Zeit spielt in unserem Leben eine große Rolle, denn die Abfolge von Ereignissen prägt uns seit der Geburt. Aus Momenten werden Erinnerungen, von denen uns einige mehr im Gedächtnis bleiben als andere. Manche dieser Erinnerungen waren schon lange nicht mehr präsent und kommen einem plötzlich wieder ins Gedächtnis – zum Beispiel durch Gefühle, Gerüche oder auch Musik. Dieses nostalgische Gefühl können auch die Songs des Kölner Künstlers Goldroger auslösen. Sie handeln unter anderem von der Leichtigkeit der Jugend und der Romantisierung von Beziehungen. Wenn man Musik als Zugang zur eigenen Vergangenheit nutzt, kann dies einerseits positive Gefühle auslösen, andererseits kann man es auch als negativ empfinden, wenn man sich beispielsweise alte Zeiten zurückwünscht. Wir haben Goldroger zum Gespräch gebeten, um mit ihm über die Wahrnehmung von Zeit und das Loslassen der Vergangenheit zu sprechen. Außerdem ging es darum, ob sich Zeitdruck negativ auf Produktivität auswirkt und wie man sich vom Stress, der dadurch entstehen kann, löst.
MZEE.com: Ich habe dir zwei unterschiedliche Definitionen von Zeit mitgebracht. In der Physik ist Zeit eine Größe, über die sich die Dauer von Vorgängen und die Reihenfolge von Ereignissen bestimmen lassen. In der Philosophie ist sie dagegen die vom menschlichen Bewusstsein wahrgenommene Form der Abfolge von Ereignissen. Wie definierst du Zeit für dich?
Goldroger: Für mich trifft eher die zweite Definition zu. Ich finde es magisch, dass Musik ein zeitbasiertes Medium ist im Gegensatz zu Bildern. Du kannst die Zeit anhalten und ein Bild ist immer noch da. Wenn man einen Song anhält, ist da keine Musik. Das ist richtig crazy. Auch, dass sich Musik mit der Zeit potenzieren kann. Wenn einhundert Leute einen Track hören, der drei Minuten lang ist, hat der Künstler dreihundert Minuten geredet, obwohl er eigentlich nur drei Minuten aufgenommen hat. Das ist mega mystisch.
MZEE.com: Denkst du, dass du grundsätzlich genug Zeit im Leben hast oder kommt sie dir manchmal zu wenig vor?
Goldroger: Es kommt mir ständig so vor, als ob ich zu wenig Zeit hätte. Ich habe nach dem Abi angefangen, zu studieren und gemerkt, dass das nichts für mich ist. In der elften Klasse bin ich sitzen geblieben. Durch das verschenkte Jahr war ich zwei Jahre älter als die anderen. Ich dachte, dass ich für alles Mögliche zu alt geworden und mein Leben gelaufen sei. An diesem Punkt habe ich angefangen, Musik zu machen. Man denkt ja, man müsste zum Beispiel schon mit zwölf angefangen haben, Gitarre zu spielen. Leute, mit denen ich Abi gemacht habe, haben jetzt richtige Jobs. Einer ist verheiratet. Dann denke ich, auch mir rennt die Zeit davon. Man wird sich bewusst, dass man irgendwann abkratzt. Ich habe ständig das Gefühl, dass meine Zeit abläuft, aber so ist es nicht. Dieses Gefühl verursacht Reue, weil man in der Vergangenheit seine Zeit nicht gut genutzt hat. Außerdem denkt man zu sehr an die Zukunft und die Zeit, die einem noch davonrennen wird. Dann ist man überall außer in dem Moment, in dem man gerade wirklich Einfluss auf das Vorgehen hätte. Die coolsten Momente habe ich, wenn ich mich davon lösen kann und versuche – so hippiemäßig sich das anhört – im Jetzt stattzufinden.
MZEE.com: Albert Einstein hat einmal sinngemäß gesagt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nichts als eine Illusion. Jedoch eine sehr hartnäckige. Was denkst du darüber?
