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Interview

Weekend – ein Gespräch über Ehre

"Jemand, der etwas 'aus Ehre' tut, tut dies vor allem, um Kri­tik am eige­nen Ver­hal­ten abzu­schir­men." ‒ Weekend im Inter­view unter ande­rem dar­über, war­um sich Men­schen hin­ter einem über­ge­ord­ne­ten Begriff verstecken.

In Jugend­krei­sen wird momen­tan mit kaum einem Begriff mehr jon­gliert als mit dem der Ehre. Von "Hast du kei­ne Ehre?" über "Ehre genom­men" bis hin zum "Ehren­mann" – die Aus­wahl scheint uner­schöpf­lich. Doch der Umgang mit dem Wort war nicht immer so spie­le­risch: Für Gangs­ter à la Pablo Esco­bar oder Al Capo­ne, die ein Leben abseits des Geset­zes führ­ten, galt der Ehren­ko­dex als eine Art mora­li­scher Kom­pass, der ihnen den Weg zeig­te. An die­sem ori­en­tier­ten sich auch jah­re­lang Tei­le der Deutschrap-​Bubble. Dem Bild des per­fek­ten Ver­bre­chers nach­zu­ei­fern oder The­men wie Ehren­mor­de stan­den dort an der Tages­ord­nung. Doch nicht so bei Weekend: Der Gel­sen­kir­che­ner star­te­te 2011 sei­ne äußerst erfolg­rei­che Kar­rie­re als Batt­ler­ap­per beim VBT. Einer Dis­zi­plin also, bei der der eige­ne Ruf so ent­schei­dend ist, dass er um jeden Preis in hit­zi­gen Wort­ge­fech­ten ver­tei­digt wird. Heu­te, fast zehn Jah­re spä­ter, ver­sucht Weekend, mit dem Bild des star­ken Man­nes abzu­schlie­ßen und gibt sich bewusst ehr­lich, ver­letz­lich und manch­mal sogar klein­laut. Auf sei­nem neu­en Album "Light­wolf" ver­zich­tet er auf jede Form von fal­schem Stolz, Eitel­keit oder Ego­is­mus und gibt sich als ganz nor­ma­ler Dude. Wir haben uns mit ihm über die Sinn­ver­schie­bung des Begriffs "Ehre" in Rich­tung toxi­scher Mas­ku­li­ni­tät, das VBT und Ehren­män­ner unterhalten.

MZEE​.com: Seit eini­ger Zeit kommt dem Wort "Ehre" vor allem unter Jugend­li­chen eine hohe Bedeu­tung zu. Der Begriff "Ehren­mann" hat sich 2018 sogar den Titel "Jugend­wort des Jah­res" gesi­chert. Wie erklärst du dir die­se Entwicklung?

Weekend: Ich weiß ehr­lich gesagt nicht, wie so etwas ent­steht und wie­so es genau das Wort "Ehre" gewor­den ist. Spra­che und Sprach­ent­wick­lung im All­ge­mei­nen sind ja sehr kom­plex. Ich fin­de es trotz­dem span­nend, dass es für die Jugend in den letz­ten Jah­ren so ein posi­ti­ves Wort war. Dass es aber Jugend­wort des Jah­res gewor­den ist, war mir nicht bewusst. Für mich ist der Begriff eher nega­tiv behaf­tet. Ich muss dabei sofort an Din­ge wie Ehren­mord den­ken. Im Rap­kon­text steht es für mich vor allem als Syn­onym für Eitel­keit oder toxi­sche Maskulinität.

MZEE​.com: Par­al­lel dazu hat sich die Aus­sa­ge "Ehre genom­men" stark im all­täg­li­chen Sprach­ge­brauch eta­bliert. Wie stehst du dazu? 

