Wenn es draußen langsam wieder kälter wird und sich das Jahr dem Ende neigt, blickt man selbst ja gerne mal zurück und lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Wir möchten mit unserem diesjährigen Adventskalender einen Blick zurückwerfen – von heute bis hin zu den Anfängen von HipHop in Deutschland. Sprich: knapp ein Vierteljahrhundert deutscher Rap. Eine Szene, die Mitte der 90er unter anderem "direkt aus Rödelheim" kam, aus dem "Fenster zum Hof" kletterte, sich "vom Bordstein zur Skyline" aufschwang und "zum Glück in die Zukunft" reiste, um sich letztlich zwischen ein paar "Palmen aus Plastik" niederzulassen. Kein Element der hiesigen HipHop-Kultur dürfte in all den Jahren einen so gewaltigen Wandel, so viele Höhen und Tiefen, so viele Erfolge und Misserfolge durchlebt haben wie Rap. Genau diese Entwicklung innerhalb der letzten 24 Jahre möchten wir nun für Euch skizzieren, indem wir jedes Jahr anhand eines Albums darstellen, welches – unserer Meinung nach – nicht nur das entsprechende Veröffentlichungsjahr, sondern auch die Szene allgemein nachhaltig prägte.
2015: Audio88 & Yassin – Normaler Samt
Das ist normaler Samt in deinem Mund drin.
Der Beweis dafür, dass alle andern Schmutz sind.
Audio88 & Yassin waren schon längst eine Größe des Untergrunds. Mit ihrer "Herrengedeck"-Reihe rappten sich die Verfechter der Misanthropie schon um 2010 in die Herzen der Untergrundrap-Fans. Fünf lange Jahre sollte es dann dauern, bis der lang angekündigte "Normale Samt" den Weg in unsere Münder fand. Aber dafür war er umso bekömmlicher – oder eben gerade nicht.
Denn "Normaler Samt" war gerade deshalb so wichtig für die deutsche Rapszene, weil das Duo damit schaffte, was nur die wenigsten meistern: in den Mainstream gelangen, ohne an Kredibilität einzubüßen. So holten sich Audio88 & Yassin mal eben Torky Tork und Breaque mit ins Boot und feilten an einem Soundbild, das weitaus zugänglicher war, als es Fans der ersten Stunde gewohnt waren. Gleichzeitig gelang es Torky aber, keinesfalls zu weit vom ursprünglichen Sound abzuweichen. Ein weiterer Pluspunkt des Albums waren zudem die zahlreichen Referenzen auf allseits bekannte HipHop-Größen, welche man allein schon im Intro finden konnte. Fortgeführt wurde dies mit der Neuinterpretation eines Savas-Klassikers und einem geradezu monumentalen Untergrund-Klassentreffen auf "Normale Freunde". Das alles mochte zunächst klingen, als hätte man sich doch sehr dem Mainstream angepasst. Doch am Ende handelte es sich einfach um eine konsequente Fortsetzung der "Herrengedeck"-Teile. Purer Hass gegen die Menschheit und Zynismus vom Feinsten, gepaart mit wohlüberlegt gewählten Featuregästen, was unter anderem Hits wie "Mann im Mond" mit Mädness & Döll bewiesen.
"Normaler Samt" mag damals nicht den Weg in die Münder aller Schmütze gefunden haben. Aber es hat Menschenhass auf Albumlänge salonfähig gemacht und alltägliche Worte wie "normal" und "Schmutz" zu zeitlosem Jugendslang emporgehoben. Und all das, ohne dass man Audio88 & Yassin inzwischen als abgehoben oder Sell-out bezeichnen könnte. Stattdessen munkelt man jetzt – drei Jahre später – über das nächste Album. Und nach dem Einschlag der letzten EP kann man da nur Großes erwarten …
(Lukas Päckert)
(Grafik von Daniel Fersch)