Afrika Bambaataa. Für viele eine absolute HipHop-Legende. Viele jüngere Rap-Hörer dürften sich wiederum zurecht fragen: "Wer?" Manch anderer sieht in Bambaataa aber auch einen mehr als streit-, ja vielleicht sogar fragwürdigen Charakter. Warum das so ist, wird im Verlauf seiner hier skizzierten Geschichte deutlich. Denn auch wenn man mit seiner Person nichts anfangen kann, lassen sich in seiner Biografie etliche Phänomene aus dem großen HipHop-Kosmos wiederfinden. Sie ist sowohl von positiven als auch negativen Abschnitten durchzogen. So befinden sich auf der einen Seite Themen wie Sampling und die Zulu Nation, aber auf der anderen Seite eben unter anderem auch Sexismus und sexuelle Gewalt. All dies ist Teil der mehr als absurden Geschichte Bambaataas. Am Ende bleibt die Frage bestehen, ob er sich ein Denkmal verdient oder dieses längst selbst zerstört hat.
Afrika Bambaataa – wer?
Bereits sein Künstlername wirft einige Fragen auf. Bis heute ist ungeklärt, inwieweit dieser zustande kam. Aktuell ist nur relativ sicher, dass Bambaataa sich diesen Künstlernamen in Anlehnung an einen Anführer des Zulu-Stammes gab. Er selbst beteuert, 1975 eine zweiwöchige Reise durch Nigeria, die Elfenbeinküste, Guinea-Bissau und eine weitere Woche in Europa durch einen Essay-Wettbewerb von UNICEF gewonnen zu haben. Einige Mitglieder der New Yorker Straßengang Black Spades, bei der Bambaataa bis 1973 selbst Mitglied war, sind hingegen der Meinung, er habe sich die Reise von Gang-Membern finanzieren lassen. Wiederum andere Quellen gehen von einer Finanzierung durch den Gewinn eines Housing Authority Contest, einer Art Schreibwettbewerb, aus. Eine vollständige Auflösung dieser widersprüchlichen Darstellungen lässt wohl weiterhin auf sich warten.
Bambaataa ist nicht nur aufgrund seines hohen Alters als Teil der ersten Generation der HipHop-Kultur zu betrachten. Nein, der vermutlich 1957 geborene DJ ist ein wichtiger Bestandteil der Legende rund um die Entstehung der HipHop-Kultur in den 1970er Jahren in der New Yorker Bronx. Er ist einer der DJs, die mitverantwortlich für das erfolgreiche Funktionieren der sogenannten Block Partys sind. Für seine ersten DJ-Sets leiht er sich das Equipment von DJ Disco King Mario, der in der Bronx auch für viele andere DJs den Startpunkt ihrer Karrieren darstellt, wie zum Beispiel Grandmaster Caz und Jazzy Jay. Auch Disco King Mario ist ein Mitglied der Black Spades. 1976 legt Bambaataa bei einem DJ-Battle gegen Mario zum ersten Mal auf. Dieser veranstaltet die Battles in den 1970er Jahren enorm häufig. Bereits auf dieser Veranstaltung erhält Bambaataa sein erstes aka: Master of Records. Der Titel begründet sich durch seine enorme Plattensammlung, die er beim Auflegen stets einsetzt. So werden von dem "Master" auf den folgenden Block Partys nicht nur reine HipHop-Platten aufgelegt, sondern unter anderem auch Musik aus den Bereichen Rock, Funk, Soul und Jazz. Außerdem werden Sprachschnipsel von beispielsweise Malcolm X eingebaut. Seine einstige Plattensammlung umfasst etwa 41 000 Platten, welche 2013 ihren Platz in der Sammlung des HipHop-Archivs der Cornell University in New York finden sollten.