Weekend: Das hab' ich auf jeden Fall schon mal gehört, obwohl es aus 'ner ande­ren Alters­stu­fe kommt. (lacht) Es ist schon irgend­wie wüst und dafür, dass es aus einem Troll-​Internetkontext kommt, eine star­ke Begriff­lich­keit. An die­ser sto­ße ich mich aber weni­ger, als wenn jemand an dei­ne eige­ne Ehre appel­liert. Wenn eine drit­te Per­son von außen beur­teilt, ob jeman­dem die Ehre bei­spiels­wei­se durch eine hef­ti­ge Pun­ch­li­ne genom­men wur­de, zielt das für mich nicht so krass in die Toxische-​Männlichkeit-​Sparte ab. Vom Bauch­ge­fühl zuckt es bei "Ehre genom­men" des­halb nicht so unan­ge­nehm wie bei "Hast du kei­ne Ehre?".

MZEE​.com: Wer ist für dich der größ­te Ehren­mann der HipHop-Bubble?

Weekend: Der größ­te Ehren­mann der HipHop-​Bubble … Es gibt gera­de krass vie­le gute Sachen und ich muss auf­pas­sen, dass ich nie­man­den über­se­he. Mir fal­len meh­re­re Leu­te ein, die mir in letz­ter Zeit posi­tiv auf­ge­sto­ßen sind, weil sie sehr offen über psy­chi­sche Erkran­kun­gen gespro­chen haben. Wenn ich mir jeman­den aus­su­chen müss­te, wür­de ich Sier­ra Kidd neh­men, weil er der Ers­te war, bei dem ich es bemerkt hab'. Ich fand es echt stark, wie offen er über eine schwie­ri­ge Zeit geprägt von Ängs­ten und psy­chi­schen Stö­run­gen gespro­chen hat. Das hat dazu geführt, dass ich ihn danach ganz anders wahr­ge­nom­men habe. Im sel­ben Kon­text wür­de ich noch Duzoe und MC Bass­tard nen­nen. Von Letz­te­rem wur­de mir die Tage im Pod­cast von Mau­li und Staiger ein State­ment vor­ge­le­sen, in dem er über sei­ne bipo­la­re Stö­rung spricht. Die­se Lis­te könn­ten wir jetzt in Gold, Sil­ber und Bron­ze auf­tei­len oder aber ein­fach sagen, dass alle drei sehr coo­le Leu­te sind.

MZEE​.com: Gibt es denn noch ande­re Eigen­schaf­ten, die du als ehren­haft erwäh­nen möchtest?

Weekend: Da gibt es vie­le The­men­kom­ple­xe. In mei­nem per­sön­li­chen Sprach­ge­brauch wür­de ich ein sol­ches Ver­hal­ten wahr­schein­lich nicht als ehren­haft bezeich­nen, aber im Zwei­fel bedeu­tet es für mich, etwas zu tun, was selbst­los und empa­thisch ist. Im Moment ist es, fin­de ich, unab­ding­bar, sich für Min­der­hei­ten ein­zu­set­zen, was in einer gewis­sen Bubble nach dem Tod von Geor­ge Floyd auch pas­siert ist. Es ist außer­dem immer wich­tig, dass Rap­per sich in femi­nis­ti­scher Hin­sicht stark machen. 3Plusss ist, was das angeht, voll krass unter­wegs und droppt vor allem bei Twit­ter mega­gu­te State­ments. Da werd' ich manch­mal sogar ein biss­chen nei­disch, wie poin­tiert er die Sachen neben­bei auf den Punkt bringt. Aber aktu­ell gibt es echt vie­le Din­ge: gegen Ras­sis­mus ein­zu­ste­hen oder sich für das Tra­gen von Mas­ken wäh­rend Coro­na aus­zu­spre­chen. Da spie­len eini­ge Move­ments eine Rol­le, des­we­gen ist es schwie­rig, die Fra­ge abschlie­ßend zu beant­wor­ten. Ein Wort aus dem reli­giö­sen Kon­text, das ich sehr ger­ne mag, ist "Nächs­ten­lie­be" oder "Empa­thie". An ande­re Leu­te zu den­ken oder ihnen zu hel­fen, das fin­de ich ehren­haft. Ehre soll­te nicht im Zusam­men­hang gese­hen wer­den, sich selbst und sei­nen Stolz ver­tei­di­gen zu müs­sen, son­dern im Gegen­teil. Es soll­te bedeu­ten, etwas wirk­lich Selbst­lo­ses für eine ande­re Per­son zu tun – und zwar nicht nur für die eige­ne Mut­ter. Am bes­ten für Men­schen, bei denen man gar kei­ne Gegen­leis­tung erwar­ten kann.

