Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Irmela Mensah-Schramm
Schon eh und je dienen Graffitis und Tags dazu, Statements zu setzen. Sei es, um sich als Künstler zu zeigen oder um Botschaften kundzutun. Neben vielen harmlosen Messages finden sich oft auch rechtsradikale Symbole oder Äußerungen an unseren Wänden wieder. Irmela Mensah-Schramm hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem entgegenzuwirken. Seit bereits dreißig Jahren kratzt die sogenannte "Sprayer-Oma" Nazi-Sticker ab, übersprüht Hakenkreuze und wandelt menschenverachtende Sprüche an Wänden in ihr Gegenteil um. Nun wurde die Aktivistin aufgrund von Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Das erscheint ziemlich unfair, wenn man bedenkt, dass der eigentliche Schaden schon vorhanden war und sie das Ganze lediglich verbessert – wenn auch illegal. Solche Parolen sind ein großes Problem und schaffen sich nicht von alleine aus der Welt, denn Lack ist hartnäckig. Aber Irmela genauso. So wird sie trotzdem weiter machen und Hass in Liebe umwandeln.
Video: Tarek K.I.Z – Kaputt wie ich
Musikvideos dienen manchmal einfach nur als zusätzlicher, optischer Reiz, manchmal visualisieren sie den textlichen Inhalt des Tracks und manchmal stellen sie eine ganz eigene Geschichte dar. Und dann gibt es noch das Video zu "Kaputt wie ich" von Tarek K.I.Z. Der Oneshot zeigt die Szenerie einer Massenkarambolage und fängt dabei Momentaufnahmen dutzender Einzelschicksale ein. Umgesetzt von OH MY Films spielt das Video mit teils sehr drastischen Bildern und dem Kontrast, diese erschreckend nüchtern zu inszenieren. Man fühlt sich isoliert von den leblosen, panischen und völlig verstörten Gesichtern. Gleichermaßen fühlt man sich in diesem Moment aber auch verbunden mit ihnen. Während sich im eigenen Kopf eine Hintergrundgeschichte für eine der in den Unfall verstrickten Personen entfaltet, ist die Kamera schon wieder zum nächsten Schauplatz gezogen. Ehe man sich versieht, ist alles vorbei, ohne dass man bewusst zugehört hat, was Tarek im Laufe des Tracks überhaupt erzählt. Nicht nur deswegen lädt das Video dazu ein, es immer wieder anzusehen.
Song: FALK – Abendland
Wer FALK auf Facebook folgt, dem hat es Ende September folgenden Post in die Timeline gespült: "Am 4.10. kommt der wichtigste Song, den ich je gemacht habe." – Diesen Worten lässt er Taten folgen und droppt mit "Abendland" einen Track, bei dem man von der ersten Silbe an die persönliche Bedeutung spüren kann. Mit gleichzeitig wütender und trauriger Stimme hält er dem Hörer den Spiegel vor. Er zeigt, dass man in einer Gesellschaft, in der "der Luxus in der Suppe […] super gewöhnlich" ist, zunehmend den Blick für das Wesentliche verliert. Außerdem macht er deutlich, dass so etwas wie Nationalstolz "Relikte einer früheren Zeit" sind, da es nur Glück ist, dass der Ort, "wo deine Eltern sich gebumst haben", frei von "Unterjochung und Elend" ist. FALK stellt sich dabei allerdings nicht auf einen Sockel und zeigt mit dem Finger auf die anderen. Im Gegenteil: Er bezieht sich selbst als Teil des Problems mit ein und erreicht dadurch, dass man als Hörer sein eigenes Verhalten reflektiert.
Instrumental: OG Keemo – Geist (prod. by Funkvater Frank)
Es gibt derzeit wohl kaum ein Produzenten-Rapper-Duo, das so gut miteinander harmoniert wie Funkvater Frank und OG Keemo. Jeder Song der beiden ist eine soundtechnische Wucht. Und ihr neuer Streich "Geist" steigert die ohnehin schon hohe Messlatte weiter. Dabei sind die Zutaten für den Song auf den ersten Blick recht simpel: eine einfache Streichermelodie kombiniert mit ein paar harten Drums. Funkvater Frank kitzelt aus den Samples aber genau das heraus, was der Track braucht. So klingt die vordergründige Geigenmelodie, als sei sie direkt aus einem Horrorfilm entsprungen – und passt damit perfekt zur überbedrohlichen Delivery von OG Keemo. Dazu kommt dann das wuchtige Drumset, das "Geist" zum absoluten Kopfnicker verwandelt, aber dennoch an den richtigen Stellen Luft für die Präsenz des Rappers lässt. In der Hook ist dies besonders intensiv zu hören. Hier verzerren Effekte den Sound zusätzlich, um die überbordende Stimmung des Tracks auf die Spitze zu treiben. Das alles macht "Geist" dreckig, brutal und mitreißend: ein Banger, wie er im Buche steht. Kein Wunder also, dass eines der Top-Kommentare unter dem Musikvideo des Songs lautet: "Ich mach' grad' ein' Einmann-Moshpit."
Line: Mikesh – Battle gegen Yarambo
[…] Mach weiter mit deinen Mörderlines auf Schocker.
Aber die Konsequenzen deiner Kunst spürt der Körper deiner Tochter.
Jeder, der den Film "8 Mile" gesehen hat, weiß: Im Rap spielt lyrisches Kräftemessen eine starke Rolle. Auch in Deutschland erfreut sich derzeit die Written Battle-Szene großer Beliebtheit – es gibt verschiedene Formate, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dabei kommt eine zentrale Frage immer wieder auf: Wie weit darf Battlerap als Kunstform gehen? Wann ist eine Grenze überschritten? Der Bonner Yarambo vertritt dabei den Ansatz, dass jede Eigenschaft des Gegners als Angriffsfläche genutzt werden darf und der Härte der eigenen Punchlines dabei kein Limit gesetzt ist. Dementsprechend sind bei ihm regelmäßig rassistische, homophobe und eben auch sexistische Zeilen vorzufinden. Genau dies greift sein Gegner Mikesh auf, indem er ihm einen Spiegel vorhält, der in der oben zitierten Line seine Pointe findet. Wenn sich ein Rapper auf eine Bühne stellt und klare Grenzüberschreitungen im Rahmen eines Battles salonfähig zu machen versucht, muss darüber gesprochen werden. Damit zumindest deutlich wird, wo die Grenze zwischen Kunst und Alltag liegt.
(Dzermana Schönhaber, Daniel Fersch, Thomas Linder, Florian Peking, Michael Collins)
(Grafik von Puffy Punchlines)