Während die Welt im Jahr 2020 unterzugehen scheint, fokussiert sich Deutschrap inhaltlich auf Banger der oberflächlichen Sorte. Trotzdem ist der Applaus, den die Szene erhält, lauter denn je. Dafür sprechen jedenfalls die absurd hohen Klickzahlen und der massive Einfluss der Rapblase auf popkulturelle Themen. Die Idee, diese enorme Reichweite in Form von millionenfach geklickten Tracks für gute Zwecke zu nutzen, ist den meisten relevanten Vertretern unseres Lieblingsgenres leider noch nicht gekommen. Statt Aufmerksamkeit für globale Probleme wie nicht vorhandene Gleichberechtigung, Rassismus oder die verheerende Situation an den europäischen Außengrenzen zu schaffen, dreht sich deutscher Rap in großen Teilen immer noch oft um das eine: Sex, Drugs und Supreme. Was früher noch der BMW war, findet sein Äquivalent heute in der VVS-Chain über dem Balenciaga-Pulli. Doch mit tadelndem Finger auf die Künstler loszuziehen, wäre auch nicht fair – denn sie liefern genau das, was vor allem die jüngeren Rapherzen höherschlagen lässt. Zu dieser neuen Rapgeneration gehört auch der Wiener Rapper SLAV. Als 98er Jahrgang weiß er, wie es ist, mit Smartphone, Internet und den daraus resultierenden Gefahren aufzuwachsen. Vielleicht bricht er genau deshalb mit der Glorifizierung von Luxusgütern und besinnt sich auf die kleineren Dinge im Leben wie den Drei-Streifen-Jogger und sein Smartphone. Nach welchen Kriterien er entscheidet, ob er bereit ist, viel Geld für ein Kleidungsstück in die Hand zu nehmen, oder wie er dem Druck, sich über Statussymbole darzustellen, in der Vorschule nachgekommen ist, erzählt er uns in diesem Interview.
MZEE.com: Zu Beginn möchten wir gerne von dir wissen, wie du persönlich Statussymbole definierst.
SLAV: Das ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall sollten sie auf lange Dauer eine hohe Wertigkeit innehaben. Qualität ist mir allgemein sehr wichtig. Bei solchen Sachen lohnt es sich, finde ich, nach ihnen zu streben und sie zu jagen. Das gilt nicht nur für materielle Dinge, sondern auch für Erfolge. Generell glaube ich, dass es wichtig ist, Statussymbole zu besitzen. Die entscheidende Frage ist, welche man sich aussucht.
MZEE.com: Besitzt du Statussymbole, ohne die du das Haus nicht verlässt?
SLAV: Ich bin ein pragmatischer Mensch. Bei mir fängt das schon bei meinem Handy an, dieser kleinen Maschine, die jeder von uns in der Hosentasche trägt und unterschätzt, was sie eigentlich alles kann. Ohne Werbung machen zu wollen, muss ich sagen, dass ein stabiles Smartphone für mich schon ein wichtiger Gegenstand ist. Mein persönliches Statussymbol ist wahrscheinlich meine Drei-Streifen-Jogginghose. Die trag' ich zwar nicht jeden Tag, wenn ich vor die Tür gehe, spätestens aber, wenn ich wieder nach Hause komme. Geld spielt natürlich auch eine entscheidende Rolle. Nur so kannst du deine Miete, dein Essen und deine Versicherung, die dir das Leben retten kann, bezahlen. Geld verleiht deinem Leben also eine gewisse Stabilität, wodurch es für mich auch ein Statussymbol ist. Ansonsten weiß ich das gar nicht. Es gibt sicher viele Kleinigkeiten, aber es ist schwierig, da die Wichtigsten zu benennen. Handy und Jogginghose treffen es ganz gut.
MZEE.com: Machen wir mit einem Gedankenspiel weiter. Stell dir vor, du droppst ein Nummer-eins-Album. Was würdest du mit dem Geld machen?
SLAV: Bis jetzt hab' ich alles immer in mich selbst und meine Kunst reinvestiert. In Musikvideos zum Beispiel. Das hab' ich eben voll vergessen: Musikvideos, auf die man sehr stolz ist, kann man sicher auch als Statussymbole werten. Dahin fließt ein Großteil meiner Investitionen. Außerdem in Produktionen und Weiterbildung – irgendwie kann man ja alles noch krasser machen. Man kann einfach an allen Ecken arbeiten. Deshalb würde ich es wohl eher wieder in die Kunst investieren, als mir irgendeinen anderen Kram zu kaufen.
MZEE.com: Also wäre dein Hunger mit einer Nummer eins nicht gestillt?
