Es war einmal eine Gruppe von vier frommen Musikern aus dem Königreich Baden-Württemberg. Ihre Namen lauteten Kaas, der Außergewöhnliche, Maeckes, der Feingeist, Tua, der Mysteriöse und Bartek, der Ulkige – auch bekannt als Die Orsons. Das erste Mal munkelte man bereits im Jahre 2008 über ihre schweinische Festung "Orsons Island". Seither waren sie aus dem Deutschrap-Zirkus auch nicht mehr wegzudenken, denn ihr außergewöhnlicher Ideenreichtum begeisterte von da an die Massen. Auch wenn sich ihre Wege von Zeit zu Zeit für Solo-Abenteuer schieden, eilte ihnen ihr Ruf als unzertrennliche Formation voraus. In geraumen Zeitabständen zog es sie zum Musizieren sogar in die große weite Welt – ganz nach dem altbewährten Motto "Tourlife4Life". Und so rappten sie sich von kleinen Gigs in die großen Konzerthallen des Landes.
An einem sonnigen Tag vor nicht allzu langer Zeit begegneten sie auf ihrem Weg einem Schreiberling des Magazins MZEE.com und wurden in ein Gespräch über die vielleicht schönste Nebensache der Welt verwickelt: die Fantasie. Zu diesem Anlass wurde sich über Hexen in Wäldern, den fliegenden Kaas, Bartek, die schlafende Katze, den Kaasmos, eine aus Waffen gegossene Orsons-Statue, die Utopie als Karotte und sehr viel mehr ausgetauscht. Also taucht in die unglaubliche Welt dieser umtriebigen Bande ein und lasst euch verzaubern!
MZEE.com: Was ist die eindrücklichste Fantasie aus eurer Kindheit, an die ihr euch erinnern könnt?
Bartek: Ich habe mir oft vorgestellt, dass ich eine Katze bin, die sich vor einen warmen Kamin legt. Dadurch bin ich innerhalb von zwei Minuten eingeschlafen. Das ging über einen sehr langen Zeitraum und wurde später von der Vorstellung abgelöst, wie ich hinten in einer Westernkutsche liege und mit einer Karawane einen ganz langen Weg entlang fahre. Das waren so Einschlaf-Fantasien.
Maeckes: Ich hatte als kleines Kind eine Erkenntnis, als ich vom Dreier ins Wasser springen wollte. Und zwar, dass ich unter Wasser keine Luft bekomme und sterbe, wenn ich sie nicht lange genug anhalten kann. Da hatte ich das erste Mal eine Idee vom Tod.
Tua: Bei mir war es ein sich wiederholender Traum von einer Hexe in einem Wald. Ich frage mich seitdem, was das sollte. Das war kein schöner Traum.
Kaas: Ich war in einer Fabrik mit ganz vielen Zahnrädern und Feuer. Da bin ich reingefallen und irgendwann aufgewacht. Das ist der erste Traum, an den ich mich eindrücklich erinnern kann.
Maeckes: Modern Times.
MZEE.com: Als Kind hat man ja diese blühende Fantasie, aber ab einem bestimmten Punkt muss man sie anregen – vor allem, wenn man einen kreativen Job hat. Wie macht ihr das?
Bartek: Ich hab' sehr viele Comics und Trickfilme in mich reingeschaufelt. Das ist wie bei Obelix, der als Kind in den Kessel mit Zaubertrank gefallen ist. So bin ich in diese Comic-Sachen reingefallen und jetzt sehe ich immer noch solche Szenen in meinem Kopf, wie ich das als Kind getan habe. Es hört leider nie wieder auf.
Maeckes: Wenn man Fantasie mit Kreativität assoziiert, ist es ganz viel "sich selbst bei Laune halten". Das habe ich für mich festgestellt. Es kommen gute Sachen heraus, wenn ich mich wohlfühle und immer wieder neu stimuliert werde. Wenn ich allerdings mit dem Raum, in dem ich arbeite, nicht zufrieden bin und nichts Neues reinkommt, gibt es auch keine Kreativität oder Fantasie.
MZEE.com: Inwiefern unterscheidet sich für euch Kreativität von Fantasie?
Tua: Kreativität ist der schaffende Prozess, der von der Fantasie genährt wird. Das greift schon ineinander, aber Kreativität ist sozusagen der Moment, in dem man etwas daraus macht. Man versucht, etwas aus der Fantasie zu produzieren.
Bartek: Na … Das unterschreibe ich nur bedingt. Tagträumen ist etwas genauso Kreatives, wenn man wirklich dranbleibt.
Tua: Aber in "Kreatives" steckt doch "kreieren". Also ich empfinde das so.
Kaas: Es kann ja auch eine einfache Lösung sein. So wie es Maeckes gesagt hat: die Langeweile wegentwickeln.
