Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Retrogott
Im April ging deutscher Rap durch sämtliche Medien. Doch die Gründe waren nicht etwa bahnbrechende kommerzielle Erfolge oder gar künstlerischer Natur. Im Gegenteil: Scharfe Kritik wurde geäußert. Der Vorwurf des Antisemitismus, der angesichts der ECHO-Verleihung an Farid Bang und Kollegah aufkaum, zwang die deutsche Rapszene, sich kritisch mit sich selbst auseinandersetzen. Sollte man zumindest meinen – doch allzu oft flüchteten sich hiesige Szene-Vertreter schnell in teils abstruse Verteidigungshaltungen. Unser Redakteur Daniel beschäftigte sich mit dieser "Unfähigkeit der deutschen Rapszene, Selbstkritik zu üben" bereits in einem eigenen Artikel. Es gab aber auch Journalisten und Künstler, die sich klar positionierten. Die wohl pointierteste dieser Stellungnahmen stammt von Retrogott. In einem Facebook-Post stellt er sich klar gegen die Verbreitung von Hass – auch unter dem Deckmantel des Battle-Raps: "Der Verzicht auf Diskriminierung Andersdenkender, -liebender oder -glaubender ist keine Zensur, sondern moralisches Handeln, zu dem auch die Kunst Übergänge hat." Zugleich zeigt er die Widersprüchlichkeiten der Rechtfertigungsstrategien all jener auf, die die Diskussion eilig zu relativieren versuchen. Retrogott artikuliert hier eine bedachte und stichhaltige Distanzierung, in der auch eigene Verfehlungen nicht verschwiegen werden. Wie die jüngste Kontroverse gezeigt hat, ist dies etwas, zu dem leider nur die wenigsten Mitglieder der Rapszene in der Lage sind.
Video: Talf – VBT-Qualifikation
Deutscher Battlerap ist nach wie vor (leider) eine Männerdomäne. Eine Szene, die nicht nur zum Grundprinzip hat, sich selbst als den männlichsten, talentiertesten und überlegensten Rapper darzustellen, sondern deren höchstes Ziel es zudem ist, ein genau gegenteiliges Bild vom Gegenüber zu zeichnen. Speziell beim 1-on-1-Battle auf der Bühne oder im Zuge eines Videoturniers mit direktem Gegner ist es daher entscheidend, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten und im Gegenzug viel Diffamierendes aus dem herauszuarbeiten, was der Kontrahent darstellt. Oder man wirft all das über Bord und macht ein Video wie das, mit dem sich Talf für das diesjährige VBT beworben hat. Mit perfekt sitzendem Make Up, in Netzhemd, Hotpants und Kniestrümpfen räkelt sich der Rapper auf einem Bett. Und ganz nebenbei wirft er damit nicht nur die ungeschriebenen Regeln des Battle-Raps, sondern auch Geschlechterrollen und das hegemoniale Männlichkeitsbild über den Haufen. Das von Tina Turnup gedrehte Video macht zwar einen etwas unruhigen Eindruck, passt aber bestens zur spontan anmutenden Art des Gesamtwerks, auf dem Talf über einen Beat von Olfood seine Strophen zum Besten gibt. Wer zuvor noch keinen Grund hatte, dem sollte spätestens dieses Video den Impuls geben, Talfs Kunst und eventuell auch den Verlauf des letzten VBTs in dieser Form zu verfolgen – insbesondere, weil er die Videoidee allem Anschein nach auch in kommenden Runden weiterverfolgt.
Song: Piklevel – TRAUM VOM AUFSTIEG / BUSCH
Maulheld ist eigentlich schon gefühlt Jahrzehnte im Rap-Business und ein nicht unbekanntes Mitglied der Funkverteidiger. Dennoch ist das Album "Piklevel" mit Defekto sein Debüt. Dass das schon viel eher hätte kommen müssen, zeigt zum Beispiel die Splitsingle "Traum vom Aufstieg / Busch". Defekto beweist hier ein Gespür für düstere, Boom bap-lastige Beats, die direkt an frühere Funkverteidiger-Vibes erinnern. Und Maulheld brettert so unfassbar lässig mit seinem Morlockk-ähnlichen Flow darüber, dass es völlig egal ist, ob er da gerade ernsthaft über einen "Busch" rappt oder über Graskonsum. Oder eben über seinen hoffentlich bald verwirklichten "Traum vom Aufstieg", der sich definitiv realisieren lässt, wenn er denn jetzt an der Musik dran bleibt.
