Ob Journalisten oder Rapper:innen, Produzent:innen oder DJs – von Jan Kawelke über Donvtello und Pimf bis hin zu DJ Ron und V.Raeter: Sie alle waren schon in unserem Format "DIGGEN mit …" am Start. Sie alle haben uns Playlisten zu Themen zusammengestellt, die ihnen ganz besonders am Herzen liegen. Und sie alle haben uns Track für Track Rede und Antwort gestanden, erzählt, warum genau dieser eine Song es in ihre Playlist geschafft hat und was sie mit ihm verbinden.
Zum Jahresende möchten wir, die MZEE Redaktion, Euch mit unserem diesjährigen Adventskalender nun eine eigene DIGGEN-Playlist schenken: "DIGGEN 2022" beinhaltet 24 Lieblingslieder der Redaktion aus diesem Jahr. Wir öffnen somit jeden Tag ein neues Türchen und erzählen Euch von einem Song und warum wir ihn so sehr schätzen.
Der Track für das heutige Türchen wurde von unserem Redakteur Tim aus dem Reportagen-Team ausgewählt.
Im heutigen Türchen zu finden ist:
16. Miksu/Macloud x makko – Nachts wach (prod. by Miksu/Macloud, Barsky, Deats, Lee & Truva)
Tim: Mit "Nachts wach" holte sich Newcomer makko dieses Jahr zusammen mit den Erfolgsgaranten Miksu und Macloud seinen ersten Nummer-eins-Hit. Gewohnt lässig und laid back flowt der Rapper über den entspannten, aber trotzdem tanzbaren Beat der Produzenten. Ich bin auch großer Fan von makkos restlichen Songs, die oft nach DIY klingen, doch die klanglich vollendete Produktion von "Nachts wach" hebt sein Talent noch mal auf eine andere Stufe. Dieses Jahr war ich häufig auf Raves und Techno-Veranstaltungen unterwegs, auf denen der Track zu meiner Freude dank des schnellen Beats in so manches DJ-Set eingebaut wurde. Und auf allen Heimwegen, auf denen bereits langsam die Sonne aufging, erzeugte "Nachts wach" genau die Stimmung, die ich in diesen Momenten am liebsten hatte.
Alle bisher geöffneten Türchen gibt es hier zum Nachlesen:
1. Mariybu – Datenight (prod. by Kronsberg)
Marie: Ich habe eine Schwäche für Rache-Songs. "CopKKKilla" von Haftbefehl etwa ist einer meiner absoluten Lieblingssongs. In diesem Jahr war aber "Datenight" von Mariybu einer meiner großen Favoriten. Auch sie rächt sich, wie schon Haft, in diesem Song an Polizisten. Warum? "Weil ich Cops nicht mag", erklärt sie selbst im Song. Anders als Hafti setzt sie in ihrer Rachefantasie allerdings weniger auf rohe Gewalt als auf etwas, das man in den 90ern wohl "Die Waffen einer Frau" genannt hätte. Sie datet einen Polizisten, nur um ihn bei sich zu Hause zu verführen, zu fesseln und ihm anschließend Geld und Karre zu klauen. Oder wie sie es nennt: "Heut ist Datenight und du bezahlst." Im Video ist zu sehen, wie sie anschließend eine Freundin in das geklaute Auto einlädt und die zwei durch die Nacht fahren. Selbstermächtigung, die ich in diesem Jahr gefühlt habe.
2. $oho Bani – PLACEBO (prod. by Jurij Gold & Falconi)
Enrico: 2022 war für mich ein Jahr, in dem ich nach langen Einschränkungen durch die Pandemie endlich wieder etwas erleben wollte. Auf Festivals gehen, Partys feiern, jung, dumm und unvernünftig sein. Den richtigen Sound dafür hat mir persönlich in diesem Sommer $oho Bani geliefert. Der Berliner hat mich mit seiner unbekümmerten Art schon mit seinem Debütalbum gecatcht und dieses Jahr mit "Kids aus dem Versteck" noch mal einen draufgesetzt. Folgerichtig sollte der Besuch seiner Tour zum für mich ersten Konzert seit Langem werden. Verschwitzt, mit einem dicken Knöchel und überglücklich verließ ich die Münchner Muffathalle und war endgültig zum Fan der E-Gitarren, Technobässe und seiner jugendlichen Leichtigkeit geworden. All das findet man beispielhaft auch auf "Placebo". Und genau diesen Sound habe ich dieses Jahr gebraucht.
