In 89 Minuten kann man viel erleben. Man kann es sich für einen ganzen Spielfilm vor dem Fernseher gemütlich machen, von Hamburg nach München fliegen oder fast ein ganzes Fußballspiel gucken. Oder man führt mal eben ein "kurzes" Interview mit einem netten jungen Herren namens Kico, der nicht müde wird, Gegenfragen zu stellen und kurze Fragen mit seitenlangen Monologen zu beantworten. So erging es mir kürzlich – und das, obwohl ich zu Beginn schon darauf hinwies, dass das Interview am besten "nicht länger als 30 Minuten" gehen sollte. Pustekuchen. Das Gute daran: Das einzige Interview, das der Kasseler Rapper zu seinem neuen Album "Grand Line" gab, handelt so ziemlich alle Themen ab, die man sich nur wünschen kann. So sprachen wir nicht nur über die aktuelle Platte, sondern auch über die kommende Generation und möglicherweise anstehende Spaltung der deutschen Rapszene. Es ging um Animes – titelgebend für "Grand Line" –, schlechte Albumtitel-Ideen, aktuelle Battlerapformate und Kicos Anfänge des Rap-Hörens und -Machens. Und zu guter Letzt kamen auch Rap-ferne Themen wie die anstehende Bundestagswahl, Heimat-Verbundenheit sowie das Thema Reisen zur Sprache.
Prolog.
Kico: Bevor wir anfangen, möchte ich dich gerne etwas fragen … Ist es nicht derbe lästig, das Interview hinterher abzutippen?
MZEE.com: (lacht) Ernsthaft gemeinte Frage?
Kico: Ja. Lass uns doch einfach die Aufnahme als Audio-Interview hochladen. Dann hast du gar keine Arbeit mehr.
MZEE.com: Das haben wir vor Jahren tatsächlich so gemacht. Und es war richtig nervig: Du hast alle Außengeräusche mit auf der Aufnahme und kannst keinen Unsinn während dem Interview machen, weil man später alles hört. Das nimmt einem die Freiheiten, die man durch die Transkription ja bewusst hat. Und dann arten manche Themen aus und man muss alles neu zusammenschneiden … (überlegt) Aber – um deine Frage wirklich zu beantworten: Ja, ich hasse Interviews abtippen.
Kico: Wie lange dauert das denn? Das Interview mit Pimf ging ja zum Beispiel schon etwas länger.
MZEE.com: Ja, das ging 47 Minuten.
Kico: Und wie lange tippt man da?
MZEE.com: Mal drei. Und dann lese ich es noch circa vier Mal, um es zu kürzen … Warum interviewst du mich eigentlich gerade? Was ist denn hier los?!
Kico: (lacht) Ich hab' mein Diktiergerät schon an!
MZEE.com: Lass uns mit einem kleinen Gedankenspiel beginnen. Du hast kürzlich einen Track namens "Kein Bock" veröffentlicht. Wenn du dir mal die aktuelle Lage der deutschen Rapszene vornimmst: Auf welches Thema hast du zurzeit gar keinen Bock mehr?
Kico: Es gibt eigentlich keine bestimmte Thematik, die mir im Deutschrap auf den Sack geht – mir gehen mehr die Leute selbst auf den Sack. Mich nervt diese extreme Selbstdarstellung von vielen. Und das mittlerweile jeder Schwanz rappt. Viele drehen die heftigsten Hollywoodfilme, aber treffen den Takt noch nicht mal. Ich glaube, vor einigen Jahren hat man noch mehr geübt, bevor man sich gezeigt hat. Irgendwie ist das generell so mit der Generation, die jetzt heranwächst: Like-geil, jeder muss sich zeigen und viele Leute hinterfragen sich dabei gar nicht. Denen ist irgendwie nichts peinlich. Vielleicht hat das mit der Rapszene an sich aber weniger zu tun …
MZEE.com: Das hat schon etwas damit zu tun. Im Endeffekt stellt sich doch die Frage, ab wann man Teil der Szene ist. Vermutlich ist jeder, der rappt, schon Teil der Szene – vor allem, wenn die Leute sich selber dem Ganzen auch zuordnen.
