Während anderen Menschen in der aktuellen Lage die Decke auf den Kopf fällt, sitzt Lance Butters gemütlich zu Hause und genießt seine Ruhe. Der selbst ernannte "Meister im Alleinsein" nutzte die Zeit, um sich der Musik zu widmen und veröffentlichte ganz überraschend die neue "LONER"-EP. Wie der Titel der EP schon andeutet, befasst sich Lance darauf mit seinem Lifestyle und Mindset als Einzelgänger. Auf seinem letzten Album "ANGST" hat man bereits deutlich gemerkt, dass der Rapper gerne Zeit mit sich selbst verbringt und eine eher negative Sicht auf die Gesellschaft hat. Seine Werke und düsteren Tracks lassen vermuten, dass hinter Lance Butters viel mehr steckt als einfach nur ein Kiffer, der gerne alleine ist. Doch wo zieht er die Grenze zwischen Einsamkeit und dem Alleinesein? Im Interview sprachen wir mit ihm darüber, wie wichtig es ist, Zeit mit sich selbst zu verbringen und ob man sich an den Zustand der Isolation gewöhnen kann. Außerdem ging es um seine Sichtweise auf zwischenmenschliche Beziehungen und die Herangehensweise an Musik.
MZEE.com: Starten wir mit etwas Wissenschaftlichem. Einem Bericht von "Quarks" zufolge macht soziale Isolation auf Dauer körperlich sowie mental krank. Kannst du dem zustimmen?
Lance Butters: Kann ich mir gut vorstellen. Man hat mal Versuche an Neugeborenen unternommen und denen Nahrung, aber keine körperliche Nähe gegeben – die sind alle gestorben. Das ist der Beweis dafür, dass Menschen diese Nähe brauchen. Die Frage ist, über welches Zeitalter wir reden. Soziale Kontakte bedeuten nicht immer, zusammen in einem Raum zu sitzen, sondern auch Austausch mit Menschen zu haben. Den hast du auch durch das Internet, gerade in dieser Quarantäne-Zeit. Ich frag' mich bei jedem Menschen, der gerade auf die Straße geht, die Fresse aufreißt und Corona als Lüge darstellt, woran es ihm fehlt. Wir haben das Internet, wir haben Messenger wie WhatsApp und FaceTime, wir können online miteinander zocken – es gibt genug Austausch mit anderen Menschen. Ich glaub', das ist das Mindeste, was du an Kontakt brauchst. Man darf nicht vergessen, dass ich auch soziale Kontakte habe. Ich meine nur, dass ich sie nicht jeden Tag brauche. Klar gibt es Tage, an denen ich sage: "Lass mal in unsere Lieblingspizzeria gehen." Dann machen wir das, sind nach zwei Stunden draußen und alles ist cool. Ich will trotzdem Isolation, weil ich diese Zeit für mich brauche. Aber wenn du mir das Internet und meine sozialen Kontakte wegnehmen würdest, wäre es sehr, sehr schwierig. Guck dir den Film "Cast Away" an. Der Typ redet irgendwann mit einem Ball. (lacht) Aber das ist ja nicht die Isolation, von der ich in meinen Tracks rede. Wenn etwas ist, bin ich am Start, ansonsten sitze ich mit mir selbst rum und fühle mich super entertaint.
MZEE.com: Denkst du, dass es für manche Menschen von Vorteil wäre, mehr Zeit mit sich selbst zu verbringen?