Afrika Bambaataa tritt jedoch längst nicht nur als reiner DJ und Veranstalter von Partys in Erscheinung, sondern prägt mit seinen eigenen Veröffentlichungen den HipHop-Sound insbesondere Anfang der 1980er Jahre. Für seine ersten eigenen Musikproduktionen arbeitet Bambaataa mit den Jazzy 5 und der Soulsonic Force zusammen. Mit letzterer Crew entsteht dann 1982 der größte HipHop-Track aus dieser Zeit neben "The Message" von Grandmaster Flash & The Furious Five: "Planet Rock". Der knapp über sechs Minuten lange Song ist zwar ähnlich tanzbar wie die bis dato veröffentlichten HipHop-Tracks, ist aber im Vergleich durch den Beat wesentlich brachialer und futuristischer. Der Song stellt die einzige Singleauskopplung des gleichnamigen Albums dar und wird in den USA sogar für über 500 000 verkaufte Einheiten mit Gold ausgezeichnet. Hauptverantwortlich für den Sound sind dabei die unüberhörbaren Samples der zwei Kraftwerk-Songs "Trans-Europe Express" und "Numbers". Die Elektropop-Band ist damit mitverantwortlich für einen Song, der den Sound eines gesamten Genres noch etliche Jahre beeinflussen sollte. Die Kraftwerk-Samples wurden von Afrika Bambaataa bis heute nicht geklärt und auch nie in offiziellen Credits von "Planet Rock: The Album" erwähnt, obwohl sie maßgeblich für den gesamten Sound des Albums sind. Stattdessen stand in den 80ern sogar, nach Aussage von Bambaataa, mal eine Zusammenarbeit von ihm und Kraftwerk im Raum, zu der es allerdings nie gekommen ist. Es kommt bezüglich der offensichtlichen Samples nie zu einem Rechtsstreit zwischen den beiden Parteien, während sich unter anderem Moses Pelham seit Ende der 90er in einem scheinbar ewig andauernden Rechtsstreit mit Kraftwerk befindet. Produziert wird sowohl die Single als auch das dazugehörige Album zusammen mit Arthur Baker, welcher kurz zuvor bei dem damals noch neuen HipHop-Label Tommy Boy Records gesignt wird.
"Planet Rock" selbst wurde bis heute über 400-mal gesamplet. Es ist damit nicht nur ein Klassiker der HipHop-Kultur, sondern vermutlich auch einer der am häufigsten gesampleten HipHop-Tracks. Die Liste der Künstler, die das Sample verwendet haben, ist nicht nur lang, sondern auch enorm vielfältig und dürfte bis heute einen guten Querschnitt der HipHop-Musik seit Anfang der 80er Jahre darstellen: Kendrick Lamar, Public Enemy, DJ Premier, Mos Def, The Roots, Ice Cube, die Fugees, Missy Elliot, Redman, De La Soul, 2Pac, KRS-One, Slick Rick oder auch Snoop Dogg.
Zwischen 1980 und 2000 veröffentlicht Afrika Bambaataa etliche Alben und Singles, die allerdings nie einen ähnlichen Erfolg wie "Planet Rock" mit sich bringen sollten. Lediglich im Vereinigten Königreich erlangen einige Singles etwas höhere Chartplatzierungen. Weder seine Veröffentlichungen noch seine Feature-Gäste sind dabei musikalisch zwingend dem HipHop zuzuordnen. So produziert er unter anderem zusammen mit James Brown, George Clinton und Boy George Songs. Auch aufgrund des ausbleibenden Erfolgs werden Bambaataas Veröffentlichungen mit Beginn der 2000er Jahre wesentlich seltener. Parallel entwickelt sich allerdings ein Kult um seine Figur, weshalb er bis heute als gefragter DJ um die Welt reisen kann. Nicht ganz unwichtig für dieses Phänomen ist auch die Zulu Nation.
Von den Black Spades bis zur Zulu Nation
Bereits vor seinem Einstieg in den HipHop-Kosmos war Afrika Bambaataa ein Teil der Straßengang Black Spades, die zwar aktuell als inaktiv gilt, aber trotzdem noch circa 250 Mitglieder haben soll. Sie gilt als eine der ersten und größten Straßengangs der South Bronx. Während der Gründung 1968 wurde die Gang überwiegend von Malcolm X, der Nation of Islam und den Black Panthers inspiriert. Insofern hatte die Gang zunächst eine eindeutig politische und antirassistische Ausrichtung, die in den folgenden Jahren jedoch ausgeweitet und dementsprechend auch etwas verwässert wurde. Anfang der 1970er Jahre wurden so unter dem Namen der Black Spades zunehmend kriminelle Handlungen durchgeführt und auch Musik erhielt eine stetig wachsende Relevanz im Gang-Kontext. Ab 1973 fokussierten sich viele Mitglieder der Black Spades auf den Drogenkonsum und -verkauf, während parallel auch die HipHop-Kultur im Zuge der zunehmenden Block Partys an Relevanz gewann. An diesen nahmen viele Mitglieder ebenfalls teil und organisierten diese zum Teil mit. Kool DJ Herc beschrieb die Gang dementsprechend sogar als wichtigen Teil der Anfänge der HipHop-Kultur.
