Kategorien
Das hat mit HipHop was zu tun

Yo! MTV Raps – Die Kultshow der 90er Jahre

"Yo! MTV Raps was a snapshot in time. It hap­pen­ed when it was most nee­ded, when the music indus­try, the nati­on and the world nee­ded some­thing that unites ever­yo­ne." – War­um die Show maß­geb­lich an der Ent­wick­lung der HipHop-​Szene betei­ligt war und wie sie sich bis heu­te gemacht hat, erfahrt ihr hier.

Hip­Hop gleich Rap – oder? Zuge­ge­ben: Rap­mu­sik nimmt einen gro­ßen Teil der Sub­kul­tur ein, was wohl auch ein Stück weit am stark ange­stie­ge­nen "media­len Hype" der letz­ten Jah­re liegt. Doch in Zei­ten, in denen Sprech­ge­sang regel­mä­ßig die Charts anführt, rückt der ursprüng­li­che Community-​Gedanke – zumin­dest ober­fläch­lich betrach­tet – zuse­hends in den Hin­ter­grund. Dabei gibt es nach wie vor genug Men­schen, deren Schaf­fen fern­ab von Booth und MPC statt­fin­det und die ihrer­seits einen nicht uner­heb­li­chen Bei­trag zur HipHop-​Kultur leis­ten. In dem MZEE​.com For­mat "Das hat mit Hip­Hop was zu tun" wol­len wir eben­die­se Leu­te zu Wort kom­men las­sen, die sich in irgend­ei­ner Form, viel­leicht sogar aus einer tat­säch­li­chen Lei­den­schaft her­aus, mit Hip­Hop aus­ein­an­der­set­zen, als "Nicht-​Rapper" jedoch sel­ten im Ram­pen­licht ste­hen.

 

"'Mem­ba them good ol' Yo! MTV Raps, man I hope they bring Yo! MTV back" rappt Juelz San­ta­na im Jahr 2005 auf sei­nem zwei­ten Stu­dio­al­bum "What The Game's Been Miss­ing!". 14 Jah­re spä­ter wird die Hoff­nung des Dipset-​Members end­lich erfüllt. Denn MTV hat die Show in Asi­en, Groß­bri­tan­ni­en, Süd­afri­ka und auch in Deutsch­land wie­der in die Sen­de­ro­ta­ti­on auf­ge­nom­men. Die­ses Mal jedoch lokal pro­du­ziert. Die deut­sche Ver­si­on der Kult­show wird erst­mals am 16. März 2019 um 22:00 Uhr aus­ge­strahlt und von Pali­na Rojin­ski und MC Bogy mode­riert. Doch war­um wur­de die­ses For­mat von vie­len so heiß her­bei­ge­sehnt? Woher kommt der Legen­den­sta­tus, der Yo! MTV Raps inne­wohnt? Und war­um ist eine Show, die vie­le HipHop-​Hörer nur von ver­staub­ten VHS-​Kassetten oder den Erzäh­lun­gen ihrer älte­ren Geschwis­ter ken­nen, bis heu­te ein bekann­ter Begriff? Wagen wir einen Rückblick.

 

