Obwohl Lea-Won schon seit vielen Jahren ein Teil dieser Rapszene ist, dürfte sein Name eher Insidern ein Begriff sein. Neben jüngeren Ausflügen in die A cappella-Battleszene gibt es in seinem musischen Schaffen kaum ein Thema, das er noch nicht verarbeitete: von kritischer Selbstreflexion bis hin zu klarer Kante in diversen politischen Themen. Und nie kann man behaupten, dem Künstler läge das Herz dabei nicht auf der Zunge. Trotz nicht allzu hoher Bekanntheit polarisiert er außerdem wie kein Zweiter. Aufgrund deutlicher Meinungsäußerungen, die er gern über Social Media kommuniziert, gerät er immer wieder in offene Diskurse. Wir haben uns im Herzen Münchens mit Lea-Won getroffen, um über seine aktuelle EP "Karmabolage", Veränderungen im HipHop-Genre und Beweggründe für all diese Debatten zu sprechen.
MZEE.com: Du bist quasi ein Urgestein der Münchner HipHop-Szene, dein Output ist allerdings recht unregelmäßig. Woran liegt es, dass Werke wie deine neueste EP "Karmabolage" nicht regelmäßiger erscheinen?
Lea-Won: (überlegt) Gute Frage. Wir sind mit "Karmabolage" jetzt erstmals bei Spotify. Das ist ein Schritt, den wir erst gehen wollten, als wir wussten, dass die EP ordentlich aufgenommen und richtig gemischt ist. Die kann quasi auch mal ein paar Jahre so stehenbleiben. Davor war es häufiger so, dass ich in besonders inspirierten Phasen eine Menge an Texten geschrieben hab', die ich total schnell aufgenommen und rausgehauen habe. Bei dem letzten Ding hatte ich gar keinen Nerv, noch mal in einem richtigen Studio unter guten Bedingungen aufzunehmen. Das waren sehr persönliche Textskizzen, zum Teil ohne Song-Strukturen, das ist dann noch mal unter dem Untergrund. Sowas kommt schon regelmäßig und mit gewisser Konstanz. Doch in bestimmten Abschnitten habe ich einfach keinen, der genauso viel Liebe und Motivation, auch in der Post-Produktion, reinsteckt wie ich. Um es kurz zu machen: Das liegt genauso an anderen Personen wie an eigenen Lebenskrisen, die einen zurückwerfen – trotz aller Inspiration. Wenn man nicht finanziell darauf angewiesen ist, Musik zu machen, muss man sie zum Glück auch nur aufnehmen, wenn man wirklich etwas zu sagen hat.
MZEE.com: Hast du bei solchen Textskizzen ohne Song-Strukturen nicht den perfektionistischen Drang, sie soweit fertig zu machen, dass du sie auch auf Spotify packen könntest?
Lea-Won: Dementgegen steht, dass ich es mit dem Spotify-Upload zu einem Produkt mache, das ich zu anderen ins Regal stelle. Die EP vor "Karmabolage" war "Zu schön um falsch zu sein", die an zwei Abenden Freestyle-mäßig aus mir rauskam. Die war mir einfach persönlich wichtig. Natürlich ist es schön, wenn andere der Musik auch etwas abgewinnen können, aber solche Releases sind eher bedingt etwas, womit ich mich beispielsweise auf die Bühne stelle. Dazu kommt die Frage: Wie viel Geld will man in sowas reinstecken? Studiozeit, Abmischen, Mastern – das kostet nicht gerade wenig für ein Release, bei dem du auch noch überlegen musst, wann du die Musik wie raushaust. Das ist jetzt keine falsche Bescheidenheit, aber da investiere ich mein Geld auch gerne in wichtigere Dinge auf der Welt. Blöd gesagt: Ich spende lieber etwas für einen sinnvollen Zweck, statt in einem Video zur neuen EP auf Hochglanz getrimmt besonders cool rüberzukommen. Ich finde, das ist fast eine romantische Vorstellung, dass Leute meine Musik hören, obwohl sie nicht die perfekte Mische für den Club oder sonst etwas hat. Und ich selbst bin auch schon sehr glücklich damit, eine auf dem Handy eingesprochene Textskizze zu finden. Wenn die Aliens in 200 Jahren auf die Erde kommen und mit ihren Scannern alle Überreste untersuchen, werden die auch das finden und hören. (grinst)
MZEE.com: Kurz gesagt stellst du die Perfektion bei Kunst hinten an, weil es dir mehr um das Gefühl dabei geht.