Da die Black Spades bereits Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre relativ groß waren, wurden sie in mehrere Divisionen aufgeteilt. Eine dieser Divisionen operierte unter der Führung von Afrika Bambaataa, der damals noch nicht diesen Namen getragen hat. Anfang der 1970er Jahre nahm die Gewalt in der Bronx, welche unter anderem von den Black Spades ausgegangen ist, stetig zu und so wurde auch ein Freund Bambaataas bei einem Polizeieinsatz erschossen. Daher entschloss sich Bambaataa, mit einigen anderen Mitstreitern einen neuen Weg zu gehen. Er gründete die Universal Zulu Nation, welche zu Beginn noch The Organisation hieß. Im Prinzip stellte die Organisation das genaue Gegenstück zu den zunehmend gewaltbereiten Straßengangs insbesondere in New York dar. Ihr Mittelpunkt war die HipHop-Kultur, die mit einem Aktivismus gegen Gewalt und Drogenkonsum verknüpft wurde. Wer ein Teil der Zulu Nation werden wollte, musste sich diesen Grundwerten verschreiben. Zunächst waren fast ausschließlich Breaker und DJs Teil der Zulu Nation und insbesondere Breaker übernahmen neben Bambaataa Führungspositionen.
In den folgenden Jahren entwickelte sich die Zulu Nation stetig weiter und wurde zu einer international bekannten und anerkannten Organisation, die zumeist als HipHop-Organisation wahrgenommen wurde, da sie sich Werten wie Freiheit, Gerechtigkeit, Wissen, Weisheit und Verständnis verschrieb. Besonders in Europa wurden dementsprechend ab den 1980er Jahren sogenannte Chapter, also Zweigstellen, der Zulu Nation eröffnet. So zum Beispiel in Frankreich, Italien, Holland, Spanien, der Türkei, Großbritannien und auch in Deutschland, wo Bambaataa 1985 Torch zum König des deutschen Chapters ernannte. Und so sind oder waren bereits etliche deutsche und internationale Größen des HipHops bereits Mitglied der Zulu Nation: A Tribe Called Quest, De La Soul, Flavor Flav, Ice-T, die Jungle Brothers, Queen Latifah, KRS-One, Cora E., Jan Delay, DJ Stylewarz, Toni-L und Marcus Staiger.
Trügt der Schein?
Bis vor wenigen Jahren hätte man guten Gewissens Afrika Bambaataas Geschichte als Beispiel eines echten HipHop-Märchens betrachten können: der junge Künstler, der nicht nur die ersten Jahre der HipHop-Kultur als DJ und Produzent entscheidend mitprägt, sondern sich parallel vom Leben als Teil einer Straßengang distanziert, um eine Organisation zu gründen, die bis heute für friedvolle Werte im HipHop-Kontext einsteht. Doch dann kommt das Jahr 2016. Die HipHop-Aktivisten Ronald Savage und Hassan Campbell berichten unter anderem in einem Gespräch mit der New York Daily News, Bambaataa habe sie als Kinder in den 1980er Jahren sexuell belästigt. Nur kurz darauf melden sich auch andere Opfer zu Wort, die teilweise anonym bleiben wollen.
Die Vorwürfe stehen bis heute im Raum, sind bisher allerdings nie vollständig aufgeklärt worden. Dies liegt unter anderem auch daran, dass Kindesmissbrauch in New York bis 2019 ab dem vollendeten 23. Lebensjahr des Opfers als verjährt galt und dementsprechend keine Ermittlungen gegen (mutmaßliche) Täter stattfanden. Mittlerweile liegt diese Altersgrenze in New York bei 55 Jahren. Afrika Bambaataa streitet bis heute die Anschuldigungen ab und auch die Zulu Nation springt ihm zunächst zur Seite, spricht sogar von einer Regierungsverschwörung gegenüber Bambaataa und der Zulu Nation. Außerdem bezeichnet die Organisation Ronald Savage in ihrem Statement als "geistig behindert" und Hassan Campbell als einen Lügner. Ebenfalls eine verteidigende Position nimmt das HipHop-Urgestein und der lange Weggefährte von Bambaataa KRS-One ein. Er möchte zunächst die Bedeutung von Bambaataas Schaffen für HipHop eindeutig von seiner Person und seinem Privatleben trennen: "Denn was HipHop-Geschichte ist, bleibt HipHop-Geschichte." Zudem wünscht er sich einen genauen Blick auf die Fakten und einen Verzicht auf das Verurteilen von Personen ohne konkrete Beweise. Auch Kool DJ Herc hält nach den Vorwürfen zu Bambaataa und bezeichnet die Situation lediglich als internen Konflikt in seiner Organisation.
