Raven als Kultur hat in den letzten Jahren einen wahren Aufschwung erfahren. Auf TikTok und anderen Social Media-Plattformen zeigen Influencer:innen unter dem Hashtag "Ravetok" etwa, wie man sich für einen Rave anzieht und zur Musik bewegt. Das Hashtag hat mittlerweile mehrere Milliarden Aufrufe. Außerdem ziehen Festivals wie die Nature One, das SonneMondSterne oder die Fusion jedes Jahr mehr Besucher:innen an. Der Hype hängt sicherlich unter anderem damit zusammen, dass es beim Tanzen zu elektronischer Musik auch um das Vergessen, das Loslassen und Freiheit geht. Dinge, die Menschen besonders in gesellschaftlich unsicheren Zeiten, wie wir sie aktuell erleben, fühlen wollen. Außerdem hat elektronische Musik mittlerweile maßgeblichen Einfluss auf andere Musikrichtungen wie Rap. Dort werden Elemente aus elektronischer Musik immer öfter eingesetzt, zum Beispiel bei Domiziana, Ski Aggu oder Dennis Dies Das. Obwohl die Techno-Bewegung als Jugendkultur seit Ende der 80er in Deutschland existiert und sich somit parallel zur HipHop-Kultur entwickelt hat, haben beide Szenen auf den ersten Blick wenig Überschneidungen. Dennoch gibt es Parallelen: Zum Beispiel haben beide Kulturen seit ihren Anfängen eine Kommerzialisierung erfahren. Unter anderem darum sollte es in diesem Interview gehen. Tobitob, ehemals Tobi Tobsen, Mitglied von Fünf Sterne deluxe, sollte den meisten HipHop-Heads ein Begriff sein. Dass er auch in der Elektro-Szene aktiv ist und eine Hälfte des legendären DJ-Duos Moonbootica darstellt, ist hingegen eher weniger bekannt. Doch genau das machte ihn zum perfekten Gesprächspartner für uns. Er gab uns Einblicke, welche Bedeutungen die unterschiedlichen Szenen für ihn haben, wie er Entwicklungen innerhalb dieser wahrnimmt und wie die Techno-Kultur Ost- und Westdeutschland miteinander verbunden hat.
MZEE.com: Seit über 25 Jahren bist du in der Musikbranche aktiv. Einerseits hast du mit deiner Band Fünf Sterne deluxe Rap in Deutschland entscheidend beeinflusst. Andererseits bist du Teil des DJ-Duos und gleichnamigen Labels Moonbootica. Dadurch hast du Berührungspunkte mit beiden Szenen. Was macht für dich die Techno- im Gegensatz zur HipHop-Bewegung aus?
Tobitob: Es ist eine hedonistische Bewegung und dadurch sehr einladend für alle Beteiligten. Da ist für jeden Platz, denn es wird nicht groß unterschieden, wer du bist, und das hat mir immer sehr gut gefallen. Anfang der 2000er wurde Rap ein bisschen härter. Es kam zu homophoben und teilweise fast rassistischen Aussagen und Ausgrenzung. Es hat mich damals schon gestört, dass sich die HipHop-Bewegung in diese Richtung entwickelt hat. In dieser Zeit habe ich dann die Techno- und Houseszene für mich entdeckt, in denen es eher aufgeschlossene Leute gibt, die locker miteinander umgehen und dem anderen genügend Raum lassen. Das sind idealistische Vorstellungen von einer Szene, die es so nicht mehr gibt. In den 1990er Jahren gab es noch eine richtige Techno-Szene mit eingefleischten Fans und Protagonisten. Elektronische Musik ist mit der Zeit populärer geworden und bestimmt mittlerweile das Soundbild von Pop mit. Zudem ziehen die großen Festivals inzwischen bis zu 80 000 Leute. Dadurch hat die Szene diesen idealistischen Aspekt mehr und mehr verloren. Techno wurde zu einem Massenphänomen und einer kommerziell ausgerichteten Szene – wie überall, wenn das Geld kommt. Mit HipHop war das ähnlich. Gerade am Anfang war man in Deutschland noch absoluter Vorreiter und musste ohne Gagen auftreten. Sobald das Geld gekommen ist, lag der Fokus auf anderen Dingen.
