Kaum eine Szene hierzulande scheint so facettenreich zu sein wie die Deutschrapszene. Während es bereits jetzt schon fast unmöglich erscheint, jeden einzelnen, etablierten Vertreter zu kennen, steigt die Zahl neuer, noch unbekannter Künstler exponentiell weiter an. Den Überblick zu behalten, gleicht einer Herkulesaufgabe: Hat man sich ein Gesicht der HipHop-Hydra gemerkt, tauchen schon wieder mindestens zwei neue auf. Gleichzeitig ist es für unbekannte, junge Talente überaus schwer, aus der überwältigenden Masse an Musikern herauszutreten und sich einen Namen zu machen.
Beiden Seiten soll unser Mic Check eine Hilfestellung bieten. Rappern, die bisher noch in den Tiefen des Untergrunds untergegangen sind, eine Plattform geben, auf der sie sich kurz, aber prägnant präsentieren können. Und Hörern und Fans ermöglichen, sich einen schnellen Überblick über nennenswerte Künstler zu verschaffen, die sie bisher vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm hatten.
MZEE.com: Schon recht früh in deiner Karriere warst du Voract für namhafte Künstler wie Fabster, Hecklah & Coch und die Eastside Famlee. Aber wie fing das alles ganz genau an? Wann und wie bist du HipHop erstmals begegnet?
Derron: Da ich in einem kleinen Kaff aufgewachsen bin, gab es nicht allzu viele Angebote für eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Also zog ich mit Cans los und besprühte Wände. Als sich dann meine Eltern scheiden ließen, verbrachte ich die meiste Zeit bei meinem Vater. In diesem riesengroßen, nun fast leeren Haus – besonders der Keller war unser Rückzugsort – fingen mein Bruder und ich an, kleine Partys mit Freunden zu machen. Mein Pa war da ziemlich locker, solange wir "keinen Mist machen". Im Jahr 97 haben sich diese Sit-ins zu größeren Dorf-Events entwickelt, auf denen bis zu 80 Leute in unserer Garage zu Live-DJs feierten. Einer dieser musikalischen Abende mutierte irgendwann unerwartet zu einer mehrstündigen Freestyle Cypher. Da wurde der Rapper in mir geboren. Zum Millennium zog es mich regelmäßig in die nächstgrößere Stadt. Das war Halle an der Saale. Durch meinen damaligen besten Freund, der hier aufwuchs, verbrachte ich quasi meine Jugend zwischen Silberhöhe und Trotha. Die Eastside Famlee hatte zu der Zeit einen kleinen Clothing Store namens "Street Corner" in der Innenstadt. Hier trafen wir uns regelmäßig, um bei feinster HipHop-Musik Klamotten, Mixtapes und Cans auszuchecken. Dabei kam ich immer öfter ins Gespräch mit DJ Diaz, einem ehemaligen Produzenten der Hallewood Clique. Unsere Wege kreuzten sich von da an regelmäßig, bis sie uns auch gemeinsam ins Studio und auf die Bühne führten. So habe ich auch Fabster kennengelernt, er war eben oft Support für die Eastside Famlee. Die Jungs veranstalteten häufig in den angesagtesten Clubs der Stadt ihre eigenen Partys, so auch für ihr damaliges Release "Bomben", bei dem Hecklah & Coch aus Berlin Headliner des Abends waren. Ein paar Jahre später sollte es mich in die Hauptstadt ziehen. Durch Umwege landete ich 2003 bei Universal – genauer gesagt bei einer Postproduction, die für den Musikgiganten Werbematerial erstellte. Als Praktikant konnte ich hier viel über die Studioarbeit lernen und auch mit ein, zwei großen Künstlern wie Rammstein oder Schiller zusammenarbeiten, allerdings leider nur im Videoschnitt. Für meine erste Albumproduktion mit meiner damaligen Crew Phonetik nutzte ich dennoch das hauseigene Tonstudio. Bei den Arbeiten lernte ich dann auch Dennis Kuhn von Nonpareil kennen, mit dem ich seither gemeinsam produziere. Die Gruppe hat sich jedoch mit dem Album-Release aufgelöst. Von da an ging ich meine eigenen Wege als Künstler.
MZEE.com: 2010 bist du dann in die USA ausgewandert, hast aber weiterhin Musik gemacht und inzwischen deutsche wie internationale Zusammenarbeiten in der Diskographie. Wenn du aber irgendeinen Künstler deiner Wahl einmal featuren dürfest, welcher wäre das?
Derron: Es gibt viele gute Musiker und da ich mich gern auch abseits der Rap-Musik bewege, fällt mir diese Wahl definitiv schwer. Vorrangig würde ich nach einzigartigen Instrumentalisten suchen, um neue Sounds zu kreieren. Als Erstes kommt mir da Daft Punk in den Sinn. Das wäre doch mal eine interessante Kombi.
MZEE.com: Wenn du einen einzigen deiner existierenden Tracks wählen müsstest, um jemandem deine Musik zu präsentieren, welcher Track wäre das?
