Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: sookee
Deutscher Rap kann schön sein, spannend, aufregend und vielfältig. Das Genre – beziehungsweise der ganze Zirkus drumherum – kann aber genauso nervig, unangenehm oder einfach nur ätzend sein. Und das nicht zuletzt für die Künstler selbst. sookee jedenfalls hat die Schnauze voll und das Ende ihrer Rap-Karriere verkündet. Ihr Statement auf Facebook wirft einmal mehr ein Schlaglicht darauf, was schief läuft in der Musikindustrie, in der es "um Zahlen und Quantifizierung […] geht". Ihren Schlussstrich zieht sie aber nicht nur, um sich diesen kapitalistischen Tendenzen zu entziehen. Sie tut es wegen ihrer geistigen Gesundheit, "um in diesem Business nicht am Ende des Tages vielleicht für die gute Sache, aber gegen mich selbst zu arbeiten". Die Rapperin spricht in ihrem Statement offen über Depressionen, die sie im nie enden wollenden Kampf gegen das Unrecht immer stärker belastet haben. Sie gibt zu: "Unterm Strich ist es bei mir so, dass jeder Kampf im Außen zu Terror im Innen führt." sookees Abschied ist ein mutiger und zugleich trauriger Schritt. Mutig, weil sie offen mit ihrer geistigen Gesundheit umgeht und den Schritt wagt, den Stress und Druck, der ihr entgegenschlägt, eigenmächtig zu beenden. Traurig, weil es zeigt, wie subversive Künstler in der deutschen Rapszene zermürbt werden. Und das, weil noch immer ein erschreckend lauter Anteil von Rap-Hörern und Internet-Usern auf sexistischen Rollenbildern beharrt und diese auf toxischste Weise zu verteidigen sucht.
Video: Disarstar – All die Jahre
Vor einigen Jahren war es noch üblich, dass man ein aufwändiges Musikvideo gedreht hat, um auf einen Song aufmerksam zu machen. Während in Zeiten des Streamings jedes beliebige Musikstück innerhalb von Sekunden mit wenigen Klicks abzurufen ist, nimmt die Motivation ab, das Maximum an Aufwand in die zugehörigen Verfilmungen zu stecken. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel. Solche Ausnahmen können entweder aufwändig produzierte Clips sein, die durch spektakuläre Bilder überzeugen oder eben Kunstwerke, die andere Qualitäten aufweisen. So zum Beispiel das aktuelle Musikvideo zu "All die Jahre" von Disarstar. Der Song ist eine Art Brief des Künstlers an sich selbst im Kindesalter. Passend zu den ruhigen Tönen werden in einem langsamen Tempo Szenen aus der ersten Strophe gezeigt, wie etwa geschilderte Panikattacken oder das Eingreifen des Jugendamts in die Situation im Elternhaus. Anschließend sieht man, wie der Junge die Hook mitsingt und durch Vintage-Effekte unterlegt ein filmisch perfekter Übergang zum heutigen Mann Disarstar gezeigt wird. Dieser trägt seinem jüngeren Ich die zweite Strophe vor und besucht die Orte aus der ersten Hälfte des Videos. Die so erzeugten Bilder fangen die ruhige und nachdenkliche Atmosphäre des Songs perfekt ein und lassen den Zuschauer an der Gefühlswelt des Protagonisten teilhaben.
