Kategorien
Interview

Tobitob – ein Gespräch über die Techno-Bewegung

"Tech­no wur­de vom Osten und vom Wes­ten gleich­zei­tig ver­ein­nahmt. Das haben alle gemein­sam erlebt. Dadurch hat es etwas Iden­ti­täts­stif­ten­des gehabt." – Tobi­tob von Fünf Ster­ne delu­xe im Inter­view über die Anfän­ge von Tech­no in Deutsch­land, Gemein­sam­kei­ten von Tech­no und Hip­Hop sowie poli­ti­sche Musik.

Raven als Kul­tur hat in den letz­ten Jah­ren einen wah­ren Auf­schwung erfah­ren. Auf Tik­Tok und ande­ren Social Media-​Plattformen zei­gen Influencer:innen unter dem Hash­tag "Rave­tok" etwa, wie man sich für einen Rave anzieht und zur Musik bewegt. Das Hash­tag hat mitt­ler­wei­le meh­re­re Mil­li­ar­den Auf­ru­fe. Außer­dem zie­hen Fes­ti­vals wie die Natu­re One, das Son­ne­Mond­Ster­ne oder die Fusi­on jedes Jahr mehr Besucher:innen an. Der Hype hängt sicher­lich unter ande­rem damit zusam­men, dass es beim Tan­zen zu elek­tro­ni­scher Musik auch um das Ver­ges­sen, das Los­las­sen und Frei­heit geht. Din­ge, die Men­schen beson­ders in gesell­schaft­lich unsi­che­ren Zei­ten, wie wir sie aktu­ell erle­ben, füh­len wol­len. Außer­dem hat elek­tro­ni­sche Musik mitt­ler­wei­le maß­geb­li­chen Ein­fluss auf ande­re Musik­rich­tun­gen wie Rap. Dort wer­den Ele­men­te aus elek­tro­ni­scher Musik immer öfter ein­ge­setzt, zum Bei­spiel bei Domi­zia­na, Ski Aggu oder Den­nis Dies Das. Obwohl die Techno-​Bewegung als Jugend­kul­tur seit Ende der 80er in Deutsch­land exis­tiert und sich somit par­al­lel zur HipHop-​Kultur ent­wi­ckelt hat, haben bei­de Sze­nen auf den ers­ten Blick wenig Über­schnei­dun­gen. Den­noch gibt es Par­al­le­len: Zum Bei­spiel haben bei­de Kul­tu­ren seit ihren Anfän­gen eine Kom­mer­zia­li­sie­rung erfah­ren. Unter ande­rem dar­um soll­te es in die­sem Inter­view gehen. Tobi­tob, ehe­mals Tobi Tob­sen, Mit­glied von Fünf Ster­ne delu­xe, soll­te den meis­ten HipHop-​Heads ein Begriff sein. Dass er auch in der Elektro-​Szene aktiv ist und eine Hälf­te des legen­dä­ren DJ-​Duos Moon­boot­i­ca dar­stellt, ist hin­ge­gen eher weni­ger bekannt. Doch genau das mach­te ihn zum per­fek­ten Gesprächs­part­ner für uns. Er gab uns Ein­bli­cke, wel­che Bedeu­tun­gen die unter­schied­li­chen Sze­nen für ihn haben, wie er Ent­wick­lun­gen inner­halb die­ser wahr­nimmt und wie die Techno-​Kultur Ost- und West­deutsch­land mit­ein­an­der ver­bun­den hat. 

MZEE​.com: Seit über 25 Jah­ren bist du in der Musik­bran­che aktiv. Einer­seits hast du mit dei­ner Band Fünf Ster­ne delu­xe Rap in Deutsch­land ent­schei­dend beein­flusst. Ande­rer­seits bist du Teil des DJ-​Duos und gleich­na­mi­gen Labels Moon­boot­i­ca. Dadurch hast du Berüh­rungs­punk­te mit bei­den Sze­nen. Was macht für dich die Techno- im Gegen­satz zur HipHop-​Bewegung aus?