Kico: Es gibt halt viele Leute, die zwar rappen und Aufmerksamkeit bekommen, aber zum Beispiel keine Auftritte haben und in der Rapszene auch gar nicht stattfinden. Die rappen dann halt in ihrem Parallel-Universum. Ich bin auch nicht der krasseste Szene-Typ, aber durch die vielen Auftritte in den letzten Jahren habe ich mich automatisch mehr darin bewegt.
MZEE.com: Vor kurzem wurde in einer Diskussion folgende These aufgestellt: "In zehn Jahren wird es die alte HipHop-Szene mit ihren Werten und vier Elementen nicht mehr geben, da sich nach und nach alles Richtung Mainstream entwickelt." Wie siehst du das?
Kico: Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Szene weiter in Richtung Mainstream entwickelt. Und dennoch denke ich, dass es die anderen, alten Kreise auch immer geben wird. Ich glaube, die Leute, die jetzt plötzlich ohne jeglichen Hintergrund Rap hören und machen, werden sich gar nicht erst in diese Kreise bewegen. Die machen Videos für ihren YouTube-Channel, um irgendwen zu unterhalten. Die alte Szene kann sich davon schon ein Stück weit abkapseln. Ich denke nicht, dass es in dem Bereich irgendwann nichts mehr gibt – es gibt immer noch Leute, die sprayen und tanzen. Und denen die Werte wichtig sind. Ich denke, dass dadurch gewisse Sachen auch erhalten bleiben.
MZEE.com: Ich glaube, dass es sich noch sehr viel stärker spalten wird. In verschiedenste Subgenres, von denen manche Wert auf dieses HipHop-Ding legen und andere keine Ahnung haben, wovon wir hier eigentlich reden.
Kico: Das siehst du ja auch jetzt schon: Labels, die Mainstream auffahren und bei denen es mehr um Unterhaltung als um die Mucke oder gar irgendwelche Werte dahinter geht. Da gibt es dann vor Release zig Promoblogs: "Ich verkaufe mich, bin ein lustiger Typ. Guck mal: Ich hab' hier einen witzigen Post. Ach und nicht vergessen: Mein Album kommt." Kommt halt drauf an, wie man sich selber platzieren möchte. Ich hab' bei meinem neuen Album zum Beispiel auf Blogs und sowas bewusst verzichtet und einfach nur Mucke gemacht. Der Rest sollte in der Musik auch nicht so wichtig sein wie das Produkt, was man am Ende hört.
MZEE.com: Wo du gerade dein neues Album ansprichst: Warum hast du so lange gebraucht, um mit einer neuen Platte nachzulegen? Was ist nach "Reboot" passiert und dachtest du zwischenzeitlich daran, nie wieder ein Album zu droppen?
Kico: Ja, daran dachte ich auf jeden Fall. Die Antwort darauf gibt es witzigerweise in meinem Booklet. (grinst) Es gab echt eine Phase, in der ich nicht mehr geglaubt hab', dass ich nochmal release. Mich hat meine Beziehung damals ziemlich aus der Rap-Sache rausgerissen. Am Anfang der Beziehung war ich viel Rap-mäßig unterwegs. Doch mit der Zeit habe ich mich sehr zurückgenommen. Ich war mehr zu Hause, hab' anderweitig gearbeitet und den Fokus nicht mehr auf die Musik gelegt. Eigentlich hatte ich aber immer Bock drauf. Als ich mich dann getrennt hab', hatte ich plötzlich wieder das Gefühl, das ich ursprünglich hatte. Ich war ziemlich gefickt, als meine Beziehung auseinander gegangen ist und ich hatte den Drang, das irgendwie rauszulassen. Darum sind auf meinem Album auch viele nachdenklichere Songs … Vor einem dreiviertel Jahr kam dann irgendwie ganz schnell eins zum anderen: Die Partnerin war weg, ich hatte wieder Zeit und total Bock, Mucke zu machen. Jetzt bin ich wieder dabei und hab' richtig Spaß dran.
