An dieser Stelle möchten wir Gedanken zu aktuellen Geschehnissen aus dem Deutschrap-Kosmos zum Ausdruck bringen. Die jeweils dargestellte Meinung ist die des Autors und entspricht nicht zwangsläufig der der gesamten Redaktion – dennoch möchten wir auch Einzelstimmen Raum geben.
Im Folgenden beschäftigt sich unser Redakteur Wende mit dem Verhältnis von Status und Werten in der Rapszene.
Am 16. Juni 2020 konnte man in Hamburg etwas Bemerkenswertes beobachten: Auf einem Trauermarsch durch die Stadtteile Altona und Ottensen wurde einer besonderen Person gedacht. Yemi Akinsanya aka Hanseknaller, Mitglied der Formation Hamburger Hill und Pionier des Raps in der Hansestadt, war verstorben. Neben seines Rapper-Daseins war er ein engagierter und respektierter Sozialarbeiter. Als ob dies nicht genug gewesen wäre, setzte er sich auch für die "altonale" ein – ein Projekt und Festival für den Stadtteil, um Kunst und Kultur zu fördern. Die Anteilnahme war sehr groß und auch die Hamburger HipHop-Community gedachte seiner Person und seines Lebenswerks. So postete Gzuz bei Instagram ein Video des Trauermarsches und auch Jan Delay bekundete sein Mitgefühl auf selbiger Plattform. Auf den ersten Blick ein Zeichen von Respekt, Menschlichkeit und mehr als nachvollziehbar – doch auf den zweiten kommt man ins Grübeln. Zwei Akteure der Szene, in Trauer um einen gemeinsamen Schnittpunkt ihrer Kunst, von welchem aus die Entwicklung nicht unterschiedlicher hätte verlaufen können. Der eine wurde zu einer fragwürdigen und mit negativen Schlagzeilen versehenen, der andere zu einer respektablen und engagierten Persönlichkeit. In der Gegenwart stehen sie für konträre Werte: teure Autos und obsoletes Männlichkeitsgehabe versus Lebensfreude und ein Hauch Gesellschaftskritik. Auch weitere Protagonisten der Rapszene stehen für materialistische Werte. Sie präsentieren eher Luxusartikel und gestählte Körper als Liebe zum Reimen, Engagement oder Kritik an bestehenden Lebensverhältnissen. Auf das teilweise sexistische Frauenbild soll hiermit nur kurz verwiesen werden. Andere setzen sich trotz oder gerade wegen ihres großen Erfolgs für unsere Gesellschaft ein. Sei es für Viva con Agua, Flüchtlingsorganisationen oder den Kampf gegen Nazis. Vergleicht man diese beiden Äste derselben Wurzel, so bleibt der Eindruck, dass bei einigen das Verhältnis von Status und Werten ins Wanken geraten ist.
Selbstredend gehört kommerzieller Erfolg für viele Künstler dazu. Wer würde nicht gerne von der Kunst leben können, die er macht? Daran ist auch erst mal nichts verwerflich. Für einen Berufsmusiker ist es ein Business wie jedes andere und nicht jede Entscheidung wird ob ihrer moralischen Werte getroffen. Dennoch gibt es viele Künstler, die ihren Erfolg auch nutzen, um Positives zu bewirken. Für andere wiederum scheint der kommerzielle Erfolg fast das einzige erstrebenswerte Ziel zu sein. Rap hat die Möglichkeit, soziale Missstände anzuprangern, und gerade kommerziell erfolgreiche Künstler könnten daran etwas ändern. Es ist einfach eine große Chance, die – so der Eindruck – manchmal etwas unbedacht bleibt. Die Werte, für die viele Rapper einstehen, werden nicht nur hinten angestellt, sie werden gänzlich außen vor gelassen. Dabei geht es gar nicht mal nur um moralische Aspekte, auch die Idee der Kunst scheint ins Hintertreffen zu geraten. Musik wird zum reinen Produkt, mit dem schlicht mehr Erfolg generiert und zur Schau gestellt werden soll.