MZEE.com: Erinnerst du dich noch an deine ersten Berührungspunkte mit der Techno-Szene?
Tobitob: Mein Bruder hat mir alle neuen Musikstyles gezeigt. Er hat schon Ende der 80er Italo Disco, die Anfänge von Chicago House und HipHop gehört. Anfang der 90er habe ich hauptsächlich Rap gehört, weil da für mich mehr Herzblut drinsteckte. Die ganze Techno-Bewegung, die mit der Loveparade aufkam, haben wir eher belächelt. Trance und Techno waren sogar der "Feind" von HipHop, im Spaß natürlich. Damit hatten wir keine Berührungspunkte, weil der Lifestyle nichts mit unserem zu tun hatte. Erst die French House-Welle Ende der 90er, die uns alle gekickt hat, obwohl es eigentlich nicht unser Musikgeschmack war. DJ Koze hat hier in Hamburg angefangen, regelmäßig aufzulegen. Er hat einen wilden Stilmix aus Acid und French House gespielt, das war für mich das erste Aha-Erlebnis. Es hat dann aber noch lange gedauert, bis wir angefangen haben, das selbst ernsthaft zu produzieren. Zum Auflegen ist es nur durch einen Zufall gekommen, weil ich mit Kowe (Anm. d. Red.: Oliver Kowalski aka KoweSix) als Ersatz für DJ Koze eingesprungen bin. Er sollte an dem Abend im Golden Pudel Club in Hamburg auflegen, aber er ist krank gewesen. Wir haben ihn vertreten und erst mal Trip-Hop und Breakbeats gespielt. Das war alles ganz nett. Irgendwann habe ich angefangen, meine fünf House-Scheiben aufzulegen. Darunter waren zum Beispiel auch Daft Punk und Stardust. Bei "Music Sounds Better With You" flogen in dem Laden auf einmal die Wände auseinander. Dieses Erlebnis war für uns die Initialzündung. Wir fanden es richtig fett, dass diese Euphorie entstehen kann und wollten das noch mal erleben. Ein halbes Jahr später haben wir angefangen, in Hamburg eine regelmäßige Party-Reihe unter dem Namen Moonbootica zu veranstalten. Daraus ist auch das Projekt Moonbootica entstanden.
MZEE.com: Haben Rap und Techno eine gleichwertige Bedeutung für dich?
Tobitob: Ich kann das gar nicht trennen. Die beiden Musikrichtungen rufen unterschiedliche Gefühle hervor. An das, was HipHop in meiner Jugend mit mir gemacht hat, wird keine andere Musik rankommen können. Damit sind so tiefe, festsitzende Gefühle verbunden. Aber ich habe mich in den letzten Jahren mehr mit elektronischer Musik beschäftigt. Deswegen liegt mein Fokus der letzten 15 Jahre ganz klar auf House und Techno. Man kann das gar nicht beschreiben, wenn man das noch nicht erlebt hat. Wenn die Musik auf einem Event bei allen gleichzeitig ankommt und funktioniert, ist das ein magischer Moment, der durch den Raum geht. Das ist ähnlich euphorisierend wie alles, was ich vorher in Bezug auf HipHop gemeint hatte. Die Emotionen, die HipHop mir gegeben hat und immer wieder gibt, sind nicht zu toppen. Beides löst in mir sehr tiefe, aber sehr unterschiedliche Gefühle aus.
MZEE.com: Kannst du denn dein Rapper-Ich und dein DJ-Ich gut voneinander trennen?
Tobitob: Ja, definitiv. Musikmachen bedeutet für mich, Beats zu schrauben oder House-Tracks zu machen. Meine große Liebe war immer das Produzieren. Ich habe auch gerne gerappt, aber das Texteschreiben habe ich immer ein bisschen gemieden. Ich bin kein Mensch, der von sich aus mit dem Schreiben von Texten im Kopf anfängt. Deswegen ist mein lyrisches Ich immer von meinem musikalischen Ich getrennt gewesen.
MZEE.com: Szenen entwickeln sich ständig weiter, vor allem weil sie eng mit Jugend-Kulturen verbunden sind. Hast du in der Techno-Szene Trends beobachtet, die du besonders positiv findest, oder auch solche, die dir Sorgen bereiten?