Lea-Won: Bei vielem kann ich das Gefühl der ersten Aufnahme zumindest nicht in einem professionellen Studio wiederholen oder so. Das will man dann auch nicht reproduzieren. Noch etwas anderes dazu: Die Leute, die es geschafft haben, Musik zum Beruf zu machen – die Antilopen Gang, Fatoni, um mal ein paar Beispiele aus meiner Generation zu nennen – da ist es eine Frage des Talents, ganz klar. Auf der anderen Seite aber auch des Glücks, zur richtigen Zeit die richtigen Leute gekannt zu haben, die das Ding mit dir in dem Moment durchziehen wollten. Solche Menschen gab es bei mir auch, aber zu einem ganz anderen Zeitpunkt. Mittlerweile bin ich in einem Alter, in dem die meisten Musik entweder professionalisiert oder aufgegeben haben. Ich mache das alles notfalls alleine aus München heraus.
MZEE.com: Wie stehst du denn zur heutigen HipHop-Szene in München?
Lea-Won: Schwer zu sagen. Es gibt in München eine Menge an Menschen, die unterschiedlichstes Zeug machen. Ich würde sagen, dass sich Bewegungen, die man in ganz Rap-Deutschland findet, auch in München widerspiegeln. Ich entdecke im Netz immer wieder Leute aus München mit vielen Klicks, die ich noch nicht von irgendwelchen Sessions kannte. Bei vielen merkt man auch gar nicht, dass sie aus München kommen – Felly zum Beispiel, den ich erstmals in Falk Schachts Podcast gehört habe. Der hat in einer ganz anderen Zeit angefangen als ich, schnell Connections zu den Drunken Masters aufgebaut und ist jetzt plötzlich mit Casper und sonst wem unterwegs. Was ich damit sagen will: Du hast in München nicht mehr nur zwei, drei Orte, wo Rap stattfindet und sich alle kennen. Als ich angefangen habe, war das noch deutlich überschaubarer. Es passieren aber immer mehr spannende Sachen. Wobei ich – wie in ganz Rap-Deutschland – bei 80 Prozent aller Rapper eher Unbehagen wegen deren Inhalte verspüre und nicht so recht weiß, ob ich mit denen etwas zu tun haben will. Einfach aufgrund dessen, dass die inhaltlich für etwas anderes stehen und oft auch gar nicht verstehen oder wissen, was ich im Gegensatz zu ihnen will oder an ihren Inhalten kritisieren würde.
MZEE.com: Auch auf deiner neuen EP bist du – neben mehr persönlichen Anekdoten – wieder viel in politischen Gefilden unterwegs. War Rap in Deutschland in deinen Anfängen politischer als heute?
Lea-Won: (überlegt) Nein. Ich würde sagen, Rap ist heutzutage politischer denn je, nur hat das eben auch viel mit den Zeiten zu tun, in denen wir leben. Als ich angefangen habe, zu rappen, war in Deutschland für die breite Masse noch alles eine heile Welt. Da hat man allenfalls mit dem 11. September 2001 gesamtpolitische Zusammenhänge erkennen wollen. Die Finanzkrise oder die Griechenland-Thematik haben auch noch nicht so viel bewirkt. Spätestens seit 2015, als die Themen Flucht und Migration stärker geworden sind, wurden aber die Leute immer lauter, die entweder in ihrem eigenen Leben damit zu tun hatten oder sich auf die Generation ihrer Eltern rückbesinnen, die neu nach Deutschland kamen. Ich glaube, das spielt in vielen Songs im Hintergrund eine Rolle. Vielleicht fällt mir das aber auch auf, weil es eben allgemein mehr Rap gibt und dabei logischerweise mehr Politisches. Und da stellt sich die Frage, wie sich "politisch" definiert: Wenn sich jemand über seine Lebenssituation beschwert und erzählt, dass er dank Rap endlich Geld macht, kannst du das rein aus soziologischer Sicht natürlich auch so deuten. Man weiß nur nie, inwieweit die Musiker da ein bewusstes Verständnis für haben und dementsprechend Konsequenzen ziehen.
