"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Als einer der besten Battlerapper Österreichs hat JerMc aka Dyin Ernst seinerzeit schon bewiesen, dass es auch anders geht. Denn der Wiener war immer ein Kontrast zum "klassischen" Battle MC. Statt sich beispielsweise als unantastbar zu inszenieren, ist er mit eigenen Schwächen offen umgegangen und hat sich so angreifbar gemacht. Die Zeiten im Ring hat er zwar hinter sich gelassen, aber auch die "Most Süß EP" mit food for thought ist auf ihre Art ein Gegenentwurf.
Anstatt materielle Besitztümer oder schöne Frauen zum Thema seiner Songs zu machen, zeichnet er das entspannte Kontrastprogramm zum toxischen Deutschrapper. JerMc spült die Nebenhöhlen mit der Nasendusche, lässt den zuckerfreien Tee genau richtig ziehen und rappt von Heilkräutern, die sein Immunsystem aufbauen – "Traumfrau: Hildegard von Bingen". Diese entspannte Art schlägt beim Hören sofort über, man möchte sich direkt mit einem Heißgetränk und Salbei-Bonbons unter die Decke legen. Das ist auch auf die genialen, stets passenden Beats von food for thought zurückzuführen, die sich irgendwo zwischen Funk, 80er, Trap und Jazz bewegen. Besonders ist mir "DBSHWDZ" ("Du bist so hässlich, wenn du ziehst") hängen geblieben: Der Song beschreibt, wie sich Menschen unter Drogeneinfluss unangenehm verändern. Damit ist er etwas ernster und sticht aus dem Rest der EP hervor. Trotzdem ist hier die Harmonie zwischen Rap und Beat so gut gelungen, dass der Track mitreißend und sogar tanzbar ist. Zu diesem gelungenen Mix gibt es Lines, die gleichzeitig auf Tee bezogen oder als Lebensweisheiten durchgehen könnten: "Was man liebt, muss man ziehen lassen."
Die "Most Süß EP" ist das komplette Erholungspaket. Inhaltlich meist nicht ganz so tief, aber dafür relaxt und gleichzeitig innovativ, ohne dabei Rap und Flow außen vor zu lassen. Locker, fast unabsichtlich, kontrastieren die beiden die Szene, indem sie auf ermüdende Plattitüden verzichten. Also entspannen und Tee trinken. Das hat man als Deutschrap-Fan manchmal sehr nötig.
(Jakob Zimmermann)