Tobi­tob: Es ist eine hedo­nis­ti­sche Bewe­gung und dadurch sehr ein­la­dend für alle Betei­lig­ten. Da ist für jeden Platz, denn es wird nicht groß unter­schie­den, wer du bist, und das hat mir immer sehr gut gefal­len. Anfang der 2000er wur­de Rap ein biss­chen här­ter. Es kam zu homo­pho­ben und teil­wei­se fast ras­sis­ti­schen Aus­sa­gen und Aus­gren­zung. Es hat mich damals schon gestört, dass sich die HipHop-​Bewegung in die­se Rich­tung ent­wi­ckelt hat. In die­ser Zeit habe ich dann die Techno- und House­sze­ne für mich ent­deckt, in denen es eher auf­ge­schlos­se­ne Leu­te gibt, die locker mit­ein­an­der umge­hen und dem ande­ren genü­gend Raum las­sen. Das sind idea­lis­ti­sche Vor­stel­lun­gen von einer Sze­ne, die es so nicht mehr gibt. In den 1990er Jah­ren gab es noch eine rich­ti­ge Techno-​Szene mit ein­ge­fleisch­ten Fans und Prot­ago­nis­ten. Elek­tro­ni­sche Musik ist mit der Zeit popu­lä­rer gewor­den und bestimmt mitt­ler­wei­le das Sound­bild von Pop mit. Zudem zie­hen die gro­ßen Fes­ti­vals inzwi­schen bis zu 80 000 Leu­te. Dadurch hat die Sze­ne die­sen idea­lis­ti­schen Aspekt mehr und mehr ver­lo­ren. Tech­no wur­de zu einem Mas­sen­phä­no­men und einer kom­mer­zi­ell aus­ge­rich­te­ten Sze­ne – wie über­all, wenn das Geld kommt. Mit Hip­Hop war das ähn­lich. Gera­de am Anfang war man in Deutsch­land noch abso­lu­ter Vor­rei­ter und muss­te ohne Gagen auf­tre­ten. Sobald das Geld gekom­men ist, lag der Fokus auf ande­ren Dingen.

MZEE​.com: Erin­nerst du dich noch an dei­ne ers­ten Berüh­rungs­punk­te mit der Techno-Szene?

Tobi­tob: Mein Bru­der hat mir alle neu­en Musik­styl­es gezeigt. Er hat schon Ende der 80er Italo Dis­co, die Anfän­ge von Chi­ca­go House und Hip­Hop gehört. Anfang der 90er habe ich haupt­säch­lich Rap gehört, weil da für mich mehr Herz­blut drin­steck­te. Die gan­ze Techno-​Bewegung, die mit der Love­pa­ra­de auf­kam, haben wir eher belä­chelt. Trance und Tech­no waren sogar der "Feind" von Hip­Hop, im Spaß natür­lich. Damit hat­ten wir kei­ne Berüh­rungs­punk­te, weil der Life­style nichts mit unse­rem zu tun hat­te. Erst die French House-​Welle Ende der 90er, die uns alle gekickt hat, obwohl es eigent­lich nicht unser Musik­ge­schmack war. DJ Koze hat hier in Ham­burg ange­fan­gen, regel­mä­ßig auf­zu­le­gen. Er hat einen wil­den Stil­mix aus Acid und French House gespielt, das war für mich das ers­te Aha-​Erlebnis. Es hat dann aber noch lan­ge gedau­ert, bis wir ange­fan­gen haben, das selbst ernst­haft zu pro­du­zie­ren. Zum Auf­le­gen ist es nur durch einen Zufall gekom­men, weil ich mit Kowe (Anm. d. Red.: Oli­ver Kowal­ski aka Kowe­Six) als Ersatz für DJ Koze ein­ge­sprun­gen bin. Er soll­te an dem Abend im Gol­den Pudel Club in Ham­burg auf­le­gen, aber er ist krank gewe­sen. Wir haben ihn ver­tre­ten und erst mal Trip-​Hop und Break­beats gespielt. Das war alles ganz nett. Irgend­wann habe ich ange­fan­gen, mei­ne fünf House-​Scheiben auf­zu­le­gen. Dar­un­ter waren zum Bei­spiel auch Daft Punk und Star­dust. Bei "Music Sounds Bet­ter With You" flo­gen in dem Laden auf ein­mal die Wän­de aus­ein­an­der. Die­ses Erleb­nis war für uns die Initi­al­zün­dung. Wir fan­den es rich­tig fett, dass die­se Eupho­rie ent­ste­hen kann und woll­ten das noch mal erle­ben. Ein hal­bes Jahr spä­ter haben wir ange­fan­gen, in Ham­burg eine regel­mä­ßi­ge Party-​Reihe unter dem Namen Moon­boot­i­ca zu ver­an­stal­ten. Dar­aus ist auch das Pro­jekt Moon­boot­i­ca entstanden.

