"Was?! Du kennst das nicht? Sekunde, ich such' dir das mal raus." Und schon öffnet sich die Plattenkiste. Wer kennt diesen Moment nicht? Man redet über Musik und auf einmal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künstler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzufangen weiß. Und plötzlich hagelt es Lobpreisungen, Hasstiraden oder Anekdoten. Gerade dann, wenn der Gesprächspartner ins Schwärmen verfällt und offen zeigt, dass ihm das Thema wichtig ist, bittet man nicht allzu selten um eine Kostprobe. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Person so sehr am Herzen zu liegen scheint. In diesem Fall – was uns so sehr am Herzen liegt: Ein Auszug aus der Musik, mit der wir etwas verbinden, die wir feiern, die uns berührt. Ein Griff in unsere Plattenkiste eben.
Für manche mag Aaron Grav 2019 als Newcomer aufgetaucht sein, mir war der Künstler jedoch schon vor acht Jahren ein Begriff – damals aber unter seinem alten Namen Hörflug. Nach seiner letzten EP 2016 mit Astvald war dann für drei Jahre komplette Funkstille, bis ich durch einen Freund von seinen Tracks unter neuem Künstlernamen erfuhr. Dabei hat es mir seine zweite Single nach dem Neuanfang, "Aus Sicht von Angst", besonders angetan.
Bei dem Track handelt es sich um eine Art Beziehungssong, aber aus einer etwas ungewöhnlichen Perspektive. Der Titel verrät es schon: Aaron Grav beschreibt seine Beziehung zur Angst aus der Sicht derselbigen. Ebendiese Sicht verleiht dem Text nicht nur das gewisse Etwas, sondern lässt mich beim Hören auch reflektieren, wie sehr ich selbst mit der Angst verbunden bin. So wird hier detailliert beschrieben, wie allein dieses Gefühl einen immer wieder unten hält und an jeglicher Veränderung im Leben hindert. "Ich lass' dir keine Ruhe, auch wenn du nicht mehr kannst." Gerade weil die Zeilen sehr direkt und simpel sind, treffen sie heute wie damals einen Nerv in mir. Denn Angst ist etwas, mit der so viele Menschen oft unterbewusst zu kämpfen haben, die aber kaum einer als solche benennen kann. Sie ist einfach immer wieder da zu den ungünstigsten Zeitpunkten und lässt einen vieles anzweifeln, anstatt Positives einfach hinzunehmen und sich darüber zu freuen. All das fängt Aaron Grav in gerade mal zwei Parts und seiner Hook perfekt ein. Diese bedrückende Stimmung verstärkt das ruhige, von Klaviertönen getragene Instrumental von Dallas Cooper noch zusätzlich.
"Aus Sicht von Angst" ist ein sehr persönlicher Track und schafft es selbst ein Jahr später noch, dass ich mich darin wiederfinde. Eine konkrete Antwort, wie man diese ewige toxische Beziehung mit der Angst beendet, liefert Aaron Grav nicht. Doch zum einen erinnert mich seine Zeile "Du bist ein verwöhntes weißes Kind mit verwöhnten Visionen" daran, dass viele Ängste eigentlich First World Problems sind. Und zum anderen öffnet der Track mir die Augen und lässt mich klar benennen: Das ist nur Angst.
(Lukas Päckert)