Die Pilot­fol­ge

Als der gebür­ti­ge New Yor­ker Edward "Ted" Dem­me sei­nem Vor­ge­setz­ten gegen Ende der 80er Jah­re vor­schlägt, eine HipHop-​Show auf MTV zu pro­du­zie­ren, stößt sei­ne Idee vor­erst auf tau­be Ohren. Schließ­lich ist er nur ein klei­ner Pro­duk­ti­ons­as­sis­tent und Hip­Hop noch nicht son­der­lich groß. Des­halb hat der Spar­ten­sen­der bis dato nur Rock- oder Pop­mu­sik im Pro­gramm. Jedoch bleibt Ted Dem­me, der durch sei­ne Jugend in New York schon früh Kon­takt zu Hip­Hop hat­te, hart­nä­ckig. Schluss­end­lich kann er die Chef­eta­ge von MTV über­zeu­gen, dass ihr ein Sen­de­platz für "Black Music" fehlt. So erhält er letz­ten Endes im Jahr 1988, zusam­men mit sei­nem Part­ner Peter Doug­her­ty, die Erlaub­nis und das Bud­get, eine Pilot­fol­ge zu dre­hen. Das ist die Geburts­stun­de von Yo! MTV Raps. Die­se ers­te Pilot­fol­ge wird von Run DMC mode­riert. Kaum jemand ist bes­ser geeig­net als die Grup­pe um Jam Mas­ter Jay. Haben sie es doch bereits 1984 mit "Rock Box" geschafft, das ers­te Rap­vi­deo zu releasen, das letzt­end­lich auch auf MTV gespielt wird. Der ers­te Musik­clip, den MTV wäh­rend der Show zeigt, ist "Fol­low The Lea­der" von Eric B. und Rakim, der wäh­rend der nor­ma­len Sen­de­zeit eigent­lich nie den Weg in das Air­play fin­det. Wie zukunfts­träch­tig die Show ist, dürf­te aber bereits die ers­te Ein­stel­lung vor dem Intro der Pilot­fol­ge zei­gen. In die­ser legen DJ Jaz­zy Jeff, Rea­dy Rock C und ein gewis­ser Fresh Prin­ce (Anm. d. Red.: aka Will Smith) einen kur­zen Free­style hin. Dies sind die ers­ten Video­auf­zeich­nun­gen der drei Jungs aus Phil­adel­phia, von denen einem spä­ter sogar der Auf­stieg zum wasch­ech­ten Welt­star gelingt. Des Wei­te­ren wird auch das Video zu "Par­ents just don't under­stand" gespielt, wel­ches zwei Jah­re spä­ter als Vor­bild für den Clip zum Intro­song von "The Fresh Prin­ce of Bel-​Air" dient. Ent­ge­gen der Erwar­tun­gen wird eben­je­ne Pilot­fol­ge zum vol­len Erfolg und auf einen Schlag eine der meist gese­he­nen Shows auf MTV. In der bis­he­ri­gen His­to­rie des Sen­ders errei­chen ledig­lich die Video Music Awards und die Über­tra­gung des Bene­fiz­kon­zerts Live Aid mehr Zuschau­er. Nach die­sem über­ra­schend guten Start bekom­men Dem­me und Doug­her­ty den Auf­trag, eine wöchent­li­che Sen­dung auf die Bei­ne zu stellen.

 

Yo! MTV Raps geht auf Sendung

Nun stellt sich den bei­den die Fra­ge, wer das regel­mä­ßi­ge For­mat mode­rie­ren soll. Viel Zeit, um zu über­le­gen, bleibt aller­dings nicht. Die MTV-​Bosse erle­gen ihnen eine Frist von nur zwei Wochen auf, bis die Show aus­ge­strahlt wird. Der neue Mode­ra­tor muss sowohl in der Sze­ne ver­an­kert sein als auch unter­hal­ten kön­nen. So fällt die Wahl auf Fre­de­rick Brat­hwai­te aka Fab 5 Fred­dy. Einen New Yor­ker Künst­ler, der sich dafür ein­setzt, dass Graf­fi­ti als bil­den­de Kunst ange­se­hen wird und sogar 1979 in Rom, zusam­men mit dem Kunst­händ­ler Car­lo Bruni und dem Wri­ter LEE, die ers­te Graffiti-​Ausstellung in Euro­pa rea­li­sier­te. Der Graffiti- und HipHop-​Film "Wild Style" (1982) von Char­lie Ahearn basiert dar­über hin­aus auf einer sei­ner Ideen. Zusätz­lich arbei­tet er am Film als Musik­di­rek­tor und als Dar­stel­ler in der Rol­le als "Pha­de", in der er sich selbst ver­kör­pert. Durch die­se Rol­le und regel­mä­ßi­ge Gast­auf­trit­te in ver­schie­de­nen Fern­seh­shows konn­te er bereits Erfah­run­gen vor der Kame­ra sam­meln. Damit ist er der per­fek­te Kan­di­dat. So erscheint die ers­te Epi­so­de des regel­mä­ßi­gen For­mats von Yo! MTV Raps mit Fab 5 Fred­dy als Mode­ra­tor am 6. August 1988. Er ist es auch, der letzt­end­lich den Anreiz gibt, Yo! MTV Raps als ein­zi­ge Show nicht in den MTV Stu­di­os in New York zu dre­hen. Lie­ber will er selbst zu den Artists und zei­gen, wie und wo sie leben. So begibt sich Fab 5 Fred­dy in die "Hood" von Big Dad­dy Kane, in der es "a who­le bunch of 40 oz and dice games" gibt und inter­viewt ihn direkt vor sei­ner Haus­tür. Außer­dem zieht er sich bei einer Stadt­rund­fahrt durch Comp­ton mit N.W.A. eine schuss­si­che­re Wes­te an oder fährt mit LL Cool J im Mer­ce­des spa­zie­ren und trinkt spä­ter mit ihm und des­sen Mut­ter etwas Apfel­saft auf der Couch. Die Show gibt damit HipHop-​Künstlern erst­ma­lig die Gele­gen­heit, sich selbst, ihre Art zu leben und damit den Back­ground von Hip­Hop auf der gro­ßen Büh­ne zu prä­sen­tie­ren. Vor allem aber ist es für vie­le Zuschau­er über­haupt der ers­te Berüh­rungs­punkt mit HipHop-Musik.

