Weltschmerz, Verliebtsein, Hilflosigkeit, Sehnsucht oder auch einfach nur das Unverständnis gegenüber Menschen, die einen schlechten Musikgeschmack haben. Das sind nur ein paar von vielen Emotionen, die Mine auf ihrem neuen Album "Hinüber" in alter Manier platziert. Neben der Zusammenarbeit mit zahlreichen Rappern – wie Danger Dan, Dexter, Die Orsons, Edgar Wasser und Fatoni – ist die Wahlberlinerin nämlich auch dafür bekannt, Emotionen besonders gut beschreiben zu können. Doch gerade die Melodien, mit denen sie ihre Gefühlswelt verdeutlicht und die sie zu großen Teilen selbst produziert, machen ihre Musik so eindrucksvoll. Sie löst etwas in einem aus.
Auf ihrem neuen Album stellt sie sich passend zu unserem Thema die Frage, was sie als Mensch eigentlich von einem Tier unterscheidet. Das Empfinden von Emotionen ist es nicht, aber der Umgang damit. Und genau um diesen sollte es bei unserer Unterhaltung gehen. Dabei sprachen wir über unterdrückte Trauer und Wut, welche Eissorten besonders gegen schlechte Laune helfen und wie es ist, wenn man in der Musik allem freien Lauf lassen kann, was sonst versteckt bleibt.
MZEE.com: Du bist jemand, der viele Emotionen in der Musik verarbeitet. Wie hast du da den Zugang zu dir gefunden? Ist das etwas, das du lernen musstest?
Mine: Ich glaube tatsächlich, dass das schon immer so war. Musik hat für mich von Anfang an krassere Emotionen ausgelöst und aufgefangen, als es Menschen jemals könnten. Sie ist für mich ein Safe Space. In Momenten, in denen es mir richtig kacke geht und ich Probleme mit mir selbst habe, kann ich das nicht gut kommunizieren und mit anderen Menschen teilen. Das fällt mir sehr schwer. Deswegen bleibe ich dann bei mir. Ich bin trotzdem jemand, der sehr energetisch und extrovertiert ist. Irgendwohin muss es dann halt. (lacht) Meistens schreibe und höre ich sehr viel Musik und lasse mich darin gehen. Die Übertragung von Musik funktioniert für mich nur über Emotion, ehrlich gesagt.
MZEE.com: Welche Musik begleitet dich in solchen Momenten?
Mine: Eigentlich jede Künstlerin und jeder Künstler, die oder der mein Vorbild war oder ist. Ich höre nur Musik, die mich emotional triggert. Dadurch ist das genreunabhängig. Das geht mit "Grau" von Tua genauso wie mit den Cranberries. Die sind eine meiner Lieblingsbands, seitdem ich sie mit neun Jahren entdeckt habe. Das Album "No Need To Argue" ist ja hochtraurige Mucke, das war damals voll wichtig für mich und hat mir total viel bedeutet. Diese melancholische Ader hat schon immer in mir geschlummert.
MZEE.com: Liegt es an deiner extrovertierten Art, deine Emotionen auch auf die Bühne tragen zu wollen? Du hast eine ziemlich große Bühnenpräsenz.
Mine: Gute Frage. Aber das stimmt wahrscheinlich. Es erfüllt mich total. Das war aber auch eine extreme Entwicklung. Ich habe superkrasses Lampenfieber; bei meinen ersten Gigs saß ich mit Haaren vors Gesicht gekämmt am Klavier, damit mich bloß keiner sieht. Und inzwischen ist es halt so: "Bam! Hallo, hier bin ich!" (lacht) Je krasser, desto besser. Ich fand die Bühne immer voll geil und hatte schon als Kind Bock darauf. Das hat bestimmt auch damit zu tun, diese Dinge nach außen tragen zu wollen.
MZEE.com: Aber trotzdem sagst du, dass dir das nicht immer leichtfiel. Liegt das daran, dass du so intime Sachen erzählst?