Song: Credibil – Hiob
Credbil ist mit nach dem 2018 veröffentlichten Album mit einer neuen Single und liefert direkt ein ziemliches Brett ab. Auf "Hiob" fungiert ein verträumter, eingängiger, fast schon minimalistischer Beat als passende Grundlage. Der Rapper setzt sich in den Lyrics darauf mit seinem Leben auseinander und berichtet davon, wie er immer wieder aufs Neue vom Leid geprüft wird. Genauso wie die biblische Figur, die der Namensgeber des Titels ist. Ebenso geht es aber um Hoffnung und das Durchhaltevermögen, das er durch seinen Glauben an Gott gewinnt. Der Song ist geprägt von eindringlichen Weisheiten und Credibil reflektiert nicht nur sich selbst, sondern auch die Szene und Menschheit. Durch eine leicht melodiöse Betonung mancher Reime und Flowvariationen verleiht er dem Ganzen an den passenden Stellen Nachdruck. "Hiob" ist vor allem aufgrund der Thematik des Glaubens an Gott sehr eigen und mutig. Aber insgesamt ist Credibils neueste Single einfach ein besonderer Song, in dem viel Persönliches steckt und der unter die Haut geht.
Instrumental: Oskar Hahn & Frank Schöpke – shades of summer
Oskar Hahn & Frank Schöpke haben es schon wieder getan. Vater und Sohn vereinen ein weiteres Mal ihre Liebe zum Jazz für ein Beattape. Und wie schon der Vorgänger zeigt auch "Vater & Sohn 2", dass sich Oskars Liebe zu Samples und das Saxophon-Spiel seines Vaters perfekt ergänzen. Ein passendes Beispiel dafür ist "shades of summer": Der Beat beginnt sanft – mit einem langsamen, hypnotisierenden Vocal-Sample, bevor die Drums einsetzen. Nach diesem Einstieg steigert sich das Ganze dann relativ schnell, mehr Elemente kommen hinzu. Ab und an hört man Frank einige Töne auf dem Saxophon spielen. Bis die Vocals weichen und das Ganze im letzten Drittel in einem furiosen Finale mündet: Das umfangreiche Saxophonspiel und der Beat verschmelzen zu einer starken Symbiose, die ihresgleichen sucht. Und bevor das den beiden jemand nachmacht, kann man sich hoffentlich auf viele weitere "Vater & Sohn"-Platten freuen.
Line: Private Paul – Statusbericht 2019
Ist es zu viel verlangt, auf Instagram, Facebook und Twitter …
In Foren und auf YouTube unter Videosingles vom einzigen Album –
Nach fünf verfickten Jahren nicht nach 'Statusbericht' zu fragen?
Zunächst mal: Die Ironie dahinter, ausgerechnet dem Lied Aufmerksamkeit zu schenken, auf dem Private Paul sich darüber beschwert, dass ebendieses Lied Aufmerksamkeit bekommen wird, ist mir durchaus bewusst. Dennoch – oder gerade deshalb – ist das wichtig. Denn was der Emopunkrapper mit dieser Zeile beschreibt, dürfte jedem Künstler aus der Seele sprechen, der nur auf ein bestimmtes Lied, einen Style oder sonst ein Gimmick reduziert wird. So dreht sich der Großteil von "Statusbericht 2019" um das Gefühl, das sein gesamtes Jahr und alle damit verbundenen künstlerischen Ambitionen überschattet. Das Gefühl, dass die Erwartungshaltung der Fans zum stilistischen Korsett wird und man gefangen ist im Zwiespalt, Supporter nicht enttäuschen, sich gleichzeitig aber künstlerisch entfalten zu wollen. Ausgerechnet jemand wie Private Paul, dessen Musik schon immer abseits der Norm und dem Vorhersehbaren stattfand, findet sich in genau dieser Zwickmühle wieder. Und dadurch wird demonstriert, dass das Problem einer engstirnig-konservativen Haltung gegenüber Kunst selbst in den vermeintlich aufgeschlossensten Subgenres unserer Szene besteht. Wollen wir hoffen, dass 2020 für Paul besser läuft als in den finsteren Momenten, die er auf "Statusbericht 2019" beschreibt. R.I.P. an seine Katze an der Stelle.
(Florian Peking, Michael Collins, Dzermana Schönhaber, Lukas Päckert, Daniel Fersch)
(Grafik von Puffy Punchlines)
(Foto von Eylül Aslan)