Johnny Rakete: Der Rapper, der auf Twitter von sich sagt, er habe den "Heroin-Look" wieder salonfähig gemacht. Oftmals wird er auch als Weed-Rapper betitelt – doch ist diese Bezeichnung gerechtfertigt? Sein Debütalbum "Trauriger Junge mit Rauch in der Lunge" ist düster und tiefgründig. Es beweist, dass hinter Johnny Rakete mehr steckt als Kiffen und lautes Denken auf Oldschool-Boom bap-Beats. Um herauszufinden, was ihn zu seinen Inhalten bewegt hat und warum er Dialoge aus einem Anime in sein Album integrierte, führten wir ein Interview mit ihm. Wir erfuhren außerdem, wie er über 90er-Boom bap, Graskonsum und seine Wirkung nach außen denkt.
MZEE.com: "Trauriger Junge mit Rauch in der Lunge" ist dein Debüt – viel länger als deine vorherigen Werke ist es allerdings nicht geworden. Worin liegt für dich der Unterschied, dass du die Platte als dein erstes Album bezeichnest?
Johnny Rakete: Das ist 'ne gute Frage. An dem Album hängt für mich einfach emotional mehr dran. Natürlich hätte ich auch einfach eine EP mit neun Songs machen können. Ich weiß nicht, ob es eine offizielle Grenze gibt, ab wann man eine Platte nicht mehr EP nennen kann. Ein Unterschied ist auf jeden Fall, dass ich für das Album etwas anders und gezielter an die Texte herangegangen bin. Ich hab' fünf EPs gemacht, es wurde einfach auch mal Zeit für eine LP und dann hab' ich gesagt: "Okay, dann machen wir jetzt halt eine." Was da jetzt der große Unterschied ist, das muss jeder für sich entscheiden. Es ist halt ein sehr kurzes Album, sagen wir es so.
MZEE.com: War es im Endeffekt eine bewusste Entscheidung, dieses Mal ein Album zu machen anstatt einer EP?
Johnny Rakete: Man macht es als Künstler auch für die Außenwahrnehmung. Ich würde meinen EPs nicht weniger Wichtigkeit zusprechen als dem Album. Aber natürlich ist es für die Wirkung auf die Szene, Labels und Magazine schon wichtig, dass ein Künstler mal ein richtiges Album hat, an dem er gemessen werden kann beziehungsweise was ihn als Künstler positioniert. Das spielt da 'ne große Rolle. Ich hätte jetzt noch gefühlt zehn Jahre lang EPs machen können, das wäre für mich auch klargegangen. Aber irgendwann kommt der Moment, in dem du sagst: "Okay, jetzt muss mal was kommen, was das Ganze auf den Punkt bringt." Da ist ein Album die logische Konsequenz.
MZEE.com: Die Platte ist deutlich düsterer und tiefgründiger geworden als deine vorherigen Releases. Du redest auch expliziter über deine persönlichen Befindlichkeiten. Wie kamst du auf die Idee, dein neuestes Werk so zu gestalten?
Johnny Rakete: Ich bin eigentlich gar nicht der YouTube-Kommentare-Leser, aber es gab einen Kommentar, der mich zum Nachdenken gebracht hat. Um das grob wiederzugeben: "Bei Rakete klingt's einfach immer so, als würde der jedes Mal den gleichen Song auf 'nem anderen Beat aufnehmen." Ich dachte mir: "Du Bastard." (lacht) Aber wenn ich mir jetzt mit etwas Abstand ältere Songs von mir anhöre, kann ich zu einem gewissen Grad nachvollziehen, was er damit gemeint hat. Meine Songs sind mit ein paar Ausnahmen thematisch immer sehr offen. Ich setze mich oft auf eine ähnliche Art und Weise mit Themen oder mir selbst und meiner Gefühlswelt auseinander. Das macht es bei manchen Songs vielleicht etwas schwieriger, zu definieren, worum genau es inhaltlich geht. Natürlich hab' ich mir dann gedacht: "Okay, vielleicht macht es Sinn, die Texte ein bisschen gezielter zu schreiben und nicht nur lose Gedanken auf 'nen Track zu packen." Deswegen ist die Platte mehr auf den Punkt gebracht als die Releases davor, die immer sehr nachdenklich und etwas verschwommen waren. Songs wie "Manchmal", "42" und "Wie immer" gehen zum Beispiel in eine ähnliche Richtung, sowohl inhaltlich als auch, was den Sound angeht. Das ist ja nichts Schlechtes und letztlich der Tatsache geschuldet, dass diese Art von Musik eben mein Style ist. Dieses Mal wollte ich die Unterschiede zwischen den Tracks stärker herausarbeiten, damit jeder Song mehr Aussagekraft hat und für sich steht.
