Kategorien
Kommentar

Das Schweigen der Lärmer: Über die Unfähigkeit der deutschen Rapszene, Selbstkritik zu üben

Im Zuge der aktu­el­len Antisemitismus-​Debatte scheint es, als wäre die deut­sche Rap­sze­ne dar­um bemüht, eine mög­lichst ober­fläch­li­che Debat­te zu füh­ren. War­um es für Künst­ler, HipHop-​Medien und Fans an der Zeit ist, end­lich selbst­kri­tisch zu wer­den, wird in die­sem Kom­men­tar erörtert.

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen, die woan­ders kei­nen Platz fin­den. Dabei kommt nicht nur die MZEE​.com Redak­ti­on zu Wort, son­dern auch ande­re Szene-​affine Per­sön­lich­kei­ten wie Rap­per, Ver­an­stal­ter oder Pro­du­zen­ten. Wer sich also mit­tei­len möch­te, soll hier auch die Mög­lich­keit haben, dies zu tun. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ent­spricht jedoch nicht zwangs­läu­fig der unse­rer Redak­ti­on – wir sehen aber eben­falls nicht die Not­wen­dig­keit, die­sen Stim­men ihren Raum zu nehmen. 

Im fol­gen­den Text beschäf­tigt sich unser Redak­teur Dani­el mit der Unfä­hig­keit der deut­schen Rap­sze­ne, in Anbe­tracht der Antisemitismus-​Debatte selbst­kri­tisch zu sein.

 

"Wenn man sagt, dass man Rap hört, stel­len sich 100 Fra­gen. Und man fühlt sich so, als wür­de 'ne Recht­fer­ti­gung erwar­tet …" – Auch wenn ich nie ein son­der­lich gro­ßer Fan von F.R. war, konn­te ich die­se Zei­le aus sei­nem Track "Rap braucht Abitur" immer recht gut nach­voll­zie­hen. Gera­de als ich vor etwa 15 Jah­ren begann, Rap zu hören, hat­te ich des Öfte­ren das Gefühl, rap­fer­nen Men­schen aus mei­nem Umfeld erklä­ren zu müs­sen, war­um ich mich denn mit "sowas" befas­sen wür­de. Denn für die meis­ten war deut­scher Rap damals wenig mehr als rum­peln­de Beats und eher mäßig anein­an­der­ge­reih­te Rei­me von ein paar Halb­star­ken, die vor­wie­gend vom Leben als "Gangs­ta", von Waf­fen, Dro­gen und Nut­ten erzählten.

Aber Rap wur­de rei­fer, vom klei­nen Nischen­gen­re zum eta­blier­ten Busi­ness. Der stüm­per­haf­te Sound von einst wich aus­ge­feil­ten Pro­duk­tio­nen. Aus jun­gen Leu­ten, die sich an Beat­pro­gram­men und dem Mikro­fon aus­pro­bier­ten, wur­den gestan­de­ne Berufs­mu­si­ker. Hohe Chart­plat­zie­run­gen ste­hen heu­te eben­so an der Tages­ord­nung wie Gold- oder sogar Pla­tin­aus­zeich­nun­gen und selbst der Feuil­le­ton kann sich der Rap­mu­sik seit eini­ger Zeit nicht mehr gänz­lich verschließen.

Mit der stei­gen­den Popu­la­ri­tät und der wach­sen­den Auf­merk­sam­keit, die Rap erhielt, ver­stan­den auch mehr und mehr Außen­ste­hen­de, was die­se Sze­ne etwa für mich haupt­säch­lich aus­mach­te: der oft rohe, direk­te Umgangs­ton Her­an­wach­sen­der, die einen kri­ti­schen Blick auf die sie umge­ben­de Gesell­schaft wer­fen. Die sozia­le und poli­ti­sche Miss­stän­de anpran­gern, das Musik­busi­ness nur zu gern als die­ses schein­hei­li­ge Gebil­de ent­lar­ven, das es nun mal ist und letzt­lich sogar dem Kapi­ta­lis­mus in gewis­ser Wei­se ein Schnipp­chen schlu­gen, wenn etwa Men­schen aus einer gesell­schaft­lich nied­ri­gen Schicht und frei von pop­in­dus­tri­el­len Struk­tu­ren mone­tä­ren Erfolg ver­bu­chen konnten.

