"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
In letzter Zeit kamen mir immer wieder die jüngsten Veröffentlichungen vom ehemaligen Selfmade-Rapper Favorite in den Kopf. Spürbar drogenkrank beendete er schließlich seine Karriere. Zuletzt gab es von ihm nur noch lieblos wirkenden Output, bei dem ich immer mehr das Gefühl bekam, dass der Essener all die Eigenschaften verloren hat, die ihn zu seinen besten Zeiten ausgemacht haben. Ein Vorzeigebeispiel für diese Eigenschaften ist für mich das Album "Christoph Alex" aus dem Jahr 2011.
Auf keinem anderen Release schafft es Favorite so gut, ernste Themen und humorvollen Battlerap miteinander zu vereinen. Stellenweise passiert das sogar auf ein und demselben Track. Auf "Kalt" zum Beispiel hört man eine melancholische Hook, in der er erzählt, dass die Guten jung sterben, er aber "alt und grau" wird. In den Parts wechseln sich Punchlines mit Wortwitz und Ausflüge in die Gedankenwelt des Rappers ab. Bereits direkt zu Beginn des Albums wird Favorite so persönlich wie auf kaum einem anderen seiner Tracks. Mit "Nirvana" verarbeitet der Essener den tragischen Tod seiner Eltern und seine Kindheit im Heim. Die Dramaturgie des Songs und der atmosphärische Beat von Produzent Jimmy Ledrac sorgen dafür, dass ich auch noch neun Jahre später beim Hören Gänsehaut bekomme. Konsequenten Tiefgang gibt es auf diesem Album zwar selten, das stört aber nicht. Was Fav zu sagen hat, bringt er auf den Punkt und verpackt es dabei immer wieder musikalisch mit einprägsam gesungenen Hooks.
Das Gesamtprodukt hat heutzutage mit mehr als 54 Minuten Laufzeit schon fast Überlänge. Trotzdem höre ich es immer wieder am Stück durch und es unterhält mich jedes Mal aufs Neue. "Christoph Alex" ist vielseitig, klingt aber dennoch homogen. Der Rapper selbst sagte damals bei einem Interview zum Album: "Fav ist älter geworden und weiß jetzt einfach, wie es geht" – damit hatte er zu dieser Zeit auf jeden Fall noch recht!
Nachtrag der Redaktion (31.07.2020): An dieser Stelle möchten wir uns dafür entschuldigen, wenn der Eindruck entsteht, dass wir das überaus bedenkliche Handeln des Künstlers unterstützen. Wir distanzieren uns ausdrücklich von kritikwürdigen und in unseren Augen verwerflichen Aussagen und Aktionen von Favorite.
(Moritz Friedenberg)