MZEE.com: Du hast also schon bewusst etwas verändert.
Johnny Rakete: Zu einem gewissen Grad natürlich. Du setzt dich dann als Rapper hin und sagst: "Okay, jetzt steht das Album an, also musst du abliefern, wie du bisher noch nie abgeliefert hast." Ich bin halt noch damit groß geworden, dass Debütalben von Rappern unheimlich wichtig sind und die erste LP einen besonderen Status hat. Viele Erstlingswerke von legendären Rappern haben mich in meiner Rapsozialisation sehr stark beeinflusst. Viele dieser Alben sind im Kontext der Geschichte von Rap ja auch extrem wichtig, mit "Illmatic" sei jetzt mal nur ein einfaches, aber sehr bekanntes Beispiel genannt. Und den Anspruch hatte ich dann natürlich auch an mich selbst. Mein Debüt soll krass werden und eine Entwicklung gegenüber dem darstellen, was ich davor gemacht habe. Und ich bin der Meinung, dass mir das ganz okay gelungen ist.
MZEE.com: Die Aussage hört man auch nicht so oft, dass ein Rapper sagt, das neue Album sei ganz okay gelungen.
Johnny Rakete: Schau mal, ich sag's dir ganz ehrlich: Ich mag das Album und ich bin superzufrieden damit. Aber ich weiß jetzt schon, dass das nächste noch mal geiler werden muss. Ich hab' da zum Glück noch nicht den Punkt erreicht, an dem ich sage: "Das war das Maximum von dem, was ich kann." Ich befasse mich ja mit den Songs des Albums schon wesentlich länger als alle, die es erst ab Oktober hören. Ich hör' die Songs gefühlt schon seit einem Jahr. Ich will das jetzt rausbringen, aber auch direkt mit neuem Kram weitermachen, weil das Zufriedenheitslevel noch nicht komplett erreicht ist. Ich glaube, das sollte es nie sein. Da ist immer die Ambition, mich zu steigern.
MZEE.com: Der rote Faden in deinem Album sind Dialoge aus "Cowboy Bebop". Inwiefern hat dich der Anime inspiriert?
Johnny Rakete: So direkt jetzt gar nicht. Ich hab' mir nicht die Serie angeguckt und daraus Sachen für die Songs gezogen. Die Atmosphäre in dem ganzen Anime ist aber auch so ein bisschen düster und melancholisch. Wer daraus etwas ziehen will, kann das machen. Die Songs standen aber schon, als ich mir überlegt habe, die Dialoge mit draufzupacken.
MZEE.com: Das ist ein ganz cooles Gimmick.
Johnny Rakete: Ich bin grundsätzlich ein großer Fan davon, einen roten Faden zu stricken, der das Album zusammenhält. Seien es jetzt Skits oder irgendetwas anderes. Ich hab' ja auch auf "Per Anhalter durch die Galaxis", der ersten EP, schon mit solchen Filmschnipseln gearbeitet. Ich dachte mir, fürs Album passt das wieder. Du hast praktisch noch mal einen zweiten Erzählstrang, der parallel stattfindet. Ich hatte auch echt Glück, dass der Anime extrem viele gute Dialoge hergegeben hat, die unheimlich treffend für die Songs waren.
MZEE.com: Das ist ja quasi ein Äquivalent zu DJ-Cuts, die man zu verschiedenen Themen hat.