Lance Butters: Auf jeden Fall. Wahrscheinlich bräuchten das 70 Prozent der Menschen, die mir spontan einfallen. Ich kriege das schon seit langer Zeit in meinem Umfeld mit. Manche Leute machen sich jeden Sonntagabend einen Plan für die ganze Woche, damit sie nicht alleine sein müssen, weil sie das nicht können. Das merkt man doch zum Beispiel schon bei einer Massage. Je nachdem, was du für einen Tarif gekauft hast, bekommst du eine 60- oder 90-minütige Massage. Du wirst schön massiert, hast esoterische Klänge im Hintergrund und alles, was du machen kannst, ist die Augen zu schließen und dich durchkneten zu lassen. Du kommst da nicht weg und dein Handy ist auch nicht in der Nähe. Du musst dich in diesen 90 Minuten mit dir selbst beschäftigen. Das kriegen viele schon nicht hin, weil sie nicht auf sich selbst vertrauen. Das sage ich auch auf "Loner": "Dann holen dich deine Geister, wenn da keiner ist." Natürlich gibt es Menschen, die mit sich im Reinen sind und trotzdem feiern gehen. Ich sage nicht, dass jeder, der feiern geht, nicht mit sich alleine sein kann. Aber viele arbeiten eben von Montag bis Freitag, gehen abends bestenfalls zum Mannschaftssport oder ins Fitnessstudio und trinken dann noch ein Feierabend-Bierchen. Am Wochenende gehen sie aus, weil sie sich nicht mit sich selbst befassen können. Ich kenn' unglaublich viele Menschen, die das nicht können. Das müssen sie auch nicht, aber ich habe im Kontakt mit diesen Menschen gemerkt, dass ich mit ihnen nicht über meine Probleme reden kann. Die können damit nichts anfangen, weil ich mittlerweile ein Gedankenmuster habe, in dem ich mich superoft reflektiere und frage, wie es mir geht und wie mein Gemütszustand ist. Das fällt bei denen weg. Man hat dann irgendwann so eine Kluft zwischen sich und merkt, dass man nicht zu denen durchdringen kann. Man muss das aber auch nicht so machen wie ich. Durch meine Selbstständigkeit und kreative Arbeit bin ich in der Zeit, in der ich kreiere, alleine. Das musst du gar nicht so verschärft machen. Es birgt auch Probleme, wenn du überall den Fehler suchst und alles inspizierst. Du brauchst ein gesundes Mittelmaß. Du sollst auch mal sagen: "Ey, ich setze mich heute Abend einfach hin und lese vier Stunden lang ein Buch." Das ist fucking Quality Time. Du beschäftigst dich ja trotzdem und bist im Kopf bei dem Buch – aber du bist mit dir bei dem Buch. Das brauchen ganz viele.
MZEE.com: Du hast gesagt, dass beispielsweise Feierngehen ein Ausweg ist, um seinen Geistern nicht begegnen zu müssen. Was könnten diese Geister sein?
Lance Butters: Wenn du von der Gesellschaft auferlegt bekommst, dass du immer nach vorne blicken sollst und ein positives Mindset haben musst, beschäftigst du dich nicht mit deinen Problemen. Das thematisiere ich auch auf meinem Track "Riot". Aber es kann alles sein. Ein Verlust in der Familie oder im Freundeskreis, eine Krankheit – alles. Ich kann tausend Beispiele nennen. Jeder Mensch geht anders mit Problemen um. Der eine befasst sich damit, der andere nicht. Wenn du es runterspielst, bekommst du nicht mit, was für ein Mensch du bist. Du weißt gar nicht, ob du es intensiver verarbeiten und beispielsweise mit Freunden darüber reden musst. Wenn du sowas nicht von dir weißt, hast du deine Geister und das nagt an deinem Selbstwertgefühl. Viele bemerken diese Geister nicht, weil sie sich ablenken, wenn es ihnen schlecht geht. Dann gehen sie zu Freunden und das machen sie immer wieder, über Monate oder sogar Jahre hinweg, anstatt das Stück für Stück aufzuarbeiten. Wir leben im Jahr 2020 – dir passiert ganz schnell etwas Beschissenes, weil die Welt einfach am Arsch ist. Die ist jetzt nicht komplett hängengeblieben, aber sie gibt dir viel Futter dafür, dass Dinge nicht richtig laufen.
MZEE.com: Man sagt ja, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Glaubst du, dass man sich so sehr an den Zustand der Isolation gewöhnen kann, dass man irgendwann zufrieden damit ist und ihn anderem vorzieht?
