Wieder mal haben wir es geschafft. Ein weiteres, im schlechten Sinne ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende entgegen. Im Westen wurde alles überschattet vom Krieg in der Ukraine, mit all dem Leid, das Kriege mit sich bringen. Doch egal, wo man hinsah, schön war es selten. Repressionen im Iran, der Krieg im Yemen, das inzwischen dritte Jahr mit Corona und eine der unangenehmsten Weltmeisterschaften aller Zeiten: Es gab 2022 wahrlich wenig, was Vorfreude auf die Zukunft weckt. Gott sei Dank gibt es mit deutschem Rap eine der schönsten Nebensächlichkeiten, mit der wir uns auch in diesen dunklen Monaten die kalten Herzen wärmen können. Werfen wir also gemeinsam einen Blick zurück auf alles, was in den letzten 50 Wochen Artists und Fans so bewegte.
2022 war für viele Künstler:innen ein großes Stück zurück zur Normalität: Dieses Jahr konnten endlich und wirklich so richtig Konzerte, Festivals und alles, was man live vor Publikum so machen kann, wieder stattfinden. Leider scheinen zahlreiche Artists eine ungesunde Abhängigkeit von Playback und ein teilweise unsicheres Auftreten entwickelt zu haben. So zeigt beispielsweise Kasimirs viral gegangenes Kaugummi-Video, dass noch kein Livemonster vom Himmel gefallen ist. Negativer Höhepunkt des wiederaufgenommenen Livegeschäfts dürfte aber mit Sicherheit Haftbefehls abgebrochenes Konzert im Sommer gewesen sein. Um jedoch nicht ins Meckern zu verfallen – es war dennoch insgesamt ganz wunderbar, wieder Musik so nah und direkt genießen zu können. Ein Highlight in diesem Zusammenhang war sicherlich die erneut fantastische Tapefabrik mit fast ausschließlich hervorragend aufgelegten Artists. Ilhan44, Pimf und Liz, Kamiqaz, Stieber Twins und OG Keemo als Secret Act zeigten, was so möglich ist, wenn man richtig Bock auf Rappen hat.
Apropos OG Keemo: Das im Januar veröffentlichte "Mann beißt Hund" ist das erste Album seit Haftbefehls "Russisch Roulette", auf das sich so ziemlich alle einigen können. Ob es die Zeit überdauert, bleibt natürlich abzuwarten. Der erste Anwärter auf einen waschechten Klassiker seit längerer Zeit ist das Album aber mit Sicherheit. Auch musikalische Comebacks gab es so einige zu feiern: Amewu, Jeyz, Shacke One und grim104 brachten alle nach jahrelanger Abwesenheit endlich wieder (Solo-)Musik raus. Ganz besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext der Österreicher Kamp. Mit "2urück ohne 2ukunft" brachte er einen würdigen und lange herbeigesehnten Nachfolger für sein 2009 erschienenes Debüt "Versager ohne Zukunft". Chapeau an alle Fans für das jahrelange Durchhalten.
Auch abseits von musikalischen Aspekten war es ein erfolgreiches Jahr für Deutschrap. Die Supermärkte und Tankstellenregale boten weiter unterschiedlichste Süßgetränke und Tabakwaren mit dem Namen von Artists und schlechten Wortspielen auf der Verpackung. In der Liste der deutschlandweit meistgestreamten Künstler:innen finden sich auch 2022 fast ausschließlich Namen aus unserer vermeintlichen Jugendkultur. Leider waren auch dieses Jahr nur männliche Artists vertreten. Dass Frauen zunehmend ihr Hak bekommen, lässt sich also immer noch nicht pauschal sagen. Nina Chubas Erfolg bei den EMAs zeigt aber, dass es vereinzelt vorwärts geht. Feuilleton, Podcasts und YouTube-Shows lieben weiterhin die Images, Geschichten und Charaktere, die Deutschrap bietet. Fatih Akin gelang mit "Rheingold" über den Bonner Xatar der mit Abstand beste Film aus dem Deutschrap Universum und unterstreicht die Beliebtheit des Genres, deren Ende immer noch nicht abzusehen ist. Dass das Spiel mit Fiktion und Wahrheit jedoch manchmal auch nach hinten losgehen kann, ließ sich am Beispiel von Kolja Goldstein beobachten. Der Rapper hatte ein derartig monströses Image aufgebaut und einen so riesigen Hype erschaffen, dass der Fall nach dem bürgerlichen Reality-Check durch DIE ZEIT unvermeidlich war. So konnten zwei Journalisten mit ein wenig Recherche und Gespür aus dem großen Unterweltboss einen ganz normalen Musiker mit ein paar gefährlichen Freunden machen.
Leider musste sich auch dieses Jahr gleich mehrfach verabschiedet werden. So schlossen Rap.de und die JUICE endgültig ihre Pforten, inklusive unsäglicher Handhabung der Thematik vom dahinterstehenden Piranha Verlag. Ein großer Dank geht an die vielen Beteiligten, die beide Magazine über die Jahre zu echten Institutionen haben werden lassen. Auch Mauli und Staiger beendeten Mitte des Jahres ihren durchaus erfolgreichen und immer unterhaltsamen Podcast "Die wundersame Rapwoche". Wobei vor allem Staiger keine wirkliche Pause zu machen scheint und aktuell mit eigenem YouTube-Format und einem zusammen mit Mohamed Charour veröffentlichten Buch in zahlreicher Munde ist.
Wirklich traurige Nachrichten waren vor allem aus den USA zu vermelden: Die unvermittelten und häufig gewaltsamen Tode von Coolio, PnB Rock, Lil Keed, DJ Kay Slay, Archie Eversole, Snootie Wild, Jamal Edwards, Wavy Navy Pooh, JayDaYoungan und Takeoff lassen einen fassungslos zurück. Wir wünschen friedliche Ruhe den Verstorbenen und Kraft für die Hinterbliebenen.
2022 mag im echten Leben nicht wirklich Freude bereitet haben. Die genannten Todesfälle lassen auch das Musikjahr nicht in bester Erinnerung zurück. Im Mikrokosmos Deutschrap immerhin bleibt vieles so wie eh und je. Wie wichtig oder nebensächlich das zu nehmen ist, darf jede:r für sich selbst entscheiden. Prost und auf ein Neues.
(die MZEE.com Redaktion)
(Grafik von Daniel Fersch)