München – eine Stadt, über die sich die Geister scheiden. Wenn man hier aufwächst, merkt man schnell, dass man dadurch oft in eine Schublade gesteckt wird. Denn nicht nur der ein oder andere Bewohner, auch bestimmte Akteure der Politik haben eine gewisse Außenwirkung – Lokalpatriotismus ist hier ein gern gesehener Gast. Auch im HipHop ist das ähnlich: Das Representen der eigenen Stadt gehört mit dazu. Deswegen habe ich David Pe zu einem Gespräch gebeten. Mit wem könnte man auch besser über das Thema Lokalpatriotismus sprechen als mit dem Münchner Freestyle-Rapper, der nun schon seit 30 Jahren die Fahne für München und HipHop hochhält? Ob er sich selbst als Lokalpatrioten wahrnimmt, mit was er seine Heimat verbindet, wie Lokalpatriotismus und Nationalismus zusammenhängen und wie sich München und die HipHop-Szene hier über die Jahre verändert hat – all das haben wir in diesem Interview besprochen.
MZEE.com: Lass uns mit der Zahl 58 beginnen. Sie taucht immer wieder in deinen Texten und im Kontext zu deiner Person auf. Was hat es damit auf sich?
David Pe: Das ist eine Buslinie, die am Goetheplatz fährt. Der Ort als solcher spielt dabei aber gar keine so große Rolle. Ich komme aus der Gegend und bin dort zur Schule gegangen. Deswegen musste ich immer vom Baldeplatz mit dem 58er hinfahren. In unserer Jugend, als das mit HipHop angefangen hat, haben wir dort viel rumgehangen. Kuchen George, der unser inoffizielles viertes Bandmitglied war, hat dort gewohnt. Bei ihm haben wir oft Platten gehört. Irgendwie hatten alle eine Zahl. Die Sendlinger hier in München waren die 70er, die Schwabinger waren die Fourties und die HipHopper in Amerika hatten sowieso alle Zahlen. Das hat damals einfach dazugehört. Deswegen wollten wir auch eine und schließlich ist es die 58 geworden. In all der Zeit habe ich das Mysterium darum aufgebaut – bis vor ungefähr fünf Jahren. Wenn mich jemand gefragt hat, habe ich nie eine Antwort gegeben, sondern mir etwas ausgedacht. Aber irgendwann sind die krassen Fans auch dahintergekommen. Seitdem mache ich kein großes Geheimnis mehr daraus. Ich wohne da auch nicht mehr, seit ich bei meinen Eltern mit Anfang 20 ausgezogen bin, aber meine Praxis ist jetzt wieder in der Hood. So schließt sich der Kreis. Die Zahl hat eher etwas mit meinem Schicksal als mit meiner Herkunft zu tun.
MZEE.com: Würdest du dich als Lokalpatrioten bezeichnen?
David Pe: Nicht wirklich, weil ich kein Patriot bin. Weder lokal noch national. Allenfalls bin ich ein globaler Patriot. (lacht) Von der Erde komme ich nicht weg. Auf unserer ersten Platte "Coole Scheiße" von 1994 gibt es ein Lied, das "Münchenz Diktatur" heißt. Es geht um die Hassliebe zu München. Natürlich lebe ich gerne hier. Ich wüsste auch nicht, wo ich besser leben würde. Aber ich bin nicht stolz darauf. Wieso sollte ich? Meine Eltern sind vor vielen Jahren aus Serbien ausgewandert. Sie hätten genauso gut woanders einwandern können, es ist nicht mein Verdienst. Deswegen bin ich auch nicht stolz darauf. Aber ich mache das Beste draus. Um wieder zu HipHop zu kommen: Natürlich wird die eigene Stadt glorifiziert. Ich bin hier aufgewachsen, kenne jede Ecke, viele Leute und identifiziere mich mit meiner Stadt. Wir sind die Coolsten hier! Aber das meine ich nicht im Sinne von Patriotismus oder Stolz. Ich represente halt meine Hood. Das ist auch mit einer gewissen Ironie verbunden, wenn ich als Rapper sage: "Yeah, ich komme aus München und wir sind die Besten." Das sage ich, weil ich mein Umfeld und meine Freunde mag. Ich kann es niemandem übel nehmen, wenn er sagt, dass sie in Hamburg die Coolsten sind. Das ist sein gutes Recht und ich gehe davon aus, dass er das mit einer gewissen Distanz und nicht einer Absolutheit sieht. Wieso sollte eine Stadt oder die Menschen dort besser sein als andere?