MZEE.com: Du meinst, dass man nicht einschätzen kann, inwieweit das tatsächliche Selbstreflexion oder reine Prahlerei mit dem aktuellen Status ist?
Lea-Won: Ja, genau. Ich würde mir einerseits auch wünschen, dass Rapper diese Kritik auf gesellschaftliche Umstände übertragen. Dass es eben nicht um die Beschwerde über den einzelnen "Bullen" geht oder die eine Gang, die einer anderen ihr Revier streitig machen will. Natürlich weiß ich auch, was für ein Glück ich hatte, in einem politischen Elternhaus aufzuwachsen, in dem ich deutlich bewusster mit solchen Themen umgehen konnte und nie viel Druck gespürt habe. Ich konnte in Ruhe Abi machen, ein Studium beginnen und sowas. Das können andere halt nicht, die arbeiten müssen, seit sie 16 sind. Ich bin in meiner eigenen, privilegierten Position eben vorsichtig, mich über die Dummheit solcher Künstler zu beschweren. Denn die hatten eben ganz andere Ausgangslagen in ihren Leben, aus denen heraus sich ihre Gedanken und Lebensstile entwickelt haben.
MZEE.com: Das ist dahingehend spannend, dass du solche Zwiespälte nicht nur in der Musik, sondern auch als Autor bei diversen Magazinen beschreibst. Hat dich dieser stetig kritische Blick auf Rap dazu bewegt, selbst Musik zu machen?
Lea-Won: Eine Zeit lang wollte ich mich nur in der Musik damit auseinandersetzen. In den letzten Jahren habe ich aber immer häufiger gemerkt, dass meine Standpunkte in der Musik viele Menschen gar nicht erreichen oder es sich für sie zu kompliziert darstellt. Mucke ist für viele eben Abschalten und da reicht es den meisten schon, wenn sie vielleicht mal am Rande auf andere Themen hingewiesen werden. Da dachte ich mir, ob es nicht Sinn machen würde, solche Gedanken auch verschriftlicht und nüchterner festzuhalten. Musik hingegen sehe ich mittlerweile mehr als einen Ort, an dem es erst mal mehr um Gefühle geht, wo man vielleicht einzelne Sachen anstoßen kann. Ich bilde mir aber nicht mehr ein, auf einzelnen Songs die komplette Welt bis ins Detail erklären zu können oder gar zu wollen.
MZEE.com: Du schaltest dich auch in den sozialen Medien gerne in gesellschaftliche Diskussionen ein – gerade unter Posts anderer Künstler – und vertrittst deine Meinung offensiv. Wieso nimmst du so oft die Rolle der Opposition ein?
Lea-Won: Die Frage beantwortet sich von selbst, oder? (grinst) Ich nehme die dann ein, wenn ich es für notwendig erachte. Soweit ich das selbst beurteilen kann, kritisiere ich nicht nur des Kritisierens Willen und provoziere nicht der Provokation wegen. Ich mache das, wenn mich etwas stört oder mir etwas auffällt. Das ist meistens gar nicht frontal oder aus einer absoluten Anti-Haltung heraus gemeint, sondern aus Interesse. Wenn man dann schon einen Raum wie das Internet hat, macht man das halt auch öffentlich, damit andere Menschen sich dazuschalten können. Für mich ist das eine normale demokratische Debatte. Ich würde mir wünschen, dass das mehr Leute wie ich machen. Vielleicht fehlt anderen aber wirklich die Zeit. Vielleicht kann ich das nur machen, weil ich nicht saufe, nicht kiffe, keine Freunde und zu viel Zeit habe. (grinst) Das beeinflusst natürlich auch meine Rap-Tätigkeiten. Ich denke schon, dass da etwas dran ist, was mir einzelne alte Weggefährten aus der Szene sagen: Dass ich es mir durch diese Art mit einigen "verscherzt" habe und heute ein anderes Standing hätte, wäre ich nicht so oft die überkritische Nervensäge gewesen. Darüber bin ich mir aber im Klaren. Es war mir trotzdem wichtig genug, die Leute zu fronten oder zu kritisieren für das, was sie tun oder sagen.