Dafür über­trat Rap auch schon immer ger­ne Gren­zen, scho­ckier­te und pro­vo­zier­te – denn wer will, dass die eige­ne geäu­ßer­te Kri­tik auch gehört wird, der muss eben manch­mal laut sein. Nur: Wenn es dar­um geht, sich selbst und das eige­ne Han­deln zu kri­ti­sie­ren, schwei­gen die Lärmer.

Der "Report von der Stra­ße", als wel­chen jeder zwei­te Rap­per sei­ne Musik einst ger­ne bezeich­ne­te, ver­en­de­te schon immer kurz vor der eige­nen Haus­tür. Und auch die gro­ßen Namen des deut­schen HipHop-​Journalismus hal­ten sich mit tat­säch­li­cher Kri­tik in den meis­ten Fäl­len noch immer ger­ne zurück. Des­halb wer­den Dis­kus­sio­nen über Ras­sis­mus, Sexis­mus oder Homo­pho­bie im Hip­Hop hier und da zwar auf­ge­grif­fen, ver­lau­fen aber nur zu schnell auch wie­der lieb­los im Sand.

Die Pro­ble­ma­tik der man­geln­den Selbst­kri­tik zeigt sich aktu­ell nir­gend­wo so deut­lich wie in der Debat­te um Anti­se­mi­tis­mus in der Rap­sze­ne. Dabei beson­ders erschre­ckend: Wäh­rend etwa im Fal­le von Sexis­mus zumin­dest größ­ten­teils Einig­keit dar­über herrscht, dass gegen die­sen eigent­lich vor­ge­gan­gen wer­den müss­te, scheint man sich beim Anti­se­mi­tis­mus noch nicht ein­mal kol­lek­tiv sicher zu sein, ob er über­haupt in der Sze­ne gras­sie­re. Doch wer anhand all der Bei­spie­le, die sich in den letz­ten Jah­ren her­aus­kris­tal­li­sier­ten, wirk­lich dar­an zwei­felt, dass (auch) Rap ein Antisemitismus-​Problem hat, befasst sich ent­we­der nicht damit, igno­riert es bewusst oder schweigt es ganz aktiv tot.

Selbst­ver­ständ­lich ist Rap nicht der Ursprung für die fort­wäh­ren­de Juden­feind­lich­keit. Als Spie­gel gewis­ser Gesell­schafts­schich­ten gibt er teils auch nur den Anti­se­mi­tis­mus wie­der, der in der Gesell­schaft nach wie vor ver­wur­zelt ist – stel­len­wei­se jedoch aber in poten­zier­ter Form. Daher steht die Sze­ne auch nicht in der allei­ni­gen Ver­ant­wor­tung, etwas dage­gen zu unter­neh­men. Sie muss aber den­noch ent­schie­den gegen den in ihr ste­cken­den und aus ihr her­aus wir­ken­den Hass ste­hen. Ins­be­son­de­re, da Rap längst nicht mehr ein­fach nur Sprach­rohr einer per­spek­tiv­lo­sen, wüten­den Jugend ist, son­dern eben jenes Sprach­rohr im Zuge der Eigen­dy­na­mik der Sze­ne inzwi­schen auch in die ande­re Rich­tung ver­läuft. Rap­per spre­chen nicht mehr nur aus, was sie aus ihrer Jugend oder ihrem Umfeld ken­nen. Das, was Rap­per sagen, wird inzwi­schen auch von den nächs­ten Gene­ra­tio­nen und deren Umfeld adap­tiert. So wird der Anti­se­mi­tis­mus ein­zel­ner Per­so­nen durch den Mul­ti­pli­ka­tor Rap einer brei­ten Maße mani­pu­lier­ba­rer Jugend­li­cher zugänglich.