Tobitob: Grundsätzlich ist Entwicklung immer etwas Gutes, auch wenn sie einem persönlich nicht gefällt. Gerade bei modernen Musikrichtungen wie Techno oder HipHop ist es ein Teil des Ganzen, die Entwicklung mitzumachen. Viele der älteren Szeneanhänger sagen, dass der einzig wahre HipHop in den 90ern gemacht wurde. Das ist totaler Humbug. Ich kann das verstehen, weil einiges, was damals noch an Emotionen in der Musik drin war, sich mittlerweile stark verändert hat. Es bedient heute eine andere Gefühlspalette. Genauso stecken heute in der Musik Sachen drin, die die 90er nicht hatten. Es ist geiler in bestimmten Punkten, aber es sind auch Sachen auf dem Weg abhandengekommen. Etwas Ähnliches gibt es auch im Techno-Bereich. Witzigerweise findet gerade ein Revival der 90er statt, obwohl es eine Musikrichtung ist, die sich frisch und modern anhören soll, weil es eine Art Zukunftsmusik ist. Da wird vieles mit Absicht so produziert, dass es nostalgische Gefühle hervorruft. Dadurch denken die Leute daran zurück, was damals war, auch wenn es nur vorgetäuscht ist. Denn das, was die Leute am meisten vermissen, ist dieses familiäre Underground-Gefühl. Das hat etwas ausgelöst, was jetzt durch die komplette Kommerzialisierung sämtlicher moderner Musikrichtungen verloren gegangen ist. Genau das ist auch mit HipHop passiert. Am Anfang gab es hier in Deutschland verrückte Idealisten, die bereit waren, für 'n Appel und 'n Ei und eine Übernachtung auf irgendeiner Couch zu einer HipHop-Jam zu fahren, nur um auftreten zu dürfen. Heutzutage bewegst du deinen Arsch nicht, wenn nicht entsprechend Kohle angeboten wird. Dadurch geht massiv das Feeling flöten. Aber das ist eine logische Konsequenz aus einer größer werdenden Szene. Es werden nicht nur Idealisten reingespült, sondern in erster Linie Konsumenten. Konsumenten wollen nur konsumieren. Denen ist das scheißegal, ob irgendein Spirit dahintersteckt oder nicht.
MZEE.com: Auf TikTok gibt es mittlerweile eine richtige Rave-Bubble. Techno-Influencer:innen zeigen zum Beispiel, wie man sich für einen Rave anziehen soll. Widerspricht das nicht dem Grundgedanken eines Raves, dass man sich dort frei entfalten soll?
Tobitob: Das ist ein Teil der immer größer werdenden Event-Kultur. Es reicht nicht, auf einen Freitagabend in den Club zu gehen und einen unbekannten DJ zu hören, sondern es muss ein Special Event sein, für das man sich extra "verkleidet" oder sich speziell anzieht, um einen besonderen Abend zu erleben. In meiner Jugend war das anders. Wir sind ausgegangen, weil wir ausgehen wollten, und nicht, weil wir besondere Erwartungen hatten. Deswegen ist es für viele Clubs im Moment schwierig und Festivals explodieren. Zumindest die Anzahl der Festivals und teilweise auch die Größe. Das, was aktuell passiert, ist faszinierend und hat es vorher noch nie gegeben. Seit ich die Techno-Szene begleite, also seit 2000, haben sich alle fünf Jahre die Leute ausgewechselt. Denn ab 30 gehen viele Leute, warum auch immer, weniger aus. Das hat für mich nie gegolten, aber für viele andere gilt das. Dadurch gab es einen Austausch der Konventionen von der älteren an die jüngere Generation. Es gab eine gewisse Kontinuität, wie die Clubmusik sich mit dem Strom der Zeit verändert hat. Durch die Corona-Krise sind die Kids, die gerade 18 geworden sind, zwei Jahre lang nicht in den Club und auf Festivals gegangen. Aus diesem Grund hat diese Übergabe der älteren Generation an die jüngere Generation nicht stattgefunden. Jetzt nach Corona sind die Älteren schon nicht mehr im Club und die Jüngeren sind dieses oder letztes Jahr das erste Mal auf Festivals und im Club gewesen und haben sich eben woanders informiert. TikTok hat ihnen Rave-Kultur beigebracht, aber eine generische TikTok-Rave-Kultur. Es ist auf einmal eine Musikrichtung und ein Style, der wie aus dem Nichts zu kommen scheint. Aber es hat die Leute, die das machen, mindestens zwei bis drei Jahre komplett begleitet und geprägt.
