"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Bei Crossover-Projekten oder ähnlich anmutenden Experimenten bin ich üblicherweise vorsichtig, da diese in der Umsetzung meistens nicht das bieten, was sie versprechen. Oft werden sie nur gemacht, weil es eben mal was anderes ist. Obwohl mich "Stokkholm" von Kex Kuhl bereits länger interessiert hatte und ich mir schon eine Weile vorgenommen hatte, die Platte doch mal zu hören, zögerte ich aus dem oben genannten Grund. Bis mir Spotify dann zufällig einzelne Songs daraus in die Rotation gespült hat. Dann konnte ich mir auch gleich das ganze Album anhören.
Und Ausnahmen bestätigen eben tatsächlich die Regel. Schon auf dem Opener "Halb Acht" merkte ich, dass auf "Stokkholm" kein Kompromiss zwischen verschiedenen Einflüssen gemacht wird. Keine Platte, die nach irgendeinem Rezept oder einer Checkliste erstellt wurde, aber Mucke mit Herz von einem Künstler, der aus dem Rap kommt, jedoch keine Genrezuordnung braucht. Das Grundgerüst bildet dabei eine Gitarre – auf Samples wurde komplett verzichtet. Mal geht es etwas mehr in Richtung Punkrock, mal hört man das ein oder andere vertraute Riff – wobei mir besonders die Pixies-Hommage im Titelsong gefällt – und mal ist es dann doch wieder nur die Akustik-Gitarre, zu der wahlweise gerappt oder gesungen wird. Gerade auf ruhigeren Songs wie "Müde" oder "Wein und so" kommen Kex Kuhls Songwriter-Qualitäten zum Vorschein. Mein Highlight des Albums ist aber "Cousin". Die eingängige Hook bekomme ich nicht mehr aus dem Kopf. Das hat letztlich auch dazu geführt, dass der Song in meinem letzten Spotify-Jahresrückblick ganz oben gelandet ist.
Ich fand Taha – so sein bürgerlicher Name, unter dem er inzwischen auftritt – schon vorher interessant. Seit ich allerdings "Stokkholm", wenn auch zwei Jahre zu spät, für mich entdeckt habe, bin ich endgültig Fan. Die Entwicklung mit den verschwimmenden musikalischen Grenzen setzt er immer noch konsequent fort. Ich bin sehr gespannt auf die kommenden Projekte.
(Michael Collins)