"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Die Frage nach den prägendsten Künstlern der eigenen HipHop-Leidenschaft scheint für die meisten eine einfache zu sein. Routiniert fallen oft die großen Namen – von den Beginnern über Samy Deluxe bis hin zu Aggro Berlin. In meinem Fall ist es anders. Bei mir ist besonders ein Künstler bis heute präsent, den man beim besten Willen nicht zu den Großen zählen kann: der Kölner Rapper CML.
Irgendwann 2013 ging es los. Sein Release-Debüt "Cousin", eine unfassbar lockere Hymne auf sein Viertel Köln-Nippes, hat mein pubertäres Ich damals komplett abgeholt. Wo ein Eko Fresh zu weit weg oder ein Retrogott zu komplex war, konnten mich CML und Stammproduzent Hieronymus Caspar aka R.O.N. direkt begeistern. Mit den eigens eingespielten Jazz-Trompeten und der entspannten Mischung aus Französisch und Deutsch schlagen sie hier die Brücke zwischen Easy Listening und unpeinlichem Lokalpatriotismus. Zwei Jahre später kam dann "Abteil 30.06" – ein Album, das bis heute in keiner Sekunde der rund 40 Minuten Laufzeit überholt oder altbacken klingt. Das Geheimnis kann man schon im Intro "Secret Spirits" ausmachen: stilsichere Flowpatterns mit charmantem französischen Akzent seitens des Rappers, dazu Beats mit Jazz-Klavier und gedämpften Trompeten aufseiten der Produzenten JuliJuice und R.O.N.. Das Album strotzt nur so vor entspannten Hood-Representern, aber der Rapper scheut sich ebenso wenig, über sich zu erzählen. So werden die Beziehung zu seinem Vater oder Ausflüchte in seine "Traumwelt" thematisiert. Das gibt diesen Tracks eine zweite, tiefere Ebene, ohne dass es erzwungen oder gewollt wirkt.
Sicher habe ich eine Nostalgie-Brille auf, wenn ich über "Abteil 30.06" spreche. Dennoch ist das Album ein Meisterwerk, das kaum jemand kennt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es aus vielen Elementen besteht, die damals wie heute zeitlos sind: CML liefert entspannten Sound – mal mehr, mal weniger persönlich –, dafür immer mit Gras- und Köln-Bezug. Also quasi Lugatti & 9ine, nur mit Jazz.
(Jakob Zimmermann)