Fab 5 Fred­dy beim Inter­view mit N.W.A. in Comp­ton (Screen­shot der Show).

 

Der Grammy-​Boykott

Wegen des immer grö­ßer wer­den­den Erfolgs ver­schie­de­ner HipHop-​Musiker, an dem Yo! MTV Raps maß­geb­lich betei­ligt ist, teilt die Recor­ding Aca­da­my aus Los Ange­les mit, dass bei den 31. Gram­my Awards im Febru­ar 1989 nun auch die Kate­go­rie "Best Rap Per­for­mance" aus­ge­zeich­net wer­den soll. Kurz dar­auf wird bekannt, dass die neu ein­ge­führ­te Kate­go­rie aller­dings nicht im Fern­se­hen gezeigt wird. Dies führt dazu, dass Rus­sell Sim­mons vom bekann­ten Rap­la­bel "Def Jam Records" und Lyor Cohen von "Rush Artist Manage­ment", die unter ande­rem A Tri­be Cal­led Quest und De La Soul betreu­en, zum Boy­kott gegen die Gram­mys auf­ru­fen. Ihrer Mei­nung nach wird Rap an die­ser Stel­le zu wenig Respekt gezollt. DJ Jaz­zy Jeff & The Fresh Prin­ce und LL Cool J, die jeweils bei einer der bei­den Fir­men unter Ver­trag ste­hen, fol­gen die­sem Auf­ruf prompt. Doch auch die Girl­group Salt 'n' Pepa nimmt nicht an der Preis­ver­lei­hung teil. Ledig­lich die bei­den nomi­nier­ten Kool Moe Dee und J.J. Fad erschei­nen bei der Ver­an­stal­tung. Nach eige­ner Aus­sa­ge, um Hip­Hop vor Ort und vor den Augen der Welt zu reprä­sen­tie­ren. In einem Free­style wäh­rend der Lau­da­tio für den Preis "Best R&B Per­for­mance" rappt Kool Moe Dee: "So I think it's time that the who­le world knows – rap is here to stay." Fast genau­so auf­se­hen­er­re­gend wie der eigent­li­che Boy­kott ist die par­al­lel zu den Awards statt­fin­den­de und von Yo! MTV Raps gehos­te­te (Anti-)After-Grammy-Party im Cat & Fidd­le Night­club in Los Ange­les. Neben den nomi­nier­ten Acts, die den Preis ableh­nen, erschei­nen dort aller­hand HipHop-​Größen wie Ice-​T und Public Ene­my, um ihre Soli­da­ri­tät aus­zu­drü­cken. Doch es kom­men auch Pro­mi­nen­te außer­halb der HipHop-​Szene, um ihren Respekt zu zol­len. Schau­spie­ler wie Den­nis Hop­per (Anm. d. Red.: bekannt aus "Apo­ca­lyp­se Now") oder Super­stars ande­rer Gen­res wie Rock 'n' Roll-​Legende Litt­le Richard tau­chen auf der Par­ty auf. Mal­com For­bes, Ver­le­ger des "For­bes Maga­zi­ne", ist an die­sem Abend eben­falls anwe­send. Wäh­rend der Ver­an­stal­tung wird er nach sei­ner Ein­stel­lung zu Rap­mu­sik gefragt. Schel­misch lachend ant­wor­tet er: "I feel good about it." Fast so, als könn­te er den Erfolg vor­aus­se­hen, der die­sem Gen­re noch zuteil­wer­den soll. Der Abend im Cat & Fidd­le Club ist – obwohl oder gera­de weil er sich gegen die Preis­ver­lei­hung rich­tet – bis heu­te einer der legen­därs­ten in der Geschich­te der Gram­mys. Selbst­ver­ständ­lich ist Yo! MTV Raps als Host mit einem Kame­ra­team und Fab 5 Fred­dy als Mode­ra­tor vor Ort. Das ent­stan­de­ne Video­ma­te­ri­al wird im Nach­hin­ein zu einem Spe­cial ver­ar­bei­tet und hat einen unglaub­li­chen Impact, der die Sen­dung noch ein­mal um eini­ges bekann­ter macht. Spä­ter ver­öf­fent­licht Ted Dem­me im Maga­zin "The Source" einen Arti­kel mit der Über­schrift "Who Gives A F*** About a God­damn Grammy?".