MZEE.com: Du lebst seit 45 Jahren in München und kennst die Stadt wahrscheinlich sehr gut. Welcher ist dein Lieblingsort hier?
David Pe: Ich habe ein paar Lieblingsorte, aber keinen, den ich in einem melancholischen Anfall besuche und dort verweile. Ich lebe seit 22 Jahren in Haidhausen und da wohne ich echt gerne. Ich würde nie von hier wegziehen, wenn ich nicht muss. Vor allem den Weißenburger Platz mag ich sehr. Da sind viele verschiedene Leute auf der Straße und es werden viele Sprachen gesprochen. Ich freue mich immer wieder, wenn ich da im Sommer drüber laufe.
MZEE.com: Sind es eher Menschen oder Orte, die du mit einer Stadt verbindest?
David Pe: Eher die Art und Weise, wie man dort lebt. Natürlich macht auch die Optik etwas aus. Es gibt hässliche und schöne Ecken. Aber wenn sympathische Leute in einer hässlichen Ecke sind, bekommt auch die eine Schönheit. Weil man eine emotionale Bindung entwickelt, wenn man dort eine schöne Zeit verbringt. Insofern würde ich es auf die Menschen beziehen und weniger auf den physischen Ort.
MZEE.com: Vor Kurzem hast du für einen Wein ein Etikett designt und den Menschen ans Herz gelegt, diesen zu kaufen. Ich gehe also mal davon aus, dass du auch das Kulinarische an Orten zu schätzen weißt. Was verbindest du an Kulinarischem mit deiner Heimat?
David Pe: Ganz klassisch: Augustiner. Ich bin zwar kein großer Biertrinker oder -liebhaber, aber ich mag es schon sehr, auf die Wiesn zu gehen und mich dort, wohlgemerkt draußen, hinzuhocken. Mittlerweile gehe ich nicht mehr ins Zelt. Und dann genieße ich die guten Sachen. Ein Hendl und meine Maß, ich futter' vielleicht 'nen Radi dazu. Diese einfachen bayerischen Gerichte. Oder auch eine resche Ente. Das mag ich alles sehr, aber es schmeckt mir tatsächlich auf der Wiesn am besten. In jungen Jahren haben wir da gesoffen, jetzt gehe ich eher zum Essen hin.
MZEE.com: Du hast erwähnt, dass deine Eltern ursprünglich aus Serbien kommen. Gibt es auch Dinge, die du speziell mit diesem Land verbindest?
David Pe: Absolut. Ich war erst vor Kurzem mit meiner Familie in Belgrad und habe meine Verwandten besucht. Da gibt es einfaches Essen, das sehr gut ist: Cevapcici, Kajmak – das ist eine Art Rahmkäse –, Krautsalat und Tomate-Gurke-Zwiebel-Salat. Das Fleisch ist auch einfach super, weil Serbien ein recht agrares Land ist und alles aus lokaler Produktion stammt. Außerdem wird es auf Holzkohle gegrillt und dadurch schmeckt es natürlich ganz anders. Ich habe in Belgrad echt gut gefuttert. Aber das Problem ist: Das kriegst du in der Diaspora nicht. Es gibt hier natürlich Bosnier, Kroaten und Serben – die Küche ist ja mehr oder weniger dieselbe – aber irgendwie schmeckt es nicht so wie da unten. Deswegen esse ich das in Deutschland selten und kann auch keine Empfehlung abgeben, wo das besonders gut ist.
MZEE.com: Ich würde gern noch allgemeiner über die Münchner und die Bayern reden. Es wird ja gerne behauptet, dass der Münchner kein Bayer ist. Gibt es wirklich so viele Unterschiede?