MZEE​.com: Haben Rap und Tech­no eine gleich­wer­ti­ge Bedeu­tung für dich?

Tobi­tob: Ich kann das gar nicht tren­nen. Die bei­den Musik­rich­tun­gen rufen unter­schied­li­che Gefüh­le her­vor. An das, was Hip­Hop in mei­ner Jugend mit mir gemacht hat, wird kei­ne ande­re Musik ran­kom­men kön­nen. Damit sind so tie­fe, fest­sit­zen­de Gefüh­le ver­bun­den. Aber ich habe mich in den letz­ten Jah­ren mehr mit elek­tro­ni­scher Musik beschäf­tigt. Des­we­gen liegt mein Fokus der letz­ten 15 Jah­re ganz klar auf House und Tech­no. Man kann das gar nicht beschrei­ben, wenn man das noch nicht erlebt hat. Wenn die Musik auf einem Event bei allen gleich­zei­tig ankommt und funk­tio­niert, ist das ein magi­scher Moment, der durch den Raum geht. Das ist ähn­lich eupho­ri­sie­rend wie alles, was ich vor­her in Bezug auf Hip­Hop gemeint hat­te. Die Emo­tio­nen, die Hip­Hop mir gege­ben hat und immer wie­der gibt, sind nicht zu top­pen. Bei­des löst in mir sehr tie­fe, aber sehr unter­schied­li­che Gefüh­le aus.

MZEE​.com: Kannst du denn dein Rapper-​Ich und dein DJ-​Ich gut von­ein­an­der trennen?

Tobi­tob: Ja, defi­ni­tiv. Musik­ma­chen bedeu­tet für mich, Beats zu schrau­ben oder House-​Tracks zu machen. Mei­ne gro­ße Lie­be war immer das Pro­du­zie­ren. Ich habe auch ger­ne gerappt, aber das Tex­te­schrei­ben habe ich immer ein biss­chen gemie­den. Ich bin kein Mensch, der von sich aus mit dem Schrei­ben von Tex­ten im Kopf anfängt. Des­we­gen ist mein lyri­sches Ich immer von mei­nem musi­ka­li­schen Ich getrennt gewesen.

MZEE​.com: Sze­nen ent­wi­ckeln sich stän­dig wei­ter, vor allem weil sie eng mit Jugend-​Kulturen ver­bun­den sind. Hast du in der Techno-​Szene Trends beob­ach­tet, die du beson­ders posi­tiv fin­dest, oder auch sol­che, die dir Sor­gen bereiten?

