2019 meldete sich die Antilopen Gang mit dem retrospektiven "2013" aus einer zweieinhalbjährigen Schaffenspause als Band zurück. Darauf zeigen die drei Rapper eine ernste Seite, die trotz ihrer vergangenen, höchst politischen Werke lange nicht mehr zum Vorschein kam. Auf dem neuen Album "Abbruch Abbruch" sind deutlich weniger explizit politische Texte zu hören als auf den vorherigen Releases. Das hindert die Antilopen jedoch nicht daran, gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen und ebenso außergewöhnlich wie tiefschürfend umzusetzen. Uns verrieten sie unter anderem, wie sie auf ihre teils verrückten Songideen kommen und weshalb sie sich gerade jetzt dazu entschlossen haben, einen Track über das für die Band besonders ereignisreiche Jahr 2013 zu schreiben. Zudem erzählten sie uns, wieso es keinen zweiten Teil von "Beate Zschäpe hört U2" geben wird und mit welchen Möbelstücken sie sich am ehesten identifizieren.
MZEE.com: Danger Dan und Koljah, ihr beide seid mittlerweile Väter geworden. Hat sich dadurch die Zusammenarbeit in der Antilopen Gang verändert?
Koljah: Die Terminfindung ist ein bisschen komplizierter geworden. Wir müssen es ja immer schaffen, uns zu dritt zu treffen. Das war aber noch nie einfach, da die Antilopen Gang auch noch nie an einem Ort gewohnt hat. Bislang haben maximal zwei von uns gleichzeitig in derselben Stadt gewohnt. Durch das Dasein als Familienvater hat man eben noch ein paar mehr Verpflichtungen. Dann ist der Terminkalender vielleicht ein bisschen voller, aber das ist eigentlich das einzige. Bis jetzt hat es eigentlich immer ganz gut geklappt.
Danger Dan: Ich glaube, vorher war es seltener der Fall, dass ich ins Studio gehe und erst mal schlafe. Ich habe häufiger eine Stunde auf dem Sofa im Studio gepennt. Denn Vaterdasein bedeutet – wenn man es gut macht zumindest – dass man nicht viel schläft.
Koljah: Ich schlafe sehr viel. Ich mach' das nicht so gut. (Gelächter)
Danger Dan: Ich bin im Studio häufiger eingepennt, weil ich einfach kaputt war und es manchmal irgendwie entspannend ist, wenn man endlich wieder im Keller sitzt. Aber im Grunde genommen regulieren wir.
MZEE.com: Ihr seid dadurch also nicht ruhiger geworden? Koljah hat uns im letzten Interview erzählt, dass in der Gang viel gestritten wird.
Koljah: Ich streite mich jetzt eher mit meinem Kind. Ich bin aber nicht ruhiger geworden. So ein Kleinkind ist einfach wie ein Psychopath. Die ganzen Diagnosekriterien, die man auf Psychopathen anwenden kann, passen im Prinzip auch auf ein Kleinkind. Deswegen bin ich eher lauter geworden. (lacht) Das heißt jetzt nicht, dass ich mein Kind anschreie, ganz im Gegenteil – aber meine Bandkollegen vielleicht. Ich bin sehr hibbelig geworden.
MZEE.com: Ihr streitet zwar, findet aber immer wieder Kompromisse. Wie funktioniert das?
Koljah: Jedes Lied, das wir machen, ist gewissermaßen ein Kompromiss, denn jeder hat Ideen und bringt sich ein. Da muss man halt immer auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Aber es ist schon so, dass es bei den vorherigen Alben wesentlich komplizierter war, zumindest habe ich das Gefühl. Eigentlich haben wir es dieses Mal ganz gut hinbekommen, uns auf eine Linie zu einigen. Das war auf jeden Fall unkomplizierter, als es bisher war.
MZEE.com: Gibt es dafür einen speziellen Grund?