Goldroger: Wenn wir bei großen Physikern und Illusionen sind, möchte ich ein Buch von Stephen Hawking erwähnen, das meine Mutter mir an Weihnachten geschenkt hat. Er hat gesagt, dass die Leute sich immer fragen, was vor dem Urknall gewesen ist, aber das sei die falsche Frage. Mit dem Urknall kam erst die Gebundenheit der Raum-Zeit. Das heißt, es gab vorher keine Zeit. Einen kontinuierlichen Ablauf gab es nicht, als es noch keinen Raum gab. Das heißt, es gibt kein "vor dem Urknall". Ich kann diesen Gedankengang einerseits nachvollziehen, andererseits ist das auch so weit weg, dass man ihn doch nicht verstehen kann. Vor dem Urknall kann es logischerweise keine Zeit gegeben haben. Das finde ich mind blowing. Genauso, wie man sich keinen Raum vorstellen kann, in dem wirklich nichts ist. Man stößt auf einen Error im Gehirn, an dem es nicht weitergeht.
MZEE.com: Auf dem Song "Wie leicht" sagst du: "Ich will nicht, dass es heilt. Wenn etwas drüber wächst, reiß ich's ein." – Wenn eine Wunde nicht heilt, spielt die Vergangenheit eine große Rolle in der Gegenwart. Glaubst du, dass Verletzungen nie komplett verschwinden?
Goldroger: Man muss sie heilen lassen. Bei "Wie leicht" spielt die Hoffnung mit, dass es vielleicht doch noch klappt. Die Wunde darf nicht zugehen, denn dann gäbe es keinen Punkt zum Anknüpfen. Man hat Angst, mit dem Thema abzuschließen. Mit dem Schmerz verschwindet der Rest an Gefühlen für die andere Person. Deswegen hält man – in diesem Fall ich – die Wunde offen. Das ist natürlich nicht gesund, weil es einen daran hindert, vorwärts zu gehen. Am Ende hat es mich persönlich lange in einem Strudel gehalten ohne ein Happy End. Natürlich denkt man dann, dass man das nicht hätte machen sollen. Aber auch das ist Reue: Man lebt wieder in der Vergangenheit. Besser ist es, zu versuchen, es nicht noch mal zu machen.
MZEE.com: "Lavalampe Lazer" handelt von deiner Jugend und klingt sehr nach Freiheit. Wünschst du dir die alten Zeiten zurück oder bist du mit dem Status quo zufrieden?
Goldroger: Ich bin zufrieden damit, dass das Leben eine Abfolge an Momenten ist und sich Sachen nicht zu krass wiederholen. In der "Lavalampe Lazer"-Zeit habe ich mir gewünscht, irgendwann 18 zu werden. Wenn man jung ist, will man ja unbedingt älter werden. Dann ist es so weit, man ist broke und alle erwarten Dinge von einem. Dann wäre man vielleicht gerne wieder acht oder denkt sich, vielleicht wird es geiler, wenn ich 28 bin. Manchmal romantisiert man die Vergangenheit. Viele Sachen sind nervig daran gewesen, ein Teenie zu sein. Das Schöne ist, dass man sich in solchen Momenten kurz über die Illusion hinweghelfen kann. Man merkt, dass eigentlich alles eins ist und selbst die Momente wie auf "Wie leicht" oder "Lavalampe Lazer" irgendwie schön waren. Wenn ich alles zu einem Haufen komprimieren würde, sind ja alle Erfahrungen, die ich gemacht habe, irgendwie immer präsent. Es ist cool, dass man bestimmte Sachen erlebt hat – diese Erinnerungen bleiben für immer. Deswegen muss ich die nicht wiederholen. Ich schaue, dass ich andere ansammle, die es wert sind, sich an sie zu erinnern.
MZEE.com: Man lernt ja mit der Zeit auch dazu und sammelt Erfahrungen, die einen prägen.
Goldroger: Gerade bei Beziehungen ist das so. Natürlich enden die meisten irgendwann. Dann denkt man ja auch nicht: "Ich wünschte, ich hätte nicht drei Jahre diesen Menschen geliebt." Man empfindet das nicht wirklich als Verlust. Diese Erfahrung ist für immer da. Oder ein versautes Studium, bei dem ich mir im Nachhinein denke: Geil, das hat mich zum Rappen geführt. Die Kausalität ist natürlich auch eine Illusion. Eigentlich ist alles ein riesiger, abgefuckter Zufall. Man hat superwenig Kontrolle über die Zukunft. Das Leben kommt, wie es kommt – "et kütt wie et kütt", sagt man in Köln.