Instrumental: Plusmacher – Jibbits feat. Botanikker (prod. by The Breed)
Dass Plusmacher meist auf Beats daherkommt, die unweigerlich zum Kopfnicken animieren, ist wahrscheinlich bekannt. The Breeds Instrumental zum Track "Jibbits", der kürzlich veröffentlicht wurde, bestätigt diese Theorie. Das "Uh-Da-Da-Da"-Sample neigt definitiv dazu, ein fieser Ohrwurm zu werden, und die tiefen 808-Kickdrums sorgen für die Nackenschmerzen. Seinen Kopfnicker-Sound hat The Breed unter anderem schon auf früheren Plusmacher-Tracks beweisen können – doch darauf ruht sich der Beatbastler Gott sei Dank nicht aus. Mit "Jibbits" geht der Produzent sogar leicht in eine neue Richtung, denn während er sich sonst eher am G-Funk der amerikanischen Westküste orientiert, greift er hier auch zu Trap-Elementen wie schnellen Hi-Hats und Subbässen. Dieser Sound scheint The Breed ebenfalls zu liegen und man darf gespannt sein, was man von ihm in Zukunft zu hören bekommt.
Line: Danger Dan – Sand in die Augen
Was für eine Erfahrung: Als Vater einer Tochter …
Hab' ich auf die meisten Rapper einfach gar keinen Bock mehr.
Eure gutgemeinten Liebeslieder sind das Hinterletzte.
Ich hab' keine Zeit für so 'ne Scheiße, ich muss Windeln wechseln.
Nicht erst seit den letzten paar Wochen steht es alles andere als gut um den Ruf von deutschem Rap. Und wenn man ehrlich ist: zurecht. In keiner anderen Musikszene sind vor allem Sexismus und Frauenfeindlichkeit so ausgeprägt und verwurzelt wie in dieser. Nur allzu gerne werden sie schlicht zum Stilmittel verklärt, das gefälligst nicht so ernst genommen werden solle – schließlich wäre man gegenüber "der Richtigen" ja stets respektvoll. Und wo man dies früher vielleicht noch mit jugendlicher Naivität oder aufgrund der eigenen, pubertären Selbstfindung hinnahm, sieht man sich irgendwann mit all diesen frauenverachtenden Textzeilen und Softporno-ähnlichen Musikvideos konfrontiert, die einfach nicht mehr zu entschuldigen sind. Danger Dans Lines aus dem Track "Sand in die Augen" beschreiben genau diesen Moment des Bewusstwerdens und darüber hinaus auch die Entscheidung, Derartiges nicht mehr zu akzeptieren. Natürlich kann man davon ausgehen, dass das Antilopen Gang-Mitglied sexistische Inhalte jeglicher Art schon zuvor nie guthieß. Dennoch vermittelt der Text hier auf sehr persönliche Weise den Impuls, sich nun auch explizit dagegen zu positionieren. Der Vater einer kleinen Tochter hat einfach weder Zeit noch Nerv dafür, sich mit einer derartig pubertären Ansicht der Geschlechterrollen zu befassen. Wünschenswert ist dabei meiner Meinung nach, dass es nicht bei ihm allein bleibt. Irgendwann sollten sich auch infantilste Deutschraphörer und -künstler vom vorsintflutlichen Bild der Frau als Objekt lösen – und wem dazu das nötige Eigenverständnis fehlt, dem helfen ja vielleicht Danger Dans Erfahrungen, um endlich erwachsen zu werden.
(Florian Peking, Daniel Fersch, Lukas Päckert, Steffen Uphoff)
(Foto von Markus Felix (Retrogott))