Danger Dan: Ich glaube, Koljah hat das in seiner Promophase ein bisschen falsch dargestellt. Er tut ja immer so nörgelig und motzt immer rum. In Wirklichkeit ist er ein sehr harmoniebedürftiger Kuschelbär. Ich glaube, das, was nach Außen so aussieht, als müsste man immer den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, ist tatsächlich gar kein so großes Problem. Wir haben viel größere Diskrepanzen mit dem Rest der Welt als Schwierigkeiten dabei, uns zu einigen. Man kann auf jeden Fall sagen: Wir haben zum Glück schön viel Zeit gehabt und uns schön viel Zeit genommen für das Album. Wir haben nicht auf Teufel komm raus so schnell wie möglich neue Songs gemacht, bei denen man vielleicht mitunter mal hitziger diskutiert, weil man einen Abgabetermin im Nacken hat. Stattdessen haben wir ganz milde gesagt: "Findet dieses Lied irgendwer uncool?" Und irgendwer meinte: "Ja, find' ich nicht so cool." Dann arbeiten wir eben an einem anderen und machen etwas Neues. Ich fand's, um ehrlich zu sein, dieses Mal gar nicht so schlimm. Aber wir haben natürlich trotzdem die Antilopen-Streitkultur aufrechterhalten. Ich glaube, die ist für uns selbst immer das größte Korrektiv und irgendwie eine Inspiration. Diskurs ist ja nichts Schlechtes – zumindest, wenn ich bei der Prügelei gewinne.
MZEE.com: Beim Betrachten eurer Diskographie entdeckt man recht viele Thementracks. Wie sieht der Entstehungsprozess von Songs wie beispielsweise "Tindermatch" aus? Schließlich sind das oftmals keine besonders naheliegenden Konzepte.
Koljah: Jeder von uns sammelt Ideen und tippt sich die ins Handy. Ob daraus immer etwas wird, sei mal dahingestellt. Teilweise war es so, dass wir im Studio saßen und versucht haben, zu brainstormen. Was könnte man machen? Das scheitert aber meistens. Es gibt da eine Wahnsinnsmethode von Panik Panzer, bei der es um Wortassoziationen geht. Vielleicht willst du das kurz erklären? Es hat nie funktioniert, aber wir haben es probiert.
Panik Panzer: Es gibt ja selbst bei den kreativsten Künstlern den Punkt, an dem ihnen zum Verrecken nichts mehr einfällt. Ich habe tatsächlich mal … Ich traue mich schon kaum, das Wort zu sagen, weil mich vermutlich einer meiner Bandkollegen aus Versehen ankotzt. Es gibt Kreativmethoden, falls einem gar nichts einfällt. Da kann man zum Beispiel ein Magazin aufschlagen, mit dem Finger an zwei zufällige Stellen tippen und die zwei Worte, die auftauchen, verbinden. Das funktioniert am besten, wenn da irgendwelche Nomen auftauchen. Wenn es jetzt die Worte "bitte" und "ist" sind, kannst du natürlich nichts damit machen. Aber ich konnte meine Band, die für so etwas nicht offen ist, nie davon überzeugen. Es gab allerdings einen sehr verzweifelten Moment, in dem wir tatsächlich im Internet einen Zufallsgenerator angeworfen haben. Das darf man eigentlich gar nicht erzählen, aber ich erzähl' dir das jetzt. Der hat einfach random Wörter ausgespuckt. Und durch diesen Zufallsgenerator ist das "Zentrum des Bösen" entstanden, denn da ist das Wort "Dorf " aufgeploppt. Dann haben wir uns über das Dorf unterhalten und dachten uns: "Eigentlich muss man mal einen Song darüber machen, wie schlimm das verdammte Dorf ist." Manche Songs sind aber auch total schnell entstanden. "Bang Bang" oder "Lied gegen Kiffer" waren zum Beispiel superschnell da. (schmunzelt)
Koljah: Da war es so, dass wir den halben Tag damit verbracht haben, uns voll zu verkrampfen und zu überlegen, worüber wir einen Song machen könnten. Wir haben auch ganz schlechte Lieder angefangen und wieder abgebrochen. Dann sind wir rausgegangen, um was zu essen oder so. Und auf einmal war eine Idee da. Danach sind wir ins Studio und haben mal ganz kurz ein Lied gemacht. Es kann also nicht schaden, sich nicht auf etwas zu versteifen und stattdessen einen Tapetenwechsel zu machen. Ich bin eh immer dafür, dass man mal an die frische Luft geht und nicht den ganzen Tag lang nur in diesem Kellerstudio hockt.