MZEE.com: Wir alle haben dieselben 24 Stunden am Tag. Manchmal bekommt man den Eindruck, dass einige Leute mehr aus dieser Zeit rausholen als andere. Was macht das mit dir?
Goldroger: Ich bin ein Mensch, der sich ab und an was vornimmt. Dann schreibe ich mir eine dumme Liste, wann ich aufstehe und was ich erledigen werde. Das ist bescheuert, weil ich mittlerweile weiß, dass ich so überhaupt nicht funktioniere. Natürlich denke ich auch: Wie macht Fynn Kliemann das? Wieso bekomme ich das nicht hin? Wenn ich mich davon löse, schaffe ich wesentlich mehr, als ich mir vorstellen kann. Wenn ich mir einen strikten Plan mache, empfinde ich das als Arbeit und brauche Pausen davon. Wenn du immer das machst, wonach dir gerade ist, brauchst du keine Pausen. Du musst keinem Termin gerecht werden, der dir Stress macht. Dexter ist ja bekannterweise Arzt. Ich habe ihn mal gefragt, wie er das macht. Die Antwort war: "Ich hasse es einfach, nichts zu tun." Der macht einfach die ganze Zeit irgendwelche Dinge, aber, ich glaube, nichts, wozu er sich zwingen muss. Bei Fynn Kliemann ist es aber wirklich mystisch, weil der so schnell auf DMs antwortet. Wie kann der genauso viel am Handy hängen wie wir alle? Wann macht er dann noch die anderen Sachen? Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Ich wette, es gibt noch einen zweiten Fynn Kliemann. Bestimmt sind das Zwillinge und die verarschen uns nur. (lacht)
MZEE.com: Kannst du selbst gut mit Zeitdruck umgehen, wenn du beispielsweise eine Deadline vom Label bekommst?
Goldroger: Unter Zeitdruck Musik machen kann ich gar nicht. Das ist irgendwie doof. Ich wünschte manchmal, ich könnte mich dazu zwingen. Aber die beste Musik mache ich, wenn es mir egal ist und es mir nur um den Spaß geht. Dann habe ich mehr Ausdauer. Andere Sachen kann ich gut unter Stress machen. Ich war schon in der Schule jemand, der immer auf den letzten Drücker gelernt hat, aber dann crazy Power dabei hatte. Ich brauche den Druck und den Stress, um aus meiner Lethargie zu kommen. Nur beim Musikmachen hilft mir das absolut gar nicht.
MZEE.com: Hast du das Gefühl, über deine Zeit frei entscheiden zu können, was deine Musik angeht oder bekommst du Druck von außen?
Goldroger: Gott sei Dank war noch nie jemand in der Position, mir Druck in irgendeiner Art und Weise zu machen. Ich habe früher über ein Indie-Label releast, da hatten wir keine Verträge. Jetzt habe ich zwar einen Deal, aber der beinhaltet, dass keiner mir irgendetwas sagen kann. Natürlich mache ich mir manchmal trotzdem selbst Druck. Man will im Sommer eine Festival-Saison spielen, wenn nicht gerade Corona ist. Wenn man gebucht werden will, sollte das Album im Winter kommen, damit es in der Booking-Saison draußen ist. Da kommt schon Druck auf. Aber immer, wenn ich diesen Stress zugelassen habe, habe ich die Deadlines nicht eingehalten. Ich glaube, ich hätte jede von denen geschafft, wenn ich gesagt hätte: "Fuck it, wenn es so sein soll, soll es so sein."
MZEE.com: Nimmst du daraus etwas mit? Zum Beispiel, dir in Zukunft selbst weniger Druck zu machen?