Tobi­tob: Grund­sätz­lich ist Ent­wick­lung immer etwas Gutes, auch wenn sie einem per­sön­lich nicht gefällt. Gera­de bei moder­nen Musik­rich­tun­gen wie Tech­no oder Hip­Hop ist es ein Teil des Gan­zen, die Ent­wick­lung mit­zu­ma­chen. Vie­le der älte­ren Sze­ne­an­hän­ger sagen, dass der ein­zig wah­re Hip­Hop in den 90ern gemacht wur­de. Das ist tota­ler Hum­bug. Ich kann das ver­ste­hen, weil eini­ges, was damals noch an Emo­tio­nen in der Musik drin war, sich mitt­ler­wei­le stark ver­än­dert hat. Es bedient heu­te eine ande­re Gefühls­pa­let­te. Genau­so ste­cken heu­te in der Musik Sachen drin, die die 90er nicht hat­ten. Es ist gei­ler in bestimm­ten Punk­ten, aber es sind auch Sachen auf dem Weg abhan­den­ge­kom­men. Etwas Ähn­li­ches gibt es auch im Techno-​Bereich. Wit­zi­ger­wei­se fin­det gera­de ein Revi­val der 90er statt, obwohl es eine Musik­rich­tung ist, die sich frisch und modern anhö­ren soll, weil es eine Art Zukunfts­mu­sik ist. Da wird vie­les mit Absicht so pro­du­ziert, dass es nost­al­gi­sche Gefüh­le her­vor­ruft. Dadurch den­ken die Leu­te dar­an zurück, was damals war, auch wenn es nur vor­ge­täuscht ist. Denn das, was die Leu­te am meis­ten ver­mis­sen, ist die­ses fami­liä­re Underground-​Gefühl. Das hat etwas aus­ge­löst, was jetzt durch die kom­plet­te Kom­mer­zia­li­sie­rung sämt­li­cher moder­ner Musik­rich­tun­gen ver­lo­ren gegan­gen ist. Genau das ist auch mit Hip­Hop pas­siert. Am Anfang gab es hier in Deutsch­land ver­rück­te Idea­lis­ten, die bereit waren, für 'n Appel und 'n Ei und eine Über­nach­tung auf irgend­ei­ner Couch zu einer HipHop-​Jam zu fah­ren, nur um auf­tre­ten zu dür­fen. Heut­zu­ta­ge bewegst du dei­nen Arsch nicht, wenn nicht ent­spre­chend Koh­le ange­bo­ten wird. Dadurch geht mas­siv das Fee­ling flö­ten. Aber das ist eine logi­sche Kon­se­quenz aus einer grö­ßer wer­den­den Sze­ne. Es wer­den nicht nur Idea­lis­ten rein­ge­spült, son­dern in ers­ter Linie Kon­su­men­ten. Kon­su­men­ten wol­len nur kon­su­mie­ren. Denen ist das scheiß­egal, ob irgend­ein Spi­rit dahin­ter­steckt oder nicht.

MZEE​.com: Auf Tik­Tok gibt es mitt­ler­wei­le eine rich­ti­ge Rave-​Bubble. Techno-Influencer:innen zei­gen zum Bei­spiel, wie man sich für einen Rave anzie­hen soll. Wider­spricht das nicht dem Grund­ge­dan­ken eines Raves, dass man sich dort frei ent­fal­ten soll?

Tobi­tob: Das ist ein Teil der immer grö­ßer wer­den­den Event-​Kultur. Es reicht nicht, auf einen Frei­tag­abend in den Club zu gehen und einen unbe­kann­ten DJ zu hören, son­dern es muss ein Spe­cial Event sein, für das man sich extra "ver­klei­det" oder sich spe­zi­ell anzieht, um einen beson­de­ren Abend zu erle­ben. In mei­ner Jugend war das anders. Wir sind aus­ge­gan­gen, weil wir aus­ge­hen woll­ten, und nicht, weil wir beson­de­re Erwar­tun­gen hat­ten. Des­we­gen ist es für vie­le Clubs im Moment schwie­rig und Fes­ti­vals explo­die­ren. Zumin­dest die Anzahl der Fes­ti­vals und teil­wei­se auch die Grö­ße. Das, was aktu­ell pas­siert, ist fas­zi­nie­rend und hat es vor­her noch nie gege­ben. Seit ich die Techno-​Szene beglei­te, also seit 2000, haben sich alle fünf Jah­re die Leu­te aus­ge­wech­selt. Denn ab 30 gehen vie­le Leu­te, war­um auch immer, weni­ger aus. Das hat für mich nie gegol­ten, aber für vie­le ande­re gilt das. Dadurch gab es einen Aus­tausch der Kon­ven­tio­nen von der älte­ren an die jün­ge­re Gene­ra­ti­on. Es gab eine gewis­se Kon­ti­nui­tät, wie die Club­mu­sik sich mit dem Strom der Zeit ver­än­dert hat. Durch die Corona-​Krise sind die Kids, die gera­de 18 gewor­den sind, zwei Jah­re lang nicht in den Club und auf Fes­ti­vals gegan­gen. Aus die­sem Grund hat die­se Über­ga­be der älte­ren Gene­ra­ti­on an die jün­ge­re Gene­ra­ti­on nicht statt­ge­fun­den. Jetzt nach Coro­na sind die Älte­ren schon nicht mehr im Club und die Jün­ge­ren sind die­ses oder letz­tes Jahr das ers­te Mal auf Fes­ti­vals und im Club gewe­sen und haben sich eben woan­ders infor­miert. Tik­Tok hat ihnen Rave-​Kultur bei­gebracht, aber eine gene­ri­sche TikTok-​Rave-​Kultur. Es ist auf ein­mal eine Musik­rich­tung und ein Style, der wie aus dem Nichts zu kom­men scheint. Aber es hat die Leu­te, die das machen, min­des­tens zwei bis drei Jah­re kom­plett beglei­tet und geprägt.