Lance Butters: Ich denke, dass man das sehr schnell glauben kann. Es gibt kein Gerät, das ich an meine Venen anschließen kann und mir sagt, ob ich zufrieden bin. Ich glaube aber, dass die Illusion superschnell da ist und man sich einredet, es würde einem gut gehen. Vielleicht geht das bei manchen auf. Das ist bei mir im kleinen Sinne auch so. Ich habe mir mein Nest gemacht und reflektiert, was ich erlebt habe, wie ich mich verhalte und durch den Alltag komme. Ich stecke die Grenzen ab und habe einen Raum, in dem ich mich bewege. Dann erweitere ich meine Grenzen und gucke, wie weit ich aus diesem Raum kann, ohne meine Komfortzone zu verlassen. Wenn ich vor zehn Jahren einen anderen Weg gegangen und fremden Menschen positiv begegnet wäre, würde ich vielleicht keine Wohnung abstecken, sondern eine ganze Stadt. Mag sein. Ich frage mich die ganze Zeit: "Wie geht es Lance Butters? Welche optimistischeren oder abgefuckteren Versionen gibt es von mir?" Ich komm' damit aber ganz gut klar. Ich weiß, dass ich mir dadurch auch etwas verbaue und viel im Leben verpasse. Die Frage ist jedoch, woraus man sowas zieht. Wenn mir jemand sagt, dass ich einen geilen Abend mit Freunden verpasse, frage ich mich, ob dein geiler Abend mit Freunden auch einer für mich wäre. Diese Loner-Thematik und die Haltung, die ich allgemein an den Tag lege, ist ja mein Mindset. Manchmal sitze ich zu Hause und denke mir, dass nicht alles geil ist – aber wenn ich in einem Raum bin, wo sich viele Leute befinden, fühl' ich mich einsamer denn je. Das kann man natürlich für sich selbst abwägen. Ich glaube, dass es Menschen gibt, die wirklich alleine sind. Manche Leute wurden aus falschen Gründen zum Loner und es gibt introvertierte Menschen, denen das wesentlich leichter fällt. Es gibt Menschen, die extrovertiert sind und sagen, sie seien introvertiert. Da liegt schon das Problem. Du denkst, du wärst ein introvertierter Mensch, obwohl du eigentlich extrovertiert bist. Du wurdest von der Gesellschaft hier und da enttäuscht und redest dir ein, dass du zu Hause bleiben musst, obwohl dein Charakter danach schreit, rauszugehen.
MZEE.com: Zu der Thematik habe ich dir folgendes Zitat von Tarek K.I.Z aus dem Track "Kaputt wie ich" mitgebracht: "Kannst du die Leichen in meinem Keller zum Schweigen bringen? Ich bin in schlechter Gesellschaft, wenn ich alleine bin." – Was hältst du davon?
Lance Butters: Das klingt wie jemand, der rausgeht und beispielsweise feiert, weil er die Leichen in seinem Keller nicht verscharrt bekommt, Probleme hat und sich nicht damit befassen möchte. Kein Front, aber im Endeffekt bittet er darum, dass sich eine andere Person um seine Leichen kümmert. Nee, Digger, du musst deine Leichen selbst zum Schweigen bringen. Wenn du deshalb in schlechter Gesellschaft bist, wenn du alleine rumsitzt, dann kümmere dich darum. Ruf nicht deinen Kumpel an und frag, ob er mit einer lauten Musikanlage zu dir kommt und deine Leichen zum Schweigen bringt. Jeder kennt das Gefühl, wenn man merkt, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Die Frage ist nur: Willst du dich ablenken oder willst du dich selbst drum kümmern? Was hast du davon, dass sich andere Leute darum kümmern? Warum soll ich deine Leichen wegschaffen, Digger? Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid, aber ich kann das nicht für dich machen. Jeder kennt das aus dem Freundeskreis – jemand hängt durch und man ist am Start. Die Frage ist jedoch, inwieweit man jemandem helfen kann. Du kannst nicht erwarten, dass Leute immer Verständnis für deine Probleme haben, wenn sie sehen, dass du dich nicht darum kümmerst. Wenn jemand eine schwierige Phase hat und sich falsch verhält, wird immer erwartet, dass man Verständnis dafür hat. Oft hat man das Gefühl, dass darauf bei einem selbst kein Wert gelegt wird, weil die andere Person nicht die benötigte Empathie besitzt. Irgendwann hört das Verständnis auf und die Person muss sich selbst mit ihren Leichen befassen.
MZEE.com: Reden wir mal über dich und deine Musik. Kannst du besser Musik machen, wenn du isoliert bist?
