Da Musik bekanntlich Geschmackssache ist, würde man auf die Frage nach prägenden HipHop-Alben wahrscheinlich sehr unterschiedliche und individuelle Antworten erhalten. Dennoch würden bestimmte Alben wohl häufiger genannt werden als andere. Manche Platten schaffen es schließlich, bei nahezu jedem einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Sie prägen ihr Genre nachhaltig und wirken sich direkt oder indirekt auf die Musik anderer Künstler:innen aus. Was aber macht diese Alben so besonders? Sicher ist es vor allem wichtig, alte Muster zu durchbrechen und einen neuen Weg vorzugeben. Dabei ist es essenziell, den ganz eigenen Sound zu finden. Eine standardisierte Antwort gibt es hierfür aber wohl nicht. Einfluss gilt es, stets individuell zu betrachten – und ein Blick in die Geschichte des einflussreichen Raps lohnt sich. Den Anfang macht das Debütalbum von Run-DMC – "Run-D.M.C.".
Ein visionäres Erstlingswerk
Wenn es darum geht, die tonangebendsten Alben von Rap-Musik zu nennen, darf das Erstlingswerk von DJ Run, DMC und Jam Master Jay auf keinen Fall fehlen. Dabei handelt es sich hier gar nicht um ein Album mit einem durchgehend roten Faden. Die meisten Lieder werden schon im Jahr 1983 vorab als eigenständige Singles veröffentlicht. Als "Run-D.M.C." dann am 27. März 1984 sein Release feiert, ist es eher eine Kollektion ebendieser Lieder als ein durchkonzeptioniertes Gesamtwerk. Eine Herangehensweise, die gerade im Streamingzeitalter wieder aktuell ist. Quasi von der Single zum Album zurück.
Die New School Era bricht an
Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist der Fakt, dass die Anspielstationen der Platte damals als erste Titel des Newschool HipHop betrachtet werden. Zweifelsohne bricht mit dem Klassiker eine neue Ära an, die den Weg für viele weitere Künstler ebnen sollte. In der Zeit zuvor war die Musik schließlich noch stark von Disco und Funk geprägt und wartete eher mit Partyreimen auf. Doch die Crew aus Hollis, Queens nutzt minimalistische Drums, kombiniert diese mit Gitarrenriffs und präsentiert aggressiv und selbstbewusst sozialkritische Texte. Das Street-Image und die Musik aus der Hood sind geboren und erreichen erstmals die Massen.
Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn auch kommerziell ist "Run-D.M.C." ein großer Erfolg. Schon am 17. Dezember des Jahres 1984 werden dem Album 500 000 verkaufte Einheiten in den USA und damit der Goldstatus zertifiziert. Es ist damit das erste Rap-Werk überhaupt, welches diese Auszeichnung von der RIAA verliehen bekommt. Bereits im Juli des Vorjahres schafft es die Single "It's Like That" zusammen mit der B-Seite "Sucker MC's" auf Platz 15 der Billboard-Charts. In diesen verweilt die Auskopplung für ganze 23 Wochen und zwingt so einige Radiostationen dazu, das Lied aus den nächtlichen R 'n' B- und HipHop-Sendungen in die Hauptsendezeit zu verlegen.
Als quasi erste Single der Newschool-Ära darf die A-Seite auch nicht auf dem Soundtrack des Films "Krush Groove" fehlen. Dieser HipHop-Klassiker beschäftigt sich mit den ersten Tagen des legendären Labels Def Jam Recordings und dessen Mitbegründer Russell Simmons. Dieser ist nicht nur der ältere Bruder von Joseph Simmons aka DJ Run, sondern produziert auch das Debüt der drei New Yorker in Zusammenarbeit mit Larry Smith. Und das, obwohl er die Platte nicht selber veröffentlicht, sondern diese über Profile Records erscheint. Im Film selbst spielen Run-DMC dann auch eine Rolle und performen den Song live auf der Bühne. Der gleichnamige Titel schafft es zudem in die Videospielwelt und ist in "Grand Theft Auto: Vice City Stories" zu hören.
Eine Handvoll Premieren
Die B-Seite ist aufgrund des Textes nicht weniger einflussreich. "You a five dollar-boy and I'm a million dollar-man. You's a sucker MC, and you're my fan". Es ist ein Diss, der so oder so ähnlich wahrscheinlich schon tausende Male gerappt wurde. Allerdings nicht vor dieser Single und so wird "Sucker MC's" weitestgehend als der erste Disstrack in der Geschichte von HipHop gesehen. Die Historie dieser weit verbreiteten Song-Idee geht also bis in das Jahr 1983 zurück. Andere Künstler beziehen sich reihenweise auf den Titel. Zum Beispiel zitiert ihn KRS-One in seinem Song "Omni Hood", in dem er rappt: "You don't even know your English, your verb, or noun, you just a sucker MC, you sad-faced clown." Nas geht später sogar so weit, das Lied gegenüber dem Source Magazine als einen seiner Top fünf HipHop-Songs aller Zeiten zu nennen. Er verleiht dem Lied dabei besonderes Gewicht: "That's one of the most important records. Ever. Ever. Ever." Auch die anderen Anspielstationen von "Run-D.M.C." stehen dem in Nichts nach. Unter anderem die Beastie Boys sprechen auf "B-Boy Bouillabaisse: A.W.O.L." von "Hollis Crew", was eine Anspielung auf Run-DMC ist, aber eben auch Track vier auf der gleichnamigen Platte.
