Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Pilz
Ob es dem immer noch vorherrschenden Irrglauben geschuldet ist, man sei durch vermeintliche Anonymität im Netz vor Konsequenzen sicher, oder ob es schlicht am immer empathieloseren Miteinander liegt: Hasskommentare und Drohnachrichten scheinen für uns längst allgegenwärtig. Doch eigentlich sollte es uns zu denken geben, dass so ziemlich jeder, der seine Meinung oder Haltung – insbesondere zu Themen wie Politik oder Religion – kundtut, mit Gewaltandrohungen rechnen muss. Und damit dies nicht geschieht und wir dergleichen nicht als alltäglich abtun, sollten wir uns und anderen die Problematik dahinter immer wieder vor Augen führen. Pilz hat genau das vor Kurzem getan, als sie den Inhalt einer von Gewaltfantasien und Sexismus triefenden Nachricht eines jungen Mannes an sie veröffentlichte. Es dürfte außer Frage stehen, dass der Text nicht der einzige seiner Art ist und die Künstlerin auch heute noch die absurden Nachwehen ihres Battles mit Nedal Nib bei DLTLLY von vor über zwei Jahren erdulden muss. Wobei "erdulden" hier wohl deplatziert wäre, da sie genau dies nicht tut, sondern das Verhalten solcher Leute offen anprangert und kritisiert. Dabei geht Pilz jedoch noch einen Schritt weiter, spricht den Verfasser direkt an und führt ihm vor Augen, dass der Schaden, den eine solche Mail anrichtet, um einiges weitreichender sein kann und die Menschen seines Umfelds genauso treffen könnte. Es ist mehr als bewundernswert, wie sie in einer Szene, die sonst oftmals mit impulsiven, unbedachten Reaktionen glänzt, hier nicht nur die Ruhe und Stärke aufbringt, sich mit dem Verfasser und der Nachricht selbst auseinanderzusetzen. Es ist zudem beeindruckend, wie sie dazu einlädt, sich der Grundproblematik hinter solchen Texten bewusst zu werden. Laut Pilz selbst habe sich der Verfasser der Nachricht inzwischen – "wenn auch sehr dürftig" – bei ihr entschuldigt. Früchte scheint das Ganze also in jedem Fall zu tragen. Ansonsten liegt es an uns, an jedem Einzelnen, seinen Teil beizusteuern und Nachrichten dieser Art aktiv und bewusst entgegenzuwirken.
Video: KC Rebell x RAF Camora – Neptun
KC Rebell hat die Promophase für sein aktuelles Album gerade hinter sich, für RAF Camora geht sie demnächst erst los. Dazwischen passt allerdings noch ein gemeinsamer Song der beiden – inklusive Video von keinem Geringeren als RAFs Stammdirector Shaho Casado. Dieser ist in der deutschen Rapszene aufgrund seiner aufwändig produzierten und spektakulären Videos längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Mit dem Video zu "Neptun" übertrifft er sich dieses Mal jedoch selbst. Anstatt das Budget in teure Mietwagen und ausufernde Parties mit zahlreichen Darstellern zu investieren, ist das Konzept hier ein anderes. Als Location dienen isländische Gletscherlandschaften. Das Spannende dabei ist, dass – aufgrund der gegebenen Risiken – vor KC und RAF bisher nur Justin Bieber und eine einheimische Band eine Drehgenehmigung für diesen Ort ergattern konnten. Computergenerierte Effekte wie der Nachthimmel mit Planeten und Sternen, der sich in RAF Camoras Sonnenbrille spiegelt, zeigen die Liebe zum Detail, weshalb "Neptun" es verdient, zum Video des Monats gekürt zu werden.