Goldroger: Das strebe ich auf jeden Fall an. Man sagt, in der Ruhe liegt die Kraft. Das war für mich auch mal ein leerer Satz, bis ich irgendwann gemerkt habe, dass all der Stress wirklich das ist, was am wenigsten bringt. Er bringt einen dazu, Dinge zu übersehen, den Spaß zu verlieren und Fehlentscheidungen zu treffen. Er vergiftet das Denken und das Körpergefühl. Wenn man ruhig bleibt, kriegt man am allermeisten gebacken. Diese Erkenntnis ist crazy. Du darfst dich von den Problemen nicht stressen lassen, um sie zu lösen. Ich dachte mittlerweile schon so oft: Wie komme ich aus dieser Scheiße raus? Ich war komplett broke, hatte Schulden und wusste nicht, wie ich meine Miete zahlen sollte. Ich habe aus jedem scheiß Problem einen Weg rausgefunden. Nichts davon war am Ende so schlimm, dass es mich komplett gefickt hätte. Irgendwann hat man zunehmend dieses Vertrauen, dass alles irgendwie gut gehen wird.
MZEE.com: Gibt es Tätigkeiten, bei denen du das Gefühl hast, Zeit zu verschwenden?
Goldroger: Ich glaube, bei fast jedem wird die Antwort lauten: Smartphone. Ich verbringe so viel Zeit im Internet. Daran ist nicht alles schlecht, aber ich könnte bestimmt zwei Stunden am Tag freischaufeln, indem ich nicht so dumm auf Insta rumscrolle oder Fakten zu belanglosen Themen einsammle. Das ist manchmal schon toxischer Shit, der mir die Zeit raubt. Ansonsten frisst es Zeit, in irgendwelchen Gedankenschleifen zu hängen und Szenarien durchzuspielen, die am Ende eh nicht so passieren.
MZEE.com: Man kann vieles eh nicht beeinflussen – egal, wie viel man darüber nachdenkt.
Goldroger: Ich glaube, man unterschätzt, wie oft man in diesen Schleifen hängt und irgendwelche Dinge oder Gespräche, vor denen man Angst hat, durchspielt. Man könnte in der Zeit bewusster andere Sachen wahrnehmen.
MZEE.com: In der aktuellen Corona-Situation ist derzeit noch kein Ende in Sicht. Nichts ist wirklich planbar. Wie gehst du damit um und wie geht es dir damit?
Goldroger: Das ist ein super Beispiel. Ich habe mich letztes Jahr krass isoliert, viel gekifft und das Album geschrieben. Im Januar habe ich mir gesagt: Ich kann jetzt nicht mehr weiter paffen und muss erst mal klarkommen. Ab hier kann mein Jahr ja nur besser werden. Irgendwann kommt die Sonne raus und ich spiele geile Festival-Shows. Ich gehe jeden Tag pumpen. Dann kam die Corona-Nummer und hat mir all diese Gewissheit weggenommen. Ich spiele keine Festivals, gehe keine Tinder-Girls daten, werde nicht pumpen gehen und schon gar nicht in den Urlaub fahren. Es hat Wochen gedauert, das loszulassen. Ich habe gehofft, dass es eine Pressekonferenz gibt und rauskommt, das alles nur ein Scherz war. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es megadumm war, wie ich mich verhalten habe. Man muss einen Workaround finden und sich mit der Situation arrangieren, weil man sonst noch mehr Zeit verliert.
MZEE.com: Durch Covid-19 wurde das öffentliche Leben stark eingeschränkt. Dadurch ist in einigen Lebensbereichen eine gewisse Ruhe entstanden und man ist mehr als sonst zu Hause. Hat sich dein Zeitgefühl seitdem verändert?
Goldroger: Ja, ich habe das Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht. Es passieren irgendwie weniger Dinge pro Tag. Man sagt ja eigentlich, dass die Zeit wie im Flug vergeht, wenn man schöne Dinge erlebt. Ich finde, dass die Tage gleichförmig und ereignislos werden. Dadurch gehen sie für mich unglaublich schnell vorbei, weil sie nicht in unterschiedliche Abschnitte gegliedert sind. Es sind einfach weniger Kapitel.
MZEE.com: Erlebst du im Moment auch schöne Dinge?