Lance Butters: Ja, safe. Wenn meine Jungs mit mir abhängen wollen, wissen sie, dass ich sage: "Alles cool, wir können bis 19, maximal 20 Uhr abhängen und danach gehst du bitte nach Hause." (lacht) Ich brauche dann meine Ruhe und gehe in meinen Tunnel. Das bedeutet, dass ich runterfahre, chille und mir einen baue. Dann sitze ich da und höre ein paar Instrumentals. Das müssen nicht unbedingt Beats sein. Ich versuche, mich selbst runterzubekommen. Das ist nichts Meditatives mit esoterischen Räucherstäbchen oder so einem Scheiß. Ich versuche einfach, weniger Input von außen ranzulassen und mich langsam abzuschotten. Nach einer Weile schreibe ich meine Gedanken auf – dazu brauche ich natürlich einen passenden Beat. Manche Rapper schreiben ihre Texte auf und suchen sich anschließend einen Beat. Meiner Meinung nach fehlt dabei der Vibe. Ich brauche einen Producer, der mir einen Beat mit Vibe vorgibt, aber nicht die Thematik. Du brauchst eine Grundatmosphäre, dadurch spreche ich dann. Das klingt krass mystisch. (lacht) Der Beat gibt mir ein Gefühl vor und wenn ich das greifen und damit etwas anfangen kann, nutze ich die Nacht für mich. Ich merke, dass ich gerne zwischen elf oder zwölf Uhr schlafen gehen würde, weil man am nächsten Tag ausgeruhter ist. Man schläft einfach besser, wenn es dunkel ist, aber ich liebe die Nacht. Das Telefon klingelt nicht, niemand klopft an die Tür, ich bin bei mir. Leute, die thematisch oder atmosphärisch nicht die Musik machen, die ich mache, können eher mit ihren Jungs im Studio rumhängen und sich gegenseitig billige Lines an den Kopf werfen. Das funktioniert bei mir nicht. Ich kann höchstens vor meinen Jungs aufnehmen, wobei das nicht nötig ist, weil meine Freunde nicht aus dem Rap-Business sind. Ich habe maximal ein oder zwei Freunde aus dem Business. Aufnehmen ist nicht das Problem – aber lasst mich beim kreativen Arbeiten und Schreiben verfickt noch mal in Ruhe.
MZEE.com: Auf "Therapie" sprichst du an, dass du dich vor Enttäuschungen schützen willst. Solche Andeutungen gab es auch auf deinem vorherigen Album "ANGST". Warum hast du aufgehört, dich auf andere Menschen einzulassen?
Lance Butters: Der Grund ist, dass ich viel erlebt habe. Ich bin schon als Jugendlicher so gewesen. Die Leute müssen mir erst beweisen, dass sie es wert sind. Nicht, weil ich der Krasseste bin – ich stelle mich nicht über die. Ich bin einfach vorsichtig und sehe keinen Grund dafür, unvorsichtiger zu sein. Die Leute können sagen: "Warum nimmt er sich so viel raus? Warum muss ich mich erst mal beweisen?" Das müssen sie gar nicht. Nur, wenn sie mit mir abhängen wollen und ich ihnen vertrauen soll. Wenn jemand das nicht will und ihm das zu viel ist, soll er sich ficken. Ich fordere das nicht, alles cool. Aber wenn du mit mir befreundet sein willst, musst du akzeptieren, dass ich ein bisschen länger brauche, um jemandem zu vertrauen. Das hat damit zu tun, dass ich auf der einen Seite gemerkt habe, dass es sehr viele Schlangen gibt, und auf der anderen Seite, dass ich andere Wertvorstellungen habe. Ich habe keine 50 Leute an der Hand. Ich kenne mehrere Menschen und bin mit denen cool, aber meine engsten Freunde sind fünf Leute. Die kennt man nicht aus der Öffentlichkeit. Warum sollte ich neue Leute kennenlernen? Ich brauche das nicht. Ich habe eine Infrastruktur an Freunden und was die mir geben können, reicht mir. Natürlich lerne ich durch meine Freunde auch andere Leute kennen. Wenn mein Kumpel kommt, mich jemandem vorstellen will und er für die Person einsteht, dann bin ich dabei. Das ist der Vorschuss an Vertrauen, den ich jemandem aushändigen kann. Wenn die Frage nach meinem Beruf kommt, muss ich nicht erzählen, dass ich Kfz-Mechatroniker wäre, um mich zu verstellen und meine Person zu schützen. Fehlt aber dieser kleine Vorschuss, würde ich ein Geheimnis daraus machen und nicht darüber sprechen wollen. Nicht, weil ich nicht dazu stehe, Lance Butters zu sein, sondern weil du einfach anders behandelt wirst, wenn du eine Person der Öffentlichkeit bist. Das ist jedenfalls die einzige Möglichkeit, die man hat, auf einer ernsten Grundlage – freundschaftlich, sowie geschäftlich – an mich heranzutreten. Ich rede hier also nicht von Smalltalk, den ich mit Fans habe. Ich kenne die nicht. Die kennen mich von der Bühne, mehr nicht. Wie gesagt: Ich habe meinen Kreis, der mir alles gibt, was ich brauche und den Rest gebe ich mir selbst. Andere Leute sind nicht schlecht, aber ich habe kein Interesse an denen.