MZEE.com: Von "Bang Bang" war ich besonders geflasht, da ich noch nie so einen knallhart ehrlichen und unbeschönigenden Track über das Thema Sex gehört habe. Viele würden sich traurigerweise gar nicht trauen, so etwas zu schreiben.
Koljah: Ich hab' das ja grad' schon angerissen. Das war wirklich so. Wir waren zusammen in einem griechischen Imbiss essen und haben uns eigentlich nur unterhalten. Irgendwie ging's dann auf einmal um das erste Mal und wie das halt war. Wir haben uns untereinander ausgetauscht und sind anschließend zurück ins Studio. Danger Dan, der eh schon immer dafür war, dass wir mal ein Lied über Sex machen, meinte: "Ey, lass uns einfach einen Song über genau das machen, worüber wir gerade geredet haben." Wir dachten, das wäre ein Gag. Es war auch schon 23 Uhr und wir wollten eigentlich langsam mal Feierabend machen. Wir haben uns jeweils eine halbe Stunde Zeit genommen, um eine Strophe zu schreiben und zu gucken, was passiert. Ich erinnere mich noch gut, dass mir nur noch eine Zeile fehlte und Danger Dan neben mir stand und meinte: "Die halbe Stunde ist um. Hör jetzt sofort auf, zu schreiben!" Ich durfte dann die sechzehnte Zeile noch schreiben. Danach haben wir es uns gegenseitig vorgerappt und gemerkt: "Oh, Shit … Irgendwie ist das geil!" Panik Panzer war mit seiner Strophe nicht sehr zufrieden, weil er auf einmal gemerkt hat, dass wir das ernster genommen haben als er. Er hat dann noch mal ein bisschen was umgeschrieben – sogar komplett. Wir haben an dem Abend noch aufgenommen und fanden den Song verdammt gut. Es war einfach klar, dass das ein gutes Lied ist. Ich hab' mich zuerst ein bisschen geschämt. Will man so etwas wirklich der Welt zeigen? Ich wusste aber auch, dass man es tun muss. Anschließend haben wir doch noch Feierabend gemacht, aber hatten auf einmal dieses Lied.
Danger Dan: Es war wirklich so. Als wir uns gegenseitig die Texte vorgerappt haben, waren wir selbst noch ein bisschen peinlich berührt. Wir mussten einen Umgang damit finden und haben gelacht. Dann haben wir es aufgenommen und das Problem ist einfach, dass jegliche Begründung dafür, das nicht zu veröffentlichen, total schwach wäre. Man kommt aus der Nummer nicht mehr raus. Wir haben dieses Monster geschaffen und jetzt ist es so.
MZEE.com: Ihr habt da echt Mut bewiesen. Mit dem Song werden sich bestimmt eine Menge Leute identifizieren können. Viel mehr als mit dem tausendsten Player-Track, auf dem irgendjemand darüber rappt, dass er jede Nacht eine neue Frau klarmacht.
Danger Dan: An der Stelle willst du vielleicht auch mal erzählen, wie es bei dir war. (Gelächter)
Koljah: Ist aber echt so. Wir haben relativ schnell gemerkt: Wenn man Leuten das Lied vorspielt, haben viele das Bedürfnis, einem ungefragt – dich haben wir jetzt gefragt – ihre Geschichten zu erzählen. Wir wissen mittlerweile sehr viel. Ich fand die Geschichte vom ersten Mal unseres Managers zum Beispiel nicht uninteressant. Ich werde sie aber nicht ausführen.
MZEE.com: Lasst uns noch über "2013" sprechen. Der Track handelt von den Erfahrungen in diesem für euch sehr speziellen Jahr. Gab es einen bestimmten Auslöser oder Beweggrund dafür, dass ihr gerade jetzt diesen Song gemacht habt? Den hättet ihr ja theoretisch schon vor ein paar Jahren machen können.
Danger Dan: Nee, das hätten wir nicht. Ich glaube nämlich, wir brauchten eine gewisse zeitliche Distanz, um dieses Jahr reflektieren und uns auch noch mal neu auf dieses für uns sehr schwierige Thema einlassen zu können. Ich kann mir vorstellen, dass Leute, die das von außen verfolgen, vielleicht denken: "Ach, das hätt' ich vor drei Jahren auch schon gerne gehört." Uns erneut so tief in die Trauer hineinzubegeben, stand aber ganz lange gar nicht zur Debatte. Mit ein bisschen zeitlicher Distanz kann man noch mal etwas nüchterner gucken, was da genau passiert ist und wie sich das weiterentwickelt hat. Für uns alle gibt es eine Zeit in unserem Leben vor und nach 2013. Das Jahr markiert für uns einen Wendepunkt. Das zu erkennen, geht nur, wenn man ein paar Schritte Abstand gewinnen kann.
