"Woher kommst du?" – Diese scheinbar einfache Frage ist für Menschen mit vermeintlich sichtbarem Migrationshintergrund leider oftmals alles andere als banal. Dass diese Frage schmerzhaft sein kann, weil sie ein ständiges "nicht dazugehören" suggeriert, ist der fragenden Person häufig nicht bewusst, sonst würde sie vermutlich weniger oft gestellt werden. Auch die Rapperin Nashi44 wird damit im Alltag oft konfrontiert. Mit ihrer Debütsingle "Aus der Pussy" gibt sie eine allgemeingültige Antwort und teilt ihre persönlichen Erfahrungen mit dieser Frage. Damit setzt sie ein starkes politisches Zeichen. Dass es so ein Zeichen benötigt, zeigt traurigerweise der aufflammende Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Dennoch erhält das Thema "antiasiatischer Rassismus" nach wie vor viel zu wenig mediale Aufmerksamkeit. Nashi geht mit diesem Frust und dem Schmerz auf starke und konstruktive Weise um, indem sie beides in Musik umwandelt, die andere dazu ermutigt, für sich selbst einzustehen. Das Thema ihrer Debütsingle war für uns also Grund genug, sie zum Gespräch zu laden und mit ihr über Rassismus, Empowerment und politischen Aktivismus zu sprechen. Außerdem ging es um ihre Vorbildfunktion, YouTube-Kommentare und ihr abgebrochenes Pop- und Jazzgesangsstudium.
MZEE.com: Mit deiner Debütsingle "Aus der Pussy" greifst du die politisch aufgeladene Frage nach der Herkunft auf, die für viele Menschen mit vermeintlich sichtbarem Migrationshintergrund Alltag ist. Was hat dich dazu bewegt, mit dieser Thematik an die Öffentlichkeit zu gehen?
Nashi44: Ich habe die Frage sehr oft gestellt bekommen und hatte das Gefühl, dass es vielen Menschen ähnlich ging. Es ist mehr als nur eine Frage und wird auf Dauer sehr anstrengend. Die fragende Person stellt sie mir nur einmal, aber ich bekomme sie gefühlt eine Million Mal gestellt. Sie hat oft ein scheiß Gefühl in mir ausgelöst. Deshalb wollte ich ein Lied schaffen, durch das sich Leute empowert fühlen, wenn sie dasselbe durchmachen. Damit sie sich danach stark fühlen und auf dieses Lied zurückgreifen können. Nach dem Motto: "Du weißt doch ganz genau, wo ich herkomme."
MZEE.com: Ich bin darauf aufmerksam geworden, weil eine Bekannte mir den Track geschickt hat. Du hast sie damit auf jeden Fall empowert. Die Single hat eine Welle losgetreten.
Nashi44: Ich habe durch die BIPoC-Community sehr viel Rückhalt bekommen, als ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Mich haben mehrere Menschen beeinflusst und educatet. Der Song war nicht plötzlich da, sondern ist ein Prozess gewesen. Die Kraft, die ich durch die Community gewonnen habe, wollte ich in Form eines Songs zurückgeben. Das Lied war für mich wie ein Dankeschön.
MZEE.com: Du bist ja politisch aktiv und schon auf Demos aufgetreten. Kam das durch die Musik oder warst du schon vorher in diesen Bereichen unterwegs?
Nashi44: Ich glaube, man kann nichts im Leben unabhängig voneinander sehen. Es ist alles parallel gelaufen. Dadurch, dass ich aussehe, wie ich aussehe, bin ich gezwungenermaßen politisiert worden, weil ich immer Rassismus erlebt habe. Ich habe mich damit auseinandergesetzt und hinterfragt, warum ich mich dadurch so ohnmächtig gefühlt habe. Wo kommt das her? Was ist der Ursprung des Rassismus und was ist die Tragweite? Parallel dazu habe ich immer schon gesungen und Musik gemacht. Deswegen ist es einfach ineinander übergegangen. Ich bin privat auf Demos gegangen. Nach der Veröffentlichung des Songs kamen dann die Anfragen.
MZEE.com: Würdest du sagen, dass die Wut und der Frust, die durch Alltagsrassismus entstehen, Anstöße für deine Musik sind?
Nashi44: Ich würde es anders formulieren. Musik ist das Medium, über das ich mich ausdrücke. Was ich erlebe, packe ich in meine Musik und dazu gehören der Rassismus und Sexismus, den ich erlebe. Ich würde nicht sagen, dass ich nur deswegen Musik mache. Es ist einfach ein Teil meines Lebens. Deswegen kommt es raus.