Die Zulu Nation veröffentlicht nur kurz nach ihrer ersten Reaktion ein erneutes Statement, in dem sie sich nicht nur von Afrika Bambaataa distanziert, sondern sich auch bei den Opfern entschuldigt. Bambaataa tritt nur wenig später offiziell als "Kopf" der Zulu Nation zurück. Insofern ist davon auszugehen, dass es sich bei den Vorwürfen sexuellen Missbrauchs eben längst nicht nur um Vorwürfe handelt. Das Missbrauchsopfer Ronald Savage berichtet zudem, dass es im engsten Umfeld Bambaataas und somit auch innerhalb der Zulu Nation etliche Mitwisser geben soll, die eine enorme Vertuschungsarbeit leisten. Zu dieser "Arbeit" sollen unter anderem auch Morddrohungen gegenüber Missbrauchsopfern zählen. Die Vorwürfe aus dem Jahr 2016 sind außerdem längst nicht die ersten gewesen. Bereits in den 1980er und 1990er Jahren machte sich zumindest in der New Yorker Bronx das Gerücht breit, Bambaataa würde sich sexuell an Teenagern vergreifen. Ab den 2000er Jahren wurden die Vorwürfe von verschiedenen Seiten zunehmend größer und öffentlichkeitswirksamer. Doch aufgrund von Druck, Drohungen und Bestechungsversuchen durch die Zulu Nation nahmen viele Opfer und Zeugen des sexuellen Missbrauchs ihre Aussagen und Beschuldigungen zurück. Laut dem Missbrauchsopfer Hassan Campbell soll es längst nicht nur Opfer in New York geben, sondern auch in Großbritannien oder Brasilien. Eine Vielzahl der Missbrauchsopfer soll zudem Selbstmord begangen haben oder an einer Überdosis gestorben sein in Folge des Missbrauchs durch Bambaataa und der Drohungen durch Mitglieder der Zulu Nation. Während sich die Organisation seit Mitte 2016 ausdrücklich öffentlich von Bambaataa distanziert und viele Mitwisser wohl ihre Posten räumen mussten, übt Bambaataa trotzdem auf die verbliebenen Köpfe der Zulu Nation Druck aus. Sollten die Vorwürfe stimmen, sind die gesamten Geschehnisse enorm zu verurteilen, allen voran Afrika Bambaataa persönlich. Insbesondere in Kombination mit der scheinbar menschenfreundlichen und friedlichen Ausrichtung der Zulu Nation ist die gesamte Situation sehr besorgniserregend und ein gefährliches Beispiel für ähnliche Geschehnisse in der HipHop-Welt.
"Was habt ihr bisher gemacht, außer Seelen zertrampelt und mit zugedröhnten Schädeln junge Mädels misshandelt?!"
Bambaataa stellt mit diesen Taten längst keinen Einzelfall dar. Der sexuelle Missbrauch ist in seinem Fall nur eben an Absurdität und Schrecklichkeit kaum zu übertreffen, da er jahrzehntelang als Symbol und Kopf einer vermeintlich friedfertigen Organisation fungierte. Insbesondere bei Betrachtung etlicher Rap-Texte dürften sexuelle Missbrauchsfälle leider längst nicht mehr überraschen. Schon mit Beginn der HipHop-Kultur in den USA fand zum Beispiel das fast schon obligatorische "Muttergeficke" Platz im Rap und auch das "Einladen" von jungen weiblichen Fans in den Backstagebereich ist bis heute ein viel verwendetes Bild. "And a bad little mama with her ass in my face. I'ma lick that, stick that, break her off, Kit-Kat. Snuck her in backstage, you don't need a wristband", rappen Kool Moe Dee, Grandmaster Caz und Melle Mel auf dem Track "Downton" von Macklemore, der sogar regelmäßig Airplays erhält. Fast selbstverständlich stößt dieses Bild auch in Deutschland auf Anklang. Kollegah hat beispielsweise einen genauen Plan für den Ablauf im Backstage: "Bring deine Ex-Lady, Penner. Wir filmen mit der Chick dann im Backstage Sextapes. Geben Dick in ihr Drecksface, Licht aus und sie kriegt keine Luft, während sie Dick saugt." Selbst ein Conscious-Rapper wie Torch hielt es für unverzichtbar, folgende Zeile in die Hook seines bekanntesten Tracks "Wir waren mal Stars" einzubauen: "Ihr rockt die Charts und wir hocken in den Bars, langen Mädels an den Arsch und leeren Glas nach Glas." Auf textlicher Ebene kann man sich natürlich stets auf ein Konzept wie die Kunstfreiheit berufen und sich dementsprechend verteidigen. Dieses Rechtfertigungsargument ist allerdings relativ dünn, beachtet man den Umstand, dass etliche Rapper und HipHop-nahe Künstler auch real für sexuelle Missbrauchsfälle verantwortlich sind. Denn Afrika Bambaataa ist längst kein Einzelfall. Die Liste ist ebenso lang wie vielfältig und reicht von Underground-Künstlern über bereits verstorbene Legenden bis hin zu Personen, die zeitweilig sogar als Pop-Idole gefeiert wurden.