MZEE​.com: Stolz spielt bei Rap-​Beefs und Batt­les immer eine gro­ße Rol­le. Die Prot­ago­nis­ten ver­su­chen dann auf jeg­li­chen Wegen ihre Wür­de zurück­zu­ge­win­nen. Ist dir das auch schon mal begegnet?

Weekend: (über­legt) Also von 'nem Batt­le, an dem ich teil­ge­nom­men habe, hab' ich gera­de kein kras­ses Bei­spiel. Es spielt aber natür­lich immer mit rein, dass man sich auch mal in sei­nem Stolz gekränkt fühlt, wenn 'ne Zei­le wirk­lich gut ist. Ich habe trotz­dem immer ver­sucht, es sport­lich zu sehen. Anstren­gend wur­de es erst, als Typen von außen Batt­les bewer­tet haben und dabei per­sön­lich wur­den. Nach­dem ich mei­ne Battlerap-​Karriere been­det habe, hat­te ich das Gefühl, dass es zu einer Ver­schie­bung der Her­an­ge­hens­wei­se an Batt­les gekom­men ist. Plötz­lich hat man sich stun­den­lang gegen­sei­tig im Inter­net gestalkt. Dadurch wur­de das Gan­ze krass per­sön­lich und Leu­te wur­den als Per­son bewusst fer­tig­ge­macht. Zwei, drei Batt­les war das auch echt beein­dru­ckend, aber dann hat es bei mir den Wow-​Effekt ver­lo­ren und ich dach­te eher: "Unan­ge­nehm, ey. Du hast zwei Stun­den im Inter­net nach die­sem Typen gesucht. Geh doch lie­ber Ten­nis spie­len oder such dir Freun­de." So kam es dann auch, dass sich Rap­per inner­halb des Tur­niers gefühlt ange­fan­gen haben, zu has­sen. Zum Teil haben sich die Leu­te im Inter­net zehn­mal zu oft als "Huren­sohn" belei­digt, als dass sie noch cool mit­ein­an­der sein könn­ten. Das war in mei­ner Gene­ra­ti­on noch anders. Wir haben immer alle zusam­men noch ein Bier getrun­ken und stan­den in engem Kon­takt. Man­che Leu­te aus der Zeit sind heu­te rich­tig gute Freun­de gewor­den und bei ande­ren freue ich mich ein­fach, wenn ich sie durch Zufall in irgend­ei­nem Back­stage tref­fe. Daher habe ich nicht wirk­lich per­sön­li­che Erfah­run­gen damit gemacht, dass jemand ver­sucht hat, mir mei­ne Ehre zu neh­men. Oder dass ich es bei wem anders pro­biert hätte.

MZEE​.com: Wie wich­tig war dir Aner­ken­nung zu dei­nen Battlerap-​Zeiten und wel­che Rol­le spielt sie im Battlerap-​Kosmos allgemein?

Weekend: Das habe ich nicht unbe­dingt so reflek­tiert. Ich hab' nicht gedacht: "Wir batt­len uns jetzt und danach ist einer von uns der coo­le und der ande­re der uncoo­le Typ." Natür­lich woll­te ich immer gewin­nen und hat­te ein Ziel vor Augen, aber ich habe das nicht so erlebt, als müss­te ich da an mei­nem Ruf arbei­ten. Krass wur­de es eher im Nach­hin­ein, als Leu­te mir im Inter­net Titel wie "Der Unbe­sieg­te" oder "Der, der nie ver­lo­ren hat" gege­ben haben. Als Titel fand ich das cool, aber mir ging es nie dar­um, mei­nen Stolz zu ver­tei­di­gen, son­dern es war eher die Dyna­mik des Batt­les an sich, die mir Spaß gemacht hat.