Ob ein Haft­be­fehl das Juden­tum ver­flucht (eine Zei­le, für die er sich inzwi­schen zumin­dest ent­schul­digt hat) oder immer wie­der die "Roth­schild­theo­rie" skan­diert, ein PA Sports in einem Inter­view mit dem WDR erklärt, dass das Bild von Juden als macht­hung­ri­ge Ban­ker durch­aus zutref­fe oder Farid Bangs Kör­per laut eige­ner Anga­be eben defi­nier­ter sei als der eines Auschwitz-​Insassen: Anti­se­mi­ti­sche Inhal­te haben in die­ser Sze­ne schon vie­le For­men und Gesich­ter angenommen.

Die Dis­kus­si­on um letz­te­re Zei­le Farids im Zuge der Echo-​Verleihung 2018 ist im Ange­sicht eines grund­sätz­li­chen Pro­blems letzt­lich also fast über­flüs­sig, beschreibt aber bei­spiel­haft Raps Unfä­hig­keit zur Selbst­kri­tik. Denn spä­tes­tens an die­sem Punkt müss­te die Rap­sze­ne eigent­lich inne­hal­ten, sich reflek­tie­ren und dann Kri­tik an sich selbst üben, so wie sie es seit jeher etwa mit Gesell­schaft und Poli­tik macht. Hier ste­hen jedoch nicht nur die Künst­ler in der Ver­ant­wor­tung, auch HipHop-​Medien und letzt­lich sogar die End­ver­brau­cher – also Fans und Hörer – müs­sen bereit zur Selbst­re­fle­xi­on sein. Dass dies aus­ge­rech­net in einer Sze­ne pas­siert, deren Grund­prin­zip gera­de in Teil­be­rei­chen wie dem Batt­ler­ap auf Dar­stel­lung der eige­nen Per­so­na als mög­lichst stark und über­le­gen basiert, gestal­tet das Ein­ge­ste­hen von Feh­lern aber schein­bar als recht schwie­rig, wird prin­zi­pi­ell umgan­gen und oft­mals weder von Fans noch Medi­en ernst­haft eingefordert.

So spielt etwa ein Kol­le­gah schon seit Jah­ren und auch weit abseits der Echo-​Debatte ein "Katz und Maus"-Spiel mit dem Vor­wurf des Anti­se­mi­tis­mus, ohne wirk­li­che Sank­tio­nen sei­tens sei­ner Hörer fürch­ten zu müs­sen. Und das nicht nur, weil die Ent­wick­lung sei­ner­seits fast schlei­chend geschah. Dem eins­ti­gen "Zuhäl­ter" und selbst­er­nann­ten "Boss" gelang es zu Beginn sei­ner Kar­rie­re dank krea­ti­ver Wort­spie­le und den sprach­li­chen Blu­men sei­ner Tex­te stel­len­wei­se sogar, sexis­ti­sche und homo­pho­be Zei­len inhalt­lich so auf ihre bana­le Lächer­lich­keit zu redu­zie­ren, dass sie fast selbst wie eine Kri­tik an eben­je­nen Inhal­ten anmuteten.

Irgend­wann jedoch wichen die­se – für sei­ne Art von Rap essen­zi­el­len – Spie­le­rei­en ande­ren, pro­ble­ma­ti­schen Stil­mit­teln. Wäh­rend sich Kol­le­gah zunächst zum "King" und danach zum "Impe­ra­tor" auf­schwang – auch hier ver­lieh er sich bezie­hungs­wei­se sei­nen Alben bei­de Titel wie­der selbst – sprach er in sei­nen Tex­ten nun immer öfter von Din­gen wie "jüdi­schem Zins­satz" und von der Rothschild-​Familie. Das mehr als 13-​minütige Video zu "Apo­ka­lyp­se" erscheint in sei­ner Gesamt­heit als anti­se­mi­ti­sches Mani­fest, in wel­chem Kol­le­gah – inspi­riert von Tex­ten des rech­ten Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kers Fritz Speng­mei­er – die Wur­zel allen Übels bis hin zu 13 (jüdi­schen) Fami­li­en ver­folgt, die dem Teu­fel selbst unter­ste­hen sol­len. Dies wird im Video dann sogar durch einen Teu­fel in Men­schen­ge­wand samt Ring mit David­stern ver­bild­licht. Erst, als der Prot­ago­nist die Welt von die­sem Übel befreit, kön­nen "Chris­ten, Mos­lems und Bud­dhis­ten" wie­der in Frie­den mit­ein­an­der leben.