3. Waving the Guns – Gran Canaria (prod. by DJ Joaf & BRYCK)
Elias: Ich finde Widersprüche superspannend. Auch der Track "Gran Canaria" von Waving The Guns startet mit einer Schere zwischen Beat und Text. Während BRYCKs Instrumental zu Beginn bei mir für Sommerlaune sorgt, verpasst mir Milli Dance hingegen wenig später mit den Wörtern "Handbrüche" und "Brandbriefe" die lyrische Wach-auf-Schelle. Eine so wohlige Melodie wie diese schafft es meist, mich in leichte Trance zu versetzen. Milli Dance lässt das mit seinen gesellschaftskritischen Punchlines in "Gran Canaria" allerdings nicht zu. Stattdessen nicke ich mit und denke mit einer Mischung aus Wut und Euphorie: Fühlt sich gut an, mit der soziopolitischen Lage nicht zufrieden zu sein. Und gleichzeitig erinnern mich WTG an die eigene Inkonsequenz: "Auch meine Weste fleckig und die Hände blutig."
4. Lugatti & 9ine – AK (prod. by Traya)
Mina: Ich habe dieses Jahr so viele beschissene Live-Shows gesehen, ich kann sie nicht mehr zählen – Playback auf der Bühne, durchgehend Moshpit ohne Sinn und Verstand im Publikum. Und viele Rapper, die Menschenmassen besorgniserregend aufstacheln oder aber völlig kalt lassen. Außerdem Müll von Einmal-E-Zigaretten mit fancy Geschmäckern wie Blueberry Cheesecake so weit das Auge sieht. Ich verachte alles daran. Was den aktuellen Rap-Zeitgeist angeht, überzeugen mich Lugatti & 9ine allerdings jedes Mal wieder davon, dass man auch würdevoll performen kann. Bei ihren Konzerten findet man alles, das ein Fan-Herz erwärmt: ein "Fick Red Bull!", eine irre, aber ungefährliche Energie im Publikum, guten Live-Rap, emotionale Songs, Humor, Zuschauer:innen, die gesamte Texte mitrappen können, und ein bisschen Pyro für die Freund:innen der visuellen Untermalung. Das Trio ist einfach für die Bühne gemacht und "AK" macht mir bei jedem Hören Lust auf ein kühles Erfrischungsgetränk bei einem ihrer Auftritte.
5. CONNY – Kannst du woanders traurig sein? (prod. by ok schade.)
Mana: Da ich schon über 20 Jahre Deutschrap höre, denke ich oft, dass mich nichts mehr so richtig überraschen kann. Aber jedes Jahr gibt es eben doch wieder mindestens diesen einen Track, der es schafft. CONNY hat mich mit seinem Song und auch dem dazugehörigen interaktiven Video voll abgeholt. Mit einem Kloß im Hals und einem Haufen Emotionen saß ich nach dem ersten Hören wortlos da und habe die Frage, ob ich "woanders traurig sein" kann, am Ende seines Videos per Mausklick beantwortet. Ich liebe es, wenn Rapper:innen auch mal den Mut haben, unpopuläre Themen wie Depressionen aufzugreifen, besonders wenn sie wie in CONNYs Track eigentlich absolut präsent in unserem Alltag sind und sich jede:r auf eine Art und Weise damit auseinandersetzen sollte.
6. Crystal F x Stockmann x Ikarus – Neue Probleme (prod. by Ikarus & Stockmann)
Jens: In diesem Jahr konnten mich nur wenige Releases überraschen. Eine Vielzahl an qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen habe ich persönlich als logische Fortführungen des bisherigen Werks empfunden. Blicke ich auf die letzten Monate zurück, sehe ich aber einen Künstler, der konstant am eigenen Stil gefeilt hat: Die künstlerische Weiterentwicklung von Crystal F fasziniert mich sehr und ist anhand von "Neue Probleme" mit Ikarus und Stockmann deutlich zu erkennen. Ikarus liefert ein von Reese-Bässen getriebenes Drum 'n' Bass-Instrumental, auf dem Crystal F seinen Emotionen freien Lauf lässt. Mit Stockmanns gesungener Hook stellen sie die Frage danach, wann die Normalität zurückkehrt – eine Frage, die mir in Zeiten von globalen und privaten Krisen direkt aus dem Herzen spricht.
7. Pimf – final.wav Intro 2022 (prod by. Wyshmaster)
Jakob: Stolze 13 Tracks hat es gedauert, bis Hofgeismars finest Pimf das Intro seiner pimf_final.wav-Playlist veröffentlicht hat. Der Track "final.wav Intro 2022" steht für mich stellvertretend für die Plackerei von Pimf und seiner Crew, die auch dieses Jahr keine Pause kannten. Die sechs Tracks, die dieses Jahr hinzugefügt wurden, geben mir das Gefühl, dass Pimf musikalisch immer mehr da ankommt, wo er hinwill. Musikalisch ist diese Style- und Sinnsuche höchst abwechslungsreich: Von Dirty South-Beats geht es bis zu Instrumentals mit Techno- oder Elektro-Einfluss. Thematisch war es dafür vergleichsweise dieses Jahr eher weniger deep und mehr auf Representer ausgerichtet, was jedoch nicht weiter relevant ist. Pimf hat es 2022 geschafft, dass man wirklich jeden Song auf Repeat hören kann, ohne gelangweilt zu werden. Für mich steht demnach "final.wav Intro 2022" symbolisch für diese krasse Leistung und seinen brutalen Grind. Und ob das jetzt ein Album, eine Playlist oder irgendwas anderes ist – who cares?
