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Kommentar

HipHop macht Schule

In Ham­burg gibt es inzwi­schen "Hip­Hop" als Unter­richts­fach. Doch was wird dort über­haupt behan­delt? Was bedeu­tet das für Schüler:innen, Lehrer:innen und unse­re Gesellschaft?

An die­ser Stel­le möch­ten wir Gedan­ken zu aktu­el­len Gescheh­nis­sen aus dem Deutschrap-​Kosmos zum Aus­druck brin­gen. Die jeweils dar­ge­stell­te Mei­nung ist die des:der Autor:in und ent­spricht nicht zwangs­läu­fig der der gesam­ten Redak­ti­on – den­noch möch­ten wir auch Ein­zel­stim­men Raum geben.

Im Fol­gen­den beschäf­tigt sich unser Redak­teur Wen­de mit der Fra­ge, inwie­fern Hip­Hop inzwi­schen im Schul­un­ter­richt The­ma gewor­den ist und was das für die Gesell­schaft bedeutet.

 

Unter­richts­be­ginn an der Ida Ehre Schu­le im Ham­bur­ger Stadt­teil Eims­büt­tel. Micha­el Krö­ger, ein moti­vier­ter und pro­gres­si­ver Leh­rer, begrüßt die Schüler:innen. An den Wän­den hän­gen Unter­richts­er­geb­nis­se: Pla­ka­te zu Refe­ra­ten über die Ursprün­ge der HipHop-​Kultur und Vinyl-​Rohlinge mit den Künstler:innennamen der Ler­nen­den. In einer ande­ren Stun­de gehen die Schüler:innen direkt auf den Schul­hof und spray­en Graf­fi­tis auf eine eigens dazu auf­ge­stell­te Graffiti-​Wand. Dann, in einer ande­ren Woche, lau­schen die Ler­nen­den gespannt, was Torch zu erzäh­len hat. All das fin­det in der "HipHop-​Klasse" statt. Das neue Fach "Hip­Hop" soll den Schüler:innen Ant­wor­ten auf die Fra­gen geben: Wer bin ich? Was kann ich? Und wie drü­cke ich all dies aus?

Die Ler­nen­den die­ser Stadt­teil­schu­le kom­men aus Alto­na und St. Pau­li, Bezir­ke mit sozi­al und finan­zi­ell schwä­cher gestell­ten Mit­glie­dern unse­rer Gesell­schaft. Eini­ge der Schüler:innen hat­ten, als sie sich für das inno­va­ti­ve Fach ent­schie­den, schlech­te Pro­gno­sen, was einen Schul­ab­schluss anbe­langt. Nach cir­ca zwei Jah­ren mit den neu­en Stun­den in der Woche hat sich der Groß­teil in allen Fächern ver­bes­sert. Ein gro­ßer Erfolg für die Schu­le und Jugend­li­chen: Das Fach Hip­Hop scheint zu wir­ken. Ange­sichts der aktu­el­len PISA-​Studie könn­te man viel­leicht mei­nen, dass Hip­Hop für alle Schu­len und Ler­nen­den eine Ver­bes­se­rung brin­gen könn­te, denn das Fach kann offen­bar etwas, was ande­re Fächer nicht leis­ten kön­nen: Ant­wor­ten auf essen­zi­el­le Fra­gen geben und dies direkt aus der Lebens­welt der Jugendlichen.

Das neue Fach Hip­Hop soll den Ler­nen­den nicht nur die Mög­lich­keit bie­ten, Hip­Hop aktiv zu gestal­ten, son­dern auch dazu bei­tra­gen, dass Jugend­li­che über­fach­li­che Kom­pe­ten­zen ent­wi­ckeln: etwa Resi­li­enz, Durch­hal­te­ver­mö­gen, Krea­ti­vi­tät und Moti­va­ti­on. Die­se Fähig­kei­ten sind in der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on wich­ti­ger denn je, denn wir alle leben in kri­sen­haf­ten Zei­ten: Krie­ge, Kli­ma­ka­ta­stro­phe und Ras­sis­mus. Dadurch, dass Hip­Hop direkt an die Lebens­welt der Jugend­li­chen anknüpft, fällt das Ler­nen leich­ter. Bestimmt wird nicht das neue Tag oder der Flow gleich stim­mig sein, aber dadurch kön­nen die Jugend­li­chen ler­nen, Hin­der­nis­se zu über­win­den, am Ball zu blei­ben und Ein­falls­reich­tum aus­zu­bau­en. Die­se Fähig­kei­ten sind zukunfts­träch­tig, befä­hi­gen sie doch, mit Kri­sen bes­ser umzu­ge­hen – nicht nur im schu­li­schen All­tag. Davon kön­nen auch die ande­ren Fächer pro­fi­tie­ren, denn neben Resi­li­enz wer­den wei­te­re wich­ti­ge Fähig­kei­ten wie Lesen und Schrei­ben geför­dert. So kann ins­be­son­de­re Rap dazu bei­tra­gen, dass ein guter Umgang mit Spra­che gefun­den wird. All die genann­ten Grün­de bie­ten einen enor­men Vor­teil gegen­über klas­si­schen Fächern. Dane­ben ler­nen sie auch, wie sich die dis­kri­mi­nier­te, aus­ge­grenz­te und abge­häng­te Com­mu­ni­ty in New York durch Hip­Hop Gehör ver­schaf­fen und sich aus­drü­cken konn­te und das bis heu­te noch kann. Also eige­ne Wün­sche und Sor­gen zu arti­ku­lie­ren, auf sich auf­merk­sam zu machen und damit Selbst­wirk­sam­keit und Selbst­er­mäch­ti­gung zu erfah­ren. Eine Fähig­keit, die essen­zi­ell für Kin­der und Jugend­li­che ist. Gera­de für Her­an­wach­sen­de mit Migra­ti­ons­ge­schich­te oder finan­zi­ell schwä­cher gestell­te Ler­nen­de eine exis­ten­zi­el­le Erfah­rung und eine gebüh­ren­de Wertschätzung.

