Vom rappenden "Wunderkind" im Internet mit viel zu großem "Mundwerk" hin zum "Studentenrapper" (und das, ohne studiert zu haben) – und dann? Vier Jahre lang zog sich F.R. nach dem Release von "Ganz normaler Wahnsinn" zurück. Das Jubiläumskonzert anlässlich einer bereits zehn Jahre andauernden Rapkarriere sollte eine Art "Abschluss" des alten Wegs darstellen. Zu getaktet war der Releasefluss am Ende und zu ähnlich die letzten beiden Platten. Nun, vier Jahre und einen Namenswechsel später, meldete sich Fabian Römer vor einigen Monaten jedoch zurück. "Kalenderblätter" heißt sein aktuelles Album und die musikalische Neuorientierung scheint endgültig vollzogen zu sein. Klar, dass der gebürtige Braunschweiger für diesen mutigen Schritt nicht nur Lob, sondern auch Kritik aus den Reihen der Deutschrapszene erntete. Aber ist das, was der frühere F.R. heute macht, überhaupt noch Rap? "Die Frage stellt sich für mich gar nicht", erklärt der Künstler uns im Interview über seine letzte Platte. Natürlich ist es das. Und Rap macht glücklich. Warum? Das – und die ein oder andere weitere interessante Antwort – entnehmt Ihr unserem Interview …
MZEE.com: Ein bisschen bist du ja der ewige Newcomer Rapdeutschlands. Erst ein "richtiger Newcomer" als aufstrebendes Gesicht der Deutschrapszene. Dann lange Zeit der jüngste erfolgreiche Rapper Deutschlands. Und in dem Moment, in dem du quasi "das richtige Alter" für einen anerkannten Rapper hast, entscheidest du, einen neuen Weg zu gehen, schließt dich jahrelang ein und kommst mit neuer Musik um die Ecke. Das alles im Zuge deiner Selbstverwirklichung innerhalb einer kleinen Szene. Zu Beginn deshalb eine elementare Frage: Macht Rap glücklich?
Fabian Römer: Es macht auf jeden Fall glücklich. Ich würde sagen, dass jede Leidenschaft in irgendeiner Art und Weise glücklich machen sollte. Und wenn diese Leidenschaft, die einfach Spaß macht, dann auch noch dazu führt, dass du deine Miete zahlen kannst, ist sie natürlich noch schöner. Deswegen würde ich auf jeden Fall sagen, dass Rap glücklich macht. Ich merk' das witzigerweise auch im Alltag, wenn ich mal zwei, drei Wochen lang keine Musik mache und nicht rumrappe, -singe oder keine Studiozeit habe. Oder wenn ich gerade keine Promophase habe, in der ich Sachen performe. Das ist wohl so wie bei Leuten, die regelmäßig Sport machen, ihren Trainingsplan nicht einhalten und dann merken, dass irgendetwas fehlt. Ich bin dann jedes Mal total erleichtert und glücklich, wenn ich wieder Musik machen kann.
MZEE.com: Hat das manchmal schon eine Art Suchtverhalten?
Fabian Römer: Wenn ich jetzt gezwungen wäre, ein Jahr lang nichts zu machen, würde sich das bestimmt nicht nur körperlich, sondern auch seelisch auf mich auswirken. Aber so richtig süchtig war ich vielleicht eher bei meinen Anfangsschritten, mit 12, 13 Jahren, wo ich mich komplett von der Welt abgekapselt habe. Als ich nur das gemacht hab', total im Wahn war und jeden Tag Songs analysiert habe. Zu der Zeit hab' ich auch fast jeden Tag gefreestyled. Diese Anfangseuphorie hat sich mit der Zeit ein bisschen gelegt – das ist auch gut so. Aber natürlich bin ich in dem, was ich mache, trotzdem noch ein Nerd und das muss man ja auch sein, um's gut und gewissenhaft ausüben zu können.
MZEE.com: Kommen wir genauer auf deinen neuen Weg zu sprechen. Wie lange hast du den Wunsch danach, dich als Künstler neu zu definieren, in dir getragen, bis du ihn in die Tat umgesetzt hast? Gab es einen ausschlaggebenden Punkt in dieser Geschichte, an dem du dir gedacht hast: jetzt oder nie?