MZEE​.com: Du hast durch das VBT sehr viel Auf­merk­sam­keit bekom­men. Wie bist du damit umge­gan­gen, dass dich Leu­te plötz­lich ver­ehrt haben?

Weekend: Zu die­ser Zeit ist es mir nicht leicht­ge­fal­len. Ich fand es unglaub­lich schwie­rig, aus die­ser Situa­ti­on her­aus ein Album zu schrei­ben oder fer­tig zu machen. Dem Druck in der Rap­sze­ne stand­zu­hal­ten – egal, ob man Inter­view­er oder ande­re Rap­per trifft –, hab' ich als kras­se sozia­le Her­aus­for­de­rung emp­fun­den. Ich bin eher ein Typ, der 'ne hal­be Stun­de braucht, um auf einer Par­ty warm zu wer­den. So viel Zeit hast du in einem Back­stage aber gar nicht – da muss man auf Knopf­druck cool sein. Der Druck, ablie­fern zu müs­sen, war damals all­ge­gen­wär­tig. Ich nei­ge immer noch dazu, aus den zwei Mil­lio­nen Kom­men­ta­ren, die mich "ver­eh­ren", die fünf her­aus­zu­fil­tern, die das eben nicht tun. Da bin ich echt selbst­kri­tisch. Frü­her hat­te ich immer das Gefühl, als müss­te ich etwas Kras­ses dar­aus machen, dass mir die Com­mu­ni­ty die Ein­tritts­kar­te in die Rap­sze­ne geschenkt hat. Ich hät­te mir damals ger­ne ein Jahr Zeit genom­men, um nach­zu­den­ken. Das war ja schon alles ver­rückt. Mir wur­de aber von allen Sei­ten gesagt: "Du musst jetzt ganz schnell irgend­was lie­fern." Das haben wir dann gemacht und unterm Strich ist alles super gelau­fen. Rück­bli­ckend war es aber echt nicht die ein­fachs­te Situation.

MZEE​.com: Du wirkst trotz­dem beschei­den und spielst bei­spiels­wei­se bewusst mit den Kli­schees toxi­scher Mas­ku­li­ni­tät. Auf dem Track "BOXEN" sprichst du das The­ma sati­risch an. Fiel es dir schon immer leicht, dein Ego hin­ten anzustellen?

Weekend: (lacht) Nee, auf kei­nen Fall. Wenn man mei­ne Dis­ko­gra­fie betrach­tet, kann man ganz gut erken­nen, dass das ein Pro­zess war oder auch immer noch ist. Auf der ers­ten Plat­te hat­te ich noch die­se kras­se VBT-​Rolle, in der ich über den Din­gen ste­he und alles gelang­weilt kom­men­tie­re und kacke fin­de. Auf der zwei­ten hab' ich mich schon getraut, per­sön­li­cher zu wer­den. Ich fin­de rück­bli­ckend aber, dass das nicht mein stärks­tes Album war. Erst auf den letz­ten bei­den Alben "Kei­ner ist gestor­ben" und "Light­wolf" spre­che ich sehr offen über Din­ge. Per­sön­lich emp­fin­de ich das als mega­gu­te Ent­wick­lung. Es gibt natür­lich auch Leu­te, die sich den unper­sön­li­chen VBT-​Weekend zurück­wün­schen. Von vie­len habe ich aller­dings sehr posi­ti­ves Feed­back bekom­men. Als Künst­ler ist es immer schwie­rig, es allen recht zu machen. Des­we­gen fra­ge ich mich bis heu­te oft, in wel­cher Rol­le ich mich selbst über­haupt sehe. Im Zwei­fels­fall könn­te ich wahr­schein­lich nicht mehr so schrei­ben wie damals. Ich hab' gar nicht die Opti­on, ande­re Musik zu machen als die, die ich mache – sie ist ja auch nur das Ergeb­nis mei­ner Denk- und Geschmacks­pro­zes­se. Daher gelingt es mir gar nicht, kon­stru­ier­te Musik zu machen. Selbst wenn ich es schaf­fen wür­de, ein Album zu kre­ieren, das kom­plett nach VBT klingt, wär's wahr­schein­lich nicht geil. Das wäre ein­fach komisch. Gleich­zei­tig ist es aber nicht ein­fach, 'ne Plat­te zu schrei­ben, wie ich es jetzt getan habe. Für mich war das ein kras­ser Kampf mit mir selbst, wie vie­le per­sön­li­che und schwa­che Aspek­te ich zulas­se. Ich glau­be aber, dass ich jetzt viel stär­ker bin als bei Alben wie "Am Wochen­en­de Rapper".