MZEE.com: Ich verstehe zwar, was du sagst, frage mich aber, ob das nicht irgendwann nervig für die eigene Psyche wird. Viele Diskussionen sind repetitiv oder bewegen sich in ähnlichen Gefilden, wo man immer wieder auf Granit stößt.
Lea-Won: Da müsstest du jetzt ein konkretes Beispiel nennen, weil ich finde, dass es genügend unterschiedliche Themen gibt, sodass es da für mich persönlich auch genug Abwechslung beim Debattieren gibt. In viele Diskussionen gehe ich auch nicht mit einer besonderen Einstellung rein, sondern beschäftige mich zuerst mit dem Thema und versuche die Ursachen einer Wortwahl oder der Problematik aufzuzeigen. Das ist eine Mini-Recherche, die zu einem Ergebnis führt – welches auch wieder diskutiert werden kann, das stimmt.
MZEE.com: Ich glaube einfach, dass es auf viele sehr penetrant wirkt. Selbst ein Rapper wie form, der bekanntlich sehr diskussionserprobt ist, stößt da an seine Grenzen.
Lea-Won: Ich erkläre es mal so: Vor zehn, fünfzehn Jahren war ich noch deutlich dogmatischer und unbelehrbarer. Da war ich in sektenähnlichen Zusammenhängen mit Gleichgesinnten. Die anderen waren für uns Deppen, die nichts kapiert haben. Ich bin da durchaus offener geworden. Zumindest würde ich mich selbst so wahrnehmen. Ich will ja verstehen, was das Problem der Leute ist – nur störe ich mich daran, wenn es so allgemein bleibt wie: "Es ist anstrengend, mit dir zu diskutieren." Ja, okay – das ist Arbeit, die wir hier machen. Arbeit an uns selbst. Und wenn wir etwas anstoßen oder die Welt ändern wollen, kann das mühsam sein. Das kommt nicht nur im Internet auf, sondern auch beruflich und privat. (überlegt) Vielleicht können andere Leute den Impuls, sich zu einem Thema zu äußern, besser unterdrücken – aus welchen Gründen auch immer. Ich nehme es den Leuten auch nicht übel, wenn sie gerade keine Zeit haben, zu antworten. Ich finde das zwar schade, aber poche nicht darauf.
MZEE.com: Wir würden gerne noch einen anderen Aspekt ansprechen. Im DLTLLY-Kosmos merkt man von einigen Seiten schon eine Antipathie dir gegenüber. Ein Yarambo beispielsweise …
Lea-Won: (unterbricht) Da sind die Lines ja leider wieder weniger geworden! Bin wohl doch nicht auffallend genug. (grinst)
MZEE.com: Das meinte ich eher damit, als ich über immer wiederkehrende, ähnliche Diskussionen gesprochen habe.
Lea-Won: Du meinst also, ich sollte mir lieber Grüppchen suchen, in denen mehr Leute meiner Meinung sind, weil das einfacher für mich wäre?
MZEE.com: Nein, ganz und gar nicht. Ich würde mich einfach nicht gerne von wildfremden Leuten beleidigen lassen, weil ich meine polarisierende Meinung immer wieder in verschiedenen Themen vertreten muss.