8. Megaloh feat. MONSOUN – Licht (prod. by Truva)
Kerstin: Megaloh ist am Start, so lange ich denken kann – ich bin also quasi mit ihm erwachsen geworden. Von den rauen Anfängen in den 00er Jahren über die deutlich reflektierteren Alben "Endlich Unendlich" und "Regenmacher" bis zum im Sommer erschienenen "Drei Kreuze" hat er mich selten verloren und häufig abgeholt. Genauso erging es mir wieder, als "Licht" zum ersten Mal in meine Playlist gespült wurde. Zeilen wie "Hab keine Angst vor den eigenen Schatten. Besser, man kennt seine eigenen Macken. Wunden sind da, um sie heilen zu lassen" treffen bei mir mitten ins Schwarze. Er beschreibt sehr genau, wie man einen neuen Blick auf das eigene Aufwachsen richtet, wenn man ein Kind, das eventuell einige dieser Macken geerbt hat, dabei begleitet. Auch wenn Megaloh immer mal wieder an ein Karriereende denkt, hoffe ich sehr, dass er noch lange am Start ist und mir gedankliche Impulse und "Licht" mit auf den Weg gibt.
9. Donna Savage – Tritte (prod. by Brenk Sinatra)
Malin: An Energie mangelt es diesem Track kein bisschen. Genau das hat mich auch an Donnas Liveshow auf der Tapefabrik so überzeugt, als sie die Single dort performte. Die Wienerin strahlte dabei geballte Power aus, bretterte über den Beat von Brenk Sinatra und feuerte Punchlines ab, die sich gewaschen haben. Dabei schienen sie und ihre Crew eine Menge Spaß zu haben: Auf der Bühne ging genau das ab, was im Track "Tritte" beschrieben wird – eine fette Party. Wer den Auftritt verpasst hat, bekommt den gleichen Vibe auch im Musikvideo geliefert. Außerdem gibt es dort alles, was 2022 in ein Rapvideo gehört: Sportzigaretten, Schaumwein und schnelle Brillen. Man spürt förmlich, dass die Zeilen, die sie rappt, direkt aus dem Herzen kommen und ihre Clique sie bedingungslos supportet.
10. Tom Hengst – ESKALATION (prod. by Brenk Sinatra)
Holle: Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass mein persönliches Hype-Level für das Debüt-Album von Tom Hengst im Vorhinein noch steigen könnte. Doch die Ankündigung, dass Brenk Sinatra die Platte komplett produziert, hat genau das geschafft. Der Beat auf "ESKALATION" ist ein Paradebeispiel dafür, dass Brenks charakteristischer Sound nicht nur nah am Zeitgeist ist, sondern teilweise weit vor diesem. Denn das Betty Ford Boys-Member spielte das Instrumental schon vor Jahren regelmäßig auf Shows der Crew. Dass der Song trotz eines "alten" Beats so perfekt ins Jahr 2022 passt, zeigt die Qualität der Kombination aus Hengst und Sinatra. Außer Kwam.E verbindet für mich kein Rapper den alten und den neuen Untergrund in Deutschland so gut wie Tommy H. Seine druckvolle Art zu rappen gibt einem Instrumental, das bereits allein funktioniert hat, noch deutlichen Mehrwert. "Brenk x Tommy, die Kombo sitzt, aber so richtig!"
11. Horst Wegener – Bleibe hier (prod. by Golow & Rasmus Zschoch)
Laila: Die Liebe zur eigenen Stadt mit allen Facetten ist etwas, das nur wenige von außen nachvollziehen können. Es gibt Gründe, wieso man an einem Ort bleibt und nicht wie andere wegzieht, um Erfahrungen zu sammeln oder beruflichen Möglichkeiten nachzugehen. Während manche das als dumm erachten, weiß man selbst ganz genau, dass man dort zu Hause ist und erfolgreich sein will. Was für Horst Wegener Wuppertal ist, ist für mich zwar eine andere Stadt, aber ich kann das Gefühl sehr gut nachvollziehen. Schon die ersten Sekunden des Tracks catchen mich durch den Beat von Golow & Rasmus Zschoch immer wieder, weil sie mich sehr an meinen liebsten Track aus dem letzten Jahr erinneren: "Industry Baby" von Lil Nas X feat. Jack Harlow. In seinen beiden Parts zeigt Horst Wegener ausdrucksstark, dass er Hunger auf mehr hat und noch lange nicht gesättigt ist. Egal, ob in Wuppertal oder im Studio – er bleibt hier.
