"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Ich muss etwas gestehen. Lange Zeit war ich überhaupt kein Fan von Audio88 & Yassin. Das mag vielleicht an den sperrigen Texten gelegen haben oder daran, dass größtenteils auf gängige Reimschemata verzichtet wurde. Aus heutiger Sicht kann ich den genauen Grund für meine damalige Abneigung gar nicht mehr benennen. Ich weiß nur, dass es einen langen Abend, sehr viel Bier und eine ausschweifende Diskussion mit einem Kommilitonen gebraucht hat, um meine Meinung zu ändern. Dieser Abend war kurz vor dem Release von "Normaler Samt".
Noch bis heute bin ich froh, eines Besseren belehrt worden zu sein. Denn mit diesem Album haben sich "der Möchtegernkanacke und die Glatze mit der Zahl" direkt auf meine Favoritenliste katapultiert. Hauptverantwortlich dafür sind vor allem ihre vor Zynismus und Metaebenen strotzenden Lyrics. In kreative Punchlines verpackt und bitterböse vorgetragen treffen sie stets dahin, wo es am meisten wehtut. Hinzukommt eine ordentliche Portion Selbstironie und all die mikrokosmischen Querverweise, die meist mit beißender Kritik an der Szene gespickt sind. Diese Attribute mögen vielleicht schon vorher ein Charakteristikum ihrer Musik gewesen sein. Der zugänglichere Sound sowie die Tatsache, dass die Songs einem stringenteren roten Faden folgen als zuvor, haben jedoch dazu geführt, dass mir ihre Stärken erst mit dieser Platte richtig bewusst geworden sind. Und dann wäre da noch der Track "Normale Freunde": ein Posse-Cut, auf dem gefühlt der komplette Rap-Untergrund vertreten ist und der meiner Meinung nach in Sachen Dopeness-Dichte noch bis heute seinesgleichen sucht.
"Normaler Samt" ist sicherlich kein Album, das man einfach so nebenbei hören kann. Man muss sich darauf einlassen. Selbst nach fünf Jahren habe ich noch nicht alle versteckten Referenzen entdeckt. In einem Interview meinten die beiden – wenn auch scherzhaft – einen Klassiker erschaffen zu wollen. Und das haben sie.
(Thomas Linder)