MZEE.com: Hat es dennoch viel Überwindung gekostet, den Track zu schreiben?
Danger Dan: Der war ziemlich schnell da. Ich weiß noch, dass Koljah und Panik Panzer ihre Strophen in Düsseldorf aufgenommen haben und mich darum baten, die noch fehlende Strophe zu schreiben. Ich habe zwei Stunden später bereits den recordeten 16er zurückgeschickt, weil es der richtige Moment war und einfach gefluppt hat. Es gab natürlich vorher auch mal Versuche und irgendwie brannte es auf dem Herzen, aber die Zeit war noch nicht reif. Als es soweit war, hat es zack gemacht und der Track war da. Es war letztendlich gar keine so große Überwindung.
MZEE.com: Auf dem Song stellt ihr außerdem fest, dass ihr damals ein komplett anderes Leben geführt habt als heute. Wie blickt ihr auf das vergangene Jahrzehnt zurück und was nehmt ihr mit in die kommende Dekade?
Koljah: Jeder von uns hat ja seine eigene Biographie. Ich hab' zu Beginn des Jahrzehnts noch studiert und wusste nicht richtig, was passieren soll. Es gab zwar schon die Antilopen Gang, aber das war eher ein Freizeitspaß, der sich perspektivlos angefühlt hat – und auch war. Dann ist eben das Jahr 2013 gekommen. Ich war kein Student mehr, sondern hab' Hartz IV bekommen und wusste immer noch nicht, was ich mit meinem Leben machen soll. Am Ende des Jahrzehnts blicken wir, wenn man "Abwasser" mitzählt, auf drei Alben zurück und gerade befinden wir uns in den Startlöchern für das vierte. Auf einmal sind wir also doch noch Berufsmusiker geworden und haben zwar keine langfristige, aber zumindest eine kurzfristige Perspektive, was mit unseren Leben passiert. Das sah natürlich vor zehn Jahren komplett anders aus.
MZEE.com: Ihr sagt auch, dass ihr euch geschworen habt, die Gang großzumachen. Ist euch das eurer Ansicht nach gelungen? Habt ihr mit dem Erfolg, den ihr über die Jahre erfahren habt, gerechnet?
Panik Panzer: Es gab definitiv Zeiten, gerade vor 2013, in denen wir alles andere als optimistisch waren, was unseren Erfolg angeht. Eher im Gegenteil, wir waren ziemlich resigniert. Entsprechend hat sich unsere Musik über ein, zwei Jahre angehört. Wir haben uns beim Schreiben auch nicht richtig Mühe gegeben. Gerade aus Koljah und Jakob, aber auch aus Daniel und mir, ist da einfach ganz viel Müll rausgekommen. So abstrakter Scheiß … Davon ist vieles unveröffentlicht. Ich glaube, wir waren sehr, sehr desillusioniert. In diesem Jahr 2013, das einerseits das beschissenste Jahr überhaupt war, konnte man andererseits im Prinzip trotzdem den Mut und die Kraft schöpfen, dass es doch funktioniert. Und es hat halt funktioniert. Dafür, dass die Antilopen Gang nie als gefälliges Pop-Projekt angelegt war und es in den Sternen stand, ob sich dafür überhaupt Leute interessieren, sind wir sehr groß geworden. Dann ist auch dieser Schwur, den wir uns angeblich geschworen haben … Ehrlich gesagt haben wir uns gar nichts geschworen.
Koljah: (aus dem Hintergrund) Doch!
Panik Panzer: Also wir standen jetzt nicht im Kreis. Obwohl, vielleicht wenn wir besoffen waren … egal. Wir haben die Gang großgemacht. Wir haben es geschafft und ich bin da sehr stolz drauf.
MZEE.com: Ihr seid also zufrieden damit, wie es jetzt ist und habt nicht vor, noch zehn Überhits zu schreiben? Ich glaube, von eurem letzten seid ihr ja sowieso ein bisschen genervt.