David Pe: Grundsätzlich zitiere ich gerne die englische Rapperin Wildflower: "People are people. Wherever you go." Ich sehe keinen Unterschied zwischen den Menschen in ihrem Grundwesen. Es gibt solche und solche Leute überall auf der Welt. Es gibt vielleicht eine gewisse Mentalität in Städten. Ich glaube gar nicht unbedingt, dass es nationale Mentalitäten gibt. Das ist viel enger, weil die Stadt, in der man lebt, konkreter ist. Wenn man aufwächst, wird man vom Geist dieser Stadt geprägt, ob man will oder nicht. Eine gewisse Arroganz hat die Münchner Mentalität schon. Gar nicht im Sinne von Überheblichkeit, sondern eher von ausgeprägtem, bisweilen aufdringlichem Selbstbewusstsein. Die Menschen in München sind anfangs distanziert. Ein Mensch, der aus einer anderen Stadt kommt, gilt erst mal als uncool und scheiße. Er muss das Gegenteil beweisen, dann wird er akzeptiert. Es ist nicht so, als hätte man keine Chance, Freunde zu finden. Aber der Münchner an sich muss sich alles erst mal angucken. In anderen, kleineren Städten sind alle superfreundlich und cool zu dir. Außer du beweist im weiteren Verlauf, dass du ein Arschloch bist. Also genau andersherum.
MZEE.com: Das ist wahrscheinlich auch ein Großstadt-Ding. Der Münchner schimpft gerne mal über den "Zugroasten" und in Berlin schimpfen sie über die Zugezogenen.
David Pe: Ja, die Hamburger sind uns da auch sehr ähnlich. Das ist in New York, Paris und London wahrscheinlich dasselbe. Die Leute in großen Städten kommen sich generell cooler vor, weil sie quasi am Puls des Geschehens sind und nicht in der Prärie wohnen. Das ist vielleicht, wie du sagst, gar nicht so typisch münchnerisch. Aber hier ist es doch noch mal spezieller. Dieses gesunde Selbstbewusstsein liegt generell in der Haltung der Bayern. Bayern ist ja irgendwie ein eigenes Land und gehört nicht so richtig zu Deutschland. Wir haben den Wohlstand, die Sicherheit, die Sauberkeit und damit bekleiden sich die Menschen gerne. Mit den Vorzügen ihrer Herkunft, auch wenn sie selbst vielleicht gar nichts dazu beitragen. Das ist mein Eindruck, vielleicht ist das gar nicht so. Aber ich meine, das in den letzten Jahrzehnten beobachtet zu haben.
MZEE.com: Du hast vorhin angeschnitten, dass du allgemein kein Patriot bist. Findest du denn, dass Lokalpatriotismus und Patriotismus oder sogar Nationalismus nah aneinander liegen?
David Pe: Ja, klar. Generell ist jede Form von Patriotismus Schwachsinn, weil er nicht begründbar ist. Wieso ist jemand auf den Ort seiner Herkunft stolz? Selbst wenn es nur die kleinste Einheit ist, also das Viertel, ist das doch total irrational. Man ist nur von da. Ich finde, bei Patriotismus schwingt immer Stolz mit und der ist für mich prinzipiell ein verwerfliches Gefühl. Er ist etwas Emotionales und nichts Rationales. Und verwerflich ist er, weil er ein Gefühl von befriedigter Eitelkeit ist. Das ist nur Aufwertung meines Egos. Wieso muss ich denn mein Ego aufwerten? Wenn ich stolz auf meine Herkunft, mein Volk oder die Population in meinem Land bin, kann ich irgendein Defizit nicht kompensieren. Das kaschiert nur etwas und soll mein Selbstwertgefühl steigern. Der Nationalist ist stolz auf die Geschichte seines Volks. Aber er hat nichts dazu beigetragen. Abgesehen davon: Wer ist das Volk überhaupt? Wenn jemand darauf stolz sein muss, scheint er selbst nichts Vernünftiges hinzubekommen. Nationalismus ist meines Erachtens nach ein Kompensationsmechanismus für ein vermindertes Selbstwertgefühl und so ist es auch mit Lokalpatriotismus. Wenn man das ernst meint, stimmt etwas mit dem Selbstwertgefühl dieses Menschen nicht.
MZEE.com: Du hast gerade gefragt: "Wer ist das Volk?" – In jeder Stadt in Deutschland leben Menschen mit verschiedener Herkunft, verschiedenen Wurzeln und aus verschiedenen Kulturen. Daraus formt sich das Deutschland, das wir kennen. Ist es nicht widersprüchlich, dass Leute rechts sind und gleichzeitig stolz auf ihr Land, das heutzutage so mulitkulturell geprägt ist?