Johnny Rakete: Zum Beispiel. Wie gesagt, es war echt nicht geplant, dass jeder Song ein Intro und ein Outro hat und einen Filmschnipsel bekommt, aber es hat dann einfach gepasst. Ich mag sowas – auch bei alten Songs. Das war ja früher gar nicht so unüblich, dass man Filmschnipsel im Intro hatte oder irgendwo ein Stück eines Dialogs. Das ist mittlerweile ein bisschen verloren gegangen. Ich mach' das gerne. Ich finde, das gibt dem Song einfach noch mal 'ne zweite Ebene, mit der man sich vielleicht identifizieren kann. Und wenn's nur ist, dass jemand erkennt, dass es aus dem Anime ist. Es gibt was her und gibt dem Ganzen eine extra Atmosphäre. Wenn Leute wissen, woher es kommt und dann den Song hören, bauen die sich vielleicht selber einen Zusammenhang dazu auf, den ich möglicherweise gar nicht auf dem Schirm hatte.
MZEE.com: Auffällig an deinem Artwork für das neue Album ist die Anlehnung an japanische Schriftzeichen – du scheinst allgemein ein Faible für diese Kultur zu haben. Wie kam die Idee zustande und woher stammt deine Begeisterung dafür?
Johnny Rakete: Woher das genau kommt, kann ich gar nicht sagen. Ich hab' halt einfach früher, als ich klein war – mit neun oder zehn – angefangen, auf RTL2 "Dragon Ball" zu schauen. Da ging's mit dem ganzen Anime-Kram los. Dann habe ich "One Piece" geschaut und viel von dem, was damals nachts auf VIVA beziehungsweise MTV lief. Und natürlich fängt man auch an, im Internet zu graben und stößt dann auf so Sachen wie "Trigun" oder "Samurai Champloo". Diese ganzen Mangas und Animes haben mich unheimlich fasziniert – seitdem ist das nach Rap wahrscheinlich meine größte Leidenschaft. Dementsprechend habe ich einfach eine Schwäche für den ganzen Art-Style. Da war es irgendwie die logische Konsequenz, dass ich mein Cover auch in diese Richtung gestalte. Ich hatte das Bild grob im Kopf und habe die Ideen einfach an den lieben Deryl Braun weitergegeben. Der hat dann das gezaubert, was letztendlich zu sehen ist. Ich finde es fantastisch. Ich würde so weit gehen, zu sagen, es ist eines der schönsten Cover, die deutscher Rap bis jetzt gesehen hat.
MZEE.com: Meinst du, dass sich deine Leidenschaft für japanische Zeichentrickfilme in deiner Musik oder auch in deinem sonstigen Verhalten schon mal bemerkbar gemacht hat?
Johnny Rakete: Gute Frage. Also, bewusst nicht so sehr. Bis auf den "Grand Line"-Track mit Figub Brazlevič. Der ist ja praktisch komplett an diese ganze "One Piece"-Thematik angelehnt. Dass der Input so offensichtlich ist, wird eher nicht zur Regel werden. Aber es kann schon passieren, dass ich mir aus Animes beziehungsweise Mangas mal einen Input beschaffe. Wie offensichtlich dieser Input umgesetzt wird, hört man dann – oder auch nicht.
MZEE.com: Deinem musikalischen Stil bleibst du trotz dem aktuellen Zeitgeist treu. Mit Zeilen wie "Ich weiß nicht, ob mein Mindstate heut' noch zeitgemäß ist" lässt du eine gewisse Distanzierung anklingen. Hast du schon mal überlegt, einen moderneren Sound auszuprobieren?
Johnny Rakete: Klar hat man zwischendurch mal das Bedürfnis oder die Idee, was anderes zu machen und ich will gar nicht ausschließen, dass das auch passiert. Für das Album war es mir aber wichtig, mich selbst und meinen Kern zu präsentieren und nicht mit Experimenten anzufangen. Nach dem Album ist bestimmt mal Zeit dafür, ein paar Sachen auszuprobieren. Jetzt wollte ich einfach das, was ich mit Hawki schon davor gemacht habe, noch mal richtig auf den Punkt bringen. Deswegen klingt es jetzt auch so, wie es klingt.
MZEE.com: Du hast mit HawkOne ja auch nicht den schlechtesten Produzenten an der Seite.