SLAV: Nein, es müssen mindestens 16 Einsen wie bei Capital Bra werden. Irgendwer muss das ja toppen. (lacht)
MZEE.com: Wie erklärst du dir, dass die meisten Menschen viel Geld in die Hand nehmen, um andere mit materiellen Dingen statt mit Leistungen zu beeindrucken?
SLAV: Ich weiß es nicht, glaube aber, dass es heutzutage sehr simpel geworden ist, Menschen mit Hab und Gut zu beeindrucken. Das ist eines der größten Probleme unserer Gesellschaft. "Wir haben hiervon mehr, wir haben davon mehr und deshalb sind wir so viel besser als ihr." Das ist natürlich nicht so. Ich find's nicht mal verwerflich, wenn Leute, die 30 oder 40 Jahre geackert haben, sich neue Ziele setzen und diese jagen. Natürlich landet nach dem fünften Nummer Eins-Album ein großer Teil des Geldes in einem neuen Haus oder schönen Wagen – das haben sie sich auch verdient. Die Frage ist, ob man damit prahlt oder nicht. In Amerika zum Beispiel gibt es ja viel größere Leute. Drake hat während Corona ein Musikvideo in seiner Villa gedreht. Das ist crazy. Ich finde das nicht mal schlimm, aber sein gesamtes Image nur darauf zu reduzieren, was man für eine Gelddruckmaschine ist, ist schon ein bisschen langweilig.
MZEE.com: Vielleicht stehen die Gegenstände sinnbildlich dafür, zu zeigen, was man sich mit seinen Leistungen verdient hat.
SLAV: Natürlich, das ist oft so. Aber wenn es auf einem ganzen Album nur darum geht, zu flexen, finde ich das nicht cool. Es gibt Leute, deren Hype komplett gerechtfertigt ist und die damit gut umgehen. Einem Ufo361 zum Beispiel sei jeder VVS-Stein gegönnt. Es gibt aber auch Künstler, die "Fake it 'til you make it" ein bisschen zu ernst nehmen. Nach zwei, drei guten Jahren tun die mit ihren drei Pateks und dem Porsche so, als ob sie Millionäre wären und sind zehn Jahre später hart verschuldet. Ein Leben auf Kredit wird vor allem dann gefährlich, wenn sich Jugendliche ein Beispiel daran nehmen und abstürzen.
MZEE.com: Man sagt, dass Statussymbole durchaus kritisch zu betrachten sind, da sie die Ungleichheit in der Gesellschaft verstärken und für mehr Neid sorgen. Würdest du dem zustimmen?
SLAV: Ja, voll. Das hat, glaube ich, jeder von uns in Schulzeiten oder sogar schon im Kindergarten miterlebt. Insbesondere für jüngere Menschen kann das sehr gefährlich sein. Man darf aber nicht vergessen, dass Rap aus diesem "Schau, ich bin krasser"-Kontext kommt. Zumindest im Battlerap gibt es diesen Aspekt schon sehr lange. Wenn diese Themen aber auf einem massentauglichen Popsong verarbeitet und der jüngeren Bevölkerung zusätzlich unter die Nase gerieben werden, wird's echt kritisch. Ich glaube, dass dadurch viel Hass und Neid entstehen können. Kids werden in der Schule plötzlich ausgeschlossen, weil sie kein Supreme tragen und nicht mehr zu den Coolen gehören. Ich kenne das selbst noch aus der Schule. Mama hat mir dann einen billigen Hoodie gekauft und einfach einen VANS-Patch draufgeklatscht. Vielleicht sind so simple Dinge wie Nike-Schuhe deswegen für mich zum Statussymbol geworden oder sogar die Geox in der Vorschule, auch wenn ich sie natürlich gehasst habe. Ich hab' mir immer gedacht: "Besser, als in No-Name rumzulaufen". Heute passiert das alles früher. Die Kids kriegen schon mit zehn Jahren iPhones und haben Zugang zum Internet. Ich selbst bin ein Produkt aus dieser Zeit und weiß, wie gefährlich es sein kann, wenn alles noch leichter und schneller zugänglich ist.
MZEE.com: Denkst du, der Drang, uns durch Statussymbole nach außen hin zu präsentieren, hängt damit zusammen, dass wir im Kapitalismus sozialisiert wurden?