MZEE.com: Wo liegt der größte Unterschied zwischen "Reboot" und deinem neuen Album?
Kico: "Reboot" war halt ein Tape. Ich würde behaupten, das neue Album ist in allen Belangen reifer und vom Sound her einheitlicher, weil ich den Großteil mit dem gleichen Produzenten gemacht hab'. Zwei Ausreißer sind ein bisschen trappiger angehaucht. Aber ansonsten haben viele Tracks knallende Drums und sind HipHop-lastig … (überlegt) Grundsätzlich hatte ich halt auch keinen Bock auf Theater-Entertainer-Rap, den es auf "Reboot" noch mehr gab. Ich wollte einfach was machen, von dem man sagen kann: "Ich nehm' den für voll." – Egal, ob man was damit anfangen kann oder nicht. Das ist Mucke, die ernst genommen werden soll. Nicht jeder Track ist verkopft und voll negativer Laune. Aber grundsätzlich ist der Ton ein bisschen ernster als früher und ich glaube, dass man mir das auch abnehmen kann.
MZEE.com: Dein neues Album trägt den Titel "Grand Line" – handelt es sich dabei um eine Anspielung auf die Animeserie "One Piece"?
Kico: Ja, genau.
MZEE.com: Ich bin bei meiner Recherche auf ein Anime-Wiki gestoßen und da stand, dass es sich bei der "Grand Line" um eine Meeresroute handelt. Kannst du mir kurz erklären, worum es dabei genau geht und warum du diesen Titel für dein Album gewählt hast?
Kico: Letzten Endes hatte ich mehrere Arbeitstitel. Ich hab' Jonas (Pimf, Anm. d. Red.) zwanzig Titel von meiner Liste vorgelesen, aber den nicht. Irgendwann guckt er in das Dokument auf meinen Rechner und sieht "Grand Line": "Das ist ja geil! Was ist das denn?!" Und ich hab' gesagt: "Ja, das ist aus One Piece … Das ist der Name der Meeresroute, auf der die Piraten entlang reisen." Jonas fand den Titel cool und ich dachte mir: "Eigentlich ist der schon geil – und ich hab' 'nen Bezug dazu." Und den kann man halt ganz gut auf mich übertragen – indem die Grand Line dafür steht, dass ich mit dem Mucke machen wieder eine Linie für mich gefunden hab'.
MZEE.com: Möchtest du mir den schlechtesten Album-Titel von deiner Liste verraten?
Kico: (lacht) Ein Titel war zum Beispiel "Vier von fünf".
MZEE.com: Wieso denn das?!
Kico: Das sollte sagen: Ist gut, aber nicht perfekt. (beide lachen) Dann könnte man sich denken: Der Typ ist wenigstens ehrlich, er weiß, da ist noch Potenzial. (grinst) Da habe ich mir dann aber selber gedacht, dass ich das nicht bringen kann …
MZEE.com: Ich hab' mir dein Cover gestern mal genauer angesehen. Wo wurde das aufgenommen – in New York?
Kico: Ja, das Foto hab' ich selber geschossen. Auf dem Cover siehst du oben die Brooklyn Bridge. Und guckst du geradeaus, blickst du auf Manhattan – bist aber in Brooklyn … Ich fand das Bild ganz cool, wie der Junge da auf der Straße Schnee schippt. Ich hatte für das Cover mehrere Entwürfe. Aber sie sind nicht das geworden, was ich mir vorgestellt hab'. Am Ende hab' ich dann das Foto von meiner New York-Reise gefunden und dachte mir: "Ja, warum nicht? Sieht doch gut aus."