Johnny Rakete: Nee, eher den besten. Das Ding bei ihm ist, dass er natürlich 90er-Boom bap-mäßig beeinflusst ist, aber ich finde nicht, dass es hängengeblieben klingt, weißt du? Ich finde, Hawki hat das Talent, dass er diese staubige Oldschool-Boom bap-Ästhetik sehr gut an aktuelle Zeitgeschehnisse anpasst. Es klingt nicht, als lägen die Beats schon seit 20 Jahren auf der Festplatte, sondern wie etwas, das 2019 gemacht wurde – in Anlehnung an den Sound von früher. Ich finde, das gelingt ihm sehr, sehr gut. Er ist halt nicht einer von denen, die in 1995 steckengeblieben sind und nur den Sound machen, der genauso klingt, als käme er jetzt aus 'ner SP-1200. Sondern er hat da einen schönen Mittelweg gefunden: die Moderne nicht außer Acht lassen, aber der Golden Era trotzdem die Ehre erweisen. Das bekommt meiner Meinung nach in Deutschland kein anderer so gut hin.
MZEE.com: "Johnny Rakete, der selbsternannte Astronaut mit Mähne, ist keiner dieser durchschnittlichen Weed-Rapper, die seit ein paar Jahren über sample-basiertes Neo-Bumm-Tschakk schillernde Nebelschwaden und kiloweise Bewusstseinserweiterung in die Deutschrap-Blase blubbern." – Das hat die JUICE über dich geschrieben. Beschreibt dich dieses Zitat nicht ganz gut?
Johnny Rakete: Na ja, ich bin ja auch kein durchschnittlicher Weed-Rapper. Letztendlich ist es für mich eh superschwierig, einzuschätzen, wie meine Außenwirkung ist, in welche Schublade ich gepackt werde, wer glaubt, dass ich wohin gehöre, in welche Ecke … Das ist, finde ich, sehr schwer nachzuvollziehen und man kriegt ja auch immer aus unterschiedlichen Richtungen unterschiedliche Sachen gesagt.
MZEE.com: Ich glaube, das ist unser Ding, dass wir Rapper immer irgendwo einordnen müssen. Die Künstler selbst machen das ja meistens gar nicht.
Johnny Rakete: Ein Funfact: Ich werde ja immer sehr krass mit Kifferrap verbunden. Das fällt bei mir relativ oft, aber Fakt ist eigentlich: Wenn man sich mal meine Platten anhört, geht's ja nicht zu hundert Prozent um Gras, weißt du? Ich hab', wenn ich jetzt so überlege, drei Songs auf meinen Releases, die sich wirklich bewusst mit diesem Thema auseinandersetzen. Das sind "1 oder 10", "Nein Nein" und "Ab und zu". Das sind die Kiffertracks, wenn du es so sehen willst, aber der Rest ist ja eher lautes Denken auf Beats. Gras spielt dann nur als Teil des Ganzen eine Rolle. Aber ich werde trotzdem krass in diese Schublade gesteckt. Da gibt es in Deutschland andere Rapper, die sich mit dem Thema Gras auf Tracks viel intensiver und regelmäßiger auseinandersetzen, als ich das tue. Beziehungsweise Rapper, bei denen es in den Songs öfter und expliziter um Gras und das Ganze drum herum geht, als das bei mir der Fall ist. Ich finde, dass bei mir eigentlich eher eine Depri- oder Emo-Kiste im Vordergrund steht. Ich habe halt dadurch, dass ich mich im Bayerischen Rundfunk in eine Doku über Weed gesetzt hab', dieses Bild nach außen sehr verstärkt. Aber rein musikalisch oder inhaltlich wundert es mich immer etwas, dass ich genau darauf beschränkt werde, obwohl das gefühlt den kleineren Teil ausmacht, was ich sage. Vielleicht benutzen Leute aber auch die Bezeichnung Kifferrap eher deswegen, weil es eben Musik ist, die man gut und gerne beim Kiffen hört. Hawki-Beats beim Jointsrauchen sind immer eine Wohltat, das kann ich nachvollziehen.
MZEE.com: Ich kann mir vorstellen, dass es ein bisschen nervt, weil das nicht der einzige Inhalt deiner Musik ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass du deinen Weed-Konsum häufig nebenbei erwähnst. Aber das tun ja viele Rapper.
Johnny Rakete: Das stört mich nicht, ich find's nur interessant, dass es das ist, was scheinbar bei den Leuten kleben bleibt. Oder dass das die Schublade ist, in die ich gesteckt werde. Wie gesagt, ich würde mich da persönlich nicht reinpacken. Ich verstehe das aber. Du kannst dich halt selbst schlecht von außen sehen oder beurteilen. Deswegen finde ich es immer interessant, in was für Schubladen man von den Rapmedien oder Fans gesteckt wird.