Mine: Genau. Das ist ja kein Konzept-Projekt. Meine Musik ist sehr biografisch und ich schreibe alles selbst. Wie ich eben schon gesagt habe, fällt es mir sehr schwer, über solche Dinge zu sprechen, weil es einen angreifbar macht. Die Menschen bauen sich basierend auf diesem Wissen ihr Bild von dir auf. Deswegen überlege ich mir immer gut, was ich wem erzähle und was ich für mich behalte. Aber bei der Musik habe ich das für mich genutzt – auch therapeutisch. Und dann stehe ich plötzlich vor fremden Menschen damit. Und auch wenn es immer sehr kryptisch ist, was ich sage, erzähle ich das vielen Menschen, die ich nicht kenne. Das war am Anfang eine große Überwindung für mich.
MZEE.com: Ich war letztes Jahr auf einem deiner Konzerte in München. Beim Song "Klebstoff" haben um mich herum mehrere Menschen angefangen zu weinen, weil sie so berührt waren. Ist es manchmal befremdlich für dich, wenn Fremde so ergriffen von deinen persönlichen Themen sind?
Mine: (überlegt) Es kommt darauf an. Wenn ich performe, bin ich so bei mir, dass ich gar nicht bemerke, was im Publikum passiert. Ich habe noch nie mitbekommen, dass jemand geweint hat. Es kommen aber tatsächlich häufiger Leute nach dem Konzert zu mir oder schreiben mir Nachrichten, in denen sie das erzählen. Ich kann damit nicht so richtig umgehen, muss ich sagen. Obwohl ich das auch von mir kenne, wenn ich Musik höre, die mich auffängt und gleichzeitig traurig macht. Das rührt mich dann so sehr, dass es ein größerer Ausdruck ist als alles andere in dem Augenblick. Aber natürlich sind das fremde Menschen für mich. Manchmal fühlen sie sich mir total nah, weil ich eine Person des öffentlichen Raums bin und mit dir spreche, Interviews gebe und mich ein Stück weit öffne. Wenn ich über solche Themen rede, muss ich damit rechnen, dass Menschen mir das spiegeln. Ich finde das sehr schmeichelhaft, aber manchmal ist es natürlich auch befremdlich. Ich kriege viele Briefe mit Krankheitsgeschichten, schlimmen Lebensschicksalen und Ähnlichem. Da bin ich teilweise wirklich maßlos überfordert, weil es sehr privat ist und ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll, wenn ich die Person nicht kenne.
MZEE.com: Was müssen Kunst und Unterhaltung in dir auslösen, damit du sie gerne konsumierst?
Mine: Ich weiß nicht, warum, aber ich kann mit lustigen Sachen nichts anfangen. (lacht) Also, ich bin ein total humorvoller Mensch und finde es ganz wichtig, dass Menschen Humor haben. Aber ich habe eine sehr spezielle Art von Humor und Comedy ist nicht so mein Ding. Ich lache, wenn etwas spontan lustig ist. Ansonsten interessieren mich Sachen, bei denen es um die menschliche Psyche geht oder die in die Psyche reingehen. Ich bin fasziniert von Dingen, die mir unerklärlich erscheinen. Zum Beispiel von Religionsgeschichte, obwohl ich kein gläubiger Mensch bin. Früher habe ich mir noch sehr viel mehr düstere und traurige Sachen angeguckt, aber das ziehe ich mir gar nicht mehr so oft rein.
MZEE.com: Und was muss deine eigene Kunst in dir auslösen, damit du zufrieden bist?
Mine: Das kann ich gar nicht sagen. Hauptsache, es passiert irgendetwas. Das ist aber bei sämtlicher Kunst für mich so. Sie muss irgendeine eine Art von Emotion auslösen, mich motivieren, flashen, überraschen, zum Weinen bringen – und ich muss das bewundern. Das ist bei meiner Musik genauso. Ich muss das Gefühl haben, dass es auf irgendeiner Ebene geil ist, auf welcher ist dabei egal.
MZEE.com: Du arbeitest mit vielen besonderen Instrumenten. Verbindest du einzelne Instrumente mit bestimmten Emotionen?