MZEE​.com: Was hat sich für dich beim Auf­le­gen seit der Pan­de­mie verändert?

Tobi­tob: Man merkt sofort, dass sich die Boo­kings ver­än­dert haben. Schnel­ler, har­ter Tech­no ist das ulti­ma­ti­ve Ding. Auch Hard­core als Musik­rich­tung ist momen­tan durch­aus beliebt. Das hat jetzt eine Grö­ße ange­nom­men, die man vor­her noch nicht kann­te. Ansons­ten ist die Festival-​Kultur wie­der da, wo sie vor drei Jah­ren war.

MZEE​.com: Kannst du die­sen Wech­sel zu schnel­le­rem, har­ten Tech­no mit einer gesell­schaft­li­chen Strö­mung assoziieren?

Tobi­tob: Gera­de im Tech­no gibt es immer Wel­len. Vor sie­ben Jah­ren gab es die Deep House-​Welle. Davor war alles maxi­mal hart, laut und sehr noi­sy. Und dann hat es im Ver­lauf von fünf Jah­ren einen Para­dig­men­wech­sel zu sof­tem, lang­sa­mem und melo­diö­sem Tech­no gege­ben. Jetzt geht es wie­der in Rich­tung schnell und hart. Man könn­te das auf die Gesell­schaft über­tra­gen und sagen: Je unsi­che­rer die Lage ist, des­to mehr wol­len die Leu­te schnel­len Kon­sum, der sie ablenkt. Bei Deep House muss­te man selbst mit­ma­chen. Wenn Tech­no schnell und hart ist, zwingt dich die Bass­drum zur Bewe­gung. Du wirst von der Musik bewegt und kannst nichts dage­gen machen außer weg­zu­ge­hen. Bei Deep House war das dei­ne eige­ne Ent­schei­dung. Jetzt haben die Leu­te wie­der Bock auf puren, unver­fälsch­ten Hedo­nis­mus. Ein­fach auf die Fres­se und los­bal­lern. Das kann man sicher­lich auf die unsi­che­re Welt­la­ge zurück­füh­ren. Der Wunsch nach Ver­ges­sen und Frei­heit für den Moment ist wahr­schein­lich grö­ßer denn je.

MZEE​.com: Jeff Mills, einer der bedeu­tends­ten Ver­tre­ter des Detroit Tech­no, hat mal gesagt: "But it wasn't desi­gned to be dance music, it was desi­gned to be a futu­rist state­ment." – "It" bezog sich in dem Zusam­men­hang auf Tech­no. Was denkst du darüber?