Lea-Won: Viele von denen haben inhaltlich eine andere Meinung und finden mich deshalb scheiße, das ist völlig okay. Andere hängen sich aber einfach nur an die Gruppendynamik und sehen mich als Störenfried, der von außen reinkommt und sie in ihrem "Wir sind hier eine vereinte Community"-Feeling bedroht. Ich bilde mir schon ein, diese sozialen Dynamiken dort zu durchschauen. Indoor Stan kommt Jahre später zu mir und bedankt sich sogar bei mir, weil er unter anderem durch mein Zutun manche Dinge anders sieht. Mit Karma hatte ich auch vor Jahren Stress, wir haben uns trotz der übertriebenen gegenseitigen Reaktionen mittlerweile ausgesprochen. So lerne ich auch selbst dazu. Ich würde nicht sagen, dass ich so unerbittlich bin wie vor zehn Jahren.
MZEE.com: Also machst du das eher, weil die Erfahrung zeigt, dass du damit im entsprechenden Rahmen auch tatsächlich etwas ändern kannst?
Lea-Won: Es geht mir nicht nur darum, etwas zu ändern. Ich sehe mich da manchmal als eine Art Sozialforscher, der in der Feldforschung gewisse Dinge anspricht, um Antworten zu sammeln. Meine Diskussionspartner müssen dann auch nicht zu 100 Prozent meiner Meinung sein. Natürlich hätte ich eine universitäre Laufbahn einschlagen, mich auf die akademische Schiene begeben und Internetforen und Ähnliches hinter mir lassen können. Dann würde ich diese Forschung nur beruflich und stockernst machen. Stattdessen bringe ich jetzt das, was ich gelernt habe, in solchen Bereichen mit ein. In Bereichen, die mir auch persönlich wichtig sind.
MZEE.com: Das ist aber ein bisschen konträr. Vorhin meintest du, du provozierst nicht der Provokation wegen. Jetzt sagst du, du würdest auch Dinge sagen, nur um "Antworten zu sammeln".
Lea-Won: Das war vielleicht ein wenig schwammig. Ich stelle manchmal Nachfragen gegenüber Kommentierenden, obwohl ich deren Grundintention durchaus bereits zu verstehen glaube. Ich hake aber noch mal nach, um es genau zu wissen. Das meinte ich eher. Ich schlüpfe jetzt nicht in eine komplett andere Rolle, nur um Reaktionen zu erfahren.
MZEE.com: Wir sind ein wenig vom Thema abgekommen. Eigentlich wollte ich das DLTLLY-Forum nur ansprechen, um auf deine eigene Battlegraphie zu sprechen zu kommen: Reizt es dich nicht, selbst mal wieder anzutreten?
Lea-Won: Das musst du den Chief fragen. (grinst) Das ist ja das Thema. Jamie und Hanno kennen mich noch von Freestyle-Sessions und verstehen vermutlich eher, was ich mache. Da ist aber der Chief noch als "Szene-Beschützer" mit drin. Der sieht, dass da einer vermeintlich von außerhalb kommt, der nahezu alle Battlerapper kritisiert und mit keinem von denen befreundet sein will. "Was will der hier? Der macht unsere Kultur kaputt." So sieht er das wahrscheinlich, ohne sich konkret dazu zu äußern. Es juckt mich durchaus in den Fingern, aber in den beiden Battles, in denen ich meine alternativen Sichtweisen auch eingebracht habe, musste ich merken, wie wenig das funktioniert. Andererseits glaube ich aber schon, dass ich es mal wieder ausprobieren sollte. Erstens denke ich, dass ich heute manches treffsicherer formulieren und besser performen würde und zweitens hat sich die Szene durchaus weiterentwickelt seit meinem letzten Battle. Leute wie Mikesh oder Robscure können mit ihren kritischen Ansätzen heute auch Erfolg haben.
MZEE.com: Eine Sache fand ich gerade sehr spannend: Siehst du dich selbst als jemanden, der "von außen" in die Szene kommt?