 

Yo! MTV Raps Today

Nach­dem Yo! MTV Raps inner­halb von nicht ein­mal einem Jahr Sen­de­zeit für so viel Auf­merk­sam­keit sorgt, beschließt der Sen­der, nun eine Ver­si­on der Show aus­zu­strah­len, die von Mon­tag bis Frei­tag läuft. Jedoch lehnt es Fab 5 Fred­dy ab, die täg­li­che Mode­ra­ti­on von Yo! MTV Raps Today zu über­neh­men. So wer­den der ehe­ma­li­ge Beas­tie Boys-​DJ Doc­tor Dré (nicht zu ver­wech­seln mit Dr. Dre) und Ed Lover, ein Jugend­freund von Ted Dem­me, die Mode­ra­to­ren der Wochen­tags­ver­si­on der Show. Die­se geht am 13. März 1989 erst­mals auf Sen­dung. Der Sen­de­platz am Sams­tag mit Fab 5 Fred­dy bleibt trotz­dem erhal­ten. Im Gegen­satz zu Fab 5 Fred­dy mode­rie­ren Doc­tor Dré und Ed Lover – der spä­ter sogar sei­nen eige­nen Tanz bekom­men soll – aus einem Stu­dio her­aus, das einer Stra­ßen­sze­ne nach­emp­fun­den ist, und laden Gäs­te zu sich ein. Außer­dem brin­gen sie Come­dy als wei­te­res Ele­ment in die Show ein. So spre­chen sie bei­spiels­wei­se eine gan­ze Fol­ge nur mit jamai­ka­ni­schem Akzent oder las­sen sich in der "Shut Up!"-Episode kne­beln. Denn vie­le Pro­mi­nen­te, über die sich in der Show lus­tig gemacht wird, ver­lan­gen von MTV, Ed und Dré zu zwin­gen, dies zu unter­las­sen. Jedoch ohne Erfolg. Als Co-​Moderator steht ihnen bei ihren Blö­de­lei­en T-​Money zur Sei­te, der zu Beginn nur als Brief­trä­ger ver­klei­det die Fan­post vor­liest, im spä­te­ren Ver­lauf aber immer wie­der neue iko­ni­sche Rol­len erfin­det, in die er schlüpft. Wie bei­spiels­wei­se "Lo Level Joe", bei dem er einen Obdach­lo­sen spielt, der jedoch so tut, als sei er ein Rap­star. Spä­ter wer­den auch Live Per­for­man­ces der Gäs­te ein­ge­führt – die soge­nann­ten Yo! MTV Raps Ori­gi­nals – die jeden Frei­tag stattfinden.