Tobi­tob: Das ist rich­tig und aus sei­ner Sicht völ­lig nach­voll­zieh­bar, weil gera­de der Detroit Tech­no als ers­te Techno-​Form aus Ame­ri­ka eine Kom­pro­miss­lo­sig­keit in sich hat­te, die heut­zu­ta­ge kaum noch vor­han­den ist. Wenn du dir Mainstream-​Techno oder Mainstream-​House anhörst, funk­tio­niert das nach abge­kar­te­ten Regeln. Es gibt einen Break, im bes­ten Fal­le sogar ein biss­chen Gesang, dann gibt es einen Trom­mel­wir­bel und kurz vor der Eins gibt es einen Takt Pau­se. Dann geht es auf die Eins rein und alle wis­sen, dass es jetzt los­geht. Das sind Tools, um den Leu­ten ein opti­ma­les gemein­sa­mes Erleb­nis zu geben, nimmt aber alles aus dem State­ment raus, dass es kom­pro­miss­lo­se Musik sein soll­te. Es ist ein gro­ßer Kom­pro­miss, dem Publi­kum anzu­zei­gen, wann sie abge­hen sol­len. Dar­an sieht man genau, wie sehr sich Musik ver­än­dert, wenn es einen kom­mer­zi­el­len Sinn und Zweck gibt. Je mehr Leu­te auf dem Dance­f­lo­or ste­hen, des­to weni­ger sind wirk­li­che Exper­ten und der Groß­teil sind die Kon­su­men­ten, von denen ich gera­de gespro­chen habe. Denen musst du es leicht machen. Das heißt, je mehr Men­schen, des­to ein­fa­cher die Musik und des­to weni­ger hast du Tech­no als State­ment, son­dern als ein­fach zu kon­su­mie­ren­des Mit­tel, um Leu­te zum Tan­zen zu brin­gen. Ich fin­de, die Wahr­heit liegt wie immer in der Mit­te. Ich freue mich, wenn die Musik den Leu­ten ermög­licht, einen gemein­sa­men Höhe­punkt zu erle­ben. Wenn sich alle dar­auf eini­gen kön­nen, fin­de ich das auch recht befrie­di­gend. Aber es killt den Anspruch, dass das ein Futurist-​Statement sein soll.

MZEE​.com: Ele­men­te aus elek­tro­ni­scher Musik wer­den sehr erfolg­reich im Rap ein­ge­setzt. Zum Bei­spiel in der Musik von FiNCH, Domi­zia­na oder Ski Aggu. Wie­so, glaubst du, ist die­se Ent­wick­lung gefühlt so spät nach Deutsch­land über­ge­schwappt? In UK gibt es Grime seit Anfang der 00er Jah­re und er hat Grö­ßen wie Skep­ta oder Storm­zy hervorgebracht.

Tobi­tob: Das ist ein kul­tu­rel­les Ding. In Lon­don ist die gan­ze Black Com­mu­ni­ty viel grö­ßer und hat schon immer Musik­rich­tun­gen ver­mischt. Gara­ge in den 90ern war der Ver­such, Hip­Hop, Break­beat und House mit­ein­an­der zu fusio­nie­ren. Die gan­ze Drum 'n' Bass-​Bewegung hat viel mehr mit Hip­Hop gemein­sam als mit Tech­no. Allein schon durch die Vocals. Alle fol­gen­den Musik­rich­tun­gen waren nur Deri­va­te von exis­tie­ren­den Fusio­nen. Grime war zusam­men mit Dub­step auch eher mit Rap als mit Elek­tro ver­bun­den. Das war in Deutsch­land vie­le Jah­re nicht so. Es gab hier immer die HipHop-​Szene und die Dance-​Szene. Aber die Leu­te gehen nicht nur zu Rap-​Konzerten, son­dern auch in Clubs und haben Bock, auf Tech­no zu fei­ern. Die gan­zen moder­nen, jün­ge­ren Sachen sind alle davon geprägt, dass es Fei­er­mu­sik ist. Und das geht mit einem Vier­vier­tel­takt immer noch am besten.

MZEE​.com: In der HipHop-​Kultur gibt es neben Rap noch ande­re Dis­zi­pli­nen. Wür­dest du sagen, dass es in der Techno-​Kultur eine Ent­spre­chung gibt?

Tobi­tob: Die­ses gemein­sa­me Erle­ben ist etwas, was in der Techno-​Szene ver­an­kert ist. Nach einer Par­ty geht man bei­spiels­wei­se noch gemein­sam woan­ders hin, um den Abend dort aus­klin­gen zu las­sen. Das wäre mir frü­her bei Hip­Hop nicht auf­ge­fal­len. Es gibt kei­ne Dis­zi­pli­nen wie Sprü­hen, Break­dance oder so was. Allein schon der Unter­schied zwi­schen Leu­ten, die House und Tech­no hören, ist groß. Das wird auch in der Mode deut­lich, die getra­gen wird. Tech­no ist eher eine deut­sche Musik­rich­tung mit einer gewis­sen Gerad­li­nig­keit und wenig Groo­ve. House hin­ge­gen ist eher ein Black Community-​Ding mit sehr groo­vi­gen Ele­men­ten und Schwar­zen Wur­zeln. Allein dadurch hast du sehr unter­schied­li­che Kul­tu­ren in den ver­schie­de­nen Berei­chen. Auch wenn sich das mischt und jemand, der ger­ne Tech­no hört, viel­leicht auch ger­ne House hört, sind das vom Fee­ling her ganz unter­schied­li­che Dinge.