MZEE.com: Glaubst du, dass du generell eine andere Sicht auf zwischenmenschliche Beziehungen hast?
Lance Butters: Die Menschen, die ich in meinem Leben habe, will ich auch in meinem Leben haben. Wenn man sich auseinander lebt oder der andere sich nach zehn Jahren dazu entscheidet, dass er das nicht mehr will, ist das okay. Die beste Bezeichnung für zwischenmenschliche Beziehungen ist meiner Meinung nach "Lebensgefährte". Ein treuer Begleiter. Ich laufe einen Weg und dieser Weg ist mein Leben. Irgendwann kommt von rechts eine leichte Gabelung, die zu mir auf die Straße führt, und da läuft ein Mensch. Ob es ein Kumpel ist, ein Geschäftspartner oder eine Freundin. Wir laufen nebeneinander, ich gucke die Person an und sage: "Was geht? Ich muss in die gleiche Richtung." Dann kommt eine weitere Gabelung und wenn wir beide nach links müssen, ist das cool. Wir laufen noch ein Stück zusammen. Aber irgendwann kommt man zur nächsten Gabelung und die Person muss ehrlich sein und sagen, dass sie nach rechts muss. Du musst auch ehrlich sein und sagen, dass du nach links musst. Das ist okay. Ein Lebensgefährte – bis zu dem Punkt, an dem es nicht mehr geht. Das muss man sich eingestehen. Den Weg kann man gerne zusammen laufen, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Person vielleicht irgendwann einen anderen laufen muss. Halte dich nicht an den Leuten fest, sondern erkenne sie. Du kannst auch auf diese Gabelung zulaufen und hoffen, dass die Person den gleichen Weg geht, weil du dich auf sie verlassen kannst und ihr euch auf dem Weg geholfen habt. Du kannst diese Person aber nicht dazu überreden, deinen Weg zu gehen. Wenn die Person seit Jahren weiß, dass sie an dieser Gabelung rechts abbiegen muss, dann lass sie verfickt noch mal nach rechts laufen. Fang nicht an, dir einzureden, dass du auch nach rechts musst, oder der anderen Person einzureden, dass sie nach links muss. Schätze die Leute, die mit dir diesen Weg laufen, aber halte sie nicht bei dir, wenn sie sich für einen anderen entscheiden. Meine Erfahrung ist, dass du dann ein ganz ruhiges Gefühl im Umgang mit Menschen bekommst. Das ist meine Herangehensweise. Ich klammere nicht und weiß deswegen die Leute zu schätzen, die ebenso nichts von mir fordern.
MZEE.com: Denkst du, dass Alleinesein eher zu einer persönlichen Entwicklung führt? Oder braucht man dazu andere Menschen?
Lance Butters: Es gibt ja Leute, die sagen, sie wären ein anderer Mensch, wenn sie in Gesellschaft sind. Meiner Meinung nach gibt es nur ein "Ich", kein "Wir". Deine Entwicklung ist die einzige, auf die es ankommt. Ich finde, du musst mit Leuten rumhängen und Gruppenveranstaltungen mitmachen, damit du dich selbst erlebst. Du musst alles ausprobieren, um dich zu präsentieren und dich in jede Situation bringen, ob es ein Urlaub alleine oder ein Partyurlaub ist. Auch, wenn es mal unangenehm wird. Du lernst daraus immer etwas über dich. Wenn du mehr über dich herausfinden willst, beschäftige dich mit dir. Das heißt aber nicht, dass du alleine sein musst. Nehmen wir mal an, du hättest im Leben nur zweimal das Haus verlassen – dann lernst du nicht so viel über dich. Ich glaube, am meisten lernst du, wenn du dich reflektierst. Daraus entsteht die beste Version deiner selbst.
MZEE.com: Gibt es Momente, in denen du das Alleinsein als negativ empfindest und es in Richtung Einsamkeit kippt?