 

Der Hype ist real

Nach dem Start der täg­li­chen Ver­si­on von Yo! MTV Raps wird die Show so erfolg­reich, dass sie zu einer regel­rech­ten Mar­ke her­an­wächst. Die Merchandise-​Artikel sind auf­grund der gro­ßen Nach­fra­ge stän­dig ver­grif­fen und in der heu­ti­gen Zeit zu Samm­ler­stü­cken gewor­den. Auf ein­schlä­gi­gen Han­dels­platt­for­men zahlt man im Jahr 2019 um die 300 Euro für ein ori­gi­na­les Yo!-Shirt. Der Hype um Merchandise-​Artikel ist so groß, dass 1991 sogar die Yo! MTV Raps Tra­ding Cards ein­ge­führt wer­den. Die­ses Set aus 150 ver­schie­de­nen Kar­ten bil­det so gut wie jeden Rap­per und Ver­tre­ter der dama­li­gen HipHop-​Szene ab. Sogar Ted Dem­me und ande­re Mit­glie­der der Yo!-Posse bekom­men ihre eige­nen Sam­mel­kar­ten. Doch nicht nur die Show wird immer erfolg­rei­cher. Auch Hip­Hop setzt sei­nen Erfolgs­weg par­al­lel fort. So wird 1990 der ers­te Yo! MTV Raps Spring­break am Day­to­na Beach in Flo­ri­da ver­an­stal­tet, bei dem Künst­ler wie MC Ham­mer, 3rd Bass und Digi­tal Under­ground auf­tre­ten. An die­sem Punkt wird deut­lich, wie weit es HipHop-​Musik geschafft hat. Denn nun sieht man erst­mals wei­ße Mit­tel­stands­kin­der, wie sie dazu tan­zen und jede Zei­le mit­rap­pen. Ed Lover sagt dazu: "You just see a sea of white faces and they know every sin­gle lyric, it was like: Yo, this is dope!" Im Jahr 1991 ist Yo! MTV Raps das belieb­tes­te regel­mä­ßi­ge For­mat auf MTV. Als Kon­se­quenz dar­aus wird es sogar zum Aus­hän­ge­schild des Sen­ders gemacht. Für die "You Down Wit' MTV?"-Kampagne neh­men Todd 1, Ed Lover und Doc­tor Dré eine neue Ver­si­on des Naugh­ty by Nature-​Hits "O.P.P." auf. Im dazu­ge­hö­ri­gen Musik­vi­deo sind alle Mode­ra­to­ren und Mit­glie­der des Pro­duk­ti­ons­teams von Yo! MTV Raps zu sehen. Eini­ge Sze­nen wer­den sogar im Stu­dio der Show gedreht. Die dar­aus ent­stan­de­nen Wer­be­spots erfreu­en sich sehr gro­ßer Beliebtheit.

Naugh­ty By Natu­re - Down Wit' MTV (1991 MTV)

 

Das wich­tigs­te Sprach­rohr der HipHop-Szene

Der Erfolg von Yo! MTV Raps baut aller­dings nicht allein auf den pri­va­ten Ein­bli­cken auf, die Fab 5 Fred­dy lie­fert. Auch nicht nur auf den immer neu­en Rap­vi­de­os oder Comedy-​Einlagen von Doc­tor Dré und Ed Lover, son­dern auch auf der Funk­ti­on der Show als Sprach­rohr für die gan­ze dama­li­ge Sze­ne. In Zei­ten, in denen es kein Inter­net, geschwei­ge denn Social Media gibt, ist Yo! MTV Raps die wohl größ­te Platt­form für HipHop-​Künstler, um sich zu einem The­ma zu posi­tio­nie­ren. So gibt Ice Cube 1989 nach sei­ner Tren­nung von N.W.A. ein öffent­lich­keits­wirk­sa­mes Inter­view, in dem er die Grün­de sei­nes Weg­gangs näher erläu­tert. Dar­auf­hin wol­len N.W.A. natür­lich ihre Sicht der Din­ge in der Show zum Aus­druck brin­gen. Eini­ge Fol­gen spä­ter wird Eazy-​E auf Ice Cube ange­spro­chen und ant­wor­tet nur tro­cken: "Who dat?" Als 2Pac 1993 Gast der Show ist, brin­gen ihm sei­ne Aus­sa­gen sogar gro­ßen Ärger ein. Als Ed Lover ihn auf den Film "Men­ace ll Socie­ty", bei dem er ursprüng­lich mit­spie­len soll­te, anspricht, beginnt 2Pac, die Regis­seu­re Allen und Albert Hug­hes mas­siv zu belei­di­gen. Unter ande­rem erzählt er davon, wie er ihnen auf­lau­ert und sie kör­per­lich angreift. Die Hughes-​Brüder zei­gen ihn wegen die­ser Atta­cke sogar an, wobei das Video­ma­te­ri­al von Yo! MTV Raps natür­lich als Beweis gilt. Schließ­lich gibt er alle Vor­wür­fe wäh­rend der Sen­dung zu. Eben­falls im Jahr 1993 kommt es wäh­rend der Dreh­ar­bei­ten mit den Lea­ders of the New School zum Streit inner­halb der Grup­pe. Crew­mit­glied Char­lie Brown beschul­digt sei­nen Kol­le­gen Bus­ta Rhy­mes, den ande­ren die Show zu steh­len. Der Streit ist so schwer­wie­gend, dass sich die Grup­pe dar­auf­hin trennt.