David Pe: Natürlich. "Volk" würde ich allerdings durch den wissenschaftlichen Terminus "Population" ersetzen. Beim Wort "Volk" schwingt immer eine emotionale Konnotation mit. Es geht um die glorreichen Leistungen und Taten der Ahnen, um Goethe und Schiller. Alter, wieso bist du denn stolz auf Goethe und Schiller? Schreib selber ein Buch. Dann kannst du dir etwas darauf einbilden. Aber nicht, wenn du 300 Jahre später zufällig im gleichen Land geboren bist. Das "Volk" war nie homogen, hier haben nie nur Deutsche gelebt. Das gilt für alle Länder. Es gibt immer einen Austausch, die Population ändert sich permanent. Der Begriff "Volk" ist meiner Meinung nach immer mit Nationalismus konnotiert. Ab wann hat man denn von Völkern gesprochen? Das Wort existiert wahrscheinlich erst, seitdem die Menschen sesshaft geworden sind und sich hierarchische Strukturen in der Gesellschaft entwickelt haben. Die Urzeitmenschen waren Sippen und Familienverbände. Dann haben sich Staaten gebildet und durch gemeinsame Feinde hat man sich als Einheit gefühlt. Meine Theorie ist: Eine nationale Identität gibt es nur durch die Bedrohung durch einen gemeinsamen Feind. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Das habe ich mir zu dem Thema überlegt.
MZEE.com: Aber wieso sucht man sich immer wieder einen neuen gemeinsamen Feind, obwohl es gar keinen mehr gibt?
David Pe: Es gibt sicher immer Feinde. Das zeigt ja die Geschichte durch sämtliche Kriege. Es gibt bestimmt Menschen, die mir feindlich gesinnt sind und mir schaden wollen. Das kann auch ein Typ auf der Straße sein, der mir meine Turnschuhe wegnehmen will. Aber du hast vollkommen recht: es gibt Leute, die man als Feind oder Bedrohung sieht, ohne dass eine reale Bedrohung besteht. Wie zum Beispiel Geflüchtete. Die ganzen Wutbürger und AfD-Leute sehen diese Menschen als bedrohlich an, obwohl sie ihnen gar nichts tun. Die empfinden das aufgrund diffuser Ängste, ohne es rational begründen zu können. Sie begründen es mit ausufernden Ideen und Verschwörungen. Aber das ist ja alles Bullshit. Das hat es schon immer gegeben und ist ein politisches Instrument. Du hast keine konkrete Bedrohung, willst aber als machthungriger Mensch deine Leute hinter dich bringen. Also schaff eine. Das eint Menschen, die zuvor nichts miteinander zu tun hatten. Das Schüren von Ängsten ist ein Machtmittel, genau wie das Gefühl von Nationalismus an sich. Leute lassen sich diese Angst einreden, nehmen das an und schwimmen mit. Und plötzlich schreien sie wieder: "Wir sind das Volk!" Weil sie sich bedroht fühlen – wohlgemerkt fühlen. Sie sind es nicht. Und da sind wir beim Thema Angst. Das ist generell ein großes Problem. Denn je ungerichteter diese Angst ist, desto panischer wird die Reaktion der Menschen. Als Nationalist will man diese Angst benennen und ihr einen Namen geben. Im Fall der AfD sind es die Geflüchteten. So bringt sie die Menschen hinter sich. Jeder, der so arbeitet, ist ein fieser und böser Mensch, weil er die Angst der Leute nutzt, um seine eigenen Interessen zu verfolgen.
MZEE.com: Ich möchte mit dir auch noch über Musik in München reden. Hier ist viel HipHop-Geschichte passiert. Ich habe aber das Gefühl, dass das über die Jahre ein wenig verloren gegangen ist. Wie siehst du das?