Fabian Römer: Diesen ausschlaggebenden Punkt gab es eigentlich nicht, aber ich guck' immer von Album zu Album. Nach "Ganz normaler Wahnsinn" 2011 hatte ich einfach das Gefühl, dass ich mir mal wieder ein paar grundsätzliche Fragen stellen sollte, weil ich bis dahin wirklich einen sehr durchgetakteten Releaserhythmus hatte. Mit 14 kam mein erstes Album und danach immer ein neues im Zwei-Jahres-Rhythmus. "Ganz normaler Wahnsinn" sogar direkt ein Jahr nach dem vorherigen. Und gerade Anfang der 20er gehen ja sehr viele Leute immer auf Reisen oder checken andere Sachen aus. Bei mir war das ähnlich. Was ich bis dahin erreicht hatte, wollte ich mir in die Vitrine stellen – das "10 Jahre F.R."-Konzert war für mich schon eine Art Abschluss. Eigentlich eine wunderschöne Zeit, aber auch ein kleiner Cut, weil ich mir dachte, dass es Zeit für was Neues wäre. Nicht im Sinne von: "Ich muss jetzt alles komplett umkrempeln", weil ich der Meinung bin, dass auch noch viel von meiner damaligen Musik in den neuen Sachen steckt. Das lässt sich auch gar nicht verleugnen. Aber dadurch, dass seit dem letzten Album so viel Zeit vergangen ist, ist es auch logisch, dass das jetzt anders klingt.
MZEE.com: Du hast in den letzten Jahren nicht nur an deiner eigenen Karriere gearbeitet, sondern dich auch ein wenig mit Songwriting beschäftigt. Wie bist du dazu gekommen?
Fabian Römer: Da bin ich irgendwann mal ins kalte Wasser geworfen worden, weil mein damaliger Manager der Meinung war, ich sollte unbedingt mal ausprobieren, für andere Leute Sachen zu schreiben. Dann kam ich in so ein Songwriting-Camp. Davor hatte ich riesige Angst, weil ich zuvor immer alleine in meinem Kämmerchen Texte geschrieben habe. Aber in dem Moment, in dem man merkt, dass es eigentlich total schön ist, sich mit Leuten über Sprache und Texte auszutauschen, stellt man fest, dass das eine Fähigkeit ist, die man auch für andere einsetzen kann. Das macht extrem viel Spaß. Ich hab' vor ein paar Tagen erst mit Chima geschrieben – das ist ein gestandener Mann und wenn du neben dem sitzt und er dir was aus seinem Leben erzählt, ist das extrem viel wert. Beim Songwriting ist es wie bei vielen anderen Sachen: Es gibt Schattenseiten, wenn du ab und zu merkst, dass das an sich schon krasse Fabrikarbeit sein kann. Aber es gibt auch ganz schöne und natürliche Seiten.
MZEE.com: Gerade hast du erwähnt, dass du es lange Zeit gewohnt warst, mindestens alle zwei Jahre ein neues Album zu liefern und eine Tour zu spielen. Hast du dich ein Stück weit unter Druck gesetzt gefühlt, jetzt wieder etwas releasen zu müssen?
Fabian Römer: Klar, wenn man das einem Wirtschaftsanalytiker gezeigt hätte, hätte der nach einem Jahr auf jeden Fall gesagt: "Junge, pass auf, das ist ein schnelllebiges Geschäft. Mach mal hin." Aber diesen Druck von außen hab' ich ehrlich gesagt wenig gespürt. Natürlich kriegt man ab und zu Nachrichten und liest Kommentare von Leuten, die sagen, dass man endlich mal wieder etwas machen soll. Doch so krass getrieben habe ich mich nicht gefühlt. Ich war in der Endphase schon froh, als ich wieder etwas in der Hand hatte, weil ich ja auch ewig an den Songs gearbeitet hab'. Aber ich habe ja nie aufgehört, Musik zu machen – ich hab' einfach extrem viele Demoversionen aufgenommen und war glücklich darüber, irgendwann eine Entscheidung getroffen zu haben. Das ist auch das Geile an der Endphase einer Produktion: Dass du rigoroser Entscheidungen triffst als in der ganzen Phase zuvor, in der du einfach nur rumeierst. Beim Musikmachen ist es ja nicht so, dass du ein Lämpchen neben dem Computer hast, das irgendwann grün leuchtet, wenn der Song fertig ist. (lacht) Es ist immer eine Entscheidung. Du kannst nicht rational sagen, dass ein Song fertig ist.