MZEE.com: Was hat sich für dich beim Auflegen seit der Pandemie verändert?
Tobitob: Man merkt sofort, dass sich die Bookings verändert haben. Schneller, harter Techno ist das ultimative Ding. Auch Hardcore als Musikrichtung ist momentan durchaus beliebt. Das hat jetzt eine Größe angenommen, die man vorher noch nicht kannte. Ansonsten ist die Festival-Kultur wieder da, wo sie vor drei Jahren war.
MZEE.com: Kannst du diesen Wechsel zu schnellerem, harten Techno mit einer gesellschaftlichen Strömung assoziieren?
Tobitob: Gerade im Techno gibt es immer Wellen. Vor sieben Jahren gab es die Deep House-Welle. Davor war alles maximal hart, laut und sehr noisy. Und dann hat es im Verlauf von fünf Jahren einen Paradigmenwechsel zu softem, langsamem und melodiösem Techno gegeben. Jetzt geht es wieder in Richtung schnell und hart. Man könnte das auf die Gesellschaft übertragen und sagen: Je unsicherer die Lage ist, desto mehr wollen die Leute schnellen Konsum, der sie ablenkt. Bei Deep House musste man selbst mitmachen. Wenn Techno schnell und hart ist, zwingt dich die Bassdrum zur Bewegung. Du wirst von der Musik bewegt und kannst nichts dagegen machen außer wegzugehen. Bei Deep House war das deine eigene Entscheidung. Jetzt haben die Leute wieder Bock auf puren, unverfälschten Hedonismus. Einfach auf die Fresse und losballern. Das kann man sicherlich auf die unsichere Weltlage zurückführen. Der Wunsch nach Vergessen und Freiheit für den Moment ist wahrscheinlich größer denn je.
MZEE.com: Jeff Mills, einer der bedeutendsten Vertreter des Detroit Techno, hat mal gesagt: "But it wasn't designed to be dance music, it was designed to be a futurist statement." – "It" bezog sich in dem Zusammenhang auf Techno. Was denkst du darüber?
Tobitob: Das ist richtig und aus seiner Sicht völlig nachvollziehbar, weil gerade der Detroit Techno als erste Techno-Form aus Amerika eine Kompromisslosigkeit in sich hatte, die heutzutage kaum noch vorhanden ist. Wenn du dir Mainstream-Techno oder Mainstream-House anhörst, funktioniert das nach abgekarteten Regeln. Es gibt einen Break, im besten Falle sogar ein bisschen Gesang, dann gibt es einen Trommelwirbel und kurz vor der Eins gibt es einen Takt Pause. Dann geht es auf die Eins rein und alle wissen, dass es jetzt losgeht. Das sind Tools, um den Leuten ein optimales gemeinsames Erlebnis zu geben, nimmt aber alles aus dem Statement raus, dass es kompromisslose Musik sein sollte. Es ist ein großer Kompromiss, dem Publikum anzuzeigen, wann sie abgehen sollen. Daran sieht man genau, wie sehr sich Musik verändert, wenn es einen kommerziellen Sinn und Zweck gibt. Je mehr Leute auf dem Dancefloor stehen, desto weniger sind wirkliche Experten und der Großteil sind die Konsumenten, von denen ich gerade gesprochen habe. Denen musst du es leicht machen. Das heißt, je mehr Menschen, desto einfacher die Musik und desto weniger hast du Techno als Statement, sondern als einfach zu konsumierendes Mittel, um Leute zum Tanzen zu bringen. Ich finde, die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Ich freue mich, wenn die Musik den Leuten ermöglicht, einen gemeinsamen Höhepunkt zu erleben. Wenn sich alle darauf einigen können, finde ich das auch recht befriedigend. Aber es killt den Anspruch, dass das ein Futurist-Statement sein soll.
MZEE.com: Elemente aus elektronischer Musik werden sehr erfolgreich im Rap eingesetzt. Zum Beispiel in der Musik von FiNCH, Domiziana oder Ski Aggu. Wieso, glaubst du, ist diese Entwicklung gefühlt so spät nach Deutschland übergeschwappt? In UK gibt es Grime seit Anfang der 00er Jahre und er hat Größen wie Skepta oder Stormzy hervorgebracht.