Das gesamte Album hinterlässt einen tiefen Eindruck innerhalb und außerhalb der Szene. Dementsprechend zitieren andere Künstler nicht nur, sondern es wird auch fleißig gesampelt. Und so sollte "Jay's Game" der einzige Titel werden, der nicht als Sample wiederverwendet wird. Die New Yorker selber sampeln gerne Rock-Musik, was sich positiv auf das Airplay auswirkt. Der Crossover-Hit "Rock Box" stößt hierbei zwei Türen auf: Es handelt sich dabei um die erste Verschmelzung der beiden Genres und zudem schafft es das Video als erste Rap-Single überhaupt, auf MTV gespielt zu werden. Run erinnert sich gegenüber dem exclaim Magazine folgendermaßen: "We didn't know what MTV was, but everyone was jumping around us like it was a big breakthrough. So we jumped with them."
Der Einfluss des Songs zeigt sich auch hier wieder durch Referenzen in der Musik von Künstlern, welche selbst Größen der Szene sind. Samples tauchen unter anderem in Liedern von Jay-Z, Evidence, Gang Starr, T.I. und Ol' Dirty Bastard auf. Auch direkte Erwähnungen finden sich. So beziehen sich unter anderem Redman, R.A. The Rugged Man und CeeLo Green in ihren Lyrics direkt auf den Titel. Letzterer rappt auf "Evening News" "I've been runnin' since Rock Box" und unterstreicht damit noch einmal die Bedeutung des Songs.
Presselob und andere Ehren
Künstler sind aber nicht die einzigen, die Respekt zollen. Auch die Presse reagiert überaus positiv auf "Run-D.M.C". Unabhängig voneinander taucht das Werk immer wieder in allen möglichen Bestenlisten auf. Besonders angetan hat es die Platte dabei wohl der Redaktion des Rolling Stone Magazines. Diese packt es im Laufe der Zeit gleich in mehrere Aufzählungen: unter anderem als eines "der 100 besten Alben der 80er", aber auch in eine in 2013 veröffentlichte Zusammenstellung der "40 bahnbrechendsten Alben aller Zeiten". Die rapinterne Fachpresse ist nicht weniger begeistert und so vergibt die Source fünf von fünf möglichen Mics in ihrer Review des Klassikers – zum ersten Mal. Die Erwähnungen reißen über die Jahre hinweg nicht ab. Unter anderen sind es der Observer, das XXL Mag und der New Musical Express, welche den Einfluss ohne Zweifel anerkennen. Das Spin Magazine, welches im Jahr 1985 gegründet wurde, verhilft den drei Künstlern dabei zu einer besonderen Ehre und wählt deren Debüt-Platte unter die "10 Gründe, aus denen wir uns wünschen, dass Spin schon in 1984 gestartet wäre".
Auszeichnungen zu sammeln und Meilensteine zu erreichen, gelingt Run-DMC sowieso zuhauf. Im Laufe der Zeit manifestiert sich ihr Pionier-Status und so sind sie zum Beispiel die ersten Rapper, die für einen Grammy nominiert werden, und der erste HipHop-Act, der bei Saturday Night Live auftritt. Auch das erste Rolling Stone-Cover in Sachen Sprechgesang geht auf das Konto von DJ Run, Jam Master Jay und DMC. Zudem wurden sie in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen – wenn auch als zweite HipHop-Crew der Geschichte hinter Grandmaster Flash and the Furious Five. Die Laudatio hält dabei niemand Geringeres als Eminem, welcher im typischen Outfit der Jungs zur Zeremonie erscheint. Auch er unterstreicht noch einmal all die Errungenschaften von Run-DMC und deren Debütalbum: die erste Gold-Platte, das erste Video auf MTV, die erste Fusion von Rap und Rock und der erste Disstrack.
Wenn der HipHop der letzten 26 Jahre aus heutiger Sicht betrachtet wird, sind die hier geschaffenen Grundlagen unübersehbar. Mit ihrem Debüt haben die drei New Yorker Konzepte wie das Straßenimage, das Aufmerksammachen auf Hood-Probleme und Disstracks in den HipHop-Kosmos gebracht. All diese Ideen finden auch heute noch massenweise Anwendung. Und dies gilt nicht nur für die USA. Weltweit ist die Musik direkt oder indirekt von "Run-D.M.C." beeinflusst. Dementsprechend trifft Eminem mit folgender Aussage genau ins Schwarze: "Two turntables and a microphone. That's all it took to change the world." Und auch wenn es bei den Jungs zwei Mics waren, ist es genau das, was sie mit ihrem Debütalbum getan haben.
(Blan P)
(Grafik von Daniel Fersch)