Song: pabl0 – Lada Niva
Um die sechs Jahre war pabl0 von der Bildfläche verschwunden. Nach der "wunderbart"-EP machte sich das 7,8-Member rar. Mit der "Lada Niva"-EP kommt er nun völlig unerwartet zurück. Bereits der erste Track zeigt, wie sehr ihn die Zeit verändert hat – zum Positiven wohlgemerkt. Die Battleattitüde ist noch vorhanden, aber der Ton nicht mehr so rotzfrech, sondern ernster und realer. Das liegt zum einen an der Art und Weise, in der er inzwischen rappt, zum anderen streut pabl0 nun weit (mehr oder weniger ernst zu nehmende) persönlichere Zeilen als damals ein. Da reicht ihm eben heutzutage der authentische "Lada Niva" statt dem früher noch gewünschten "Beamer". Die gewisse Prise Humor bleibt erhalten, aber alles rundherum wirkt erwachsener, reifer und allgemein besser. Stiff Scratch am Beat sorgt für das Übrige, wenn er eine düstere, passende Atmosphäre dazu baut, die den Kopf unterbewusst zum Nicken bringt. Ein starkes Comeback und ein ebenso starker Einstieg in die vier Tracks der EP.
Instrumental: Morlockk Dilemma feat. Kool Savas – Understatement (prod. by Martin Stieber, Cuts by DJ Access)
Morlockk Dilemma kehrt als "Herzbube" zurück und koppelt "Understatement" als Single aus – hierfür holt er sich Verstärkung von Kool Savas, DJ Access und Martin Stieber. Den Ausblick durch das "Fenster zum Hof" hat der Stiebertwin wohl nach wie vor und bastelt dem Song so einen Beat mit viel Herzblut. Beim Einstieg fühlt man sich sofort positiv bewegt und fragt sich eventuell: "Ist das ein Glockenbeat?" Das kann man durchaus bejahen, doch das ist noch nicht alles. Neben den lieblichen Glocken, die die Melodie grundlegend tragen, gibt es ein Oldschool-lastiges Drumset mit prägnanter Snare. Trotzdem ist das Instrumental keineswegs zu sehr vom "Back in the days"-Charakter durchzogen. Die eingängigen, jazzigen Keys schaffen ein eher funky angehauchtes Soundbild, das Laune macht und zeitlos ist. Letztendlich geben die Cuts von DJ Access dem Ganzen dann den Rest – natürlich voll und ganz im positiven Sinne betrachtet.
Line: Mädness – OG
Spar dein Geld für 'ne Roli.
Ich kauf' mir währenddessen Lebenszeit mit den Homies.
Materielle Statussymbole waren im HipHop schon immer von einer gewissen Wichtigkeit. Aktuell aber, so scheint es, beschränkt sich der im deutschen Rap verkörperte Lebensstil oftmals nur noch auf bestimmte Luxusartikel. Viele Rapper stützen ihr komplettes Selbstbild darauf. Ganze Songs widmen sich dem Aufzählen von Designermarken und in Musikvideos dürfen die entsprechenden Produkte natürlich auch nicht fehlen. Mädness geht da einen anderen Weg. In seinem Song "OG", der als Vorbote für das gleichnamige Album fungiert, grenzt er sich von der Oberflächlichkeit der Warenwelt ab. Geld beiseitezulegen, nur um es am Ende für ein großkotziges Statussymbol auszugeben, kommt für ihn nicht infrage. Es sind andere Werte, die zählen: "Lebenszeit mit den Homies" eben. Finanzielle Freiheit bedeutet für Mädness nicht, sich kaufen zu können, was man will. Sondern es sich leisten zu können, möglichst oft mit Freunden zusammen zu sein. Das bereichert das eigene Leben deutlich mehr als eine teure Uhr. Wozu auch das eigene Standing mit dem Konsum möglichst teurer Produkte optimieren, wenn man genau die Menschen, die man für sein eigenes Glück braucht, bereits gefunden hat? Im Gesamtkontext des lockeren Songs bildet die Zeile eine angenehm unaufgeregte Gegenbewegung zu vielen gehaltlosen Trends derzeit. Weniger selbstverliebtes Ego, mehr freundschaftliche Gemeinschaft!
(Daniel Fersch, Michael Collins, Lukas Päckert, Dzermana Schönhaber, Florian Peking)
(Grafik von Puffy Punchlines)