MZEE.com: Haben sich deine zwischenmenschlichen Beziehungen verändert, seitdem du öffentlich gegen Rassismus aktiv bist?
Nashi44: Es hat sich nicht viel verändert. Meinen engen Freundeskreis kenne ich seit meiner Jugend. Die haben alles mit mir durchgemacht und kennen jede Phase meines Lebens. Es war eher so, dass meine Freund:innen mich auf den letzten Metern so richtig gepusht haben. Sie haben mich bestärkt und mir gesagt, dass ich das schaffe, weil es viele Momente gab, in denen es mir zu viel war. Teilweise war es sehr anstrengend, alles an den Start zu bringen. Da waren meine Freund:innen für mich da und haben mich unterstützt.
MZEE.com: Rap macht seit jeher auf soziale Missstände in der Gesellschaft aufmerksam. Findest du, Rap in Deutschland zeigt genug Haltung?
Nashi44: Ich glaube, es gibt sehr viele politische Rapper:innen, die krass Haltung zeigen, aber einfach nicht die Plattform kriegen. Im Mainstream kommen nur die an, die leicht verdauliche Themen behandeln. Die haben Erfolg und Reichweite. Das liegt daran, wie in Deutschland das Musikgeschäft aufgebaut ist, was gefördert und wo Geld reingesteckt wird. Des Weiteren kommt es drauf an, was die Gesellschaft am Ende hört. Ich habe den Eindruck, in Amerika können politische Songs genauso weit reichen wie Songs mit banalen Inhalten. Aber hier ist es gefühlt sehr getrennt.
MZEE.com: Gibt es jemanden, der dir in diesem Bereich besonders positiv auffällt?
Nashi44: Das beste Beispiel ist Tupac. Der hat sich wirklich politisch eingesetzt und seine Songs waren es auch. Von der Reichweite brauchen wir jetzt nicht zu sprechen. Momentan schlagen J. Cole und Kendrick Lamar im Bereich Conscious Rap internationale Wellen. Die machen geile Musik und politischen Inhalt.
MZEE.com: Ich würde gerne mit dir über die Sensibilität von Medien zum Thema Rassismus sprechen. Haben Bewegungen wie BLM oder das Hashtag #stopasianhate deiner Meinung nach die mediale Berichterstattung verändert?
Nashi44: Ich finde, man muss ein bisschen unterscheiden zwischen sozialen Medien und traditionellen Massenmedien wie Zeitungen, Fernsehen und Radio. In den sozialen Medien gab es eine krasse Aufmerksamkeit bezüglich des Themas "Antiasiatischer Rassismus", gerade durch die Community-Arbeit, die Hashtags und die Vereine. Die haben da sehr viel gemacht. Aber wenn man auf die Massenmedien schaut, hat es sehr lange gedauert, bis jemand auch nur ansatzweise über das Attentat in Atlanta berichtet hat. Wenn überhaupt. Ich finde, da geht noch wesentlich mehr. Generell wird über antiasiatischen Rassismus in Deutschland nicht so viel berichtet.
MZEE.com: Wie fühlst du dich als asiatisch gelesene Frau in den Medien repräsentiert?
Nashi44: Dank Social Media kann ich mir die jeweiligen Journalist:innen raussuchen, von denen ich mich repräsentiert fühle, und denen folge ich dann. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin in meiner eigenen Bubble mit lauter Leuten, die mich inspirieren. Im Umkehrschluss sehe ich, dass ich mich in den Standardmedien nicht wirklich repräsentiert fühle. Das war schon so, als ich jünger war. Es gab vielleicht ein, zwei Ausnahmen, aber generell sind asiatisch gelesene Menschen für mich unterrepräsentiert und das nicht, weil es sie nicht gibt, sondern weil sie einfach nicht die Reichweite kriegen. So wie viele Menschen, die als BIPoC gelesen werden.
MZEE.com: Dein Song gibt Menschen, die von Alltagsrassismus betroffen sind, Kraft und Support. Was bedeutet der Begriff "Empowerment" für dich?
Nashi44: Eigentlich ganz simpel: etwas, das mir Kraft zurückgibt. Die Kraft, weiterzumachen zum Beispiel. Es kann alles Mögliche sein. Ein Gespräch mit Freund:innen, die dasselbe durchmachen wie ich, oder Redebeiträgen auf Demos zuhören, Artikel lesen. Dieser Austausch und Input ist für mich Empowerment.