MZEE.com: Wie ist dein aktuelles Verhältnis zum Graskonsum? Auf deinem Album wechseln sich Glorifizierung und kritische Betrachtung ab.
Johnny Rakete: Tatsächlich habe ich das seit April oder so um 80 Prozent runtergefahren. Ich hab' die gesamte Album-Produktion über noch gekifft. Natürlich auch, als ich "1 oder 10" geschrieben hab', aber der Track steht jetzt schon seit fast einem Jahr. Irgendwann dachte ich mir, dass es vielleicht mal Zeit für eine größere Pause ist. Ich bin aktuell weit davon weg, jeden Tag einen Joint zu rauchen. Im Zuge dessen war es natürlich lustig, dass jetzt auch der Track "1 oder 10" rauskam, der die Glorifizierung in Person ist, ich aber parallel dazu gar nicht so viel Gras rauche. Das ist mir letztendlich egal, weil Kiffen zu dem Zeitpunkt, als ich den Song geschrieben hab', eben noch fester Bestandteil meines Alltags war. Jetzt ist es eben anders. Ich muss aktuell nicht jeden Tag zehn Tüten rauchen. Es reicht auch eine kleine am Abend. Gras ist für mich gerade wieder mehr Genussmittel als Muss. Ich rauche einfach dann, wenn ich Bock habe. Und wenn es nicht passt, weil ich etwas zu erledigen habe oder so, dann halt nicht. Das funktioniert ganz gut so.
MZEE.com: Wie wichtig ist dir diesbezüglich deine Außenwirkung? Legst du Wert darauf, dass du auch ein wenig Kritik einbringst?
Johnny Rakete: Na ja, das hab' ich ja bis jetzt auch immer gemacht. Ich hab' mich in meinen Songs nie superunreflektiert über Gras geäußert. Wenn du dir "Ab und zu" anhörst: Das ist ja auf den ersten Blick sehr glorifizierend, aber letztendlich geht's da nur darum, wie viel Abfuck mit zuviel Kifferei einhergehen kann. In "Nein Nein" ist ebenfalls viel Kritik drin und Zeilen, die die negativen Seiten des Dauerkonsums beschreiben – wenn auch mit Augenzwinkern. Die Außenwirkung ist mir latte. Wenn die Leute jetzt im Interview lesen, dass ich zurzeit fast gar nicht kiffe, dann juckt mich das nicht. Ich bin ja gegenüber niemandem verpflichtet, die ganze Zeit zu rauchen wie ein Schlot, weißt du? Wer mir das jetzt negativ anrechnen will und sagt: "Ey, du bist nicht real, weil du nicht buffst." Dann soll er das denken. Aber Gras ist letztendlich ein Genussmittel und es ist die Sache von jedem selbst, wie er damit umgeht. Mit meiner Entscheidung lebe ich gerade sehr gut. Wie jemand anderes damit leben kann, ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal.
MZEE.com: Du sprichst auf der neuen Platte auch viel über den Tod. Inwiefern beschäftigt dich das Thema im Alltag? Was für eine Einstellung hast du zum Tod?
Johnny Rakete: Puh. Das ist ein großes Thema. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, sich damit auseinanderzusetzen und man kann das aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Wie sehr beschäftigt mich das Thema Tod? Prinzipiell spielt es mit zunehmendem Alter eine größere Rolle. Je älter du wirst, desto weniger Zeit hast du gefühlt, die du noch verbringen kannst. Man guckt natürlich auch auf sein Leben zurück. Was hat man gemacht, was hat man nicht gemacht, was hätte man gerne machen wollen, kann man das noch machen? Und dann kommen natürlich Gedanken wie: "Hey, okay, wenn ich jetzt morgen verrecken würde, wär' ich zufrieden mit dem, was ich gemacht hab' oder würde ich Sachen bereuen?" Sowas kommt ab und zu hoch. Und dann ist da die Frage: Gibt's was nach dem Tod? Gibt es nichts? Damit kann man sich viel beschäftigen. Gerade, wenn man mal 'ne sehr depressive Phase hat, kommt sowas natürlich auch schnell auf. Zum Beispiel in Bezug auf Freunde: Wie wichtig bin ich in meinem sozialen Umfeld? Würd' mich jemand vermissen, wäre ich nicht mehr da? Das sind Sachen, die kommen auf. Ich weiß nicht, ob das bei jedem so ist, aber bei mir sind das manchmal Dinge, über die ich mir Gedanken mache. Also, es ist jetzt nicht so, dass mich das superintensiv beschäftigt und ich deswegen Probleme hab', aber das sind Sachen, die ich im Zuge anderer Gedanken auch manchmal hervorbringe. Fakt ist: Der Tod passiert – früher oder später – und ich find's nicht schlecht, sich mit einer Sache, die zwangsläufig eintritt, ein bisschen auseinanderzusetzen.