 

Das Ende der Show

All die­se wich­ti­gen HipHop-​Momente, zusam­men mit dem rie­si­gen Erfolg, den die Show ver­bu­chen kann, sor­gen schon damals dafür, dass Yo! MTV Raps Legen­den­sta­tus erreicht. Jedoch bleibt auch solch eine belieb­te Sen­dung nicht von Kri­tik ver­schont. Als die Macher das Video zu Public Ene­mys "By the Time I Get To Ari­zo­na" ableh­nen – mit der Begrün­dung, es sei zu gewalt­ver­herr­li­chend – sehen sie sich hef­ti­gen Zen­sur­vor­wür­fen aus­ge­setzt. 1992 füh­ren die­se bereits zum ers­ten Abfall der Zuschau­er­zah­len. Dies beschert Yo! MTV Raps einen neu­en Sen­de­platz und das For­mat wird wie­der auf eine ein­mal wöchent­li­che Aus­strah­lung geschrumpft. Jeden Frei­tag (und spä­ter Sams­tag) um 00:00 Uhr tei­len sich Fab 5 Fred­dy, Dré und Ed zwei Stun­den Sen­de­zeit. Dar­über hin­aus hat sich Hip­Hop Anfang der 90er schon so weit im Main­stream eta­bliert, dass die Vide­os auch außer­halb von Yo! MTV Raps gespielt wer­den. Außer­dem kom­men nun auch gen­re­frem­de Maga­zi­ne und For­ma­te auf Rap­per zu, um die­se zu inter­view­en. Somit ver­liert die Show immer mehr an Rele­vanz. Bis sie schließ­lich am 17. August 1995 zum letz­ten Mal auf Sen­dung geht. Obwohl Yo! MTV Raps zum Ende hin kaum noch mit gro­ßen Sto­rys oder Pre­mie­ren auf­war­ten kann, erschei­nen eini­ge Rap­stars der dama­li­gen Zeit zur letz­ten Epi­so­de. So ent­steht die legen­dä­re Freestyle-​Cypher beim Fina­le der Sen­dung. Gro­ße Namen wie Method Man, Red­man, Rakim und KRS-​One, um nur eini­ge weni­ge zu nen­nen, neh­men das Mikro in die Hand und wid­men der legen­dä­ren Show eini­ge Zei­len zum Abschied.

Yo! MTV Raps Last Epi­so­de Free­style Part 1 feat Rakim KRS ONE Erick Ser­mon Chubb Rock &

 