MZEE.com: Was hilft dir persönlich am meisten, wenn es dir nicht gut geht?
Nashi44: Ich gehe richtig gerne spazieren und höre Musik. Ein bisschen wahllos durch meine Gegend laufen und die Umgebung zu beobachten, ist das, wobei ich runterkomme. (lacht) Ansonsten Gespräche mit meiner Familie oder mit Freund:innen. Es gibt kein Geheimrezept, glaube ich.
MZEE.com: Du hast begonnen, Pop- und Jazzgesang zu studieren und später abgebrochen. Möchtest du darüber sprechen, aus welchen Gründen du dich für den Abbruch entschieden hast?
Nashi44: Es hatte viele Gründe. Ich will es nicht beschönigen. Es gab viele Situationen, in denen ich mit Lehrpersonal darüber reden musste, dass es nicht ok ist, Menschen in gute und schlechte Ausländer:innen zu unterteilen und noch ganz andere Sachen. Man hat in diesem Studium viel Einzelunterricht. Das ist auf Dauer sehr anstrengend gewesen. Wenn du in einer großen Klasse bist, kannst du auch mal ein bisschen abtauchen und den Kopf abschalten. In der Eins-zu-eins-Session musste ich mich mit politischen Themen auseinandersetzen, obwohl ich eigentlich Unterricht haben wollte. Außerdem habe ich irgendwann gemerkt, dass Jazz nicht das ist, wo ich hin möchte. Darauf lag ein krasser Fokus und es war mir ein bisschen zu verschult. Ich wusste schon immer, dass ich meine Songs schreiben und damit auftreten wollte. Ich dachte, dieses Studium wäre dazu da, dass es mich unterstützt. Das war nicht der Fall, sondern es hat mir gefühlt sehr viel Zeit genommen. Dann habe ich den Entschluss gefasst, das abzubrechen und zurück nach Berlin zu kommen, wo ich aufgewachsen bin, und mich hier komplett auf die Musik zu konzentrieren. Leipzig war einfach nicht meine Stadt.
MZEE.com: Ich habe das Gefühl, dass man sagt, dass frühere Generationen, die nach dem Vietnamkrieg nach Europa gekommen sind, nicht so wirklich auffallen wollten und es deshalb eher weggeschwiegen haben, wenn sie mit Rassismus konfrontiert wurden. Heutzutage ist das nicht unbedingt der Fall. Was denkst du darüber?
Nashi44: Ich kann ja nur aus meiner Perspektive reden und erzählen, wie es beispielsweise für meine Mutter war. Sie war die erste Generation, die hierhergekommen ist und quasi versucht hat, zu "überleben". Sie hat von morgens bis abends gearbeitet, um Geld zu verdienen, damit wir es später besser haben. Es entspricht wirklich diesem Bild, das man hat. Das traf in unserem Fall zu. Da hat man, glaube ich, einfach nicht die Kapazität und die Zeit, um sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen und politische Arbeit zu leisten. Das ist ja an sich schon ein Fulltime-Job. Es ist ein Privileg, sich zu politisieren und die Zeit darin zu investieren. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir das ermöglicht haben und ich überhaupt so weit gekommen bin, mich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Es kommt auch immer auf die Ressourcen der Person an. Ich denke, es gibt schon Vietnames:innen, die sich, schon während sie hier gearbeitet haben, politisieren konnten, weil sie vielleicht das Geld und die Ressourcen hatten.
MZEE.com: Ich muss an Helen Fares denken, die dazu gesagt hat: "Von Rassismus zu heilen, ist eine lebenslange Aufgabe." – Was braucht es in Zukunft, um ein Zeichen für die asiatisch-deutsche Community zu setzen?
Nashi44: Es gibt Organisation wie Korientation e. V., BAFNET (Anm. d. Red.: Berlin Asian Film Network), DAMN (Anm. d. Red.: Deutsche Asiat*innen, Make Noise) und Podcasts wie "DIASPOR.ASIA" oder "Rice and Shine". Also lauter Projekte oder Künstler:innen, die man unterstützen kann, sei es finanziell oder dadurch, Beiträge zu teilen. Man sollte immer wieder darauf aufmerksam machen und darüber sprechen. Ich glaube, das ist der Kern. Wenn diese Projekte immer weiterlaufen, können die Organisationen Bildungsarbeit weiterführen. Es dauert eine Zeit, bis solche Themen ankommen und viele Menschen darüber aufgeklärt werden. Ich denke, darüber kann man viel machen und das supporten.