MZEE.com: Das sind natürlich sehr emotionale Gedanken. Mit 28 ist man immer noch sehr jung und hat viel Zeit.
Johnny Rakete: Ja, da hast du natürlich Recht. Aber jünger wird man nicht mehr. Ich denke auch nicht, dass das Alter dafür ausschlaggebend ist, wie viel man sich mit dem Thema Tod beschäftigt. Bei "Wenn Katzen streiten" steht das beispielsweise etwas mehr im Vordergrund. Sowas schreib' ich natürlich nicht an einem Tag, an dem ich "1 oder 10" schreibe, weißt du? Von der Stimmung her, von den Emotionen, die dich irgendwie erwischen. "Wenn Katzen streiten" hab' ich letztes Jahr, glaube ich, irgendwann geschrieben. Ich bin nachts gegen drei heimgekommen. Ich glaube, ich war irgendwo feiern und es war ein Scheißabend. Ich war angepisst, unzufrieden mit mir selbst und mit meinem Leben. Ich hatte eh 'ne extrem schlechte Phase und habe den Track dann in einer Stunde runtergeschrieben. Das sind Sachen, die sehr impulsiv passieren – in einer Stimmung, die du wahrscheinlich nicht jeden Tag hast. Dann passiert es halt, dass der Tod einem irgendwie näher ist, wenn man sich sehr schlecht fühlt. Entweder, weil man sich in schlechten Zeiten vielleicht einen vorzeitigen Tod wünscht, um den ganzen Sorgen ein Ende zu bereiten. Oder man hat eben Angst davor, weil man das Gefühl hat, mit seinem Leben noch nicht an einem zufriedenstellenden Punkt angekommen zu sein.
MZEE.com: Zum Abschluss möchten wir dich noch fragen, wo du dich selbst mit deiner Musik in fünf Jahren siehst.
Johnny Rakete: In fünf Jahren? Puh. Ja, 2024 – Spotify hat seine Tore geschlossen und wir hören alle wieder Kassetten. Hm, nee, wo seh' ich mich in fünf Jahren mit meiner Musik? Na ja, im Optimalfall da, wo ich hinwill. Dass es reicht, dass es gut genug läuft, um davon zu leben und ich immer noch zufrieden bin mit dem, was ich mache. Dass ich ausverkaufte Touren spiele, vielleicht mal irgendwo Headliner auf einem guten Festival bin, solche Sachen. Ich muss ehrlich sagen, ich versuche, mir über sowas sehr wenig Gedanken zu machen. Je größer deine Erwartungshaltung, umso ärgerlicher ist es, wenn es vielleicht nicht oder anders eintritt. Deswegen will ich das gerne offen lassen. Ich konzentrier' mich lieber darauf, jedes Mal, wenn ich Musik mache, das Bestmögliche abzuliefern. Was daraus resultiert, darauf habe ich ja nicht viel Einfluss. Es gibt viele Leute, die gute Musik machen, aber nicht den Durchbruch schaffen oder davon leben können, weil sie einfach kein Glück haben. Das ist auch ein Faktor. Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Ich hoffe einfach, dass in fünf Jahren, wenn ich Musik mache, immer noch eine Steigerung da ist im Vergleich zu dem, was ich heute mache. Es wäre supergeil, wenn ich davon leben könnte, aber die Hauptsache ist, dass ich mich weiterentwickle und nicht stehen bleibe. Das ist mir wichtig.
(Alexander Hollenhorst und Sicko)
(Fotos von Emma Weh und Arvid Wünsch)