Auch ein Name wie 2Pac ist Teil dieser Liste. Der Rapper, der bis heute einen Legenden-Status innehat, sowohl medial als auch von Fans posthum abgefeiert wird und immer wieder in der Diskussion auftaucht, wenn es um die Frage geht, wer der beste MC aller Zeiten ist. Ayanna Jackson zeigte ihn Mitte der 1990er Jahre an, da dieser sie vergewaltigt haben soll. Pac wurde daraufhin 1995 unter anderem für sexuelle Belästigung und unerlaubten Waffenbesitz zu über vier Jahren Gefängnis verurteilt, konnte dieses jedoch bereits nach nur neun Monaten verlassen, da sein Labelchef Suge Knight für ihn eine Kaution von 1.400.000 US-Dollar bezahlt hatte. Während 2Pac seine Haftzeit hinter sich brachte, konnte sein Album "Me Against The World" trotzdem – oder gerade deswegen – Platz eins der amerikanischen Charts erreichen.
Ende der 2000er Jahre ging ein Bild von Rihanna viral, welches ihr Gesicht mit etlichen Verletzungen zeigte. Der Verursacher war kein Geringerer als ihr damaliger Lebensgefährte Chris Brown. Der Sänger und Rapper lässt sich definitiv auch dem HipHop-Kosmos zuordnen. Der Künstler gelobte Besserung und entschuldigte sich bei Rihanna, die ihm auch verzieh. Er erhielt für die Prügelattacke lediglich eine fünfjährige Bewährungsstrafe und eine Verurteilung zu 180 Tagen gemeinnütziger Arbeit. Brown ist weiterhin ein gern gesehener Feature-Gast etlicher Rapper, von seiner versprochenen Besserung ist allerdings bis heute nichts zu sehen. Unter anderem soll er 2016 eine Frau mit einer Waffe bedroht haben und Anfang 2019 ist er wahrscheinlich sogar Mittäter bei einer Gruppenvergewaltigung in Paris gewesen. Der Sänger war nach kurzer Zeit in Gewahrsam und einer Befragung jedoch bereits wieder auf freiem Fuß und verließ Frankreich umgehend. Er selbst streitet die Vorwürfe nicht nur ab, sondern bezeichnet das vermutliche Opfer unter anderem als "lügende Schlampe" auf Instagram.
Diese Thematik ist allerdings kein Problem, das nur amerikanische Künstler betrifft. Auch in Deutschland existiert sie innerhalb des Rap-Kosmos. So sind die 187-Member Gzuz und Bonez MC zum Beispiel schon seit einigen Jahren immer wieder in Vorwürfe und Prozesse hinsichtlich sexueller Belästigung und Missbrauchs verwickelt. Erschreckend sind dabei nicht nur die Vorwürfe an sich, sondern auch ihr Umgang mit diesen. Selbst wenn die Beschuldigungen nicht alle zutreffen sollten, ist es vollständig inakzeptabel, sich über die Opfer zu belustigen, wie im Falle von Bonez MC. Denn nach Vorwürfen hinsichtlich häuslicher Gewalt der damaligen Freundin von Gzuz postete Bonez MC bei Instagram einige "lustige" Fotos in Anlehnung an die geschilderten Vorwürfe.
Eine Legende mit Freifahrtschein?