David Pe: Manche Orte sind physisch verschwunden, wie zum Beispiel die Hall of Fame am Heimeranplatz. Irgendwann wurde die einfach abgerissen. Das kann man gut oder schlecht finden. Die Leute, die ihre Büros in den neuen Gebäuden haben, finden das bestimmt super. Wir finden das schlimm und traurig, weil die ganzen Bilder von WON weg sind. Aber das ist nun mal das Leben, eine Stadt entwickelt sich. Manche Orte werden auch einfach vergessen. Zum Beispiel die Kulturstation in Oberföhring, die damals komplett von Loomit bemalt wurde. Die gibt es meines Wissens nach immer noch. Früher sind Leute dorthin gepilgert, um sich die Bilder anzugucken. Es gibt bestimmt geschichtsinteressierte HipHopper, die sowas noch machen, aber im Verhältnis ist das wahrscheinlich weniger geworden. Das beobachte ich bei jüngeren HipHop-Fans, mit denen ich rede, immer wieder: "Was interessiert es mich, was vor 20 Jahren war? Das ist doch altbackene Scheiße. Es geht darum, was heute ist." Das ist prinzipiell korrekt, aber wenn man sich für eine Kultur begeistert, interessiert man sich doch auch für die Geschichte und Entwicklung. Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste, weil man es begreifen will. Denn nur, wenn man weiß, wie es vorher war, kann man verstehen, wie es so geworden ist. Wie Cora E. sagt: "Es wäre nichts, so wie es ist, wär' es damals nicht gewesen, wie es war." Als ich jung war, waren wir die zweite HipHop-Generation in Deutschland nach Torch, Advanced Chemistry und so weiter. Wir kannten die erst mal auch nicht. Ich habe angefangen, Ami-Rap zu hören und im Laufe meiner Jugend gecheckt, dass es weiter als Public Enemy und Run DMC in der Zeit zurückgeht. Und so ging es mir auch mit Deutschrap. Wir haben damals unsere historischen Lücken nachgeholt. Wir sind beispielsweise in die Stadtbücherei gegangen, um die Filme "Wild Style" und "Style Wars" auszuleihen.
MZEE.com: Ich glaube, es liegt auch daran, dass es inzwischen schon schwer ist, bei aktuellen Releases den Überblick zu behalten. Vielleicht verlieren dadurch viele Leute die Muße, sich zusätzlich noch mit der Vergangenheit zu befassen.
David Pe: Ja, schon. Du hast aber viele Jahre Zeit. Du musst nicht in einem Monat die ganze HipHop-Geschichte lernen. Man stößt doch immer wieder auf alte Sachen und Namen. Das ist ein Prozess, der über Jahre läuft. Da unterscheide ich in der Szene zwischen den Leuten, die sich damit schmücken und HipHop für ihren Benefit wie ein Gewand tragen, um erfolgreich zu sein und Geld zu verdienen. Das ist okay und kann man so machen. Und zwischen den Leuten, die Interesse an der Kultur haben und sich als Teil des großen Ganzen verstehen. Dann befasst man sich mit allen Bereichen. Es geht gar nicht um Detailwissen. Ich kann auch nicht sagen, welche Platte wann und über welches Label rausgekommen ist. Es geht eher darum, einen groben Gesamtüberblick zu haben. Das kann aber natürlich jeder machen, wie er will. Ich treffe auch viele Jungs, die echt dahinter sind, ein aufrichtiges Interesse haben und Fragen stellen. Meine Einstellung dazu hängt natürlich mit meinem Alter zusammen. Ich bin durch den Geist der Zeit geprägt, in der ich dazugekommen bin. Ich sage nicht, dass es so sein muss. Aber ich bin der Meinung, dass man etwas in seiner Gesamtheit durchdringen will, wenn man sich für ein Thema wirklich interessiert.
MZEE.com: Rap lebt natürlich auch zu einem Teil von Referenzen. Wenn man merkt, dass man mehr versteht, wenn man sich mit der Geschichte auseinandersetzt, findet man sicher Gefallen daran.