Wirk­lich ent­kräf­ten woll­te Kol­le­gah die­se Vor­wür­fe schein­bar nie. Zwar gab es von ihm in Rich­tung des Zen­tral­rats der Juden das Ange­bot für ein klä­ren­des Gespräch, ein Ende ent­spre­chen­der Zei­len schien damit jedoch nicht ver­bun­den. Statt­des­sen wur­den mit meist recht faden­schei­ni­gen Mit­teln ledig­lich Fans und HipHop-​Medien beschwich­tigt, die die angeb­li­che Wider­le­gung des Anti­se­mi­tis­mus­vor­wurfs ger­ne annah­men. Ein Bei­spiel dafür ist das "Gespräch" mit Shahak Shapi­ra und Kat Kauf­mann: die reins­te Far­ce, in wel­cher die Schrift­stel­le­rin und der durch ein paar semi­lus­ti­ge Tweets bekannt gewor­de­ne Sati­ri­ker mit jüdi­schen Wur­zeln auf Kol­le­gahs Tour "ein­ge­la­den" wur­den. Umringt von der Stiernacken-​Entourage des Rap­pers soll­te in unter einer Stun­de über die Vor­wür­fe gere­det wer­den, wobei auch hier wie­der die Selbst­dar­stel­lung Kol­le­gahs obers­te Prio­ri­tät zu haben schien. Das hier­bei noch nicht ein­mal der Ansatz einer Dis­kus­si­on zu Stan­de kom­men konn­te, dürf­te von Anfang an klar gewe­sen sein.

Vor­wür­fe sei­tens BILD oder der Welt stell­te Kol­le­gah in Fol­ge als einen aus dem Kon­text geris­se­nen Ver­such der Mani­pu­la­ti­on dar. Er rede­te davon, dass hier ver­sucht wür­de, Hip­Hop zu zen­sie­ren, und for­der­te dann allen Erns­tes die deut­schen Medi­en dazu auf, man sol­le statt­des­sen über The­men wie "Piz­zaga­te" berich­ten. Hier passt gera­de letz­te­res wun­der­bar in die ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­sche Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie des Rap­pers. Zur Erklä­rung trifft er dabei Aus­sa­gen wie, dass der David­stern aus "Apo­ka­lyp­se" eigent­lich ein Hexa­gramm sei und die in sei­nem Video­state­ment zur angeb­lich zwei­fel­haf­ten Bericht­erstat­tung öffent­li­cher Medi­en gezeig­te Kari­ka­tur eines Juden gar nicht von ihm selbst ein­ge­fügt wur­de, son­dern jemand ande­res das Video für ihn erstellt habe. Das Gan­ze bewegt sich so erschre­ckend nah an "twit­tern­den Prak­ti­kan­ten" und "mausgerutscht"-Erklärungsversuchen, dass man sich fra­gen muss, wer hier wirk­lich befrie­di­gen­de Argu­men­te fin­den wollte.

