Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: deutscher Rap
Deutscher Rap im Mai 2019 war scheiße. Gekaufte Chartplatzierungen, das frauenverachtende Weltbild der halben 187 Strassenbande, Animus und Manuellsen: Mehr Potenzial für ein Statement kann man gar nicht sammeln. Während ich zumindest aus der Doku des Y-Kollektivs noch etwas Wissenswertes ziehen kann, sind die anderen Themen einfach nur beschämende Beispiele für eine sonst so tolle Kultur. In einem Fall musste es sogar zu häuslicher Gewalt kommen, um im HipHop Anreiz für eine längst überfällige und mutige #MeToo-Diskussion zu geben. Der Ruhrpott-Kleinkrieg hingegen schreibt eine Geschichte komplett ohne Gewinner. Auf einen wehrlosen Mann einzuprügeln, weil derjenige mal wieder schneller mit dem Posten als mit dem Denken war: Das ist schlichtweg beschämend. Im Nachhinein die gesamte Story dann noch in einem ellenlangen Interview zu rechtfertigen, scheint fast schon Usus im deutschen Rap zu sein. Doch alles, was mir wirklich vom Mai hängenbleibt, ist die Erkenntnis, dass ich selten mehr Gründe hatte, die Musik scheiße zu finden, die ich doch eigentlich so liebe.
Video: Roger & Sixkay – Intro
Wenn man sich die meisten aktuellen Videos anschaut, geht es oft darum, so viel wie möglich aufzufahren: eine krasse Location, eine riesige Posse im Background oder aufwändige Schnitte. Roger & Sixkay aber haben mit dem Video zum "Intro" ihres Albums "Flensburg 37" vorgemacht, wie es anders aussehen kann. Ohne viel Schnickschnack haben sie ein One Take-Video releast, das sie selbst gefilmt, geschnitten und bearbeitet haben. Damit zeigen sie, dass man auch durch die reine Präsenz des Rappers überzeugend abliefern kann. Denn im Video ist nur Roger zu sehen. Simpel gestikuliert er passend zum Text und unterstreicht so das Erzählte perfekt. Gestützt wird das Ganze durch leichte Kamerabewegungen, Farbwechsel und colorierte Balken, die mit dem Beat Hand in Hand gehen. Des Weiteren liegt auf dem ganzen Video ein leichter Effekt im 8-mm-Style und es werden an geeigneten Stellen Worte eingeblendet. Ein super Video, das heraussticht und zeigt, dass weniger manchmal auch mehr sein kann.
Song: Aaron Grav – Träumer
Es wäre beinahe an einem vorübergegangen, wenn einen die eigene Social Media-Blase nicht darauf hingewiesen hätte: Hörflug ist zurück. Zusammen mit Astvald. Allerdings agieren die beiden nun unter dem Namen Aaron Grav. Das Untergrund-Duo stand schon vor einigen Jahren für atmosphärische, leicht elektronische Musik mit gefühlvollen Texten. Und auch "Träumer", eine der vier neuen Singles, punktet wieder mit ebendiesen Vorzügen. Der Beat fängt ruhig und organisch an, bevor Aaron leicht verträumt die Hook säuselt. Mal etwas verzerrt, mal etwas verrauscht, aber in den Parts rappt er stets clean und routiniert über Träume. Es geht darum, nach den Sternen zu greifen und das beste Jahr seines Lebens zu leben. Aaron Grav machen da weiter, wo Hörflug aufgehört hat. Und überzeugen auf ganzer Linie, indem sie den Hörer völlig in den Bann der "Träumer" ziehen.
Instrumental: Schwan – citral
Schwan, besser gesagt DJ Schwan vom 2ZG, bringt eine neue Platte raus. 18 feinste Beats für den Rausch zwischendurch. Um die vor Weed-Anspielungen strotzende Platte schon mal anzuteasern, kann man unter anderem in "citral" bereits reinhören. Langsam tönen Kick und Snare darauf vor sich hin, während die an eine Orgel erinnernde Melodie beginnt. Das wirkt alles unheimlich tiefenentspannt – man könnte sich zurücklehnen und gehen lassen wie nach einem Besuch im "Coffee Shop". Kurz vor Schluss stellt Schwan noch mal seine Scratch-Künste unter Beweis, streut ein paar Vocals ein und fügt ein Saxophon hinzu. Das lockert das Ganze wunderbar auf und hindert den Hörer daran, vor dem nächsten starken Beat einzuschlafen. Geradezu perfekt also. Da freut man sich doch jetzt schon auf die Platte.
Line: Fatoni – Clint Eastwood
Wann hab' ich ihn denn verloren, den Anschluss zu der Szenejugend?
Ich brauchte für diesen Text hier länger als zehn Minuten.
Wirft man im Jahr 2019 einen Blick in die deutschen Single-Charts, ist es eher die Ausnahme, wenn dort gerade nicht Capital Bra auf den vordersten Plätzen zu finden ist. Als dieser im Jahr 2018 mal wieder den ersten Platz belegte, erzählte er bei VIVA im Interview, dass es bei seinen Hits gar keinen richtigen Schreibprozess gäbe. Stattdessen gehe er einfach ins Studio und lege los, beinahe Freestyle-mäßig. Und damit ist er sicher nicht der Einzige. Hört man sich in einschlägigen Spotify-Playlists um, findet man eine ganze neue Generation von deutschsprachigen Rappern, die wohl eine ähnliche Vorgehensweise verfolgen. Da fühlt man sich als Raphörer, der bereits ein paar Jahre länger dabei ist, schon mal zurückgelassen. So auch Fatoni, der auf "Clint Eastwood" feststellt, dass die Zeit, aus der seine Herangehensweise stammt, doch schon eine Weile her ist. Gewiss haben neue Strömungen und Künstler ihre Daseinsberechtigung. Aber man darf eben nicht die Zeit davor vergessen. Und da Toni uns mit dem Nagel auf den Kopf treffend daran erinnert, verdient er sich damit die Line des Monats.
(Sven Aumiller, Dzermana Schönhaber, Lukas Päckert, Michael Collins)
(Grafik von Puffy Punchlines)