MZEE​.com: Unter vie­len Män­nern spielt Stolz eine gro­ße Rol­le. Wie, denkst du, könn­te man die­se Ansicht nach­hal­tig verändern?

Weekend: Ich glau­be nicht, dass das ein ein­zi­ger klei­ner Schritt ist, son­dern eher, dass es dazu ganz vie­ler klei­ner Schrit­te bedarf. Dafür müs­sen Men­schen für wich­ti­ge The­men laut sein. Sei es toxi­sche Mas­ku­li­ni­tät, Ras­sis­mus oder die Rol­le der Frau in der Gesell­schaft – das kann man auf Tau­sen­de Din­ge bezie­hen. Ich habe an mein Album aber gar nicht den Anspruch, dass die Welt danach ein bes­se­rer Ort ist. Es ist ja nur irgend­ein klei­nes Ereig­nis für ein paar weni­ge Men­schen, die mir zuhö­ren. Und für die ist es wie­der­um auch nur einer von vie­len Ein­flüs­sen auf ihrem Weg, hof­fent­lich ein coo­ler Mensch zu wer­den. (lacht) Es braucht ein­fach vie­le Leu­te, die sich für coo­le Din­ge ein­set­zen und sich gegen ver­zerr­te Begriff­lich­kei­ten von "Stolz" oder "Ehre" stel­len. Im Moment funk­tio­niert das im Deutschrap-​Kosmos schon ganz gut, da es vie­le Künst­ler gibt, die aktiv gute Stand­punk­te ver­tre­ten – auch wenn das eher 'ne klei­ne Bubble ist. Trotz­dem gibt es die­se Bubble, die sehr poli­tisch links-​orientiert denkt und sich für Wer­te wie Empa­thie ein­setzt. Das ist ja schon mal ein rie­si­ger Schritt.

MZEE​.com: Passt der Begriff "Ehre" über­haupt noch in eine auf­ge­klär­te, moder­ne Gesellschaft?

Weekend: Kei­ne Ahnung. Für mich ist der Begriff eher nega­tiv besetzt, des­halb benut­ze ich ihn in mei­nem All­tag eh nicht. Das liegt wahr­schein­lich an der Sinn­ver­schie­bung des Worts. Es geht ja bei Spra­che im All­ge­mei­nen nicht dar­um, was ein Wort ursprüng­lich mal gemeint hat, son­dern in wel­chen Kon­text es gerutscht ist. Viel­leicht ein sehr kras­ses Bei­spiel, um es über­spitzt dar­zu­stel­len: Der Name "Adolf" war irgend­wann mal auch nur ein Name. Er wur­de dann ziem­lich eklig ver­wen­det und jetzt wür­de ich nie im Leben auf die Idee kom­men, mei­nen Sohn, falls ich einen bekom­men soll­te, Adolf zu nen­nen. Das wäre völ­lig dane­ben. Ähn­lich ver­hält es sich mit dem Wort "Ehre". Grund­sätz­lich beschreibt das Wort etwas sehr Posi­ti­ves. Dadurch, dass es aber in so 'nem krass lang­wei­li­gen und ein­di­men­sio­na­len Kon­text genutzt wird, ist es schwie­rig, die eigent­li­che Bedeu­tung noch zu erken­nen. Über­holt ist es aber defi­ni­tiv nicht, dafür wird es viel zu viel genutzt. Und außer­dem kön­nen wir jetzt nicht am Tele­fon ent­schei­den, ob das Wort über­flüs­sig ist. Wenn wir ihnen das Wort weg­neh­men wür­den, fän­den sie eben ein ande­res, um das aus­zu­drü­cken, was sie sagen möch­ten. Das Pro­blem ist eher die dahin­ter­ste­hen­de gesell­schaft­li­che Dyna­mik, dass es immer dar­um geht, die eige­ne Eitel­keit zu ver­tei­di­gen. Das müss­te man verstehen.