12. Casper – FABIAN (prod. by Biztram & Max Rieger)
Michael: Es gibt so viele Songs über den Tod und damit verwandte Themen. Der ein oder andere davon findet sich auch in Caspers Diskografie und ich würde lügen, würde ich behaupten, dass das Gebiet mich nicht ebenfalls fasziniert. Der aktuellste – "Fabian" – beginnt zunächst als Leidensgeschichte des gleichnamigen Krebspatienten aus der Perspektive seines Freundes Casper, bei der man als Hörer:in minutenlang befürchtet, dass sie mit dessen Ableben endet. Bei der Zeile "Und was ein blöder Idiot nennt ein Album auch 'Lang lebe der Tod'?" bleibt mir noch immer für einen Moment die Luft weg. Doch in der zweiten Hälfte des Tracks stellt sich heraus, dass die Krankheit überwunden werden konnte und die eigentliche Message des Stücks lautet: Das Leben ist stärker als der Tod. Deshalb zählt der Song dieses Jahr auch zu meinen persönlichen Highlights.
13. Rokko Weissensee feat. Dj iLL O. – Tischdecke (prod. by MecsTreem)
Nusha: Pünktlich zum Herbstbeginn lud Rokko Weissensee mit "Tischdecke" zum Nachdenken ein – darüber, ob wir in Selbstverwirklichung aufgehen oder im Hamsterrad unserer Spießigkeit einer Illusion nachjagen. Ein innerer Kampf mit sich und der Gesellschaft in einem Entweder-oder-Verhältnis als "Herrscher oder Untertan", als "Freiheit oder Untergang". Die Produktion von MecsTreem besteht aus einem Sample von The Sylvers' "Cry of a Dreamer" und Filmsequenzen einer melancholischen Retrospektive des endlichen Lebens als eine Art Traumvorstellung. Dj iLL O.s Cuts holen mich, da ich selbst auflege, besonders ab und verleihen dem Track seinen magischen Feinschliff. Ich liebe durchdachte Werke wie dieses und erwische mich gleichzeitg oft in Tagträumereien. Die thematische Aufarbeitung von Traum und Illusion sowie die Gegenüberstellung zum Struggle des Lebens bilden hier ein in sich geschlossenes Konzept.
14. Roger Rekless feat. Heliocopta – Keine Diskussion (prod. by Roger Rekless & Drunken Masters)
Alec: Mit "Keine Diskussion" hat Roger Rekless mich mal wieder komplett abgeholt. Dabei erinnert das Rock-lastige Outro des Songs an seine Crossover-Band GWLT und entfaltet eine unfassbare Energie. Rekless hat eine Gabe dafür, höchst emotionale und politische Themen in Songs einzuarbeiten, ohne dass es sich nach dem "erhobenen Zeigefinger" anhört. Der Beat von "Keine Diskussion" geht richtig nach vorne und Rekless lässt seiner berechtigten Wut über Fake-Allies und angebliche Wokeness freien Lauf. Er nimmt sich den Raum, der ihm zusteht, für ein wichtiges Statement: "Es gibt keine Diskussion" mit Nazis. Heliocopta rundet die Vision mit seiner Power ab: "Fick die AfD"! Das dazugehörige Album "Melanin" bietet enorm viel antirassistisches Know-how in musikalischer Perfektion. "Keine Diskussion" sticht soundtechnisch heraus und ist zudem die Empowerment-Hymne 2022.
15. Fuffifufzich – Party Hardy (prod. by Jung Cho Cho)
Mina: Meistens digge ich mit Kopfhörern in meinem Bett in dem Streamingdienst meiner Wahl und skippe mich durch unzählige Songs. Dabei warte ich immer auf den "Oh mein Gott, was ist das denn Geiles?"-Moment. Zugegeben gibt es den nicht so oft, wie ich mir das wünschen würde. Mit Fuffifufzich geht mir das allerdings seit ihrem ersten Song genau so. Die Theater-affine Berlinerin kennt man vor allem daher, dass sie auf einem für sie üblichen Synthie-Beat, der an die NDW erinnert, vor drei Jahren Anzeige wegen "Heartbreakerei" erstatten wollte. Seither flasht mich alles, was ich von ihr höre, und ich kann nicht mal genau erklären wieso. Fuffifufzich ist definitiv keine Rapperin, aber mit "Party Hardy" hat sie einen sehr raplastigen Song gemacht. Ob auf dem Weg zur Arbeit, zur nächsten Party oder beim Staubsaugen – er motiviert mich einfach krass.
(die MZEE.com Redaktion)
(Titelbild von Daniel Fersch)