MZEE.com: Sind während der Produktionsphase auch Songs entstanden, die am Ende gar nicht auf "Kalenderblätter" gelandet sind?
Fabian Römer: Ich habe schon Songs aus allen Phasen auf dem Album. Zum Beispiel "Nach dir": Das ist der älteste, der ist Mitte 2012 entstanden. Den hab' ich irgendwann zwar noch mal neu aufgenommen, aber der ist fast so geblieben, wie er zu Beginn war. Der neueste Track ist ein, zwei Wochen vorm Mastering entstanden. Ich hab' also aus allen Phasen etwas mitgenommen. Ich bin ein Recycler und glaube, dass viele Dinger, die ich in der Zeit gemacht habe, so nicht rauskommen werden, ich aber mit Sicherheit noch einmal den Kern aufgreife. Wenn ich einen Song mache, muss dafür schon immer eine Rechtfertigung vorhanden sein. Manchmal merke ich nach einem halben Jahr einfach, dass ich manches doch noch mal anders angehen könnte. Aber die Grundideen versuch' ich schon alle irgendwann mal rauszuhauen.
MZEE.com: Hast du während deiner Karriere als F.R. lange damit gekämpft, etwas zu verändern und gab es Ängste, die dich vielleicht eine Weile davon abgehalten haben, eine neue Richtung einzuschlagen?
Fabian Römer: Eigentlich nicht. Mir wird auch immer wieder gesagt, dass alle meine Alben sehr unterschiedlich sind. Wenn man sich die Sachen anhört, ähnelt "Vorsicht, Stufe" vielleicht noch am ehesten "Wer bist du?", aber an sich sind alle Alben ziemlich unterschiedlich. Jetzt nicht nur wegen meiner Stimmveränderung. Das liegt, glaube ich, daran, dass ich nie ein Album kopieren wollte. Deswegen hatte ich auch nie das Gefühl, irgendeiner Rolle gerecht werden zu müssen. Gerade, weil man mich auch immer so schwer definieren konnte. Klar, zu "Rap braucht Abitur"-Zeit war ich vielleicht mal kurz der Schülerrapper, aber eigentlich hatte ich immer ein relativ schwammiges Image. Auf meinen Alben waren ja immer Battlesongs, Themensongs und persönlichere Sachen. Deshalb war es wohl schwer, mich in eine Schublade zu stecken, der ich dann gerecht werden musste.
MZEE.com: Siehst du darin vielleicht auch einen Nachteil? An sich ist es ja gut, vielschichtig zu sein, aber die Leute brauchen oft doch eine Art Image, an dem sie sich orientieren können.
Fabian Römer: Wenn man das aus der Erfolgssicht sieht, ist es vermutlich immer besser, wenn du jemand bist, der relativ leicht zu identifizieren ist. Cro ist dafür ein Paradebeispiel, ohne das abwerten zu wollen. Da passt alles zusammen: Man merkt in Interviews, dass er ein lockerer, junger Dude ist und halt seine Mucke macht. So 'ne Schiene, auf die man mich reduzieren könnte und wo man sagen könnte: "Dafür steht F.R.", … das gab's nie und das gibt es auch auf dem aktuellen Album nicht. Von dem Gedanken, dass das so sein muss, hab' ich mich irgendwann auch verabschiedet. Manche können das und wenn das deckungsgleich mit der Person ist, ist's auch geil, aber bei mir ist das schwer möglich.