Doch die Bereit­schaft vie­ler HipHop-​Medien, sich damit zufrie­den­zu­ge­ben und das Pro­blem ad acta zu legen, war schon immer unge­mein groß. Der Grund dafür ist recht klar – wenn auch nicht unbe­dingt ver­ständ­lich: Wäh­rend Maga­zi­ne wie ALL GOOD oder wir von MZEE​.com unse­re Arbeit größ­ten­teils ehren­amt­lich leis­ten und es uns daher erlau­ben kön­nen, kri­tisch und vor allem unab­hän­gig zu berich­ten, sind ande­re Maga­zi­ne mone­tär dar­an gebun­den, sich mit Künst­lern gut zu stel­len. Die Kün­di­gung der Zusam­men­ar­beit durch einen Künst­ler kann hier­bei direk­te Aus­wir­kun­gen auf die Ein­nah­men einer Sei­te haben.

Nir­gend­wo macht sich dies deut­li­cher bemerk­bar, als im Tun und Han­deln der lau­tes­ten und ein­fluss­reichs­ten Stim­me bei Hip​hop​.de: Rooz Lee. Mit gefühlt 90 Pro­zent der Sze­ne ver­wandt, ver­brü­dert oder befreun­det, wun­dert es fast, dass der Mode­ra­tor und Selbst­in­sze­nie­rer in den von ihm geführ­ten Inter­views nicht schwebt – so bemüht ist er dar­um, kei­nem Künst­ler auf die Füße zu tre­ten. Kri­ti­sche Fra­gen fin­den sich in kei­nem sei­ner Inter­views. Wenn es tat­säch­lich mal um unbe­que­me Inhal­te geht, ist Rooz so lan­ge dar­um bemüht, zu rela­ti­vie­ren und dem Inter­view­part­ner argu­men­ta­ti­ve Schlupf­lö­cher zu bie­ten, bis man sich end­lich The­men wie Album­re­leases, Ver­kaufs­zah­len oder irgend­was mit Fler zuwen­den kann.

Unter sein Video zum Echo, das vor allem dazu dient, halb­ga­re, fast lus­ti­ge Kom­men­ta­re über für die Debat­te irrele­van­te Bei­sit­zer wie Julia Engel­mann oder Cam­pi­no zu machen, schreibt Rooz in einem Kom­men­tar: "Es soll­te jedem klar sein, dass Anti­se­mi­tis­mus und jede Art von Aus­gren­zung das Letz­te sind! Vor allem in der Hiphop-​Szene! Die Line ist nur ein ekli­ger Spruch im Rah­men eines Battle-​Songs, egal. Aber über anti­se­mi­ti­sche Ein­stel­lun­gen und Kli­schees muss gespro­chen wer­den! Das pas­siert nicht, indem man Rap­per auf eine Büh­ne stellt und aus­buht, um die Quo­te mit­zu­neh­men, aber trotz­dem sau­ber da zu ste­hen." [sic!]

Beson­ders die­ses "egal", mit dem hier ver­sucht wird, die bei­den Künst­ler argu­ment­los von der Dis­kus­si­on zu lösen, zeigt, wie wich­tig es den Betei­lig­ten zu sein scheint, den Fokus der Debat­te von den pro­ble­ma­ti­schen Künst­lern weg­zu­be­we­gen. Statt­des­sen wid­met man sich lie­ber der Dar­stel­lung des Echos als "böser Strip­pen­zie­her" eines insze­nier­ten Skan­dals gegen zwei Rap­per und damit die Gesamt­heit von Hip­Hop in Deutsch­land. Batt­ler­ap über­schrei­tet hin und wie­der Gren­zen, ja. Hin und wie­der ver­su­chen Künst­ler aus­zu­lo­ten, wie weit sie gehen kön­nen. Und nicht jede Zei­le, die im Kon­text eines Batt­les oder Tracks gerappt wird, ist auch direkt so zu ver­ste­hen, wie es auf den ers­ten Blick scheint. Den­noch kann und darf das Eti­kett "Batt­ler­ap" nie­mals ein Frei­brief dafür sein, sich anti­se­mi­tisch äußern zu dür­fen – EGAL, wie der Ein­zel­ne die Zei­le meint oder versteht.