Lance Butters: Dazu muss ich erst mal sagen, dass ich den Stand, den ich seit Jahren besitze, Situationen zu verdanken habe, die mich hierhin gebracht haben. Ich glaube, dass ich schon immer ein relativ verschlossenes Kind war. Ich war schon immer skeptisch. Aber warum war ich das? Auf "So Schön" rappe ich: "Das Glas nie halb voll, sondern leer – Mama sagt, ich hab's von Papa geerbt." Das ist ein Fakt. Ich glaube, dass ich das einfach in meiner DNA habe. Ich weiß aber auch, dass die Dinge, die passiert sind, dazu geführt haben, dass ich so bin. Dieses Gefühl, einsam zu sein, kenne ich nicht aus den Situationen, in denen ich alleine bin. Wie ich vorhin sagte, ich habe meine Leute, ich bin nicht einsam. Die sind da. Vielleicht auch öfter, als ich will. Das ist nicht negativ gemeint. Wenn ich mit denen einmal die Woche rumhänge, weiß ich genau, dass ich auch drei- oder viermal mit denen abhängen könnte. Aber ich will halt nur einmal in der Woche mit denen rumhängen, ohne das jetzt fest auszumachen. Ich fühle mich nicht einsam. Ich fühle mich manchmal ein bisschen verloren in dieser Welt, aber nicht, weil ich alleine zu Hause rumsitze. Einsamkeit muss ja nichts mit sozialen Kontakten zu tun haben. Wenn ich mich einsam oder verloren fühle, dann weil ich mich mit meiner Denke über die Gesellschaft und die Welt fühle, als würde ich gegen eine Wand reden. So geht es ganz vielen da draußen. Wenn ich mich alleine fühle, habe ich Menschen um mich herum, mit denen ich mich gemeinsam alleine fühle. Das, was wir auf der Welt machen, lohnt sich nicht, weil die Welt am Arsch ist. Deswegen fühle ich mich oft verloren. Ich fühle mich dann einsam gegenüber einer Gesellschaft, nicht im sozialen Leben.
MZEE.com: Kommen wir zur letzten Frage. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die du durch das Alleinsein bekommen hast?
Lance Butters: Schwierig. Meine ganze Denke, die ich gerade erläutert habe, habe ich aus dem Alleinsein gezogen. Eine große Erkenntnis ist, dass wir alle nichts wert sind. Das ist nicht negativ gemeint. Die Periode, in der ein Mensch lebt, ist nichtig. Das ist eine traurige Erkenntnis, erleichtert aber auch vieles. Das heißt nicht, dass du unbeschwert durchs Leben gehen kannst, weil es endlich ist. Mir geht es darum, dass ich dadurch erkannt habe, in dieser kurzen Zeit auf der Welt mehr auf mich zu achten. Ich bin nicht lange hier. Ich will etwas machen, was mich glücklich macht und arbeite an meinem Glück. Damit meine ich nicht die gesellschaftliche Bedeutung von Glück. Es gibt 16 verschiedene Persönlichkeitstypen, jeder hat eine andere Herangehensweise und eine andere Definition von Glück. Ich habe keine Ellenbogen-Mentalität. Ich inspiriere die Leute, die ich inspirieren kann und finde es toll, wenn ich an bestimmte Menschen eine Message senden kann. Aber was ich mache, mache ich auch für mich. Mach, was dich erfüllt. Was mich erfüllt, ist nicht die Musik, sondern kreativ zu arbeiten. Ich schotte mich ab. Ich mache es eben anders und bin der Meinung, dass ich ruhig schlafen kann, weil ich niemandem etwas antue. Ich entscheide für mich, dass ich dieses Leben so führen möchte. Das ist meine Erkenntnis. Die Welt ist beschissen genug. Ich muss mir nicht von Leuten anhören, dass sie kein Verständnis dafür haben, wie ich mein Leben lebe. Wenn sie nicht akzeptieren können, dass ich meine Zeit für mich brauche, dann sollen sie gehen. Ich weiß abzuwägen, wo ich einen Punkt setze. Jeder geht anders mit Problemen um. Ich rede mit zwei, drei Freunden darüber und melde mich bei den anderen nicht. Wenn jemand ein Problem damit hat, dann ist es sein Problem. Wenn ich dir nicht schreibe, nehme ich mir die Zeit für mich. Ein Nein zu dir ist ein Ja zu mir. Das klingt so dumm, aber es stimmt. Alles ist endlich und ich habe weder Zeit noch Lust, mir vorschreiben zu lassen, wie ich zu sein habe. Es geht eigentlich nur darum, sich selbst in seinem Denken zu perfektionieren und sich eine Welt zu schaffen, in der dich jeder machen lässt, was du möchtest, und du selbst zufrieden bist.
(Sicko)
(Fotos von Daniel Hoffmann)