Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: D-Bo
Die Sache mit einer Kultur als Sprachrohr zum Anprangern gesellschaftlicher Missstände ist in Bezug auf Rap ja nur noch bedingt relevant. Kritische Auseinandersetzungen mit realen Problemen weichen immer öfter reiner Unterhaltung. Wofür gerappt wird, ist längst nicht mehr so entscheidend wie die damit erzielte Chartplatzierung. Kein Wunder, dass Rap sich hierzulande daher auch verhältnismäßig dürftig mit dem Klimaschutz befasst und weite Teile der Gesellschaft in Ignoranz versumpfen. Glücklicherweise gibt es da draußen nach wie vor einige, denen die Umwelt am Herzen liegt und die sich für sie einsetzen – als Künstler wie als Privatperson. Stellvertretend für alle im Dunstkreis unserer Szene, die sich für Fridays for Future im Speziellen oder den Umweltschutz allgemein in irgendeiner Form engagieren, soll hier D-Bo genannt werden. Als Künstler nicht mehr sonderlich aktiv, informiert er seine Follower auf Facebook nach wie vor über alles rund um sein Label und bespricht Themen, die ihn privat beschäftigen. Vor Kurzem rief er im Zuge dessen nicht nur dazu auf, sich den FFF-Streiks anzuschließen, er diskutierte zudem noch mit einem Großteil der Kommentar-Schreiber – unabhängig davon, ob diese dem Ganzen gegenüber positiv oder negativ eingestellt waren. Bei allem, was in der deutschen Rapszene schiefläuft, tut es immer wieder gut, wenn man miterleben darf, dass nicht die komplette Szene ihren moralischen Kompass und die Fähigkeit zum Diskurs verloren hat. Schließlich waren das irgendwann mal die Aspekte, die HipHop ausgemacht haben.
Video: SSIO – Hash Hash
SSIO ist endlich zurück! Und mit im Gepäck hat er nicht nur die erste Single seines neuen Albums, sondern auch direkt ein Video dazu. Wenn wir ehrlich sind, ist es eigentlich nichts Herausragendes. Ein glitzernder Lamborghini, SSIO post vor diversen Schauplätzen und einigen leicht bekleideten Frauen. Was die Visualisierung durch die EASYdoesit-Leute aber so gut macht, ist der Vorspann und später die kleinen SSIO-typischen Gags. So nimmt die Unterhaltung zwischen Xatar und seinem Label-Zugpferd etwa gekonnt den Disput um die anderen AoN-Künstler Mero und Eno auf die Schippe. Und als wäre das nicht genug, fließen auch die lange Abwesenheit des Bonners mit der großen Nase und etwa seine Vorliebe für "dickere Frauen" mehr oder weniger offensichtlich sowie selbstironisch als Gags mit ein. Kurzum ist es am Ende der gewohnte SSIBIO-Humor, der das Video trotz des sonst eher altbekannten Settings so unterhaltsam und sehenswert macht.
Song: KUMMER – Bei Dir
Es gibt wohl wenig leichtere Dinge, als einen kalkulierten, mit Klischees beladenen und dementsprechend schlechten Liebessong zu schreiben. Dies haben schon einige Rapper unter Beweis gestellt. Was einem solchen Track allerdings zu Qualität verhelfen kann, sind Humor, ein ausgefallenes Konzept oder schlicht und ergreifend Ehrlichkeit, die von Herzen kommt. Auf dieses Rezept vertraut KUMMER auf "Bei Dir". Zunächst schildert er eine Version seiner Person aus der Vergangenheit, die er selbst nicht so recht leiden kann. Dann jedoch erklärt er, wie er seine negativen Charakterzüge mithilfe des Menschens, an den der Song gerichtet ist, erkennen beziehungsweise ablegen konnte. Ein Kompliment zu machen, ist leicht. Ein wertvolles, ehrliches Kompliment zu machen, kann schwer sein. Jemandem zu sagen, dass er einen dazu anregt, ein besserer Mensch zu werden, ist wohl das schönste Zugeständnis, das man machen kann. Damit verdient sich KUMMER bei uns den Song des Monats.
Instrumental: Fatoni – Nocebogang feat. Edgar Wasser (prod. by Dexter)
Mit dem Track "Nocebogang" knüpfen Fatoni und Edgar Wasser an ihr sechs Jahre altes Album "Nocebo" an und lassen die alte Kollabo noch mal aufleben. Neu in der Gang ist Dexter – Produzent und Rapper – der sich der schweren Aufgabe stellt, das Erbe eines Underground-Klassikers weiterzutragen. Der Stuttgarter bleibt gewohnt versiert und liefert ein Instrumental mit Rhodes-Akkorden des klassischen Jazz-E-Pianos, die den Track bestimmen und atmosphärisch an "Nicht jetzt" vom gemeinsamen Album "Nocebo" aus dem Jahre 2013 erinnern. Allerdings schaffen die Drums mehr Dynamik, sodass die beiden Rapper in alter Manier die Szene fronten und AfD-Dullies triggern. Dexter hebt die "Nocebogang" mit dem passenden Beat auf das nächste Level und weckt Sehnsüchte: Fatoni, Edgar Wasser, Dexter auf einem zweiten Teil von "Nocebo".
Line: OG Keemo – 216
Doch paar aus unser'n Reihen tun, als ob ein Kampf nix bringt.
Lass mich euch erinnern, denn ein großer Teil ist lange blind.
Seit 2017 liefert das Zweiergespann OG Keemo und Funkvater Frank konsequent einen Banger nach dem anderen. Am beeindruckendsten ist dabei vor allem OG Keemos Wandlungsfähigkeit. Überzeugte der Mannheimer in der Vergangenheit vor allem mit battlelastigem Trap und lockerem Boom bap, wird er auf seiner neuen Single "216" überraschend ernst und politisch. Das ZONKEYMOBB-Mitglied besinnt sich darin auf seine afrikanische Herkunft und beschreibt die Probleme, die dieses Erbe mit sich bringt. Er richtet sich daher auf dem Track gegen Polizeigewalt und spricht Themen wie Racial Profiling an. Aber nicht nur das: Er feuert auch gegen all diejenigen, die seine Hautfarbe teilen und mit Anpassung und Unterwürfigkeit ihre Kultur aufgeben, um nicht aufzufallen. Mit Lines wie dieser schärft Keemo den Blick für das Wesentliche und macht deutlich, dass Rassismus auch in Deutschland immer noch ein Problem ist, dem man entschieden entgegentreten sollte.
(Daniel Fersch, Lukas Päckert, Michael Collins, Jakob Zimmermann, Thomas Linder)
(Grafik von Puffy Punchlines, Foto von instagram.com/dbo37)