SLAV: Komplett, genau das ist die Folge davon. Jeder braucht mehr zum Prahlen. Du brauchst ein Auto und eine zweistöckige Wohnung mit Panoramablick. Oder ganz simple Sachen wie eine Gucci-Cap, die nach Capitals Song auf einmal viel teurer wird. 200 Euro für 'ne verfickte Kappe, das ist doch krank. Ich bin hier und da auch verrückt, was meinen Umgang mit Geld angeht. Aber bei Produkten, die so viel kosten wie ein Gebrauchtwagen, denke ich mir: "What the fuck?" Diese Resell- und Hypekultur verstärkt das Ganze. Da werden Supreme Bogo-Shirts für 600 Euro verkauft, weil sie so limitiert sind. Für die Firmen ist das Bombe, die profitieren vom Hype, weil alles sofort ausverkauft ist. Andere Leute wollen danach natürlich Geld daran verdienen und treiben die Preise nach oben – das ist wie ein Aktienmarkt für Jugendliche. Ich hab' ein paar Freunde, die sich auf das Business spezialisieren, vor allem auf Schuhe. Da sitzen Jugendliche zwischen 13 und 25 und bilden einen kleinen wirtschaftlichen Kreisel, in dem Schuhe abseits der großen Firmen gehandelt werden. Da wird der spezielle, hochlimitierte Scheiß preislich hochgetrieben. Das ist schon schlau, aber voll beschissen für die Kids.
MZEE.com: Ändert sich die Einstellung zu Statussymbolen, sobald man sie sich leisten kann?
SLAV: Ich glaube schon, ja. Irgendwann jagt man andere Sachen. Bis zu dem Punkt, an dem du diese ebenfalls erreicht hast – es sei denn, du hast deine Erwartungen zu hoch gesetzt. Wenn du ein hungriger Mensch bist und lange genug gejagt hast, wird es dir fehlen, wenn du es nicht mehr tust. Dann suchst du dir ein neues Ziel oder neue erstrebenswerte Statussymbole, aber so weit bin ich noch nicht. Wir können das gleiche Interview gerne noch mal führen, wenn ich ein paar Mille auf dem Konto hab' und gucken, was sich verändert hat. (lacht)
MZEE.com: Denkst du, dass Statussymbole im deutschen Rap eine größere Rolle spielen als in anderen Musikrichtungen?
SLAV: Ja voll, ich bin ja auch nicht drumherum gekommen. Das hat aber verschiedene Hintergründe. Supreme zum Beispiel ist eine Skate-Marke, die ich schon über zehn Jahre kenne. Damals fand sie in einem ganz anderen Kontext statt als heute. Aber die ganzen neuen Sachen, sei es Balenciaga oder sonst was, sind ja deutlich teurer. Natürlich habe ich im ein oder anderen Video auch mal etwas an, das mehr kostet, weil es irgendwie dazugehört. Für mich ist die Frage, wie du dich präsentierst. Es sind zwei komplett unterschiedliche Dinge, ein cooles Supreme-Shirt für 50 Euro zu tragen oder eine Rolex für 10.000 Euro am Arm zu haben. Es kommt auch darauf an, ob du über deine Klamotten und ihre Preise redest. Im Deutschrap werden leider Dinge wie ein Ferrari oder eine Rolex als Statussymbole betrachtet und ich weiß auch nicht, ob sich das jemals ändern wird. Leider.
MZEE.com: Was könnte deiner Meinung nach der Grund dafür sein?
SLAV: Schwierig. Allgemein wird im Rap ja oft die Geschichte von jemandem erzählt, der aus der Armut kommt und dann reich wird. Ich würde schätzen, dass das bei 90 Prozent der Rapper der Fall ist. Dadurch, dass die Leute früher zu wenig hatten, wollen sie nun umso mehr. Das kenne ich von mir genauso. Daher kommen, glaube ich, diese exklusiven Ziele. Schmuck, Autos und Ähnliches werden als Statussymbole gehandelt, seit es sie gibt. Überall auf der Welt – egal, ob in den USA oder Asien – reden Leute davon, dass sie von Zero kommen und jetzt ganz oben sind. Das hört man auf irgendeine Art und Weise doch immer wieder: "Started from the bottom, now we're here."
MZEE.com: Manche Rapper bieten sehr teures Merch an und präsentieren dieses in ihren Videos. Findest du, dass sie ihre Fans damit abziehen?