MZEE.com: Auch, wenn alle Alben von dir bisher immer sehr unterschiedlich waren, waren die Vorgänger des aktuellen Releases zumindest Rap-lastiger. Dazu hast du nun auch noch deinen Namen geändert. Für uns ist das schon eine Art Neuorientierung. Gibt es den alten F.R. denn noch?
Fabian Römer: Ich will das nicht ausschließen. Klar ist das ein witziges Gedankenspiel, so ein Alter Ego mit F.R. zu haben, wie ein Marteria Marsimoto hat. Dass ich irgendwann mal wieder den F.R. auspacke. Das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, aber wenn du mich jetzt in dieser Situation fragst, würde ich eher nein sagen, weil ich die Initialien auch aus einem Grund ausgeschrieben und die Sachen, die mir gefallen haben, mitgenommen hab'. Ich bin auch als Fabian Römer in keinem Korsett. Vielleicht ist das nächste Album auch wieder ein bisschen zackiger, was die Raps angeht, aber ich kann's trotzdem unter Fabian Römer laufen lassen. Das ist das Schöne: Dass ich mir kein anderes Pseudonym geben musste. Ich heiße jetzt eben so wie vorher auch schon und hab' nur die anderen Buchstaben rangehängt. Natürlich steckt da mehr Veränderung drin als in den vorherigen Alben, aber das liegt gar nicht mal an einer bewussten Entscheidung, sondern einfach daran, dass viel mehr Zeit vergangen ist als zwischen den Alben davor.
MZEE.com: Hattest du während deiner Neuorientierungsphase von F.R. zu Fabian Römer irgendwann mal das Gefühl, dass es vielleicht doch keine gute Idee war, F.R. aufzugeben?
Fabian Römer: Ich hatte mir das schon gut überlegt undvor dem Jubiläumskonzert auch schon angeteasert: "Leider hört sich F zum R nicht so schön an, vielleicht nenn' ich mich bald einfach Fabian Römer." Das war 2012 und da war mir schon ziemlich klar, dass ich das machen will. Der Hauptgrund war einfach, dass ich F.R. als Namen grauenhaft finde und nie mochte. Da bin ich tatsächlich rausgewachsen. Irgendwann ist man halt in einer Spirale – die Leute kennen dich und deinen richtigen Namen und dann denkst du dir: "Ach, komm …" Aber es ist natürlich auch nicht so, dass man jeden Tag aufwacht und denkt: "Mein Gott, ist das ein scheiß Name." (lacht)
MZEE.com: Es gab für deine Stiländerung ja nicht nur Lob innerhalb der Deutschrapszene. Wie hast du die Kritik an deiner musikalischen Neuorientierung empfunden?
Fabian Römer: Uns als Team war im Vorhinein schon klar, dass es alle möglichen Reaktionen geben wird. Interessant ist da natürlich die Gewichtung: Nehm' ich viele Leute mit oder sagen sie, dass sie nichts mehr damit anfangen können? Und das hab' ich doch relativ positiv wahrgenommen. Die Leute, auf die man besonders viel Wert legt, sind natürlich die, die in der Vergangenheit schon viel in dich investiert und auch deine alten Alben gekauft haben, auf den Konzerten waren und so weiter. Da hab' ich schon das Gefühl, viele mitgenommen zu haben. Natürlich sind auch neue dazugekommen und ein paar abgesprungen.
MZEE.com: Dein aktuelles Album wirkt stellenweise sehr autobiografisch. Im Zuge dessen würde ich gerne wissen, ob du dir dein alltägliches Leben in einem Kalender notierst oder gar Tagebuch schreibst und daraus auch Inhalte für deine Texte entnehmen kannst.
Fabian Römer: Ich habe nie Tagebuch geschrieben. Ich habe lange auch keine Kalenderkultur am Start gehabt. (lacht) Mir ist aber aufgefallen, dass man allein durch den Arbeitskalender viel rekonstruieren kann, wenn man da ein bisschen zurückscrollt. Das ist ja auch wie eine Art Tagebuch – natürlich nicht mit romantischen Themen gefüllt, aber man hat zumindest seine Termine und weiß, was zu der Zeit gerade angesagt war. Das hilft meist auch ziemlich viel. Und man darf auch Instagram und Facebook nicht vergessen. So sehr man die auch schmähen kann, ist das für einen selber natürlich auch ein guter Rückblick. Je nachdem, wie authentisch man sich darstellt. (lacht)
MZEE.com: Du machst wahrscheinlich auch viele Fotos auf Tour und hast die dann in deinem Handy eingespeichert, oder? Das ist ja auch ein guter Rückblick.