Mine: Das hängt natürlich davon ab, wie ein Instrument gespielt wird, aber es gibt schon Instrumente, die nicht so flexibel sind und eine bestimmte Art von Emotion auslösen. Zum Beispiel habe ich auf dem neuen Album bei "Unfall" am Schluss eine singende Säge eingebaut. Der Klang der Säge ist für mich total klagend und diesen Sound kriege ich nicht von ihr getrennt. Sie kann auch sanft klingen und nicht so jammernd, aber es hat trotzdem diese Richtung. Es gibt auch Instrumente, die feste Bordüren haben, wie der Dudelsack. Dadurch bringen sie einen Sound mit, der etwas Bestimmtes in einem auslöst. Der Dudelsack ist für mich motivierend und treibend – mehr als ein Rhodes oder ein Klavier. Klavier und Gitarre sind prinzipiell sehr flexible Instrumente. Aber das liegt, glaube ich, auch daran, dass wir in der westlichen Kultur damit am meisten zu tun haben und das mit vielen verschiedenen Melodien und Rhythmen verbinden. Jemand, der Dudelsack spielt, wird diesen wahrscheinlich nicht als eindimensional wahrnehmen. Das ist eine subjektive Sicht.
MZEE.com: Ich habe dir noch ein Zitat der Autorin Patrizia Patz mitgebracht: "Angst ist eine unserer größten Ressourcen, während Sicherheit nur eine Illusion ist! Angst macht uns wach, kreativ und lässt uns vorsichtig Neuland betreten – allerdings nur, wenn es für uns okay ist, Angst zu fühlen und wir gelernt haben, sie zu nutzen. Solange wir Angst ablehnen und sie unterdrücken, hat die Angst uns im Griff, statt umgekehrt." – Welche Ängste hast du und wie gehst du mit ihnen um?
Mine: Angst ist für mich tatsächlich ein großes Thema. Ich habe seit meiner Kindheit Albträume und Schlafstörungen. Albträume sind oft die pure Essenz von Angst. Dadurch hatte ich in meiner Jugend auch mit Angststörungen zu kämpfen. Angst ist ein sehr großes Wort, das die unterschiedlichsten Emotionen beschreibt – zum Beispiel Panik und Aufregung. Sie kann aber auch positiv sein und einen pushen, zum Beispiel auf der Bühne. Die Anspannung vor einem Auftritt ist notwendig für die Energieentladung währenddessen. Allgemein bin ich aber auf jeden Fall jemand, der versucht, Ängste wegzudrücken. Manchmal geht das aber nicht. Wenn sie zu präsent sind, kann man sie nicht mehr verdrängen und muss sich damit auseinandersetzen. Und manche Dinge sind nicht verschiebbar. Beispielsweise, wenn man über die Angst vor dem Tod spricht. Jeder stirbt, deswegen ist das bei jedem präsent und man muss damit leben.
MZEE.com: Das ist natürlich eine sehr rationale Angst. Ängste haben ja auch oft etwas mit Irrationalität zu tun.
Mine: Ja, beim Lampenfieber zum Beispiel musste ich das echt lernen, weil es mich eingegrenzt hat … Ich hatte auch Blackouts auf der Bühne. Da war es schon wichtig, dass ich mich damit befasse und lerne, damit umzugehen. Manchmal lähmt einen die Angst und man kann nicht auf seine Ressourcen zurückgreifen. Aber manchmal bringt einen die Angst auch an einen Punkt, an dem man sich denkt "Das werde ich niemals schaffen" und man genau das in Motivation umwandelt. Das ist meiner Meinung nach super unterschiedlich. Ich gehe auch mit jeder Angst anders um. Ich kann nicht pauschal sagen, dass ich das immer verdränge oder immer darüber nachdenke.
MZEE.com: Die Gesellschaft unterteilt oft in positive und negative Gefühle. Vor allem bei der Arbeit gilt Emotionalität häufig als unprofessionell. Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn sie ständig Gefühle unterdrücken muss?