MZEE.com: Andere machen ein riesiges Konzept, überlegen sich: "Okay, was muss da drauf? Wo können wir hin, um so ein Foto zu machen? Der Titel muss sich von irgendwas ableiten lassen …" Und du so: "Der Titel war in 'nem Word-Dokument, hat Pimf gefunden, und das Foto war in meinem Foto-Ordner und sah am besten aus." (beide lachen)
Kico: Am Anfang wollte ich ein Cover machen, das wegen dem Titel eine Affinität zu Animes hat. Aber das sah so Kinderbuch-mäßig aus und hat einfach nicht seriös gewirkt. Sondern so, dass man denken könnte: "Okay, was ist das denn für ein Kinderhörspiel?" Dann gab's noch einen anderen Entwurf: Wegen Grand Line dachten wir, wir nehmen einen U-Bahn-Plan und machen die Linien schnörkelig übereinander. Ich fand das Ergebnis in Ordnung, aber wirklich geil war es halt nicht. Und dann dachte ich, wenn eh schon alles so persönlich ist, dann guck ich mal, ob ich irgendein gutes Foto geschossen hab'. Und das fand ich irgendwie cool.
MZEE.com: Lass uns mal über das Zitat von dir sprechen: "Ich rapp' seit zehn Jahren, vielleicht ein Fehler – denn: Wenn Rap nicht mein Weg ist, kam ich durch Rap von meim Weg ab!" – Es ist kein Geheimnis, dass du nach dem Abitur keine Ausbildung und kein Studium gemacht hast, sondern als Lebenskünstler mit Rap und Jobs unterwegs bist. Ist das ganze "den richtigen Weg finden" – auch beruflich gesehen – ein Thema für dich?
Kico: Beruflich gesehen war das in meiner letzten Beziehung ein ganz großes Thema. Für mich ist ziemlich klar, dass ich keine Ausbildung machen werde. Es sei denn, ich sehe den absoluten Sinn darin. Ich würde aber keine Ausbildung machen, nur um eine gemacht zu haben. Oder studieren, um die Zeit rumzukriegen. Ich muss schon das Gefühl haben: Das ist absolut das, was ich machen will. Es ist so, dass ich eigentlich ziemlich locker mit meiner Situation umgehe. Ich muss mit mir selber klarkommen und hab' einfach Bock, was aus mir zu machen. Und Mucke ist halt das, was ich gerade leidenschaftlich, aber auch mit Fleiß mache. Wenn ich irgendwann merke: Das ist jetzt doch einfach nur ein Hobby – dann ist es eben nur ein Hobby. Und dann versuche ich, mich in einer anderen Sache zu verwirklichen. Ich denke, dass da die Selbstständigkeit mein Weg ist. Nach der Schule war ich schon direkt selbstständig. Klar hätte ich auch was anderes machen können, aber ich bin in diverse Sachen so reingerutscht und hab' versucht, selber mein Ding zu machen. Und das werde ich, glaube ich, mein ganzes Leben so machen.
MZEE.com: Was sagen denn Eltern zu einem Kind, das meint: "Einen geraden Lebensweg werde ich niemals gehen"?
Kico: Na ja, ich sag' ja nicht, ich werde keinen geraden Lebensweg gehen. Es heißt ja nur, dass der Weg ein gewisses Risiko mit sich bringt. In Deutschland ist man halt sehr sicherheitsorientiert – und das bin ich einfach gar nicht. Ich will heute nicht darüber nachdenken, was in 50 Jahren mal ist. In 50 Jahren ist eh alles anders, als es heute propagiert wird. Ich versuche, alles zu machen, dass das was ich mir vornehme, klappt. Aber wenn es nicht hinhaut, sitze ich nicht heulend in der Ecke. Mein Umfeld kommt eigentlich ziemlich gut damit klar. Mein Vater findet das zum Beispiel nur geil – der hat selbst keine Ausbildung gemacht, aber mittlerweile ein sehr großes Unternehmen am Laufen. Er supportet mich da nur und sagt: "Ja, geh deinen Weg!" Meine Mutti ist da ein bisschen konservativer – aber sie steht dahinter. Ich habe aber auch nie nach Geld gebettelt oder so. Sie haben gesehen, dass ich klarkomme und versuche, was zu erreichen. Und dann ist doch alles in Ordnung … Ich verurteile auch niemanden dafür, der das anders macht. Wenn jemand einen herkömmlicheren Weg geht, finde ich das auch völlig in Ordnung. Aber ich mag es nicht, wenn ich dafür verurteilt werde, dass es bei mir halt nicht so ist.