Fabian Römer: Total. Ich hab' als Bildschirmschoner auch ganz viele Tourfotos von meiner Crew aus lang vergangener Zeit, gemischt mit neuen Sachen. Da freu' ich mich auch nach der Tour wieder drauf, das aufzustocken. Ich selbst bin aber jemand, der fast nie Fotos macht. Zu Instagram muss ich mich selber knechten, aber auch im Urlaub. Selbst wenn ich mal zwei Monate in Thailand bin, schieße ich kein einziges Foto. (lacht)
MZEE.com: Apropos autobiografisch: Wie viel Inhalt deines Albums handelt denn tatsächlich von dir und wie viel ist ausgedacht oder dreht sich um das Leben anderer Personen?
Fabian Römer: Das ist schon hauptsächlich meine Gefühlswelt. Ich glaube, es gibt Songs, bei denen es ganz offensichtlich auf der Hand liegt, dass sie autobiografisch sind – zum Beispiel "Zimmer ohne Zeit". Es gibt aber auch Songs, von denen man denken könnte, die sind mit Absicht allgemeiner geschrieben. Aber selbst ein Titel wie "Blauwalherz" ist für mich extrem persönlich, nur eben in einem Bild verpackt und deswegen auf eine andere Art und Weise angegangen. Und klar gibt's auch vertrakte Sachen wie "Kein Mensch mehr", das dann einfach Storytelling ist, aber die meiste Zeit über ist es schon … ich würde jetzt nicht sagen "autobiografisch", aber an meine Gefühlswelt angelehnt.
MZEE.com: Gerade im Rap wird besonders viel Wert darauf gelegt, dass man es "real keept", außer es ist offensichtlich, dass ein Rapper sich ein Image ausgedacht hat. Darf man deiner Meinung nach Geschichten erzählen, die es so nicht im eigenen Leben gab und die dennoch echt wirken?
Fabian Römer: Klar. Soll jeder machen, wie er will. Kunst kennt keine Grenzen – so platt das auch klingt. Punkt.
MZEE.com: Wie weit fühlst du dich denn momentan zur Deutschrap-Szene zugehörig? Eher weniger oder gar mehr denn je?
Fabian Römer: Schwierig … Ich war nie ein Szeneheld, der irgendeinem Camp zugehört, sondern mehr Einzelgänger-mäßig unterwegs. Ich hatte natürlich mit vielen anderen Künstlern zu tun und bin cool mit ihnen, aber eine Außenwahrnehmung hab' ich darüber nie definiert. So ist das eigentlich immer noch. Ich glaube, dass weniger Stöcke in Ärschen stecken als damals und hätte ich so ein Album vor vier Jahren gemacht, wäre es vielleicht noch kontroverser gewesen, ob das nun noch Rap sei. Aber ich finde, es ist ein krasses deutsches Phänomen, infrage zu stellen, ob das jetzt ein Rapalbum ist oder nicht. Das ist es für mich auf jeden Fall. Bei einem Drake würde man doch auch nie anzweifeln, dass er ein Rapper ist. Und wenn er ein Album rausbringt, ist das halt ein Rapalbum – auch, wenn er 30 Prozent oder noch mehr Gesangsanteil drauf hat als ich. Deshalb stellt sich die Frage für mich einfach gar nicht.
MZEE.com: Auf deiner Single "Zimmer ohne Zeit" erzählst du davon, wie du deine Jugend mit Rap verbracht hast und damit, deine eigene Musik zu perfektionieren. Hattest du im Nachhinein jemals das Gefühl, einen Teil deiner Jugend verpasst zu haben, weil du nicht das gemacht hast, was "alle" machen?