Mine: Das ist natürlich nicht gut. Jeder hat Emotionen und ob man sie unterdrückt oder nicht, ändert nichts an ihnen. Sie gehen ja nirgendwo hin. Das heißt, sie entladen sich anderweitig. Und ich weiß nicht, ob das so gesund ist. Verdrängung ist natürlich nicht immer etwas Schlechtes … auch das habe ich gelernt. Man muss sich nicht durchgehend mit seinen Problemen befassen. Manchmal ist es okay, Dinge zu vergessen und ihnen nicht so viel Raum zu geben. Wenn man über etwas nachdenkt, stärkt das Emotionen. Wenn man sich darin verliert, kommt man manchmal in eine Abwärtsspirale und das Gefühl multipliziert sich. Andererseits finde ich es total wichtig, dass der Ruf von Gefühlen, die wir als negativ wahrnehmen, sich ändert. Zum Beispiel: Männer, die weinen und Trauer zeigen. Das ist schon ein großes Thema. Man sagt ja immer, dass Männer aggressiver seien als Frauen. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass viele Männer Trauer in Aggressivität umwandeln. Ich kenne das von mir selbst. Wenn ich sehr traurig bin, lasse ich das nicht zu, werde irgendwann sauer und fange an, andere Leute anzukacken. Und ich glaube, das ist genau das, was passiert, wenn du einem kleinen Jungen sagst, dass er nicht weinen soll. Man sollte aufhören, Unterschiede beim Geschlecht zu machen. Ich kann es nicht mehr hören, wenn Männer zu mir sagen, dass ich eine starke Frau sei. Da denke ich mir jedes Mal: "Frauen sind also prinzipiell eher schwache Wesen oder wie siehst du das?" (lacht) Auch Begriffe wie "überemotional" und so weiter … Der Umgang ist einfach ein anderer, das ist alles. Diese Stigmatisierung finde ich sehr ungesund. Jeder Mensch ist anders. Es gibt sowohl überemotionale Frauen als auch Männer. Beide müssen ihren Platz finden und lernen, damit umzugehen. Genauso wie man lernen muss, damit umzugehen, wenn jemand wenig Empathievermögen hat und dadurch weniger emotional ist. Das ist genauso wichtig.
MZEE.com: Auch Wut ist eine Emotion, die oft als negativ ausgelegt wird, obwohl sie wichtig ist, um eigene Grenzen zu erkennen und zu setzen.
Mine: Ja, und die Wut dreht sich dadurch danach meistens gegen einen selbst. Sie geht ja nicht weg und muss irgendwo kanalisiert werden. Man kann Sport machen, aber es ist auch wichtig, sich ein Umfeld oder eine Lebenssituation zu schaffen, die sowas zulässt. Man sollte checken, woher die Wut kommt und wie man damit umgehen kann, wenn man dauerhaft wütend ist. Hat das etwas mit meiner Lebenssituation zu tun oder woran liegt das überhaupt? Das ist nicht angenehm. Jeder, der schon mal richtig wütend war, weiß, wie schlimm das ist. Das ist superanstrengend. (lacht)
MZEE.com: Oh ja. Wuttränen verkneifen ist auch richtig anstrengend.
Mine: Aber das ist doch voll gut. Dann hat dein Körper einen Weg gefunden, deine Wut zu kanalisieren. Ich laufe meistens tagelang mit einem ekelhaften Gefühl in der Brust rum, wenn ich nichts dagegen mache. Das drückt bis zu meinem Kinn. Es ist ein total körperliches Gefühl.
MZEE.com: Was machst du, damit dieses Gefühl wieder verschwindet?
Mine: Sport und Musik. Musik ist eigentlich meine Lösung für alle Probleme. (lacht) Das ist wirklich so. Ich kann mich dabei total fallen lassen und alles rauslassen. Meistens ist Wut ja mit Trauer verbunden. Aber Sport hilft mir auch bei negativen Emotionen. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich da nicht rauskomme, mache ich Sport. Der chemische Prozess schüttet Glückshormone aus und dann sieht es gleich nicht mehr so schlimm aus.
MZEE.com: Welche Eissorte hilft denn am besten gegen schlechte Laune?
Mine: Darf ich drei sagen? Stracciatella, Salted Caramel und Pistazie.
MZEE.com: Welche Eisdiele ist da der absolute Geheimtipp?
Mine: In Berlin auf jeden Fall die Eisdiele Duo in der Skalitzerstraße. Die ist 20 Minuten von mir entfernt und ich fahre trotzdem hin. Das ist einfach die beste Eisdiele. Das Eis ist zwar wirklich eine Bombe und man braucht danach kein Abendessen mehr, aber es ist einfach göttlich. Wirklich.
MZEE.com: Es gibt doch nichts Besseres als Eis zum Abendessen.
Mine: Das ist die richtige Einstellung. (lacht)
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Simon Hegenberg)