Erfolg misst sich allerdings nicht ausschließlich an Geld und Besitz. Viele Künstler nutzen ihre Reichweite, die sie mit ihrer Kunst erhalten, um auch einen positiven Einfluss auf ihre Fanbase, die Szene und vielleicht sogar Teile der Gesellschaft zu haben. Menschen Hoffnung geben, einen freundlicheren und respektvolleren Umgang miteinander oder ein kritisches Bewusstsein für die Gegenwart. Diese Künstler sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Gerade kommerziell erfolgreiche Rapper mit einer entsprechend großen Reichweite haben einen starken Einfluss auf das Fühlen, Denken und Handeln ihrer Konsumenten. Sie sind Vorbilder in einer der größten Jugendkulturen überhaupt und damit auch Mitgestalter der Gesellschaft von morgen. Klar ist, dass Rap allein die Welt nicht zu einem besseren Ort macht. Ein neues Album von Jan Delay wird die Gesellschaft wohl nur bedingt verbessern. Und dennoch wäre es wünschenswert, wenn Künstler die Chance wahrnemen würden, einen Beitrag dazu zu leisten, Dinge in eine positive Richtung zu lenken. Motivation, sich durchzuboxen, oder finanzielle Eigenständigkeit sind zwar wichtige Aspekte und der damit einhergehende monetäre Erfolg für das Leben in unserer Gesellschaft notwendig. Doch eine dicke Uhr, eine große Villa und ein 500 PS-Schlitten sollten nicht unbedingt Hauptantrieb sein. Die Präsentation dieser Statussymbole steht nur bedingt im Zusammenhang mit der HipHop-Kultur. Mit diesen Verhaltensweisen werden den zukünftigen Generationen falsche Ziele vorgegaukelt. Statussymbole zu besitzen, macht nicht allein zufrieden und glücklich. Sie verbessern auch nicht das Zusammenleben. Im Gegenteil: Statussymbole können Neid und Missgunst hervorbringen und lenken von den relevanten Dingen ab. Stattdessen könnten Handlungen und Haltungen befolgt werden, die den Werten der HipHop-Kultur entsprechen. Gewiss ist es leicht verklärt, zu meinen, die Welt wäre ein besserer Ort, lebten mehr Menschen nach den Backpacker-HipHop-Werten. Überdies könnte man auch einwenden, dass sich Werte wandeln und so auch im HipHop. Veränderungen und Entwicklungen sind wichtig und richtig. Man könnte nur mal innehalten und reflektieren, ob die neuen Werte eher erstrebenswert sind und zu einer positiven Entwicklung beitragen. Die Entscheidung obliegt jedem Einzelnen. Ich habe die Hoffnung, dass in der Musik oder in sozialen Kanälen eher die gemeinsamen Werte, Wurzeln und die Musik an sich im Vordergrund stehen. Werte wie Gemeinschaft und Respekt vor anderen sind Handlungsmotive, die auch für das Zusammenleben einen hohen Stellenwert haben und daher mehr im Fokus liegen könnten. Bei dem Gedenken an Hanseknaller war das der Fall. Delay und Gzuz zollten weder einem vollen Bankkonto noch einem teuren Sportflitzer Respekt. Sie gedachten einer Person, die aktiv und in vielen Lebensbereichen zu einer positiven Entwicklung beitrug. Bei einem Verlust ist es normal, auch seine eigene Existenz zu reflektieren. In diesem Zusammenhang erscheint es doch lohnenswert, die eigenen Handlungsmotive und die individuelle Lebensweise zu bedenken. Auch unabhängig von einem Verlust. Vielleicht gelangt der ein oder andere zu dem Schluss, die gemeinsamen Wurzeln und Werte öfter hervorzuheben.
(Wende)
(Grafik von Daniel Fersch)