David Pe: Das beobachte ich auch. Shindy zum Beispiel zitiert viel in seinen Texten und macht Anspielungen auf sehr alte Tracks. Das zeigt, dass dieser Typ ein richtiger HipHop-Head ist. Der hat auf jeden Fall alle Platten gehört. Was er macht, kann man mögen oder nicht, das ist Geschmackssache. Aber er ist jemand, der sich auf die bezieht, die vor ihm da waren. Wenn jemand Fan von ihm ist, will er das natürlich verstehen. Von diesen Referenzen kommt man auf die Leute, auf die sich bezogen wird. So kommt man immer weiter zurück in der Geschichte. Mich fasziniert es immer wieder, zu sehen, wie Menschen eine Musikrichtung nehmen und darauf etwas Neues aufbauen. Es ist schön, zu sehen, wozu Menschen kreativ fähig sind. Das Coolste an HipHop ist für mich das Prinzip, dass es jeder machen kann. Und da wären wir wieder beim Patriotismus, um den Kreis zu schließen. Wie Rakim sagt: "It ain't where you're from, it's where you're at." Du kannst herkommen, von wo du willst, wenn du nichts Gescheites zu Wege bringst, kriegst du keinen Respekt. Und das wollen wir ja alle. Dass unser Werk gewürdigt wird. Das ist ein tiefes Gerechtigkeitsprinzip, welches der Geist von HipHop ist. Man muss einfach gut sein in dem, was man macht. Egal, wer du bist und woher du kommst. Wer auf welchem Label ist und wie viel Geld verdient, ist nicht die Essenz von HipHop, sondern nur ein nettes Beiwerk, das Kostüm.
MZEE.com: Hast du denn das Gefühl, dass es noch eine lebendige HipHop-Szene in München gibt?
David Pe: Ja, ich denke schon. Nur als Beispiel: diese Freestyle-Events in der Glockenbachwerkstatt einmal im Monat. Da sind viele Leute, die ich noch nie gesehen habe, aber die da hochgehen, freestylen und Spaß an der Sache haben. Manche sind gut, manche sind schlecht, aber nichtsdestotrotz spürt man, dass sie das aufrichtig machen. Ich bin mit meinen 45 Jahren natürlich nicht mehr so krass unterwegs, dass ich auf jedem Event bin und einen Überblick habe. Vor 20 Jahren hätte ich dir noch jeden Namen nennen können, weil ich mittendrin war. Gefühlt ist es heute nie so geil, wie es früher einmal war. (lacht) Aber da sind junge Leute, die das mit derselben Liebe und Hingabe machen wie wir damals. Nur im Stil der heutigen Zeit. Und das ist cool. Also würde ich sagen: Ja, es gibt eine lebendige HipHop-Szene in München.
MZEE.com: In München muss man Subkultur suchen, damit man sie sieht. Sie läuft einem nicht einfach über den Weg. Zuletzt würde mich interessieren, woran das deiner Meinung nach liegt.
David Pe: Das liegt, glaube ich, an der Infrastruktur unserer Stadt. Du hast hier kein wildes kulturelles Leben auf der Straße oder in besetzten Häusern. Das gibt es so einfach nicht. Wir sind in Bayern. Hier regiert die CSU und es ist ordentlich. Für alles gibt es einen Platz. Kultur hat an ausgewählten Orten stattzufinden, nicht irgendwo. Das ist tatsächlich ein Münchner Phänomen, das es so in anderen Großstädten nicht gibt. Allerdings wäre die Subkultur auch keine, wenn sie überall sichtbar wäre. Wenn du nach Berlin kommst, findet auf der Straße auch keine HipHop-Jam statt. Da musst du genauso nach entsprechenden Locations suchen. Es gibt vielleicht mehr als hier, aber letztendlich macht das ja die Subkultur im Gegensatz zur Hochkultur aus. Sie ist dadurch charakterisiert, dass sie nicht so offensichtlich ist. In New York passiert HipHop an jeder Straßenecke, das ist in der ganzen Stadt omnipräsent. Aber das ist generell in Deutschland nicht so. Das kann man kritisieren. Wenn man von der fehlenden Subkultur in München redet, meint man vielleicht auch, dass es nicht so abgefuckt und nicht alles vollgetaggt ist. Hier wird alles immer gleich sauber gemacht. Ja mei, so ist das halt. Das war schon immer so und das wird vermutlich so bleiben. Darüber habe ich mich früher auch aufgeregt, aber mittlerweile ist es mir wurscht, weil es nicht entscheidend für die Kultur ist. Der Spirit ist in München nicht anders als in anderen Städten.
(Yasmina Rossmeisl)
(Fotos von Florian Stielow und Eric Anders)