Fabian Römer: Auf jeden Fall. Ich konnte dieses Nerdtum natürlich ein bisschen kompensieren, weil ich viel unterwegs war. Ich hab' mit 13, 14, 15 schon viel von Deutschland gesehen, deswegen konnte ich nie ein authistisches Kind werden, das nur im Zimmer sitzt und keinen Kontakt zur Außenwelt hat. Das hat viel aufgefangen. (lacht) Aber klar: Ich war nicht auf irgendwelchen LAN-Partys oder hab' den ein oder anderen Geburtstag verpasst. Ich war nie der Außenseiter, aber auch nie der umtriebige Klassenheld. Wie gesagt: Ich glaube, dass ich durch die Musik viel auffangen konnte und habe darum auch nicht das Gefühl, noch mal eine zweite Jugend durchleben zu müssen.
MZEE.com: Aus der besagten Single stammt auch das folgende Zitat: "Und komm' ich heut mal zu Besuch, ist hier nichts mehr wirklich gleich, doch jeder Winkel setzt Erinnerungen frei. Stell' den Wecker vor die Tür, häng' die Uhr von der Wand – dann ist es fast, als würd' es immer noch so sein." Wenn es das "alte" Zimmer ohne Zeit nicht mehr gibt, das dir laut meiner Interpretation ja auch den Platz für dein kreatives Schaffen und Sein gegeben hat – wie bist du dann bei der neuen Platte vorgegangen? Hast du dir ein neues Zimmer ohne Zeit gesucht?
Fabian Römer: Den Platz an sich gibt es eigentlich nicht. Das ist halt meist meine Wohnung oder das Studio. Ich bin bis zu diesem Punkt, an dem eine kreative Explosion kommt, einfach ein Sammler. Ich schreib' gar nicht so viel. Es gibt wirklich Leute, die sich jeden zweiten Tag hinsetzen und einfach drauf los schreiben, um sich auf Trab zu halten. Das könnte ich überhaupt nicht. Ich bin jemand, der ganz viele Handynotizen hat und irgendwann fügen die sich zu etwas Schlüssigem zusammen, von dem ich denke: Das ist jetzt einen Song wert. Und dann komm' ich bestenfalls in einen Rausch und schreibe ganz schnell ganz viel. Aber das kommt gar nicht so häufig vor.
MZEE.com: Könntest du dich denn dazu zwingen, ein Lied zu schreiben? Wenn du dich zum Beispiel mit anderen im Studio verabredest, um einen neuen Song zu machen?
Fabian Römer: Beim Text ist das schwieriger, bei der Musik viel intuitiver. Das kannst du immer machen. Ich kann mich für morgen mit meinem Produzenten verabreden und sagen: "Ey, lass uns doch mal irgendwie flashen und Mucke machen". Das ist überhaupt kein Problem. Dann sitzen wir da, klimpern ein bisschen rum und dann ist relativ schnell intuitiv was da. Manchmal ist es gerade bei Popkünstlern auch so, dass die einfach irgendwelche Melodien ohne Text einsingen und dann schon mal ein Layout haben. Ein Gefühl von einem Song, ein paar Akkorde und ihre Gedanken darüber. Ich mag oft die andere Variante – dass ich zuerst eine Zeile habe und dann versuche, die in ein Melodiekorsett zu bringen. Aber ich kenn' auch eine Menge Leute, die das anders machen, gerade im Amerikanischen.
MZEE.com: Wie lange reift im Durchschnitt ein Song von dir? Hast du vielleicht noch Texte von vor drei, vier Jahren, die du immernoch nicht vollendet bekommen hast?