Lea-Won: Als Sozialforscher würde ich sagen, dass es da keinen Blickwinkel gibt, der entweder nur von innen oder von außen kommt. Ich meine damit, dass sich mein Blickwinkel auch in Bezug darauf ändert, wie ich mich selbst in der Szene sehe. Das hat viel mit Feedback von anderen zu tun: Wie nehmen die mich aktuell wahr? Ein Beispiel dafür wäre diese Ansicht: "Nichts im Battle hat mit den Privatpersonen dahinter zu tun." Ich verstehe, dass sich Leute auf solche Standpunkte einigen, die für sie klar sind. So klar, dass es wie eine geschlossene Parallelgesellschaft ist. Ich will einige Dinge wie ebenjenes nicht mitmachen. Das ist dann eine Definitionsfrage, ob das ein Blickwinkel "von außen" ist. Als Rapfan, der ich bin, würde ich das nicht so sagen. Ich beschäftige mich viel mit Battlerap, auch aus den Staaten. Ich supporte das mit meinem Eintritt bei DLTLLY-Events oder so. Ich bin also kein Verrückter, der nur irgendetwas studiert hat und jetzt Jugendliche in einer Subkultur erziehen will.
MZEE.com: Diese Grundregel bezüglich keiner Grenzen im Battle wird von den meisten Heads ja für bare Münze genommen – inwieweit siehst du das anders?
Lea-Won: Ich glaube manchen Leuten nicht, wenn sie sich nur auf ihre Kunstfreiheit berufen wollen. Ich glaube vielen nicht, dass es da nur um einen Character geht, aus dessen Sicht sie etwas darstellen, als würden sie in eine Rolle schlüpfen. Trotzdem berufen sich viele darauf. Da wollen sich einige nicht eingestehen, wie nah dran diese Rolle an ihren eigenen Sichtweisen auf die Welt ist. Das aktuellste Beispiel ist Jigzaw. Da hat die Kunstfigur das Denken so beeinflusst, dass er wirklich so drauf ist. Ich bin Sozialwissenschaftler genug, um nicht nur zu sagen: "Der Typ ist ein Vollidiot." Ich stelle eher die Frage, warum er so ein Video als Waffe benutzt, anstatt Sexualität als Sache auf Augenhöhe zu verstehen. Ich glaube, man kann solche Themen durchaus in der Battlerap-Szene aufbringen. Mikesh zeigt das in letzter Zeit ziemlich gut. Das kann ich dann auch anerkennen. Ich muss das Thema nicht selbst noch mal in einem eigenen Battle von mir aufbringen – da kann ich mein eigenes Ego auch zurückstellen, mich darüber freuen und sein Video teilen. Um aber noch mal auf die Kunstfreiheit zurückzukommen: Jeder darf im Internet natürlich sagen, was er will. Ich sage bloß, dass Leute dann auch damit klarkommen müssen, wenn man nachfragt, was das soll. Ich bilde mir ein, den Unterschied zu sehen, wenn Mikesh etwas Komisches rappt oder wenn Yarambo das macht. Es geht dann halt um den Dreh und die Pointe dahinter.
MZEE.com: Zum Abschluss wollen wir dir noch eine allgemeinere Frage stellen: Manche sagen, man sollte so wenig wie möglich aus der Szene konsumieren, in der man selbst tätig ist. Was sagst du dazu?
Lea-Won: In welcher Szene empfindest du mich denn als tätig?
MZEE.com: In diesem Beispiel wäre das natürlich die Rapszene.
Lea-Won: (überlegt) Es ist nicht mehr so, dass ich auf dem Weg zur Schule Rap auf der Mini-Disc höre. Von Leuten, die ich als Gleichgesinnte empfinde und die mich – nicht alphamäßig – motivieren für den Tag. Es ist seltener geworden, dass ich Rap nur noch aus Vergnügen höre. Ich schaue mir fast alle neuen Releases an, um kein Soziologe zu sein, der die gesamte Welt betrachten will, sondern explizit nur diese Kultur. Die ganze Welt wäre als Quelle für Material zu umfangreich.
MZEE.com: Das klingt für mich gerade mehr nach dem empirischen Charakter von Rap für dich. Blöd gefragt: Bist du noch Fan?
Lea-Won: Wie gesagt: Zwischen all dem Zeug, das ich nur aus Interesse anschaue, gibt es immer noch genug Sachen, die ich selber total fühle. Die Beschäftigung mit dem Rap anderer ist für mich nicht nur Masochismus. (grinst)
(Sven Aumiller und Sam Levin)
(Fotos von Kai Neunert)