Ähn­lich scheint es auch im Fal­le von rap​.de zu sein. Anders kann ich mir nicht erklä­ren, wie Chef­re­dak­teur Oli­ver Mar­quart in sei­nem Kom­men­tar ernst­haft der Mei­nung sein kann, es gin­ge in der Echo-​Debatte nicht um Anti­se­mi­tis­mus. Es mag zwar zutref­fen, dass sich die Echo-​Veranstaltung bereits in den Vor­jah­ren nicht mit Ruhm bekle­cker­te, wenn sie frag­wür­di­ge Künst­ler wie Xavier Naidoo oder Frei.Wild gas­tie­ren ließ – die Kri­tik an einer Text­zei­le, die das Andenken an sechs Mil­lio­nen zu Unrecht inhaf­tier­ter und sys­te­ma­tisch ermor­de­ter Men­schen zu Guns­ten eines eher mäßi­gen Ver­gleichs ins Lächer­li­che zieht, ist den­noch in jedem Fall legi­tim. An die­ser Stel­le zu mut­ma­ßen, die gan­ze Debat­te wür­de sich nur um den mus­li­mi­schen Glau­ben der bei­den Rap­per dre­hen, scheint so bewusst die gesam­te Vor­ge­schich­te Kol­le­gahs mit Vor­wür­fen anti­se­mi­ti­scher Inhal­te zu igno­rie­ren, dass man letzt­lich fast glaubt, es gin­ge Mar­quart eher dar­um, sich gegen die spieß­bür­ger­li­che Echo-​Verleihung zu posi­tio­nie­ren, als das wirk­li­che Pro­blem anzusprechen.

HipHop-​Medien ste­hen aller­dings nicht allein mit ihren Ver­su­chen der Rela­ti­vie­rung. Fans wie Künst­ler­kol­le­gen von Kol­le­gah und Farid Bang bemü­hen sich mit Kräf­ten dar­um, die haar­sträu­bends­ten Gegen­ar­gu­men­te und Ver­glei­che auf­zu­fah­ren. Dabei wer­den nicht nur so absur­de und kom­plett irrele­van­te Aus­sa­gen auf­ge­führt, wie die Fra­ge, war­um man hier Kri­tik an Rap her­an­tra­gen wür­de, wäh­rend Seri­en wie "South Park" wei­ter­hin im Fern­se­hen lie­fen. Die ver­zwei­fel­te Suche nach einem Whataboutism-​Gegenargument bringt vor allem immer wie­der die Fra­ge her­vor, war­um der­ar­ti­ge Zei­len kri­ti­siert wer­den wür­den, wäh­rend sich meh­re­re ande­re Zei­len auf der Plat­te ja auch gegen Flücht­lin­ge und Syrer wen­de­ten. Die Vor­stel­lung, dass man zwei Rap­per vom Vor­wurf anti­se­mi­ti­scher Text­zei­len rein­wa­schen möch­te, indem man argu­men­tiert, dass die bei­den doch auch genug ander­wei­tig ras­sis­ti­sche Kli­schees bedie­nen wür­den, wirkt abseits jeder Rea­li­tät. So abseits, dass man sich fragt, ob es in der brei­ten Rap­mas­se über­haupt noch mora­li­sche Stan­dards gibt oder man alles zuguns­ten von ein paar schlech­ten Lachern über Bord wirft, um sich nie wie­der mit inter­ner Kri­tik beschäf­ti­gen zu müssen.

