Es ist nur ein schmaler Grat zwischen Wahnsinn und Genie.
Wieder mal ein neuer Tag – Jibrail oder Iblis.
Den Berliner Samra nahm man jahrelang nur im Umfeld von Alpa Gun wahr, bis er 2018 als neues Signing bei Bushidos Label ersguterjunge vorgestellt wurde. Mit seiner Single "Rohdiamant" eroberte er quasi über Nacht ganz Rapdeutschland. Nach zahlreichen Verschiebungen und Umbenennungen präsentiert er nun sein heiß erwartetes erstes Album "Jibrail & Iblis".
Der Titel des Langspielers steht für den Engel und den Teufel, die sich um Samras Gewissen streiten und sein Denken und Handeln bestimmen. Dieses Motiv zieht sich auch durch die Inhalte der Platte. Es geht um den Versuch, ein guter Mann zu sein, dabei aber immer an seinem Umfeld zu scheitern, um die mysteriöse große Liebe Cataleya und um Frauen, die nicht Cataleya sind. Genau das weist aber die größten Probleme auf: Wenngleich Samra jeden Beat wie kaum ein Zweiter meistert und mit seinem einzigartigen Stimmeinsatz und Flow zu überzeugen weiß, kennt man all diese Themen bereits von früheren Releases – wie etwa "Berlin lebt 2" mit Capital Bra. Außerdem tauchen sie wie in einem Loop auf den insgesamt 22 Tracks auf. Spätestens nach der Hälfte des Albums stellt sich beim Hörer ein Sättigungsgefühl ein und es fällt schwer, dem sonst hochwertigen Vortrag des Rappers zu lauschen. Einfach, weil er wenig Neues zu bieten hat. Hervorzuheben sind dennoch die herausragenden Instrumentals: Den Produzenten gelingt es, den Vibe von Bushido-Alben aus den 00er Jahren einzufangen und den Langspieler mit einem Soundgewand zu versehen, das in das Jahr 2020 passt.
"Jibrail & Iblis" hätte eine sehr gute Platte werden können, opfert jedoch Qualität für Quantität. Hat man beim Hören der ersten Tracks noch das Gefühl, etwas Einzigartiges vorliegen zu haben, verfliegt dieser Eindruck wenig später – auch ohne Kenntnis der bisherigen Diskografie. Es hätte seinem Solodebüt gut getan, dieses zu kürzen beziehungsweise es vor dem gemeinsamen Album mit Capital Bra zu veröffentlichen. So bleibt Samras riesiges Potenzial am Ende unausgeschöpft.
(Michael Collins)