Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Kollegah-Fanbase
Für gewöhnlich stehen an dieser Stelle Statements, die uns positiv oder negativ aufgefallen sind. Diese stammen meist von einzelnen Akteuren. In diesem Monat aber handelt es sich eher um das Statement eines Kollektivs: der Kollegah-Fanbase – oder zumindest eines beachtlichen Teils derselben. Denn augenscheinlich gibt es für sie doch noch Hoffnung. Für ein überteuertes Trainingsprogramm und ein Buch voller fragwürdiger Kalendersprüche waren die Fans des "Bosses" noch zu haben. Doch mit seinem letzten Stunt schoss Felix Blume dann den Vogel ab. Er wollte unter dem Titel "Alpha Offensive" ein Coaching-Event ausrichten, das den Teilnehmern die Kenntnisse zum Erfolg versprach. Tickets gab es in einem Preisrahmen von knapp 200 bis zu vollkommen verrückten 2.500 Euro. Das waren auch der eingeschworenen Anhängerschaft ein paar Kröten zu viel. Die Folge war ein mittelgroßer Shitstorm, der schließlich sogar in der Absage des Events mündete. Schön zu sehen, dass Kolles Fans sich doch nicht alles gefallen lassen. Natürlich gibt es immer noch viele, die den Halbkanadier nach wie vor als Halbgott verehren. Doch wurde mit dieser Aktion Kollegahs Masche für eine Menge Menschen – darunter bislang treue Fans – als heiße Luft entlarvt.
Video: Die Orsons – Ewigkeit im Loop
Fehltritte gehören zum Leben nun mal dazu. Auch bei den Orsons war nicht immer alles Gold, was glänzte. Auf "Ewigkeit im Loop" blicken die vier daher auf ihre ganz persönlichen Peinlichkeiten zurück, die sie mit dem entsprechenden Bildmaterial aus der Vergangenheit belegen. Den Anfang macht Tua. Für ihn ist der Song "Horst und Monika", den sie auch beim Bundesvision Song Contest performt haben, aufgrund der "dümmlichen Zeilen über Transgender" nicht mehr vertretbar. KAAS bereut den Splash!-Auftritt, bei dem er mit Money Boy aneinander geraten war, nachdem dieser die Bühne geentert hatte. Maeckes hingegen hinterfragt die Sinnhaftigkeit des "Jetzt"-Videos, indem er es im Literal Video-Style auseinandernimmt. Und Bartek erinnert sich daran zurück, wie er betrunken ein Interview von Visa Vie und Cro gecrasht hat. Dass sich Rapper so reflektiert mit Fehlern aus ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, gibt es nicht allzu oft. Wenn das dann auf derart kreative Art und Weise passiert, ist das umso besser.
Song: Azad – Dieser Weg
2004 erschien das Album "Der Bozz" von Azad, das zugleich das erste Release seines eigenen Labels Bozz Music markierte. 15 Jahre später wurde nun der Nachfolger "Der Bozz 2" mit "Dieser Weg" als ersten Vorboten angekündigt. Nach dem letzten Album "NXTLVL" aus dem Jahr 2017, das stark von Trap geprägt war, hat man möglicherweise erwartet, dass der Stil des Vorgängers mit den Einflüssen des eben genannten Langspielers kombiniert würde. Stattdessen besinnt sich der Frankfurter auf seine Wurzeln und rappt auf einem besinnlich-atmosphärischen Beat von Gorex von seinem Werdegang: wie er zu dem Mann wurde, der er heute ist, und welche Fehler er auf seinem Weg gemacht hat. Die Scratches von DJ Rafik am Ende tragen dazu bei, dass man sich in die frühen 2000er Jahre zurückversetzt fühlt. Mit der letzten Platte stellte er unter Beweis, dass er mit aktuellen Trends mithalten kann. Mit "Dieser Weg" zeigt er, dass der alte Azad auch 2019 noch am Leben ist und Bock hat. Deshalb verdient er sich damit den Song des Monats.
Instrumental: Apache 207 – Kein Problem (prod. by Worstbeatz)
Apache 207 hat bereits im Jahr 2018 einige Songs veröffentlicht – im letzten Monat legte er mit seinem Song "Kein Problem" nach. Neben ihm als Künstler und dem Video zum Song ist auch das Instrumental höchst spektakulär. Im Vergleich zu anderen aktuellen Produktionen sticht dieses nämlich besonders heraus. Denn bei der von Worstbeatz gebauten Instrumentierung handelt es sich keineswegs um einen typischen HipHop-Beat. Vielmehr erinnert sie an die 90er und die zu dieser Zeit aufkommende Eurodance-Welle mit einer Prise HipHop-Einfluss, welcher vor allem durch das Drumset transportiert wird. Eine dumpfe Kick und der klare, prägnante Sound der Snare ergänzen die verspielte Grundmelodie perfekt. Hinzu kommen noch Synthie-Sounds sowie elektronische Streicher, die im Wechsel dafür sorgen, dass Spannungskurven innerhalb des Instrumentals aufgebaut werden. Dieser Beat ist nicht nur zum Kopfnicken geeignet, denn er ist ebenso tanzbar und in seiner Machart einmalig.
Line: SSYNIC – Alpha Royale Finale
Der Einspruch von dem mächtigsten Mann im deutschen Rap …
Kann einiges echt verkacken.
"Ich lass' den Part jetzt raus und ihr könnt euch euren Eindruck von ihm selber machen." – Diese Worte von SSYNIC fielen im Finale des Alpha Royales. Es war ein äußerst kontroverses Battle, allerdings weniger aufgrund des Inhalts, als viel mehr wegen des umstrittenen Ausgangs und der Frage, ob der Sieger nicht bereits zuvor feststand. All dies soll hier jedoch gar nicht besprochen werden – genauso wenig wie die Frage, ob Kollegah tatsächlich "der mächtigste" oder einfach nur der fragwürdigste oder problematischste Mann dieser Szene ist. Stattdessen sollen SSYNICs Zeilen hervorgehoben werden, um die Grundproblematik des Turniers aufzuzeigen und zu hinterfragen, ob es dem Written Battle-Sport überhaupt guttut, wenn er zum reinen Zwecke der Promotion genutzt wird. Denn von Förderung kann wohl kaum die Rede sein, wenn Kollegah mitten in einer Darbietung lautstark seinen Unmut äußert. Obwohl bei ebendieser Veranstaltung der Satz "Seid mal jetzt alle ruhig!" gleichermaßen Aufforderung wie Zeichen für respektvollen Umgang mit der Künstlerleistung darstellt. Und auch wenn die von SSYNIC daraufhin performten Zeilen sicherlich vorbereitet waren, so sagt es doch sehr viel über die Kompetenz Kollegahs als Veranstalter und seinen tatsächlichen Respekt gegenüber der Szene aus, wenn Künstler Rebuttals vorbereiten, um potenzielle Zwischenrufe des Gastgebers damit auszukontern. Ob man persönlich nun SSYNIC oder Meidi für den Sieger des Battles hält – keine andere Textstelle dürfte die Auseinandersetzung so perfekt zusammengefasst und gleichermaßen geprägt haben wie diese.
(Florian Peking, Thomas Linder, Michael Collins, Dzermana Schönhaber, Daniel Fersch)
(Grafiken von Puffy Punchlines, Daniel Fersch)