Die Zeit danach

Nach­dem die Show abge­setzt wird, mode­rie­ren Ed Lover und Doc­tor Dré zusam­men mit Lisa Glas­berg die erfolg­rei­che "Mor­ning Show with Ed, Lisa, and Dré" beim Radio­sen­der Hot 97 FM. Fab 5 Fred­dy hin­ge­gen hat in der Zeit nach der Show rela­tiv weni­ge öffent­li­che Auf­trit­te – abge­se­hen von eini­gen Inter­views und Doku­men­ta­tio­nen. Im Jahr 2013 tritt er in Deutsch­land als Mode­ra­tor von Max Her­res "MTV Unplug­ged" auf. Natür­lich wid­men sich auch die Köp­fe hin­ter der Show neu­en Auf­ga­ben. Schon wäh­rend der Zeit bei Yo! MTV Raps pro­du­ziert Ted Dem­me Musik­vi­de­os. So ist er bei­spiels­wei­se für das Musik­vi­deo zu "Streets of Phil­adel­phia" von Bruce Springsteen ver­ant­wort­lich. Spä­ter steigt er dann ins Film­ge­schäft ein. Sein wohl bekann­tes­ter Film ist der Block­bus­ter "Blow" mit John­ny Depp und Pené­lo­pe Cruz, der auf der Geschich­te des Koka­in­schmugg­lers Geor­ge Jung ali­as Bos­ton Geor­ge basiert. Am 13. Janu­ar 2001 erliegt Ted Dem­me den Fol­gen eines Herz­in­farkts. Iro­ni­scher­wei­se ver­mu­ten die Ärz­te, dass bei sei­nem Tod Koka­in­kon­sum eine Rol­le spie­len könn­te. Sein Part­ner Peter Doug­her­ty setzt sei­ne Arbeit bei MTV in Euro­pa fort. So lebt er bis Mit­te der 2000er in Lon­don. Danach zieht er zurück nach Ame­ri­ka und stirbt am 29. Okto­ber 2015 – wie Ted Dem­me – an einem Herz­in­farkt. Zurück zu Yo! MTV Raps: Im Jahr 1996 geht die abge­speck­te Ver­si­on des eins­ti­gen Publi­kums­lieb­lings auf Sen­dung. Yo! läuft von nun an frei­tags von 01:00 Uhr bis 01:30 Uhr mor­gens und hat kei­nen fes­ten Host. Statt­des­sen mode­rie­ren ver­schie­de­ne Gast­ho­sts die Sen­dung, wie zum Bei­spiel Fat Man Scoop, bis sie 2000 durch Direct Effect ersetzt wird, wel­che wie­der­um 2006 von der Sen­dung Sucker Free abge­löst wird. All die­se Shows sol­len den HipHop-​Block des Pro­gramms von MTV ent­hal­ten. Jedoch hat kei­ne von ihnen auch nur annä­hernd einen sol­chen Impact wie das Ori­gi­nal Yo! MTV Raps. Im Jah­re 2008 wird zum 20-​jährigen Jubi­lä­um der ers­ten Fol­ge ein Spe­cial der Show Sucker Free gedreht, bei dem Dré, Ed und Fred­dy zu Gast sind und sowohl aktu­el­le Musik­vi­de­os gespielt wer­den als auch sol­che, die aus der Zeit von Yo! MTV Raps stam­men. Zehn Jah­re spä­ter – also im Jahr 2018 – fin­det zum 30. Jubi­lä­um der Erst­aus­strah­lung im Bar­clays Cen­ter (Brook­lyn, New York) die "Yo! MTV Raps: 30th Anni­ver­sa­ry Expe­ri­ence" statt, bei der unter ande­rem Rakim, KRS-​One, EPMD und Fla­vor Flav auftreten.

 

Was bleibt?