Tua: Kreativität ist zielgerichtet und Fantasie ist flächig.
MZEE.com: Sowohl bei euren Live-Auftritten als auch bei euren Artworks wird visuell einiges geboten. Wie wichtig ist es euch, eure musikalischen Visionen optisch umzusetzen?
Kaas: Ich finde das genauso wichtig wie die Musik selbst. Das läuft Hand in Hand und gehört dazu. Man hat immer auch eine visuelle Version vor Augen.
Bartek: Wieso?
(alle lachen)
Tua: Du weißt schon.
MZEE.com: Aber hat da nicht jeder von euch eine sehr eigene Vorstellung im Kopf? Wie bekommt man das zusammen?
Maeckes: Es ist schon ein bisschen schwierig. In der Ideenfindung zu einem Album schmeißt jeder etwas in den Topf und bei bestimmten Sachen übernimmt dann eine Person. Beim visuellen Output hab' ich das bei den letzten Releases gemacht. Ich führe dann meine Vision mit dem, was ich von allen anderen bekommen habe, zusammen. Bei "Tourlife4Life" war das unser Art Director Dani. Und genauso macht das Tua, der in Verbindung mit unserem ganzen Input den Sound dahin gebracht hat, wo er ihn sieht. Du hast schon recht – wenn alle vier ihre Visionen eins zu eins umsetzen wollen oder jeder in seine Richtung rennt, ist das sehr anstrengend. Aber das läuft genauso wie bei unseren Songs. Manchmal hat der eine viele Ideen und dementsprechend Output, aber die anderen haben grade weniger davon. Das wechselt sich ab.
MZEE.com: Würdet ihr behaupten, dass Fantasie notwendig ist, um gute Kunst zu machen?
Bartek: Ja, ja, deutlich ja.
MZEE.com: Fehlt es daran aber vielleicht zu oft?
Bartek: (überlegt) Dazu darf ich nichts sagen …
Kaas: Ja, es stimmt schon. Es gibt genügend Kunst, die auf jeden Fall sehr fantasielos ist.
Bartek: Aber das ist auch ein anderer Anspruch. Da wird eher auf das Wirtschaftliche geschaut und das ist megaerfolgreich und bringt Geld ein.
Tua: Man muss aufpassen, dass man Fantasie nicht mit "Kinderbuch" gleichsetzt. Das Wort wird oft mit Einhörnern und Ähnlichem konnotiert. Das ist auch nicht falsch, aber nicht das einzige, was es ist. Sagen wir zum Beispiel, dass jemand an seinem Tisch sitzt und sich ein Gangsterrap-Szenario mit einem Bankraub oder seine Drogenkarriere ausmalt. Das kann auch fantasievoll sein. Es ist nur eine andere Art der Gestaltung. Ich glaube schon, dass alles fantasievoll ist. Das sind manchmal einfach kapitalistische Wunschvorstellungen, die ausgelebt werden. "Ich habe so viel Geld und so viele Bitches." Ohne sich vorzustellen, wie man wirkt und wie der Song am Ende klingen soll, geht das gar nicht. Fantasie und Musikmachen sind miteinander verwoben.
Bartek: (brummt durchgehend zustimmend)
MZEE.com: Ihr wart immer schon sehr fantasievoll, trotzdem hat sich eure Musik stark gewandelt. Haben sich eure Ansätze diesbezüglich über die Jahre verändert?
Maeckes: Alles entwickelt sich über die Jahre.
Kaas: Ja, es entwickelt sich und man findet neue Herangehensweisen. Man versucht, neue Wege zu beschreiten und selbst den Spaß daran zu behalten, etwas Neues zu finden.
Bartek: Zwangsläufig ist alles in der Weiterentwicklung.
Kaas: Na ja, nicht zwangsläufig. Ich bewundere Leute, die einen Stil die ganze Zeit durchziehen und von denen man ganz genau weiß, was kommt. Bei den Red Hot Chili Peppers beispielsweise weiß man genau, was für Musik rauskommen wird und welche Texte sie haben werden. Natürlich mit leichten Abänderungen. Ich bewundere es, dass man sich so stilgetreu einer Sache hingibt. Mir persönlich gefällt es aber mehr, beim Schaffensprozess immer etwas Neues zu finden. Das sind wahrscheinlich einfach verschiedene Herangehensweisen.
MZEE.com: Entscheidet ihr euch bewusst gegen Dinge, die ihr schon gemacht habt oder seid ihr da ganz frei?