Panik Panzer: Wir würden es vermutlich zumindest nicht noch mal so angehen, um dann ein Album später wieder zurückzurudern. Den Move wollen wir nicht wiederholen. Aber ey, wir können alle davon leben und das ist auf jeden Fall das Beste, was passieren konnte. Wir haben keinen Masterplan und keine Strategie, um es noch größer werden zu lassen. Sollte das wider Erwarten doch passieren und wir spielen Shows in Stadien, dann fress' ich zwar einen Besen, aber nehme das gerne mit.
MZEE.com: Ihr habt vor mittlerweile sechs Jahren "Leben und Streben des Friedrich Kautz" veröffentlicht. Vor Kurzem hat Prinz Pi in einer Diskussionsrunde geäußert, Diskriminierung in der deutschen Rapszene fände nicht statt. Fühlt ihr euch bei dem Gegenwind, der auf seine Aussage folgte, in eurer Kritik ihm gegenüber ein Stück weit bestätigt?
Koljah: Es ging in unserer Kritik von damals ja nicht um irgendwelche Rassismusdebatten, sondern, wie der Titel schon sagt, um das "Leben und Streben des Friedrich Kautz". Wir haben uns in dem Song über diese groteske Figur amüsiert. Dass die mitunter auch groteske Thesen in die Welt posaunt, liegt ja in der Logik der Sache begründet. Ich wollte jetzt nicht sagen "in der Natur der Sache", denn ich glaube nicht, dass das Natur und damit unveränderlich ist. Ich glaube, dass auch groteske Figuren in der Lage sind, zu reflektieren und ihre Standpunkte zu ändern. Das wünsche ich auch Friedrich Kautz.
MZEE.com: Das wäre auf jeden Fall schön. Wir können es gerne dabei belassen, wir wollen schließlich kein Salz in irgendwelche Wunden streuen.
Koljah: (schmunzelt) Okay, danke.
MZEE.com: Auf Instagram habt ihr neulich einen Post zu "Beate Zschäpe hört U2" veröffentlicht, in dem ihr über die prophetische Qualität des Songs redet. Was wäre anders, wenn ihr den Track heute schreiben würdet?
Koljah: Ich glaube, man kann auf jeden Fall Danger Dans Zeile heute verändern. Es heißt jetzt nicht mehr: "Heute dreschen sie noch Stammtischparolen und morgen haben sie Sprengstoff und scharfe Pistolen." Jetzt würde es wahrscheinlich eher heißen: "Gestern droschen sie noch Stammtischparolen und heute haben sie Sprengstoff und scharfe Pistolen." Das ist ja im Endeffekt das, was du wahrscheinlich mit der prophetischen Qualität meinst. Es gab in diesem Jahr den Mord an Walter Lübcke und das Attentat in Halle. (Anm. d. Red.: Das Interview wurde Ende 2019 geführt) Es gibt rechtsradikalen Terrorismus in Deutschland und das wäre wahrscheinlich etwas, das man in so einem Song noch viel konkreter benennen könnte.
MZEE.com: Auf dem neuen Album gibt es keinen Track, der in eine solche Richtung geht. Liegt das daran, dass ihr euch nicht wiederholen wollt oder hat sich das dieses Mal einfach nicht angeboten? Man könnte ja auch einen zweiten Teil machen.
Koljah: Ja, man könnte das vielleicht machen, aber dadurch, dass wir es schon gemacht haben, liegt das für uns jetzt nicht so auf der Hand. Ich glaube, es gibt eher außen eine Erwartungshaltung: "Das sind doch die, die so ein Lied gemacht haben. Wieso machen die nicht noch mal so eins?" Aber so gehen wir nicht an die Sache ran. Ich fänd' "Beate Zschäpe hört U2 Part 2" irgendwie ein bisschen albern. Jeder weiß, wo wir stehen. Wir haben in den letzten Jahren mit unseren Positionen wirklich nicht hinterm Berg gehalten. Da gibt es von unserer Seite jetzt nicht besonders viel hinzuzufügen. Wenn es doch so wäre – was ja durchaus sein kann, dass wir noch mal ein ähnliches Lied schreiben – dann würden wir das halt machen, weil es sich für uns in dem Moment richtig anfühlt und nicht, weil das gerade zum Zeitgeist passt oder so.