Derron: Definitiv "N.R.G." – gesprochen "energy" – der letzte Song auf meinem aktuellem Album "Rap Is Liebe". Er spiegelt mich als Mensch und Künstler aktuell und am besten wieder. Dabei erzähle ich von mir, meinem Leben, meinem Schaffen sowie von Glück und Leid. Außerdem – und hier soll jeder selber hören und sich überraschen lassen – breche ich hier wieder bewusst mit teils linearen Denkweisen im Rap. Etwas, das ich als Rapper gerne tue. Nebenbei erwähnt ist das Instrumental zudem absolut episch und absolut zeitlos geworden. Dieser Track ist einfach ein Statement!
MZEE.com: Auf deinem neuen Album kombinierst du recht facettenreiche Sounds und unter anderem künstliche Synthieklänge mit analogen Gitarrenriffs. Wie kann man sich die Arbeit dabei vorstellen: Suchst du dir zuerst einen Beat aus und schreibst dann deinen Text oder andersherum?
Derron: Musik ist mittlerweile ein Reifeprozess geworden. Früher habe ich mir Beats geholt oder selbst was gebaut, einen Text geschrieben, aufgenommen, ein bisschen gemixt – fertig. Heute entstehen meine Songs oft über einen längeren Zeitraum. Texte schreibe ich teils unabhängig vom Musik-Komponieren. Meine erste Idee für einen Beat entwerfe ich immer noch wie in den Anfangstagen am Rechner. Dazu spiele ich Gitarrenriffs oder Keys ein, programmiere Drums und arrangiere es zu einem Demo. Habe ich bereits meine Lyrics geschrieben, so recorde ich diese anschließend und mixe die bisherigen Aufnahmen dann zu einem hörbaren Konzept. Jetzt fängt der aufregendste Teil der Arbeit an. Ich treffe mich mit Musikern, um die Feinheiten des Songs auszuarbeiten. Dabei lasse ich Instrumente professionell einspielen, schreibe die Background Vocals mit Sängern auf und erweitere das Sound Design des Tracks. Was mir daran so Spaß macht, ist zu hören, was alles mit einer simplen musikalischen Idee passieren kann, wenn man sie mit anderen Kreativen teilt. Hier bekommt ein Arrangement für mich erst seinen unverwechselbaren Klang und damit das Alleinstellungsmerkmal als Lied. Erst nach diesem manchmal langen Prozess landet das Demo im Studio meines langjährigen Freunds und Produzenten Dennis Kuhn. Er kümmert sich mit seiner jahrelangen Expertise um das Feintuning und den Mix. Klingt nicht aufwändig, ist es aber in den meisten Fällen. Einige meiner Titel auf "Rap Is Liebe" haben mehr als 200 Einzelspuren. Da verbringt man locker für zehn Tracks schon mal vier Wochen am Stück im Studio.
MZEE.com: Siehst du "Rap Is Liebe" als deine Botschaft an oder willst du mit deiner Musik etwas anderes vermitteln?
Derron: "Rap Is Liebe" steckt voller Liebe von sehr vielen Menschen, die aktiv an der Entstehung des Albums beteiligt waren. Ihr Glaube und ihre Liebe hat mich in schweren Momenten beflügelt und war mein Antrieb. Somit ist in erster Linie die persönliche Botschaft wichtig: Familie und Freundschaft sind unersetzlich. "Rap Is Liebe" trägt aber ebenso eine universelle Botschaft. Da ich nun schon zu einer etwas älteren Generation gehöre, empfinde ich es als wichtig, ein Inspirator für die Jüngeren zu sein. An guten Vorbildern fehlt es uns in der Musikbranche heutzutage leider. Im HipHop wandeln sich talentierte Rapper allzu oft von Mentoren mit Street Credibility zu plakativen, inhaltslosen Werbefigürchen. Dementsprechend minimiert sich der Wortschatz, während die Wiederholung von monotonen oder mit Autotune verzerrten Phrasen auf ähnlich klingende Beats zunimmt. Alles klingt austauschbar und "wie schon mal irgendwo so gehört". Um irgendwie noch aufzufallen, springt der Großteil der Musiker auf den Zug der Provokation und Obszönität auf. Meiner Meinung nach war "HipHop" nie "unrealer" und weiter von der Realität entfernt. Rap hat damit aber gar nichts zu tun. Rap bleibt Reimkunst. Reime und Worte sind frei von musikalischen Grenzen. Sicherlich verbinden viele das Wort "Rap" mit HipHop, aber das ist mir zu eindimensional gedacht und klischeebehaftet. Mein Antrieb ist es, gute Songs mit Inhalt zu machen und die Menschen positiv zu bewegen. Rap ist ein wirkungsvolles Werkzeug und ein wundervolles dazu. Es würde mich freuen, mehr Menschen da draußen zu inspirieren, an dieser Kunst festzuhalten und Rap als Liebe zu sehen.
Ein Exclusive von Derron könnt Ihr Euch ab sofort auf dem YouTube-Channel von MZEE.com anhören:
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(Daniel Fersch & Lukas Päckert)
(Grafiken von Puffy Punchlines, Logo von KL52)
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