Den pein­li­chen Höhe­punkt die­ser Far­ce erreicht die Reak­ti­on der Rap­sze­ne, als man sich nun ver­bün­det gegen die Geis­sens stellt. Eine Trash-​TV-​Familie, die für Rap nie­mals rele­vant war und höchs­tens mal als Opfer der ein oder ande­ren schlech­ten Batt­le­zei­le von Farid Bang dien­te, äußert sich in für sie gewohnt hirn­lo­ser Manier und mit ras­sis­ti­schen Aus­sa­gen zu einer Debat­te, zu wel­cher sie weder Bezug hat, noch irgend­was Sinn­vol­les bei­tra­gen kann. Im Grun­de also etwas, was man in Hin­blick auf das ernst­haf­te Pro­blem des Anti­se­mi­tis­mus in der Sze­ne igno­rie­ren könn­te. Und doch ist es die Chan­ce für vie­le Fans von Kol­le­gah und Farid Bang oder ande­re Rap­per, sich jetzt ein­schal­ten und gleich­zei­tig einen gro­ßen Bogen um das Antisemitismus-​Thema machen zu kön­nen. End­lich kann sich Rap wie­der in der Opfer­rol­le sehen, weil er auf­grund von Vor­ur­tei­len und Kli­schees von Leu­ten atta­ckiert wird, die Rap nicht ver­ste­hen. End­lich kann Rooz sich bald wie­der wich­ti­gen The­men im Hip­Hop zuwen­den und Kol­le­gah und Farid Bang Respekt für ihre Ver­kaufs­zah­len zollen.

Es gab sie zwar zwei­fel­los in die­ser Debat­te, die Stim­men aus dem Hip­Hop, die sich gegen anti­se­mi­ti­sche Aus­sa­gen diver­ser Rap­per stell­ten – doch dass man dies wirk­lich als etwas Anzu­er­ken­nen­des erwäh­nen muss, da es kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit ist, ver­deut­licht nur umso mehr, wie fern­ab von Selbst­kri­tik vie­le Betei­lig­te der Rap­sze­ne den­ken. Mehr so selbst­re­flek­tie­ren­de und kri­ti­sche Stim­men wären extrem wich­tig und wün­schens­wert, um eine Bes­se­rung inner­halb des HipHop-​Kosmos zu schaf­fen. Aktu­ell erklin­gen sie jedoch noch viel zu sel­ten und zu lei­se. Und so wer­den nicht nur die Aus­sa­gen von übli­chen Ver­däch­ti­gen wie der Anti­lo­pen Gang, Staiger in sei­nem noisey-​Artikel oder Retro­gott in sei­nem lesens- und ver­brei­ten­swer­ten State­ment zur Wei­ge­rung von Rap, sich sein Pro­blem ein­zu­ge­ste­hen, wenig Wir­kung zei­gen. Auch der kürz­lich ver­öf­fent­lich­te Arti­kel von Toxik, der zwar reflek­tiert und kri­tisch ist, sich aber den­noch bemüht, eine Legi­ti­ma­ti­on für die Ver­tei­di­gungs­hal­tung der Sze­ne zu fin­den, ist ledig­lich ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein.

Es wäre deut­lich sinn­vol­ler und ziel­füh­ren­der, wenn nicht Außen­ste­hen­de über den Anti­se­mi­tis­mus inner­halb unse­rer Sze­ne dis­ku­tie­ren wür­den, son­dern eben wir, die sich tatgtäg­lich mit dem Mikro­kos­mos Rap beschäf­ti­gen. Doch solan­ge die­se Selbst­kri­tik im Groß­teil der Sze­ne nicht statt­fin­det, kann und wird sich nichts ver­än­dern. Spä­tes­tens in ein paar Wochen beweist Rap dann aufs Neue, nicht nur auf dem anti­se­mi­ti­schen, dem ras­sis­ti­schen, dem homo­pho­ben, dem sexis­ti­schen – letzt­lich also auf jedem für Rap pro­ble­ma­ti­schen – Auge blind zu sein. Son­dern auch, wie schlecht sein Erin­ne­rungs­ver­mö­gen in sol­chen Fäl­len ist, wenn die gesam­te Dis­kus­si­on wie­der ver­ges­sen wurde.

Und ich fra­ge mich wäh­rend­des­sen, ob es nicht an der Zeit ist, nicht mehr nach Argu­men­ten zu suchen, die ande­ren erklä­ren, war­um ich mich noch immer mit Rap befas­se, son­dern mir all­mäh­lich Gedan­ken dar­über zu machen, wie ich das vor mir selbst noch rechtfertige.

(Text und Gra­fik von Dani­el Fersch)