"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Amewu berichtete in der Vergangenheit immer wieder davon, dass er sich aus verschiedensten Gründen schwer damit tut, Musik zu veröffentlichen. Sein jüngstes Album "Haben oder Sein" erschien ganze zehn Jahre nach seinem letzten Album im Jahr 2012. Davor veröffentlichte der Rapper 2020 jedoch enorm spontan "2009-2013".
Wie der Titel schon vermuten lässt, handelt es sich bei dem Release um eine Art Lost Tape bestehend aus zehn Songs aus den Jahren 2009 bis 2013. Im Gegensatz zu vielen anderen Releases dieser Art hören sich die Songs in Amewus Version aber weder unfertig noch zusammenhangslos an. Sowohl Sound als auch Inhalt folgen einem klaren roten Faden. Gesellschaftskritik, persönliche Gedanken über die eigene mentale Verfassung und politische Statements wirken nicht altbacken oder aus der Zeit gefallen, obwohl die Tracks bei Erscheinen teilweise über zehn Jahre alt sind. Das Album besticht besonders durch eine Ehrlichkeit, die mich immer wieder berührt. Das Intro "Democrazy", das der Rapper selbst produzierte, und das Outro "Auseinanderweinen" bilden dafür die perfekte Klammer. Zeilen wie "Verstecke mich in einer Traumwelt vor dem, was draußen so wartet. Lese Zahlen und Berichte der Gegenwart und Geschichte, um zu verstehen, wer wen weswegen grade vernichtet" catchen mich emotional, weil auch ich gerne mal versuche, mental zu flüchten und parallel trotzdem mit realen Problemen konfrontiert bin. Der Berliner behandelt aber nicht immer nur die ganz tiefgründigen Themen. Dies beweisen Songs wie "Langsamer" oder "Berlin e São-Paulo" feat. Emicida, auf denen er seine unnachahmbaren Rap-Skills präsentiert.
Obwohl ein Teil der Tracks bereits länger auf YouTube verfügbar oder Teil von Compilations beziehungsweise gebrannten CDs war, bin ich Amewu dankbar, dass er diese Sammlung als geschlossenes Werk veröffentlicht hat. Es wäre eine Schande, Hits wie "Langsamer" nur live hören zu können. Zum Glück ist das seit Mitte 2020 nicht mehr der Fall. Ich würde Amewu gerne dazu ermutigen, mehr seiner Musik mit uns zu teilen. Denn diese ist unglaublich wertvoll, unabhängig davon wie alt sie ist.
(Alec Weber)