MZEE.com: Hast du das Gefühl, dass vielleicht noch was vollkommen anderes auf deinem Weg auf dich wartet?
Kico: ich kann mir das schon vorstellen, aber das steht in den Sternen. Ich bin der festen Meinung, wenn du Kontakte pflegst und dich bei dem, was du machst, gut anstellst, wird dir immer irgendwo eine Tür offenstehen. Es gibt immer wieder Leute, die über tausend Umwege in ihren Berufen landen. Nicht, weil sie eine Ausbildung dafür gemacht haben. Vielleicht ist es auch was ganz anderes, als sie geplant haben, aber sie sind trotzdem happy mit ihrer Situation. Vielleicht sogar glücklicher als sie mit dem geworden wären, was sie eigentlich studiert haben … Ich glaube, wenn man ein bisschen furchtlos ist und die Sachen einfach angeht, kann einen nichts so schnell bremsen.
MZEE.com: Im Zuge meiner Recherche habe ich auch gesehen, dass du vor einiger Zeit immer wieder kleine Comedy-artige Clips auf Facebook veröffentlicht hast.
Kico: (lacht) Ja.
MZEE.com: Da habe ich mich gefragt, ob du dir auch vorstellen kannst, mal in eine ganz andere künstlerische Richtung zu gehen?
Kico: Das kommt drauf an. Ich hab' schon Bock auf solche Sachen, aber das müsste man halt von Rap trennen. Ich würde das nicht mehr so krass vermischen. Wenn ich diese Mucke ernsthaft betreiben will, finde ich es schwierig, sich hinzustellen und gleichzeitig Stand-Up zu machen. Wenn ich aber sage, das eine Kapitel funktioniert nicht und gibt mir nichts mehr – dann könnte ich mir durchaus vorstellen, andere Sachen zu machen. Auch sowas. Aber die Videos, die du da gesehen hast, sind schon drei oder mehr Jahre alt. Da liegt auf jeden Fall gerade kein Fokus drauf. (grinst)
MZEE.com: Apropos andere künstlerische Richtung: Dazu gehörte vor ein paar Jahre auch deine Teilnahme an diversen Battleformaten. Du hast ja recht abrupt damit aufgehört. Vermisst du das Battlen manchmal?
Kico: Grundlegend ja. Ich würde so ein Battle auch noch mal machen. Aber wenn, dann nur einmal. Und mich nicht wieder in einen Turnierablauf begeben. Manchmal denke ich schon noch dran. Ich hatte viel Spaß dabei und weiß, dass ich das kann – ich hab' das ja tausend Mal gemacht … Ja, ich vermisse das schon manchmal ein bisschen. Und trotzdem finde ich es ganz wichtig, mich davon zu lösen. Weil ich in vielen Augen und Ohren immer noch nur der Battlerapper bin – was ja auch logisch ist, nach so einer intensiven Zeit. Es ist für mich aber jetzt erstmal wichtig, dass ich meine Mucke an den Start bringe und nicht so viel Kram drumherum mache.
MZEE.com: Wie nimmst du den Stand der deutschen Battleszene heute war, wenn du von außen einen Blick drauf wirfst – sei es online oder die Live-Acapella-Formate?
Kico: Das Acapella-Format meinte ich damit – wenn ich überhaupt nochmal wo battlen würde, würde ich zu so einem gehen. Internet-Battle-Formate sind einfach tot für mich. Das reizt mich persönlich nicht mehr. Und bei den Acapella-Formaten hab' ich das Gefühl, dass die ihre Sache schon echt gut machen und das Niveau da recht hoch ist.
MZEE.com: Wo wir bei der Vergangenheit sind: Kannst du mir mal von deinen Rap-Anfängen erzählen? Wie bist du in einer Stadt wie Kassel dazu gekommen, zu rappen?