SLAV: Schwer zu sagen. Ich finde Qualität sehr wichtig. Klamotten müssen dafür nicht überteuert sein – es gibt auch günstige Marken, die hochwertige Produkte anbieten. Wir wollen bald Klamotten machen, die nicht unbedingt dem normalen Merch-Preis entsprechen. Man muss da aber, glaube ich, unterscheiden. Wenn du ein Gildan-Shirt für 3,75 Euro bedrucken lässt und es dann wie Kanye West für 90 Dollar verkaufst, weil du dir was auch immer einredest, dann ist das Verarsche. Vor allem bei den Amis kommt es oft vor, dass T-Shirts nicht mal ein Etikett haben, aber verkauft werden, als wären sie von Dior. Wenn du aber, wie einige meiner Freunde, deine Arbeit in ein echt gutes, einzigartiges Produkt steckst und dir eigene Schnitte und so weiter überlegst, darf das Shirt von mir aus gerne etwas teurer sein. Ein Kumpel von mir malt eigentlich Ölgemälde. Er betrachtet T-Shirts als getragene Leinwände und damit als Werbung für seine Kunst. Die Idee find' ich echt stark. Er wählt dafür natürlich nicht die günstigsten Rohlinge, wodurch das Endprodukt teurer, aber deutlich besser wird. Im Deutschrap wird vor allem bei Album-Boxen und natürlich auch beim Merch viel rumgekackt. Ich habe, außer bei RIN, selten wirklich krasse Qualität bekommen. Er hat die Sachen zwar simpel gehalten, trotzdem waren sie sehr stark – insbesondere die Cap ist mir im Kopf geblieben. Die lagen nicht wie die meisten Merch-Artikel nach dem Kauf nur im Schrank, weil die Stoffe zu dünn oder die Sachen so geschnitten sind, als wärst du der beste Sportler der Welt. Wenn Leute billigen Scheiß machen, sollen sie ihn halt auch billig verkaufen.
MZEE.com: Auf dem Track "Sag Warum" rappst du Folgendes: "Warum soll ich für Sachen mehr zahlen, nur damit ich's zeigen kann? Warum gibt keiner mehr mit Werten, sondern nur noch mit Preisen an?" – Findest du es gefährlich, wenn Künstler nach außen vermitteln, dass es wichtig ist, teure Dinge zu besitzen?
SLAV: Ja, schon. Ganz sicher ist das gefährlich. Die Frage ist halt, ob man diese Grenze überschreitet. Ich glaube, viele Leute wissen, dass es gefährlich ist und machen es trotzdem, um zu provozieren. Aber wahrscheinlich werde ich auch mal mit Statussymbolen flexen und dann kommt Clo1444, sagt "Warte mal!" und verweist auf dieses Interview hier. (lacht) Man sollte es auf jeden Fall reduzieren und die Herangehensweise ändern. Es ist nicht schlimm, zu zeigen, was du hast, aber man muss es ja nicht so vermitteln, als sei das der einzige Sinn des Lebens. Vor allem junge Leute fahren sich momentan voll den Film auf einzelne Songs und leben ihr ganzes Leben danach. Das ist traurig, aber nun mal so. Deswegen muss man zweimal überlegen, wie man sich präsentiert.
MZEE.com: Zum heutigen Thema haben wir dir ein Zitat von KUMMER aus dem Track "Wie viel ist dein Outfit wert" mitgebracht: "Falscher Rucksack, falsche Jeans, alle sehen den Unterschied – 100 Euro liegen zwischen angesehen und unbeliebt." – Trifft das Zitat deiner Meinung nach zu?
SLAV: Na klar, 100 Prozent. Auf jeden Fall ein baba Song, zu dem man gar nicht viel sagen kann, weil er es einfach auf den Punkt bringt. Zu diesen ganzen Fake-Geschichten fand ich eine Pashanim-Zeile ganz geil: "Ich hab' drei Racks in der Bag vom Bazar, deine ist echt, aber jetzt bist du arm." Die ist so wild, zehn von zehn. Ich stimme ihm da vollkommen zu.
MZEE.com: Zum Abschluss möchten wir noch von dir wissen, auf welche Werte man sich statt den materiellen fokussieren sollte.
SLAV: Muss ich hier den Moralprediger machen? (lacht) Auf jeden Fall auf das Zwischenmenschliche und ein soziales Leben. Vor allem als junger Mensch ist es wichtig, Leute zu finden, die einem nahestehen. Ich bin selbst kein Engel. Deswegen weiß ich, dass man Scheiße bauen und zu einem digitalen Kid werden kann, weil man zu früh zu viel Zeit im Internet verbringt und dann eine Rolex oder ein dreistöckiges Penthouse jagt. Aber man sollte vielleicht überdenken, ob es andere Dinge gibt, für die es sich zu leben lohnt und nicht nur für die lebt, die man sich leisten kann.
MZEE.com: Was sind die Dinge, die dich im Leben glücklich machen?
SLAV: Meine Freunde, meine Engsten und natürlich meine Musik. Die ganzen Sachen, die es rund um die Musik zu organisieren gibt. Das künstlerische Arbeiten, von Musikvideos bis zur Entstehung von Konzepten. Das ist mein Lebenstraum. Friends und Arbeit, die mir Spaß macht. Darauf kann ich, glaube ich, auch langfristig sehr gut bauen.
(Jonas Jansen & Sicko)
(Fotos von Sophie Krumboeck)