Diese Beispiele bilden nur einen Bruchteil der Vorwürfe und Vorfälle von sexuellem Missbrauch im HipHop-Kosmos ab. Dabei haben sie häufig ähnliche Auswirkungen für die jeweiligen Künstler. Zumeist sind die rechtlichen Konsequenzen in Form von Gefängnisstrafen enorm gering im Vergleich zu anderen Vergehen wie zum Beispiel Steuerhinterziehung. Auch die Rezeption von Fans, Medien und Bookern fällt in den meisten Fällen insgesamt unbeeindruckt aus. Künstler wie Gzuz und Chris Brown zählen noch immer zu den erfolgreichsten Künstlern ihres Genres, verkaufen Konzerte aus und stehen bei Festivals auf der Hauptbühne. Auch 2Pac dürfte für eine ganze Generation die Rap-Legende schlechthin darstellen. Bambaataas Relevanz und Einfluss scheint sich hingegen nach den Vorwürfen zunehmend zu verringern.
An dieser Stelle tritt jedoch erneut die Zulu Nation ins Spiel und führt die eigene Debatte um den DJ ad absurdum. So hatte man sich zunächst nach dem zunehmenden öffentlichen Druck von Bambaataa getrennt und zudem auch etwaige Mitwisser und Komplizen aus der Organisation geworfen. Kein Jahr später scheint die Trennung der beiden Parteien jedoch wieder Geschichte zu sein. Afrika Bambaataa ist weiterhin weltweit als DJ unterwegs und produziert auch mit verschiedenen Musikern neue Musik. Ende 2017 bewirbt er einen DJ-Gig in Brasilien, unten rechts auf dem Flyer zu sehen: das Logo der Zulu Nation. Dieses Flyer-Design könnte natürlich ohne das Mitwirken und Einverständnis der Zulu Nation entstanden sein. Doch anstatt sich von diesem Promomove zu distanzieren, lädt man den DJ stattdessen sogar auf eine eigene Veranstaltung ein. Im November 2017 feierte die Zulu Nation den eigenen 44. Geburtstag und den 43. Geburtstag der HipHop-Kultur. Ein Jahr später war Afrika Bambaataa sogar bereits wieder der Headliner der jährlich stattfindenden Geburtstagsparty der Zulu Nation. Seitdem finden etliche Auftritte Bambaataas unter dem Logo der Zulu Nation statt und er ist auch ein gern gesehener Gast bei verschiedensten Chaptern. Die angekündigte klare Trennung der beiden Parteien ist jedenfalls schnell Geschichte gewesen. Ein erneutes Statement zu diesem "Umdenken" gab es seitens der Zulu Nation nicht, liegen doch die offiziellen Social Media-Seiten seit 2016 brach und auch der letzte Beitrag der Website ist aus dem Jahr 2019.
Eine Organisation, die sich als friedfertig und gewaltfrei darstellt, dürfte Künstlern, die im Verdacht stehen, sexuellen Kindesmissbrauch begangen zu haben, keine Bühne geben. Leider scheint sich die Zulu Nation nicht von ihrem Gründer trennen zu können und ist vermutlich auch abhängig von ihrem einzigen Aushängeschild mit internationaler Strahlkraft. Dementsprechend bleiben drei Fragen, die sich insbesondere Rap-Hörer immer wieder stellen müssen: Sollte man Künstler, die teilweise sogar mehrfach durch sexuelle Straftaten auffällig geworden sind, überhaupt noch hören und unterstützen? Und wie geht man mit der teilweise bis ins Extremste ausgereizten, sprachlichen Gewalt in Rap-Texten um? Lässt sich das wirklich alles durch die Kunstfreiheit legitimieren oder sollte auch hier eine deutlichere Trennungslinie gezogen werden?
Afrika Bambaataa hat in seiner langen Karriere den ein oder anderen Meilenstein erreicht: die Gründung der Zulu Nation, eine ganz besondere Art, Platten aufzulegen, oder auch ein internationaler Hit wie "Planet Rock". Trotzdem bröckelt sein Denkmal durch das Offenlegen der Schattenseiten seiner Person enorm. Melle Mel dürfte mit einem seiner jüngsten Interviews sogar noch weitere Denkmäler, inklusive seinem eigenen, zum Bröckeln bringen. So beschreibt er Afrika Bambaataa als Koryphäe des HipHop, von dessen Schattenseiten nicht nur Mitglieder der Zulu Nation wussten, sondern nahezu alle Künstler und Rapper, die auf gemeinsamen Veranstaltungen mit ihm aufgetreten sind. Trotzdem reist Bambaataa weiterhin bis heute unbeeindruckt als DJ, mit dem Logo der Zulu Nation im Gepäck, durch die Welt. All dies liefert ein insgesamt mehr als fragwürdiges Bild ab.
(Alec Weber)
(Grafik von Daniel Fersch)