Maeckes: Das war früher das Kredo bei uns. Wir haben Pfade durch das Gestrüpp gesucht und wollten nie einen doppelt gehen, sondern sofort abbiegen und uns neu erfinden. Jetzt geht es eher um Details. Wir müssen keinen Gabba-Song machen, damit wir etwas Neues machen. Wir finden eine neue Art, zu schreiben und Nuancen, die es so noch nicht bei uns gab. Das fällt den Leuten aber vielleicht gar nicht auf, weil das eher Feinheiten sind.
Tua: Ich glaube, wenn man zu sehr versucht, zu innovieren und die Avantgarde zu sein, geht man viele Kilometer umsonst. Weil es ein ungestümes Bestreben ist. Man muss das nicht machen. Meiner bescheidenen Meinung nach muss man eher auf sich selbst schauen. Es ist ein schräger Ansatz, Sachen zu vermeiden, nur weil die schon jemand gemacht hat. Es ergibt mehr Sinn, sich zu fragen: "Was ist am meisten 'Die Orsons'?" Nicht: "Was ist am wenigsten 'die anderen'?"
MZEE.com: Aber besteht so nicht eher die Gefahr, sich zu wiederholen?
Tua: Doch, das ist eine Gefahr – aber dagegen gibt es ja Mittel. Sich mit anderen Leuten auszutauschen zum Beispiel. Bei uns ist es, glaube ich, bis jetzt ganz interessant geblieben, weil wir nicht die ganze Zeit zusammenhängen und permanent miteinander Musik machen, sondern im Grunde immer Solo-Artists waren, die in regelmäßigen Abständen zusammenkommen. Und das obendrein noch als ziemlich unterschiedliche Charaktere. Jedes Mal, wenn wir ein Album machen, kommt jemand mit etwas Neuem an, das man noch nie gehört hat oder vielleicht auch gar nicht mag. Du hast immer wieder Abtastungspunkte. Ansonsten gibt es auch noch die Feedbackschleife mit anderen Leuten. Mit dem Label und den Kollegen.
MZEE.com: Ich möchte noch auf euren Song "Oioioiropa" eingehen. Dazu habe ich euch ein Zitat von Rutger Bregman aus seinem Buch "Utopien für Realisten" mitgebracht: "Wie Humor und Satire stößt auch die Utopie die Fenster des Geistes auf. Und das ist unerlässlich. Je älter Menschen und Gesellschaften werden, desto mehr gewöhnen sie sich an den Status quo, in dem die Freiheit zum Gefängnis werden kann und die Wahrheit zur Lüge." – Wie notwendig sind Utopien in der aktuellen Politik?
Tua: Das ist ein sehr schönes Zitat. Das gefällt mir. In gewisser Weise ist das wie mit der Fantasie in der Musik. Da schließt sich der Kreis, oder?
MZEE.com: Inwiefern?
Tua: Wenn wir nicht mehr von einem besseren Morgen träumen können und davon, wie man Dinge besser machen kann, fehlen uns die Lösungsansätze. Ich bin kein Experte für Wirtschaft oder so, da muss man vielleicht eher Leute fragen, die sich auskennen. Aber Utopie-Experten sind wir auf jeden Fall. Sich erlauben, zu träumen, dass es besser sein kann, finde ich wichtig.
Kaas: Das Bewusstsein, dass man die Utopie niemals erreichen kann, ist auch wichtig. Aber dennoch kann sie einen Denkanstoß in die richtige Richtung geben, um Dinge weiterzuentwickeln, ohne einen endgültigen Anspruch zu haben.
Tua: Nicht zu resignieren.
Kaas: Die Hoffnung wird immer wieder durch neue Ideen vorangetrieben. Man diskutiert, verbessert und realisiert Dinge, würde ich sagen. Auch, wenn es nicht ganz an die Utopie heranreicht. Aber so kann man Schritt für Schritt eine bessere Welt aufbauen.
Maeckes: Die Utopie ist die Karotte, die man vor die Pferde spannt, bis sie verhungern.
Kaas: Das ist jetzt aber ein bisschen zu pessimistisch.
Maeckes: Dann braucht man neue Pferde, damit es weitergeht. Eine neue Generation an Pferden.
MZEE.com: Und wie würde eure Utopie von einer perfekten Welt aussehen?
Maeckes: Wir sind voll berühmt und haben alle hedonistischen Ziele erreicht. (lacht)
Bartek: Also ich sehe mich auf einer Westernkutsche.
Maeckes: Und ich kann unter Wasser atmen.
Bartek: Ja!