MZEE.com: Der amerikanische Schriftsteller James Baldwin hat einmal gesagt: "Not everything that is faced can be changed, but nothing can be changed until it is faced." – Was denkst du darüber?
Nashi44: Ja. Das ist so. Man muss Dinge benennen, um sie auch ändern zu können.
MZEE.com: Als ich deine Debütsingle gehört habe, hatte ich das Gefühl, dass es jemanden gebraucht hat, der mal alles ausspricht. Wie ist es für dich, eine Vorbildfunktion insbesondere für junge asiatisch-deutsche Menschen einzunehmen?
Nashi44: Es war mir gar nicht bewusst, dass ich ein Vorbild bin. (lacht) Ich hoffe einfach, dass ich andere jüngere Asiatisch-Deutsche darin bestärke, auch zu sich zu stehen und ihr Ding durchzuziehen. Ich bin schon heftigst gespannt, was noch an jüngerem Input kommt. Denn ich glaube, jede Generation beeinflusst die nachfolgende. Das ist der Lauf der Dinge. Ich freue mich, wenn ich durch meinen Beitrag andere unterstütze, aber ich muss auch sagen, dass es ganz schön viel Gegenwind gab.
MZEE.com: In Form von YouTube-Kommentaren?
Nashi44: Ja oder auch auf TikTok. Aber ich freue mich voll, wenn ich andere ermutigen kann. Das ist das Wichtigste und deswegen mache ich das. Ich denke auch an meine Nichte und meinen Neffen. Ich möchte, dass die nicht so viel Scheiße erleben wie ich. Hoffentlich ist es bis dahin etwas aufgeklärter und die Menschen ein bisschen entspannter.
MZEE.com: Gibt es andere Bereiche außerhalb deiner Musik, in denen du dich politisch einsetzt oder einsetzen möchtest?
Nashi44: In letzter Zeit habe ich ein paar Anfragen dazu bekommen, mit Jugendgruppen Rap-Workshops zu machen. Das finde ich voll wichtig, weil es politische Bildungsarbeit ist. Ich würde es nicht zu meinem Hauptding machen wollen, denn Musik ist einfach das, wofür ich lebe. Aber das finde ich voll cool, weil ich früher neben der Schule auch in ein Jugendzentrum gegangen bin. Dort habe ich viel Rückhalt bekommen. Deshalb weiß ich, wie wichtig sowas ist. Das wäre eine Art von politischer Arbeit, die ich mir nebenbei vorstellen könnte.
MZEE.com: Ist dir persönlich im Rap-Bereich schon Rassismus begegnet?
Nashi44: Das Ding ist ja, dass ich erst seit zwei Jahren so richtig das Rap-Ding durchziehe. Das fiel in die Corona-Zeit. Das heißt, ich habe gar nicht so viel Kontakt mit anderen Leuten auf Konzerten gehabt. Ich glaube schon, dass das noch kommt, aber bis jetzt ist mir nichts dergleichen passiert. Vielleicht habe ich es aber auch verdrängt. Wenn ich auf Demos aufgetreten bin, war das ja eine Art geschütztes Umfeld. Das einzige, wovon ich erzählen kann, sind Kommentare bei Social Media oder YouTube. Das ist auch krass sexistisch teilweise. Ich habe mittlerweile aufgehört, die richtig zu lesen. Deswegen kann ich gar nicht sagen, ob die jetzt auch gemischt mit Rassismus sind.
MZEE.com: Der Grundgedanke von HipHop ist ja antirassistischer Natur. Solche Kommentare widersprechen ihm.
Nashi44: Ich weiß nicht. Ich finde, dass HipHop auch nur ein Spiegel der Gesellschaft ist. Es gab Fälle, in denen sich Rapper:innen höchst rassistisch geäußert haben. Solche Leute gibt es auch. Es kommt immer auf die Person an, also den:die Rapper:in. Das, was ich an meiner Hochschule erlebt habe, war auch rassistisch. Man denkt immer, im Kunst- und Musik-Bereich wären alle weltoffen und frei, aber dort herrschen teilweise superengstirnige Ansichten. Nur weil man sich auf die Fahne schreibt, offen zu sein, steckt man dort nicht mehr Arbeit rein.
(Malin Teegen)
(Fotos von Hai Anh Pham und Dinh Ngoc Dat Harry )