Ein wei­te­rer Vor­teil des Fachs ist die Mög­lich­keit, expli­zit ras­sis­mus­kri­tisch zu unter­rich­ten, da Hip­Hop seit sei­ner Ent­ste­hung den ras­sis­tisch Dis­kri­mi­nier­ten eine Aus­drucks­mög­lich­keit bie­tet. Gegen­wär­tig las­sen Rassist:innen ihre Mas­ke fal­len, und um sich die­sen ent­ge­gen­zu­stel­len, könn­ten ver­bin­den­de Ideen in den Vor­der­grund gestellt wer­den. Damit ist das Fach nicht nur wis­sen­schaft­lich auf dem aktu­el­len Stand, son­dern es leis­tet auch einen star­ken Bei­trag auf dem Weg zu einer hof­fent­lich anti­ras­sis­ti­schen, gleich­be­rech­tig­ten und demo­kra­ti­schen Gemeinschaft.

Neben Hip­Hop als Inhalt trägt sicher­lich auch der Pro­jekt­cha­rak­ter des Unter­richts zum Gelin­gen bei. Die Ler­nen­den berei­sen New York zum 50. Geburts­tag von Hip­Hop, dür­fen Eva Ries und ihren Erzäh­lun­gen über den Wu-​Tang Clan im Unter­richt lau­schen oder besu­chen Work­shops mit unter ande­rem Celo & Abdi in Frank­furt oder mit den Fly­ing Steps in Ber­lin. Sie erkun­den vor Ort und mit Protagonist:innen die ver­schie­de­nen Ele­men­te der HipHop-​Kultur, set­zen sich mit den Ursprün­gen aus­ein­an­der und haben zumin­dest die Chan­ce zu ver­ste­hen, dass Hip­Hop mehr ist als Gold­ket­ten, dicke Autos und Dro­gen­miss­brauch, wie es teil­wei­se von den Protagonist:innen der Sze­ne oder so man­chen Medi­en ver­mit­telt wird. Statt­des­sen steht der HipHop-​immanente Wert "Each one teach one" im Vor­der­grund, der etwa durch eine Paten­schaft von Torch für die Klas­se oder eine Kol­la­bo­ra­ti­on mit Niko Back­spin nicht nur theo­re­tisch, son­dern auch prak­tisch umge­setzt wird. Protagonist:innen der Sze­ne geben etwas wei­ter und tei­len ihr Wis­sen und Kön­nen mit der zukünf­ti­gen Generation.

Zum Erfolg die­ses Fachs tra­gen nicht nur die pro­mi­nen­ten Protagonist:innen bei. Ent­schei­dend ist auch das enor­me Enga­ge­ment des Leh­rers, Micha­el Krö­ger. Er hat das Kon­zept ent­wi­ckelt, Anfra­gen geschrie­ben, Kon­tak­te her­ge­stellt und, da der Bil­dungs­be­reich chro­nisch unter­fi­nan­ziert ist, Spon­so­ren orga­ni­siert. Snipes spen­det zum Bei­spiel Geld und Mon­ta­na stellt für den Graffiti-​Unterricht Dosen bereit. So kann ein fai­rer und inklu­si­ver HipHop-​Unterricht statt­fin­den, da alle Ler­nen­den kos­ten­frei Mate­ria­li­en gestellt bekommen.

Die Schüler:innen spü­ren, wofür sie in die Schu­le kom­men. Sie kön­nen ihre Graffiti-​Wand sehen oder von den Pat:innen ler­nen. Ihre Inter­es­sen und ihr Kön­nen ste­hen auf ein­mal im Fokus der Schu­le und nicht nur das, was in den teil­wei­se ver­al­te­ten Fach­anfor­de­run­gen und Lehr­plä­nen steht. Hip­Hop als Fach bie­tet also rie­si­ge Mög­lich­kei­ten und der Satz, dass Kin­der unse­re Zukunft sind, muss end­lich und sofort umge­setzt wer­den. Lip­pen­be­kennt­nis­se rei­chen nicht mehr. Daher kann die For­de­rung, wenn man wie ich an die Poten­zia­le der HipHop-​Kultur glaubt, nur sein: Hip­Hop als eigen­stän­di­ges Fach im Wahl­pflicht­un­ter­richt für alle Lernenden!

(Wen­de)
(Gra­fik von Dani­el Fersch)