Tobitob: Das ist ein kulturelles Ding. In London ist die ganze Black Community viel größer und hat schon immer Musikrichtungen vermischt. Garage in den 90ern war der Versuch, HipHop, Breakbeat und House miteinander zu fusionieren. Die ganze Drum 'n' Bass-Bewegung hat viel mehr mit HipHop gemeinsam als mit Techno. Allein schon durch die Vocals. Alle folgenden Musikrichtungen waren nur Derivate von existierenden Fusionen. Grime war zusammen mit Dubstep auch eher mit Rap als mit Elektro verbunden. Das war in Deutschland viele Jahre nicht so. Es gab hier immer die HipHop-Szene und die Dance-Szene. Aber die Leute gehen nicht nur zu Rap-Konzerten, sondern auch in Clubs und haben Bock, auf Techno zu feiern. Die ganzen modernen, jüngeren Sachen sind alle davon geprägt, dass es Feiermusik ist. Und das geht mit einem Viervierteltakt immer noch am besten.
MZEE.com: In der HipHop-Kultur gibt es neben Rap noch andere Disziplinen. Würdest du sagen, dass es in der Techno-Kultur eine Entsprechung gibt?
Tobitob: Dieses gemeinsame Erleben ist etwas, was in der Techno-Szene verankert ist. Nach einer Party geht man beispielsweise noch gemeinsam woanders hin, um den Abend dort ausklingen zu lassen. Das wäre mir früher bei HipHop nicht aufgefallen. Es gibt keine Disziplinen wie Sprühen, Breakdance oder so was. Allein schon der Unterschied zwischen Leuten, die House und Techno hören, ist groß. Das wird auch in der Mode deutlich, die getragen wird. Techno ist eher eine deutsche Musikrichtung mit einer gewissen Geradlinigkeit und wenig Groove. House hingegen ist eher ein Black Community-Ding mit sehr groovigen Elementen und Schwarzen Wurzeln. Allein dadurch hast du sehr unterschiedliche Kulturen in den verschiedenen Bereichen. Auch wenn sich das mischt und jemand, der gerne Techno hört, vielleicht auch gerne House hört, sind das vom Feeling her ganz unterschiedliche Dinge.
MZEE.com: Visuals und Installationen sind bei Psy Trance und Goa-Partys zum Beispiel Teil der Kultur.
Tobitob: Bei Psy Trance kommt noch die spirituelle Komponente dazu, die der Bewegung eine gewisse Tiefe verleiht. Das ist dort noch mal etwas Besonderes und würde mir bei anderen Musikrichtungen nicht so einfallen. Was man aber als DJ leicht vergisst, ist die VJ-Kultur. Sie hat ganz klar was mit Techno zu tun. Licht und Lichtinstallation werden deutlich mehr eingesetzt als in anderen Musikrichtungen und spielen für das Erlebnis eine große Rolle. Da besteht schon der Anspruch, das zur Kunst werden zu lassen. Das stimmt schon.
MZEE.com: Wer ist bei Moonbootica für die Visuals und die Ästhetik zuständig?
Tobitob: Dadurch, dass wir immer auf Festivals oder in Clubs auftreten, bei denen das zur Verfügung gestellt wird, ist es ganz selten, dass man mit einem eigenen VJ anreist. Hier in Hamburg haben wir immer mit VJ Videoking zusammengearbeitet. Er ist leider Anfang des Jahres verstorben. Er hatte auch so einen speziellen Humor, der mit unserem konform war. Das war weniger schön als sehr lustig anzusehen.
MZEE.com: Das tut mir sehr leid.
Tobitob: Ja. (hält kurz inne)
MZEE.com: Ihr seid für euren speziellen Humor bekannt. Wie bringt man den bei einer textfreien Musik-Form rüber?
Tobitob: Anfangs wurden wir oft gebucht, weil ich einer von Fünf Sterne deluxe war. Wir wollten diese Art von Humor dann in die Techno-Szene mit rübernehmen, weil wir immer das Gefühl hatten, dass die Leute sich da viel zu ernst nehmen. Gerade deshalb war es uns wichtig, denn das hat dort gefehlt.