MZEE​.com: Visu­als und Instal­la­tio­nen sind bei Psy Trance und Goa-​Partys zum Bei­spiel Teil der Kultur. 

Tobi­tob: Bei Psy Trance kommt noch die spi­ri­tu­el­le Kom­po­nen­te dazu, die der Bewe­gung eine gewis­se Tie­fe ver­leiht. Das ist dort noch mal etwas Beson­de­res und wür­de mir bei ande­ren Musik­rich­tun­gen nicht so ein­fal­len. Was man aber als DJ leicht ver­gisst, ist die VJ-​Kultur. Sie hat ganz klar was mit Tech­no zu tun. Licht und Licht­in­stal­la­ti­on wer­den deut­lich mehr ein­ge­setzt als in ande­ren Musik­rich­tun­gen und spie­len für das Erleb­nis eine gro­ße Rol­le. Da besteht schon der Anspruch, das zur Kunst wer­den zu las­sen. Das stimmt schon.

MZEE​.com: Wer ist bei Moon­boot­i­ca für die Visu­als und die Ästhe­tik zuständig?

Tobi­tob: Dadurch, dass wir immer auf Fes­ti­vals oder in Clubs auf­tre­ten, bei denen das zur Ver­fü­gung gestellt wird, ist es ganz sel­ten, dass man mit einem eige­nen VJ anreist. Hier in Ham­burg haben wir immer mit VJ Video­king zusam­men­ge­ar­bei­tet. Er ist lei­der Anfang des Jah­res ver­stor­ben. Er hat­te auch so einen spe­zi­el­len Humor, der mit unse­rem kon­form war. Das war weni­ger schön als sehr lus­tig anzusehen.

MZEE​.com: Das tut mir sehr leid.

Tobi­tob: Ja. (hält kurz inne)

MZEE​.com: Ihr seid für euren spe­zi­el­len Humor bekannt. Wie bringt man den bei einer text­frei­en Musik-​Form rüber?

Tobi­tob: Anfangs wur­den wir oft gebucht, weil ich einer von Fünf Ster­ne delu­xe war. Wir woll­ten die­se Art von Humor dann in die Techno-​Szene mit rüber­neh­men, weil wir immer das Gefühl hat­ten, dass die Leu­te sich da viel zu ernst neh­men. Gera­de des­halb war es uns wich­tig, denn das hat dort gefehlt.

MZEE​.com: Habt ihr das wirk­lich über Ansa­gen gemacht?

Tobi­tob: Nicht wäh­rend der Auf­trit­te, aber zum Bei­spiel, wenn wir Inter­views gege­ben haben. Da gab es ein paar legen­dä­re Schwachsinns-​Interviews, die sehr unter­halt­sam waren. Es war lan­ge Zeit unser Mar­ken­zei­chen, frot­ze­li­ge Inter­views zu geben.

MZEE​.com: Die habe ich auch gese­hen und mich gefragt, wie es wohl wird, wenn ich mit nicht-​oberflächlichen Fra­gen um die Ecke komme.

Tobi­tob: Das hat sich über die Jah­re ver­än­dert. Uns war das gar nicht bewusst. Das sind Situa­tio­nen gewe­sen, in denen wir direkt vom Gig in das Inter­view gegan­gen sind und dem­entspre­chend Bock hat­ten, ein biss­chen zu zündeln.

MZEE​.com: Eine poli­ti­sche Mes­sa­ge kann man mit elek­tro­ni­scher Musik schwie­ri­ger trans­por­tie­ren, da sie, im Gegen­satz zu Rap, meist ohne Text aus­kommt. Den­noch ist die Techno-​Kultur nicht unpo­li­tisch. Wie prä­sent ist Poli­tik dei­ner Mei­nung nach in der Community?