Kico: (lacht) Wie ist denn Jonas in einer Stadt wie Hofgeismar dazu gekommen, zu rappen …?! Es gab ja damals Camps wie Optik und Aggro. Ich war mehr der Aggro-Junge. Ich hab' einfach Aggro- oder Bushido-Sachen gehört, mir ein paar Beats runtergeladen und drauf losgeschrieben. Ich hab' mit ein paar Kumpels aus Spaß einfach rumgerappt, bin ein bisschen akribischer drangeblieben und hab' nach der Schule jeden Tag ein oder zwei Songs gemacht. Ich hab' bestimmt eineinhalb Jahre mit dem Headset gerappt, bis ich mir mein erstes Mikrofon gekauft hab'. Ich konnte mein Headset perfekt abmischen, echt den bestmöglichen Sound rausholen. Und dann bin ich öfter auf Veranstaltungen gelandet. Wie das damals so war, gab es DEN Rapper in jedem Freundeskreis. Heutzutage ist das wahrscheinlich jeder zweite. (lacht) Heutzutage ist jeder Freundeskreis schon ne Crew!
MZEE.com: Und wer war dein Lieblingsrapper in deinen ersten Jahren als Rap-Konsument?
Kico: Ich hab' ganz klassisch Eminem gehört und, was Deutschrap angeht, war es wahrscheinlich Bushido. "Vom Bordstein bis zur Skyline" ist für mich auf jeden Fall eines der besten Deutschrap-Alben. Das war halt was völlig Neues. Wahrscheinlich hat mich irgendwas daran fasziniert. Dann hab' ich schnell angefangen, selber zu schreiben.
MZEE.com: Das geht aber vielen in dem Alter so … Verfolgst du denn heute noch jeden Tag, was in der deutschen Rapszene so geht?
Kico: Ich bin in der Regel schon auf dem neusten Stand. Und wenn wir zu Auftritten fahren, machen wir oft Rap-Quizes. Eigentlich müsste ich mittlerweile ziemlich erfahren sein, was Rap-Themen angeht, weil wir uns richtig viel darüber austauschen. Aber wenns rein ums Musik hören geht, hör ich mittlerweile viel mehr Ami- als Deutschrap. Das war früher genau umgekehrt. Heute gibt mir Amirap mehr, was die Inspiration angeht – von den Amis kann man sich irgendwie viel mehr abgucken. Ich mein', ich höre heute J. Cole-, Logic- oder Skepta-Alben an – was ich früher nie gemacht hätte. Da hatte Jonas schon 'nen großen Einfluss auf mich. Der ist ja ne laufende Plattenkiste …
MZEE.com: Kommen wir mal auf ein anderes Thema zu sprechen: Ich rede in fast jedem Interview kurz mit dem Künstler über Politik. Ehrlich gesagt habe ich lange nachgedacht und konnte mich nicht dran erinnern, dass du dich je öffentlich politisch geäußert hättest. Stimmt das oder habe ich da etwas übersehen?
Kico: Nee, da hast du tatsächlich etwas übersehen. Ich glaub', ich hab' mich mal politisch in einem Facebook-Post geäußert. Aber ich muss dazu sagen: Ich hab' mich nur selten mal seriös geäußert. (beide lachen) Ich bin meistens sehr sarkastisch und kann anhand der Antworten auch aussortieren, wer den Sarkasmus checkt und wer wohl eher nicht.
MZEE.com: Bist du denn jemand, der sich mit dem politischen Tagesgeschehen auseinandersetzt?
Kico: Nicht so, dass ich irgendwelche Wahlprogramme lese oder mich intensiv mit der Weltpolitik beschäftige. Aber ich halte mich generell darüber auf dem Laufenden, was in der Welt passiert. Das kannst du ja schon, wenn du auf Facebook ein paar bestimmte Seiten abonnierst. Du kriegst dann ja ständig irgendwelche Updates. Ich gucke allerdings fast kein Fernsehen mehr, sondern bewege mich fast ausschließlich im Internet.
MZEE.com: Und im Bezug auf die anstehende Bundestagswahl: Wirst du wählen gehen?
Kico: Ja, ich wähle schon. Aber es ist für mich, wie für die meisten eigentlich die Entscheidung über das geringste Übel. Ich finde es aber grundsätzlich besser, eine Stimme abzugeben, als das Ganze komplett irgendwelchen Affen zu überlassen. Es besteht halt immer die Gefahr, dass irgendwelche Hohlbratzen Scheiße bauen, wenn du selber auf alles 'nen Fick gibst.
