"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
"Dies ist kein Abschied, denn ich war nie willkommen." Viel mehr müsste man zu "Hinterland" gar nicht mehr sagen, denn mit neun simplen Worten vermittelt Casper bereits das einzigartige Gefühl der gesamten Platte. Begleitet von schweren Bassschlägen und eindringlichen Orgelklängen gibt er die Marschrichtung für die kommende Dreiviertelstunde vor. Alles an dem Nachfolge-Werk von "XOXO" schreit nach dem unabdingbaren Aufbruch zu neuen Gefilden.
Eine Neuausrichtung, die beinahe passieren musste, um sich nicht zu wiederholen. Nachdem der 2011 erschienene Vorgänger schon neue Tore für deutschen Rap öffnete und Genre-übergreifend gefeiert wurde, kann man sich nicht ausmalen, wie hoch der Druck für den Bielefelder war, einen adäquaten Nachfolger zu schaffen. Vielleicht mag ich "Hinterland" genau aus diesem Grund. Es ist eben nicht der Versuch, alle Fans glücklich zu machen und mit dem gleichen Stil wie auf "XOXO" erfolgreich zu sein. Das Album fühlt sich vielmehr an wie eine konsequente Weiterentwicklung, ohne die liebgewonnene Melancholie der vorherigen Werke missen zu lassen. So sind die Themen schnell klar gesteckt: Es geht um die ständige Zerrissenheit zwischen Ankunft und Abschied, Oden an die "kleinste Familie der Welt" und das Leben zwischen "Bahnschienen und Schrebergärten". Doch selbst die ruhigsten und kleinsten Momente, in denen sich Casper etwas zurücknimmt, strotzen nur so vor Wortgewalt, Trotz und Mut zur Veränderung. Das ist das, was dieses Album für mich ausmacht: der ständige Blick nach oben und vorn, ohne je zufrieden mit dem Hier und Jetzt zu sein.
Bei all diesem Mut und der Liebe zur Veränderung wird einem bei jedem Hören auch klarer, was Caspers "Hinterland" alles nicht sein will. Keine klassische Rap-Platte. Kein zweites "XOXO". Und erst recht kein herkömmliches Indie-Album. Es passt in kein Genre. Und genau das begeistert mich auch sieben Jahre nach Veröffentlichung noch, denn "Hinterland" ist für mich in erster Linie nur eines: eine Ode für jeden persönlichen Neustart und ein nie endender Liebesbrief an die Musik selbst.
(Sven Aumiller)