Tobi­tob: Inklu­si­on, Tole­ranz und Viel­fäl­tig­keit wer­den bei allen Fes­ti­vals und Clubs groß geschrie­ben. Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­te und Awareness-​Teams gab es schon früh. Da ist die Techno-​Szene wei­ter als ande­re und das schreibt sie sich groß auf die Fah­ne. Ansons­ten ist es schwie­rig, eine poli­ti­sche Mes­sa­ge her­aus­zu­zie­hen, weil die Leu­te aus sehr unter­schied­li­chen Hin­ter­grün­den kom­men. Dar­über wird nicht viel gere­det. Durch Coro­na gab es vie­le Aus­ein­an­der­set­zun­gen über Sinn und Unsinn, die dann teil­wei­se in rech­te Spek­tren abge­rutscht sind. Aber in Bezug auf wirk­li­che Poli­tik ist die Sze­ne unpo­li­tisch. Sozi­al ist sie hin­ge­gen sehr enga­giert, da wer­den auch gute Initia­ti­ven unter­stützt. Aber es gibt weni­ge Songs, die tat­säch­lich eine Aus­sa­ge haben. Es gibt ein paar, aber ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich kei­ne schlech­te Lau­ne auf den Dance­f­lo­or brin­gen will. Des­we­gen sind es, wenn über­haupt, posi­ti­ve Mes­sa­ges. Tech­no war die ers­te Musik­rich­tung, die Ost- und West­deutsch­land zusam­men­ge­bracht hat. Des­halb ist die Sze­ne hier so groß gewor­den. Dadurch ist wahr­schein­lich die­ser "Frie­de, Freu­de, Eierkuchen"-Gedanke bei der Love­pa­ra­de ent­stan­den. (Anm. d. Red.: Die ers­te Love­pa­ra­de wur­de als Demo mit dem Mot­to "Frie­de, Freu­de, Eier­ku­chen" ange­mel­det, wobei Frie­den für Abrüs­tung, Freu­de durch Musik als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel und Eier­ku­chen für die gerech­te Nah­rungs­mit­tel­ver­tei­lung stand.) Ich habe es selbst nicht mit­be­kom­men, aber ein paar Dokus gese­hen. Es muss sehr beson­ders gewe­sen sein, als die Leu­te aus Ost­deutsch­land mit ihren ande­ren Kla­mot­ten zum ers­ten Mal in die Clubs rein­ge­kom­men sind. Tech­no wur­de vom Osten und vom Wes­ten gleich­zei­tig ver­ein­nahmt. Das haben alle gemein­sam erlebt. Dadurch hat es etwas Iden­ti­täts­stif­ten­des gehabt. Die­ses Gefühl steckt zumin­dest in der deut­schen Techno-​Szene noch in der Ursub­stanz drin.

MZEE​.com: Wel­che Rol­le spie­len Poli­tik und Mes­sa­ge für dich in dei­ner Kunst?

Tobi­tob: Ich wür­de mich als poli­ti­schen Men­schen bezeich­nen, aber poli­ti­sche Musik habe ich oft als leicht unan­ge­nehm emp­fun­den. Ich fin­de es gut, Songs mit Aus­sa­ge zu haben. Aber bei Tobi und Bo und Fünf Ster­ne delu­xe haben wir es nicht so mit den poli­ti­schen Inhal­ten. Sie sind im Kon­text. Es gibt phi­lo­so­phi­sche Sachen und Lebens­weis­hei­ten, die wir ger­ne von uns geben und die durch­aus einen bedeu­ten­den Kern für uns haben. Wir wol­len mit unse­rer Per­sön­lich­keit ein Vor­bild sein, anstatt zu sagen, wie man sein soll. Das ist unse­re Mes­sa­ge. Wor­auf wir immer sehr viel Wert gelegt haben, ist, dass wir Frei­geis­ter sind und das auch blei­ben wol­len. Das ist auch der Kon­sens bei Moon­boot­i­ca. Wir wol­len uns weder sti­lis­tisch noch inhalt­lich begrenzen.

(Malin Tee­gen)