MZEE.com: Ich nehme an, man kann in Zukunft dennoch wieder mit politischeren Inhalten von euch rechnen. Bis zu einem gewissen Grad seid ihr immer politisch. Ich hatte nur dieses Mal das Gefühl, dass so etwas Konkretes nicht dabei ist.
Danger Dan: Es stimmt, dass wir dieses Mal nicht mit dem Vorschlaghammer die "Atombombe auf Deutschland" gefordert haben. Ich weiß auch nicht, was man dem noch hinzufügen sollte … (überlegt) Den Chemiebiowaffenangriff auf Deutschland oder so. Aber irgendwann wird es dann lächerlich. Ich finde aber schon, dass es ein sehr politisches Album geworden ist, weil ganz viele Lieder in ihrem Subtext politisch sind. Es gibt immer eine politische Ebene. Lieder wie "Abraxas" haben zum Beispiel etwas mit Gentrifizierung zu tun. Ein Lied wie "Kluk", bei dem es um die Fragen geht, ob wir nur Glück hatten oder uns etwas erkämpft haben und wie so etwas wie Chancengleichheit funktioniert, stellt vielleicht sogar die Klassenfrage. Es gibt Lieder wie "Bang Bang", die sich mit toxischer Maskulinität auseinandersetzen. (kichert) Toxische Maskulinität ist einfach ein wichtiger Baustein in Nazizusammenhängen.
Panik Panzer: Für mich hat "Bang Bang" einen antifaschistischen Unterton. (Gelächter)
Danger Dan: Für mich ist diese Platte eigentlich ein antifaschistisches Pamphlet. (lacht) Nur, dass wir eben nicht furchtbar parolenhaft und klug sind, sondern einfach, wie immer, sehr präzise und sehr genial. Und, wie heißt das noch mal? (überlegt) Wir gehen ins Detail! Und was ich auch noch sagen wollte, ist, dass wir sehr bescheiden sind.
Koljah: Man kann sagen, wir sind in allem sehr gut. Aber unsere größte Stärke, in der wir unschlagbar sind, wirklich sehr gut: Das ist die Bescheidenheit.
MZEE.com: Ich würde zum Abschluss gerne noch etwas Wichtiges von euch wissen. Danger Dan, auf "Wünsch dir nix" rappst du: "Wär' ich Möbelstück, wär' ich ein Kellerregal." – Welche Parallelen siehst du zwischen dir und diesem Möbelstück? Und an Panik und Koljah: Mit welchen Möbelstücken könnt ihr euch identifizieren und warum?
Danger Dan: Im Kellerregal sind eigentlich die wichtigen Dinge des Lebens drin, die man nicht wegschmeißen kann, die einem wichtig geblieben sind, die man aber auch nicht im Wohnzimmer haben will. Und ich muss sagen: Ich bin zwar besonders schön, aber trotzdem nicht das größte Schmuckstück. Mich hat noch nie jemand mitgenommen – zur 1LIVE Krone. Außerdem bin ich ein bisschen verstaubt und treibe mich des Nachts oft in irgendwelchen dunklen Kellern rum.
Koljah: Also, ich kann mich sehr gut mit einem Schemel identifizieren. Ein Schemel ist halt irgendwie da und keiner weiß ganz genau, wofür eigentlich. Er steht rum, verlässt die Wohnung nie und hat auch ein bisschen 'was Altmodisches. Aber seine Rolle ist unklar. Viele wissen gar nicht, was ein Schemel überhaupt sein soll. (lacht)
Panik Panzer: Ich, Panik Panzer, sehe mich eigentlich als ein refurbisht 60er Jahre-Teakholz-Sideboard, wie es sicherlich auch Prinz Pi – und das muss man ihm lassen, wirklich ganz ohne ironischen Unterton – in seiner sehr geschmackvoll eingerichteten Wohnung aufstellen würde.
Danger Dan: Ich wäre aber übrigens auch gerne ein 14.000 Euro-Gasherd, falls ich zwischendurch switchen dürfte.
MZEE.com: Okay, gibt es dafür eine Begründung?
Danger Dan: Rein intuitiv, aus dem Bauch heraus. Deutschland sollte eh auf mein Bauchgefühl vertrauen.
(Steffen Bauer)
(Fotos von Katja Runge)