Fabian Römer: Ja. Das sind dann eben hauptsächlich Sachen, die ich irgendwann schon mal aufgenommen habe, aber nie von der Umsetzung überzeugt war. Von denen denke ich, dass sie eigentlich Potenzial haben, aber der Moment noch nicht gekommen ist, an dem ich das Rätsel zu 100 Prozent gelöst habe. Aber das ist oft gar nicht mal bei Texten der Fall, sondern bei Produktionen. Wenn ich mal auf meine Tracklist gucke: Bei "Nach dir" ist das extrem geflutscht. Der Song war in einem halben Tag fertig – da hatten wir dieses Piano am Start, das die ganze Zeit durchläuft, und da waren wir uns einig, dass es genau das richtige Gefühl konserviert. Das war wie der Heilige Gral: Bloß nicht mehr anfassen und versuchen, es zu überpoduzieren. (lacht) Weil man dann natürlich auf Ideen kommen kann, wie beispielsweise das Klavier noch mal auszutauschen. Es gibt aber auch Songs wie "Übersommern", von denen wir unglaublich viele Versionen gemacht haben. Daran haben wir uns die Zähne ausgebissen und es gibt ganz viele Demos davon mit verschiedenen Arrangements, Beats und teilweise Texten. In irgendeiner Nacht-und-Nebel-Aktion wurde das dann fertiggestellt. Es gibt schon harte Kämpfe und es gibt Songs, die ganz easy von der Hand gehen.
MZEE.com: Ist man zum Release dann nicht manchmal auch unglaublich von einem Song genervt, wenn man so lange daran gearbeitet hat?
Fabian Römer: Kurz nach der Produktion ist das so, aber inzwischen ist wieder genug Zeit vergangen. Ich hab' mein Album fast gar nicht gehört. In einer Tour-Vorbereitung freu' ich mich dann zum Beispiel sogar, die Dinger mal wieder zu hören. Man geht ja auch in die Projekte der Songs, um einzelne Spuren zu exportieren, damit zum Beispiel der Gitarrist weiß, wie und was er spielen muss. Da sieht man dann noch mal die DNA der Songs und wie detailreich das alles eigentlich ist. Ich hab' auch vor, irgendwann mal von ein, zwei Liedern von mir Stems, also Einzelspuren, zur Verfügung zu stellen. Einfach, um den Leuten mal zu zeigen, wie so ein Lied aufgebaut ist und wie viele Spuren teilweise in einem Stück Musik stecken. Die Band Phoenix hat das zum Beispiel bei ihrem Album "Wolfgang Amadeus Phoenix" gemacht. Da haben sich manche Produzenten, glaube ich, auch schon Drums und Spuren geklaut beziehungsweise gesamplet. (lacht) Sowas find' ich immer krass interessant, das werd' ich bestimmt irgendwann mal machen.
MZEE.com: Kommen wir nochmal zu deiner Jugend und Kindheit zurück. Bevor du dich dazu entschieden hast, die Musik vorerst zu deinem Beruf zu machen: Was wolltest du beruflich gesehen werden? Und was ist heute dein Plan B, wenn es mit der Musik ganz und gar nicht mehr klappt?
Fabian Römer: Es war nie eine Entscheidung. Das ist ja das Verrückte. Ich hab's einfach gemacht und irgendwann Geld damit verdient. Das ist heute immer noch so. Ich geh' total naiv durchs Leben und denke: "Ach, geil, ich kann schon wieder ein Jahr davon leben". (lacht) Einen Plan B hab' ich überhaupt nicht. Ich wüsste auch nicht, was ich sonst machen sollte. Natürlich knüpft man Kontakte und ich hab' irgendwie Ahnung in dieser Medienbranche, kenne Labels und würde im Worst Case bestimmt irgendwo unterkommen. Aber ich habe nie eine Entscheidung getroffen, das zu meinem Beruf zu machen. Irgendwann ist es dazu geworden und das ist auch ein totaler Segen. Beruf sollte im besten Fall auch immer Berufung sein und wenn du das von dem, was du machst, sagen kannst, ist das wunderschön.
MZEE.com: Du hast auch nie angefangen zu studieren, oder?
Fabian Römer: Nee. Das ist auch eine Spirale. Man sagt sich, dass man nächstes Jahr anfängt, macht dann aber doch wieder ein Album. Ich bin auch so ein "Ganz oder gar nicht"-Mensch, das ist das Problem. Ich hätte keinen Bock, ein Studium nebenbei zu machen, auch wenn ich die Zeit habe. Diesen Mittelweg hatte ich damals mit der Schule lange genug und war dann froh, da raus zu sein.
MZEE.com: Nimmst du das als Glück wahr oder ist das zu sehr zur Normalität geworden?