Abschlie­ßend bleibt nur zu sagen, dass Yo! MTV Raps maß­geb­lich für den welt­wei­ten Erfolg von Hip­Hop mit­ver­ant­wort­lich ist und eini­gen Welt­stars wie Will Smith, Jen­ni­fer Lopez, MC Ham­mer oder Mary J. Bli­ge in ihren frü­hen Kar­rie­ren als Sprung­brett dient. Im Inter­net kur­sie­ren noch heu­te – nach über 30 Jah­ren Show­ge­schich­te – die Vide­os der legen­dä­ren Live-​Auftritte, Free­styl­es und Inter­views aus der Sen­dung. In der neu­en Show hält man noch an eini­gen Ele­men­ten aus der Ori­gi­nal­ver­si­on fest. So ist bei der deut­schen Aus­ga­be die Aus­wahl der Mode­ra­to­ren an den ori­gi­na­len Cast ange­lehnt. Pali­na Rojin­ski, ihres Zei­chens Trä­ge­rin des Deut­schen Fern­seh­prei­ses, soll an die­ser Stel­le für den­sel­ben Entertainment-​Faktor sor­gen wie Ed und Dré. Wäh­rend­des­sen hat man mit MC Bogy einen Host gefun­den, der tief in der Sze­ne ver­an­kert und auch schon als Inter­view­er vor der Kame­ra erfah­ren ist. Dar­über hin­aus besteht bei ihm eben­falls ein star­ker Graffiti-​Bezug, wes­halb man direkt an sei­nen Vor­gän­ger Fab 5 Fred­dy erin­nert wird. Die Yo! MTV Raps Ori­gi­nals in Form von Auf­trit­ten im Stu­dio wer­den eben­falls bei­be­hal­ten. Auch der Sen­de­platz am spä­ten Sams­tag­abend kommt in der Geschich­te der Show schon ein­mal vor und sogar das alte For­mat MTV Mas­ters wird als Spar­te für kur­ze Repor­ta­gen inner­halb der Sen­dung recy­celt. Natür­lich ist es für die neue Ver­si­on von Yo! MTV Raps nicht leicht, in solch gro­ße Fuß­stap­fen zu tre­ten. Denn auch die Umstän­de, unter denen die Sen­dung nun anläuft, sind gänz­lich ande­re als noch 1988. Hip­Hop ist nicht nur im Main­stream ange­kom­men, son­dern beherrscht ihn sogar. Dies schlägt sich selbst­ver­ständ­lich auch in der Sen­dung nie­der, die nun­mehr für die brei­te Mas­se aus­ge­legt zu sein scheint. Aller­dings ist dies nicht son­der­lich über­ra­schend, wenn man bedenkt, dass der ers­te per­form­te Song – "DNA" von KC Rebell, Sum­mer Cem und Capi­tal Bra – auf Platz 1 der deut­schen Sin­gle­charts ein­steigt und bis­her über 17 Mil­lio­nen Klicks auf You­Tube bezie­hungs­wei­se fast 23 Mil­lio­nen auf Spo­ti­fy vor­wei­sen kann. Undenk­bar, dass ein Rap­song, geschwei­ge denn ein deut­scher Rap­song, in den 90er Jah­ren sol­che Zah­len geschrie­ben hät­te. Natür­lich abge­se­hen von der Tat­sa­che, dass es damals kei­ne Strea­ming­diens­te gab. Dar­über hin­aus haben eben­je­ne die Art, wie Musik kon­su­miert wird, kom­plett ver­än­dert. Denn heut­zu­ta­ge muss nie­mand mehr dar­auf war­ten, dass sein Lieb­lings­ar­tist bei MTV gespielt wird. Auch sind HipHop-​Künstler nicht mehr dar­auf ange­wie­sen, dass sie sich in irgend­ei­ner Sen­dung zu einem The­ma äußern kön­nen. Im Inter­net las­sen sich leicht eini­ge HipHop-​Portale mit beträcht­li­cher Reich­wei­te fin­den. Ganz abge­se­hen von den teils gigan­ti­schen Reich­wei­ten, die die Künst­ler über Social Media selbst gene­rie­ren kön­nen. Ex-​Moderator Doc­tor Dré äußert sich im Vor­hin­ein in einem Inter­view mit dem "Vul­tu­re Maga­zi­ne" über einen Reboot wie folgt: "Yo! MTV Raps was a snapshot in time. It hap­pen­ed when it was most nee­ded, when the music indus­try, the nati­on, and the world nee­ded some­thing that would unite ever­y­bo­dy […]. When peo­p­le try to say 'Let's reboot it' … It's a dif­fi­cult reboot. […] Kids aren't gon­na run home to watch Yo! MTV Raps. Kids are strea­ming […] and don't have to worry if some chan­nel deci­des to play it – they just play it them­sel­ves. How do you com­pe­te against You­Tube? I wish them well."

Die ers­te deut­sche Fol­ge hat eine Woche nach TV-​Ausstrahlung cir­ca 150 000 Klicks auf You­Tube. Ver­gleicht man dies mit diver­sen ande­ren HipHop-​Formaten, zeigt sich, dass ent­ge­gen aller Wid­rig­kei­ten durch­aus Inter­es­se an der neu­en Sen­dung besteht. Ob die neue Auf­la­ge von Yo! MTV Raps an das Ori­gi­nal her­an­reicht, wird jedoch erst die Zeit zei­gen. Auf jeden Fall darf man gespannt dar­auf sein, in wel­che Rich­tung sich die Show ent­wi­ckeln wird.

(Nico Maturo)
(Fotos: Screen­shots der Show, Titel­bild: Dani­el Fersch)