genannten neuen Bewegung ab und ist verantwortlich dafür, dass ich mich noch mehr für neue Musik geöffnet habe. Es zeigt beispielhaft, wie man trotz Einflüssen und Referenzen etwas vollkommen Eigenes erschaffen kann. Die einzelnen Tracks sind für mich gut gealtert und geben mir auch heute noch beim Hören ein bisschen vom Sommer 2016 zurück.
(Moritz Friedenberg)