MZEE.com: Zum Abschluss des Interviews würde ich noch gerne auf das Thema Reisen zu sprechen kommen. Du bist ständig unterwegs, viel innerhalb Deutschlands, aber letztens auch in Australien. Spielt Fernweh in deinem Leben eine große Rolle?
Kico: Nö. Gar nicht.
MZEE.com: Was?!
Kico: (lacht) Nö. Du musst es so sehen: Ich liebe meine Leute hier. Aber Kassel ist für mich vor allem deswegen der perfekte Wohnort, weil er der beste Ort zum Wegfahren ist. Es ist einer der zentralsten Orte in Deutschland. Egal, wo du hin willst: Du bist gleich da.
MZEE.com: Das ist gar nicht mal so ein tolles Kompliment für die Stadt.
Kico: (grinst) Das stimmt. Es ist so: Ich wohne gerne hier und ich mag Kassel. Aber Hamburg feier' ich zum Beispiel tausend Mal mehr als Kassel. Und es gibt noch andere Städte, die ich mehr feier'. Ich hab' hier meinen Job und mein Umfeld, das mir nahe steht. Aber ich hab' auch in anderen Städten Leute, die mir was bedeuten oder Orte, wo ich gerne nochmal hinmöchte. Ich fahr' nie zurück nach Kassel, weil ich den Herkules, der hier steht, so toll finde oder ich mich da von der Stadt selbst besonders hingezogen fühle. Und wann hast du mich mal rappen hören: "Ey yo, Kassel, ich häng' hier am Königsplatz …"? (lacht) Gar nicht! Ich hab' auch wenig mit den Szene-Leuten hier zu tun. Nicht, weil ich die nicht mag, sondern weil ich hier wirklich wenig unterwegs bin.
MZEE.com: Spielt denn der Heimatbegriff bei dem Ganzen eine Rolle für dich?
Kico: Ja, aber Hamburg ist mehr Heimat. Ich bin ein Scheidungskind und in verschiedenen Städten großgeworden. Meine Mutter hat in Kassel gelebt und mein Papa ist nach Hamburg gezogen. Das heißt, ich war in meiner Kindheit in den Ferien viel in Hamburg. Und wenn ich da am Hafen stehe, hab' ich mehr das Gefühl, dass es sich richtig anfühlt. Kassel ist ne schöne Stadt, aber es ist nicht die Superlative. Ich verbringe jede Woche auch nur ein paar Tage hier. Den Rest bin ich im Studio in Hofgeismar oder tingel' durch die Gegend. Ich bin im Monat vielleicht ein Drittel der Zeit in meiner Wohnung.
MZEE.com: Als Abschluss passend dazu: Wohin geht deine Reise demnächst? Sei es gedanklich, musikalisch oder auslandstechnisch gesehen.
Kico: Die nächste "richtige" Reise wird Anfang nächsten Jahres im asiatischen Raum sein, weil ich da unbedingt mal hin will. Asien ist eigentlich der einzige Kontinent, auf dem ich noch nicht war. Und durch die Animes habe ich ja auch eine Affinität dazu. Da hab' ich total Bock drauf. (überlegt) Zur musikalischen Reise: Pimf und ich sind jetzt beide mit unseren Alben durch und wir werden weiter Mucke machen. Und was mein Leben allgemein betrifft, möchte ich einfach nur, dass es vorangeht. Wohin es letztendlich geht, weiß ich nicht. Ich stecke mir nach und nach ein Ziel, aber wo ich in drei Jahren bin, kann ich dir nicht sagen.
MZEE.com: Möchtest du zum Abschluss des bisher 89-minütigen, einzigem Interview zu deinem Album noch irgendetwas loswerden?
Kico: Ja. Ich möchte mich aufrichtig dafür entschuldigen, dass du so ne lange Tipparbeit vor dir hast … (lacht) Und ich freue mich auf das nächste Interview zu meinem nächsten Album.
(Florence Bader)
(Fotos von Marcel Krufft)