Tua: Ich glaube, die Frage nach einer perfekten Utopie der Welt ist eine sehr schwierige. Bei "Oioioiropa" ist ein wichtiger Punkt, dass der Song eine gewisse Verwirrung darstellt. Wir haben selbst festgestellt, dass es nicht so einfach ist, das auf Songlänge zu demonstrieren. Wenn wir uns überhaupt erdreisten dürfen, zu sagen, was wir richtig finden und was nicht. Das zu benennen und einzugrenzen, ist schwierig. Es lässt sich bestenfalls auf Tendenzen runterbrechen, die wir beängstigend finden. Und selbst da ist es manchmal nicht so einfach, durchzublicken. Diese Verwirrung merkt man dem Song vielleicht auch an. Die wenigen Punkte, die wir zweifelsohne beantworten können, sind da ausgearbeitet. Den Rest kann Schopenhauer vielleicht besser auf den Punkt bringen als wir. Deswegen wird er am Ende auch mit dem Statement zu Nationalismus zitiert. Ansonsten ist es hoffentlich einfach eine ehrliche Message von uns über unsere Besorgtheit, Ängste und Hoffnung, dass dieser Rechtsruck aufhören möge und mit der Flüchtlingskrise besser umgegangen wird.
Maeckes: Haltung trotz Verwirrung.
Tua: Genau.
Bartek: Verwaltung also.
Tua: Nein.
Maeckes: Nein.
Bartek: Okay, wow. Sorry für den Humor. Streich das, streich das! Alles, was mit Fantasie gesagt wurde, wird bitte aus diesem Interview gestrichen!
MZEE.com: Aber glaubt ihr, dass die Punkte, die Tua gerade aufgeführt hat, eine Utopie sind? Dass man die Situation mit flüchtenden Menschen und den Rechtsruck in den Griff bekommt?
Tua: Nein, das ist keine Utopie. Das ist eine Notwendigkeit. Man steuert entweder dem Krieg oder dem Frieden entgegen. Es zeigen sich ja ganz viele Parallelen zu den 30er Jahren. Ich würde nicht sagen, dass wir an der gleichen Stelle sind, aber allein das ist schon beängstigend.
Kaas: Ja, gut. Aber es gab keinen Weltkrieg in den 10er Jahren. Weißt du, was ich meine? Das ist schon ein bisschen anders.
Tua: Ich sage ja auch nicht, dass es das Gleiche ist. Aber die Darstellung der Ängste ist eine ähnliche. Das begünstigt, dass Menschen plötzlich das Gefühl haben, sie müssten Tür und Tor verschließen und unser Land dicht machen. Dass von außen die Gefahr kommt, die Leute mit der Globalisierung nicht mehr hinterherkommen und das aufhalten wollen. Super unrealistische Ideen, die im Endeffekt gar nicht lösungsorientiert sind, sondern einfach nur zu schlechtem zwischenmenschlichen Verhalten führen. Und zu noch mehr Problemen.
Kaas: Eine Utopie, die mir jetzt doch noch einfällt, wäre eine waffenfreie, gewaltlose Welt. Eine Welt, in der es einfach gar keine Gewalt mehr gibt. Wie auch immer das zu erreichen ist. Aber wenn das passieren würde, wenn die Menschheit sich kollektiv dazu entschließen würde, alle Waffen zu vernichten …
Bartek: … und zu einer großen Orsons-Statue einzuschmelzen …
Maeckes: … die dann gestürzt wird …
Bartek: … dann wäre die Welt perfekt.
MZEE.com: Mit dieser wunderschönen Vorstellung komme ich auch schon zur letzten Frage. Jeder Mensch hat Szenarien, die er sich unzählige Male in seinem Kopf ausmalt. Bei welchem Tagtraum würdet ihr euch wünschen, dass er in Erfüllung geht?
Tua: Ich habe es ja mit den Hexen.
Bartek: Kaas hat eine Zeit lang dreimal am Tag getestet, ob er fliegen kann. Und ich wünsche mir, dass ich eines Tages dabei bin, wenn er es probiert und wirklich losfliegt. Dann flippe ich aus. Das wäre mein Lieblingstag. Er probiert es in diesem Moment, aber leider klappt es nicht.
Tua: Kaas hat auch an luziden Träumen gearbeitet. Was ist daraus eigentlich geworden?
Kaas: Ich bin besser geworden und mache das ab und zu.
Maeckes: Ich würde sagen, bei mir ist es vielleicht der Tagtraum, den Kaas davor hatte.
MZEE.com: Ich sehe schon: Eigentlich wollt ihr alle nur, dass Kaas' Tagträume in Erfüllung gehen.
Bartek: (lacht) Wir sind ja auch zu drei Teilen Kaas. Wenn bei ihm etwas in Erfüllung geht, geht es auch bei uns in Erfüllung.
Tua: Die Band besteht zu 70 Prozent aus Kaas.
Bartek: Wenn man U-Bahn fährt, atmet man auch zu 23 Prozent Kaas ein.
Tua: Und wenn es wärmer wird, wie jetzt, erhöht sich der Kaas-Wert in der Luft.
Bartek: Das ist der Kaasmos.
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Universal Music)