MZEE​.com: Ist der Begriff der "Ehre" viel­leicht nur noch so etwas wie ein Kampf­be­griff im Rin­gen um Identität?

Weekend: Ja, das hat sicher auch was mit dem eige­nen Selbst­bild zu tun. Jemand, der etwas "aus Ehre" tut, tut dies vor allem, um Kri­tik am eige­nen Ver­hal­ten abzu­schir­men. Um sei­ne eige­ne Wes­te weiß zu hal­ten, wird des­halb ver­sucht, einen über­ge­ord­ne­ten Begriff zu schaf­fen, der alles legi­ti­miert. So muss man nicht mehr sein eige­nes Ver­hal­ten, son­dern nur noch die Ehre hin­ter­fra­gen. Ich den­ke, da geht es schon dar­um, die eige­ne Wahr­neh­mung auf Vor­der­mann zu hal­ten und eben nicht zuzu­las­sen, dass bestimm­te Din­ge hin­ter­fragt werden.

MZEE​.com: Pas­send zur The­ma­tik haben wir dir fol­gen­des Zitat von dem Schrift­stel­ler Nico­las Boileau-​Despréaux mit­ge­bracht: "Die Ehre gleicht einer abschüs­si­gen, unzu­gäng­li­chen Insel. Man kann nicht wie­der zu ihr zurück, wenn man sie ein­mal ver­las­sen hat." – Denkst du, dass die­se Aus­sa­ge zutref­fend ist?

Weekend: (über­legt) Na ja. Jetzt ist wie­der die Fra­ge, in wel­chem Zusam­men­hang wir das bewer­ten. Zum alten "Ehre"-Begriff im Sin­ne von einem guten Gewis­sen passt das Zitat fin­de ich sehr gut. Das spielt ja eher auf die posi­ti­ve Aus­le­gung im Sin­ne von Nächs­ten­lie­be und Empa­thie an und weni­ger auf den Kon­text, in dem es, ich sag' mal, in der Jugend-​Szene im Moment genutzt wird. Ich find', es ist ein echt schö­nes Zitat.

MZEE​.com: Zum Abschluss möch­ten wir noch von dir wis­sen, wie sich die Bedeu­tung des Begriffs "Ehre" dei­ner Mei­nung nach in Zukunft ent­wi­ckeln wird.

Weekend: Ich bin, glau­be ich, nicht gut dar­in, sol­che Sachen zu pro­gnos­ti­zie­ren. Ich hal­te es defi­ni­tiv nicht für ein kras­ses Mode­wort wie "Babo" oder so. Von Ehre wur­de in Deutschrap-​Tracks ja schon vor zehn Jah­ren gespro­chen. Jetzt sind "Ehren­mann" oder "Ehre genom­men" dazu gekom­men, des­halb glaub' ich, dass das Wort auch wei­ter­hin geläu­fig bleibt. Es kann viel­leicht sein, dass es ein wenig in den Hin­ter­grund gerät, weil die neu­mo­di­schen Rede­wen­dun­gen ver­schwin­den. Aber im All­ge­mei­nen ist Ehre, glau­be ich, ein sehr häu­fig ver­wen­de­tes Wort, das uns noch ein biss­chen ver­fol­gen wird.

(Jonas Jan­sen & Sicko)
(Fotos von Sae­ed, Fried­rich Rex­er & Sven Wiegand)