"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem:einer Künstler:in oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der:die Gesprächspartner:in ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm:ihr das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Ich war immer Fan des Horror-Genres, egal ob in Büchern, Filmen oder der Musik. Das Gefühl, wenn sich die Nackenhaare aufstellen und sich Nervenkitzel breitmacht, ist ein Adrenalinschub, den ich gegen nichts eintauschen möchte. So kam ich auch im Rap nicht um Horrorcore herum. Und dieses Genre hat Crystal F 2016 mit "Narben" für mich in Perfektion umgesetzt.
"Ich möchte dir eine Geschichte erzählen. Es ist keine von diesen Geschichten, nach denen du einfach ins Bett gehst und beruhigt einschlafen kannst." – Besser als mit diesem Vorwort könnte man das Album nicht zusammenfassen, denn das ist es, was sich auf den folgenden zwölf Tracks abspielt: Crystal F erzählt packend in einem musikalischen Thriller, wie sich ein Kind über Jahre zu einem Mörder entwickelt – angefangen mit der Neigung, Tiere zu töten und zu sezieren, die in "Hunger" und "Missgeburt" beleuchtet wird. Diese entwickelt sich zu Gewaltfantasien an Menschen, welche bei "80s" zum Thema werden. Schlussendlich beschreibt Crystal F in "FaceTime" eine Entführung mit dazugehörigem Psychospiel. Man taucht ein in eine Geschichte, die zwar erfunden ist, sich jedoch kaum realer anfühlen könnte. Am Ende nimmt diese mit dem Titelsong "Narben" noch eine Wendung, die den Werdegang und die Hintergründe des Protagonisten in ein komplett anderes Licht rückt. Und so erwische ich mich dabei, wie ich nach den letzten Worten "Keine Wunde blutet ewig, doch die Narben prägen die Haut. Für immer" das Album noch einmal anhören will, um versteckte Details zu erkennen. Die von 7inch und Chazer One produzierten Beats unterstreichen dabei stark die düstere Atmosphäre und sorgen mehrfach für einen Schauer im Nacken sowie das Gefühl, beobachtet zu werden.
Auch sieben Jahre nach Release empfinde ich "Narben" nach wie vor als absolut rundes Projekt. Selbst heute fallen mir Zeilen ins Auge, die im Gesamtkontext betrachtet tiefer in die Materie greifen, als man es zunächst wahrnimmt. Wer eine Affinität zu Thrillern besitzt, sollte dem Album eine Chance geben.
(Felix Zimmermann)