Goldroger: Ich gehe jetzt immer ins Studio und übe Singen. Ich will auf der nächsten Platte mehr singen. Das ist leider eine dieser Sachen, die man üben muss, damit man besser wird. Ich brauche morgens einen Grund, um rauszugehen. Und ich weiß genau, dass bis 12, 13 Uhr im Studio nichts los ist. Dann kann ich in Ruhe dort singen. Das ist ein Grund, um abzuliefern und darauf freue ich mich jeden Tag. Ich sehe ein paar Leute im Studio, dann haue ich ab und der Tag ist auch wieder vorbei. Viel mehr passiert gerade leider nicht. Und das geht mir auf den Sack. Auch, dass am Wochenende nichts passiert. Ich komme nach Hause und muss mich abfucken, dass meine Nachbarin immer auf dem Balkon hockt, weil die auch nicht mehr raus kann. Die ist sehr outgoing und lädt jetzt immer Leute zu sich nach Hause ein. Die hängt da immer und ich raste komplett aus. Aber na gut, macht nichts. Es sei ihr gegönnt.
MZEE.com: Es ist teilweise erschreckend, dass einige Leute versuchen, andere anzuzeigen. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung.
Goldroger: Ich habe letztens etwas gesehen, das ich megaschlimm fand. Es gibt in Köln einen Spot, das Mäuerchen an der Uni. Da hocken immer viele Leute. Dann kam das Ordnungsamt mit zwei Wagen. Acht Leute sind ausgestiegen und anstatt sich aufzuteilen, sind sie wirklich zu der einzigen Gruppe von Leuten mit offensichtlichem Migrationshintergrund gegangen, um sie zu kontrollieren. Währenddessen konnten sich die ganzen anderen Alman-Studenten verpissen. Was soll sowas? Für manche Leute ist das ein willkommener Grund, Menschen zu drangsalieren. Jetzt kann man ja fragen: Warum seid ihr als Gruppe unterwegs?
MZEE.com: Sowas konnte ich zum Glück noch nicht beobachten, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Racial Profiling im Moment häufiger passiert.
Goldroger: Die einen sagen halt: "Ach, komm, da drücken wir mal ein Auge zu, die sehen doch nett aus." Die anderen sagen: "Wie, ihr lauft hier zu dritt? Ich glaube euch nicht, dass ihr zusammenwohnt. Ausweiskontrolle. Ah, sie hatten schon mal etwas mit Drogen zu tun, machen sie mal die Taschen leer." Geht bestimmt alles superschnell gerade.
MZEE.com: Ich glaube auf jeden Fall, dass diese Zeit unsere Gesellschaft nachhaltig beeinflussen wird. Wahrscheinlich leider auch im negativen Sinne in manchen Aspekten.
Goldroger: Das denke ich auch. Viele haben das in den ersten zwei Wochen romantisiert nach dem Motto, vielleicht wird die Welt nach Corona eine schönere sein. Vielleicht werden wir uns alle besinnen, dass es auch langsamer geht. Der Kapitalismus wird sich von selber abschaffen. Da denke ich mir: Was habt ihr für eine hängengebliebene Ansicht? Es gehen gerade Leute pleite und es wird eine riesige Rezession geben. Die Welt nach Corona wird auf keinen Fall eine bessere werden als zuvor. Es wird eine Welt sein, in der Existenzen zugrunde gegangen sein werden. Die Selbstmordraten werden drastisch gestiegen sein. Es wird mehr häusliche Gewalt gegeben haben. Die Welt nach Corona wird auf jeden Fall noch ein Stück kaputter sein als zuvor. Gebt mir mehr Podcasts. (lacht) Und mehr Bananenbrot. Das sind die beiden Dinge, die danach vielleicht besser sein werden. Und die Infrastruktur für Livestream-Konzerte wird vielleicht besser sein. Außerdem wird es neue Livestream-Konzertanbieter geben. Aber sonst erwarte ich leider nicht viel Positives.
MZEE.com: Vielleicht wird die Digitalisierung dadurch schneller und besser voranschreiten, weil jetzt auf einmal alle Leute von zu Hause arbeiten müssen und die Chefs merken, dass das auch cool sein kann.
Goldroger: Genau, die Chefs merken, dass das cool sein kann. Aber die Leute, die das gerade machen müssen, denken, es war vielleicht doch geil, ins Büro zu müssen. Dadurch kommt man vor die Tür und trifft Kollegen. (lacht) Die entgegengesetzte Sicht ist, dass die Chefs sehen: Geil, ich kann die Leute in Zukunft auch zu Hause mit Arbeit belästigen und muss keine Miete mehr für das Büro zahlen. Wer weiß.
(Malin Teegen)
(Fotos von Frederike Wetzels)