MZEE.com: Habt ihr das wirklich über Ansagen gemacht?
Tobitob: Nicht während der Auftritte, aber zum Beispiel, wenn wir Interviews gegeben haben. Da gab es ein paar legendäre Schwachsinns-Interviews, die sehr unterhaltsam waren. Es war lange Zeit unser Markenzeichen, frotzelige Interviews zu geben.
MZEE.com: Die habe ich auch gesehen und mich gefragt, wie es wohl wird, wenn ich mit nicht-oberflächlichen Fragen um die Ecke komme.
Tobitob: Das hat sich über die Jahre verändert. Uns war das gar nicht bewusst. Das sind Situationen gewesen, in denen wir direkt vom Gig in das Interview gegangen sind und dementsprechend Bock hatten, ein bisschen zu zündeln.
MZEE.com: Eine politische Message kann man mit elektronischer Musik schwieriger transportieren, da sie, im Gegensatz zu Rap, meist ohne Text auskommt. Dennoch ist die Techno-Kultur nicht unpolitisch. Wie präsent ist Politik deiner Meinung nach in der Community?
Tobitob: Inklusion, Toleranz und Vielfältigkeit werden bei allen Festivals und Clubs groß geschrieben. Gleichstellungsbeauftragte und Awareness-Teams gab es schon früh. Da ist die Techno-Szene weiter als andere und das schreibt sie sich groß auf die Fahne. Ansonsten ist es schwierig, eine politische Message herauszuziehen, weil die Leute aus sehr unterschiedlichen Hintergründen kommen. Darüber wird nicht viel geredet. Durch Corona gab es viele Auseinandersetzungen über Sinn und Unsinn, die dann teilweise in rechte Spektren abgerutscht sind. Aber in Bezug auf wirkliche Politik ist die Szene unpolitisch. Sozial ist sie hingegen sehr engagiert, da werden auch gute Initiativen unterstützt. Aber es gibt wenige Songs, die tatsächlich eine Aussage haben. Es gibt ein paar, aber ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich keine schlechte Laune auf den Dancefloor bringen will. Deswegen sind es, wenn überhaupt, positive Messages. Techno war die erste Musikrichtung, die Ost- und Westdeutschland zusammengebracht hat. Deshalb ist die Szene hier so groß geworden. Dadurch ist wahrscheinlich dieser "Friede, Freude, Eierkuchen"-Gedanke bei der Loveparade entstanden. (Anm. d. Red.: Die erste Loveparade wurde als Demo mit dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" angemeldet, wobei Frieden für Abrüstung, Freude durch Musik als Kommunikationsmittel und Eierkuchen für die gerechte Nahrungsmittelverteilung stand.) Ich habe es selbst nicht mitbekommen, aber ein paar Dokus gesehen. Es muss sehr besonders gewesen sein, als die Leute aus Ostdeutschland mit ihren anderen Klamotten zum ersten Mal in die Clubs reingekommen sind. Techno wurde vom Osten und vom Westen gleichzeitig vereinnahmt. Das haben alle gemeinsam erlebt. Dadurch hat es etwas Identitätsstiftendes gehabt. Dieses Gefühl steckt zumindest in der deutschen Techno-Szene noch in der Ursubstanz drin.
MZEE.com: Welche Rolle spielen Politik und Message für dich in deiner Kunst?
Tobitob: Ich würde mich als politischen Menschen bezeichnen, aber politische Musik habe ich oft als leicht unangenehm empfunden. Ich finde es gut, Songs mit Aussage zu haben. Aber bei Tobi und Bo und Fünf Sterne deluxe haben wir es nicht so mit den politischen Inhalten. Sie sind im Kontext. Es gibt philosophische Sachen und Lebensweisheiten, die wir gerne von uns geben und die durchaus einen bedeutenden Kern für uns haben. Wir wollen mit unserer Persönlichkeit ein Vorbild sein, anstatt zu sagen, wie man sein soll. Das ist unsere Message. Worauf wir immer sehr viel Wert gelegt haben, ist, dass wir Freigeister sind und das auch bleiben wollen. Das ist auch der Konsens bei Moonbootica. Wir wollen uns weder stilistisch noch inhaltlich begrenzen.
(Malin Teegen)