Fabian Römer: Heute kann ich das etwas mehr wertschätzen. Damals konnte ich das viel weniger genießen. Als ich parallel noch Schule hatte, war ein Splash!-Auftritt eher eine Problembewältigung. Mir hat das natürlich Spaß gemacht, aber ich hab' direkt nach Abschluss des Konzerts schon an die nächste Aufgabe gedacht. Mittlerweile ist es schon so, dass ich Sachen mehr genieße und Vorfreude entwickel'. In einem Alter von 25 Jahren lernt man natürlich auch ganz andere Lebensqualitäten kennen. Irgendwie ist es trotzdem immernoch so, dass man sich als Außerirdischer fühlt, wenn man sagt: "Ich bin Rapper und ja, ich kann zu 80 Prozent des Jahres selbst bestimmen, wann ich aufstehe". Das ist schon ein unglaublicher Luxus, den man zu selten zu schätzen weiß, aber ich versuche, mich ab und an daran zu erinnern. Wenn ich irgendwann bei der Müllabfuhr lande und jeden Tag um fünf Uhr morgens aufstehen muss – dann weiß ich die Vergangenheit auf jeden Fall zu schätzen. (lacht)
MZEE.com: Bevor wir zum Schluss kommen, würden wir gerne nochmal das Realkeeper-Thema von vorhin aufgreifen: Könntest du ein Album unter deinem Namen rappen und veröffentlichen, das andere Leute für dich geschrieben hätten?
Fabian Römer: Man muss da differenzieren. Es gibt Künstler, für die Texte wirklich maßgeschneidert werden, die dazu überhaupt nichts sagen und das einsingen. Aber dieses Songwriting an sich, bei dem du mit anderen Leuten in einem Raum sitzt und 'nen Text schreibst, finde ich überhaupt nicht verwerflich. Bei meinem Album war es so, dass ich es wirklich komplett alleine geschrieben hab'. Ich hatte ab und zu mal ein Brainstorming mit einer guten Freundin von mir – Jen Bender von Großstadtgeflüster. Das hat mir teilweise auch Inspiration verschafft, aber das finde ich beim Songwriting auch wichtig. Dass man noch Inspiration von anderen Sachen bekommt. Ich hatte zum Beispiel auch eine Kreativsession in einem Haus am See in Mecklenburg-Vorpommern. Da hatten wir uns für zwei Wochen eingemietet und ich hab' nach und nach immer wieder neue Leute eingeladen. Die waren dann auch Teil dieses Songwriting-Prozesses. Wir haben dann einfach über Musik gequatscht und das war ein unglaublich toller Austausch. Ich finde, Texte müssen nicht immer ganz allein im Kämmerchen entstehen. Ich bin halt so groß geworden und dadurch, dass ich sehr früh damit angefangen habe, bin ich natürlich sehr nerdig darin und hab' meine eigene Linie. Aber finde auch überhaupt nichts Schlechtes daran, wenn sich Leute Hilfe holen.
MZEE.com: Du hast auf deiner Facebookseite monatelang Zeilen anderer Musiker geteilt, die dir persönlich am Herzen liegen. Zum Abschluss des Interviews wäre es schön, wenn du uns dein persönliches Lieblingszitat deines eigenen Albums nennen könntest und kurz erzählen würdest, warum es solch eine Bedeutung für dich hat.
Fabian Römer: Ja, das ist eine Rubrik, die heißt "Worte zum Sonntag". Irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, dass es mir Spaß machen könnte, mein Interesse an Texten mit der Welt zu teilen. Das sind nicht nur Raptexte, sondern alles Mögliche. Von meinem Album mag ich besonders den C-Teil von "Das Beste kommt noch". (rappt) "Der Horizont ist wie ein kleines Kind, versteckt sich etwas ungeschickt hinter Mauern und Wolken, aber ein Teil von ihm ist immer zu sehen". Ich find' das Bild witzig und das will ich auch gar nicht erklären – das ist, glaube ich, selbsterklärend, aber eine Zeile, die ich sehr mag.
(Florence Bader & Pascal Ambros)
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