Ich hab' kein Problem, die Kasse zu nehm'!
Sucht man bei Google nach Nio, findet man überwiegend Informationen über einen chinesischen Hersteller von E-Autos. Ergebnisse über den deutschen Rapper Nio liefert die Suchmaschine bisher kaum. Dabei sind die Voraussetzungen denkbar gut: Der kleine Bruder von Vega hat einen Labeldeal bei Freunde von Niemand in der Tasche und gerade ein neues Tape releast. Wird er mit "Visionen" seinen Bekanntheitsgrad steigern können?
Was beim Hören der Platte sofort auffällt: Raptechnisch muss sich Nio absolut nicht verstecken – und das trotz seines Alters von gerade einmal 21 Jahren. Er hämmert jede Silbe passgenau in den Takt, ohne sich dabei flowtechnisch in Eintönigkeiten zu verlieren. Im Gegenteil: Der Rapper macht sich die Beats untertan und hat dabei einige unvorhergesehene Flowvariationen am Start. Man merkt dem Jungspund den Spaß am Rappen und den Hunger an – die große Stärke von "Visionen". Nio steht seinem älteren Bruder Vega in nichts nach. Vielmehr ist es eine Freude, zu hören, wie sich die beiden auf "Shotgun" ergänzen. Abwechselnd rappen sie die Zeilen und beide Rap-Stile greifen dabei optimal ineinander. Was die Herangehensweise an die Musik betrifft, scheint Nio sich vieles von seinem Bruder abgeschaut zu haben. Das zeigt sich auch inhaltlich. Er liefert denselben geradlinigen Straßenrap, ohne aber etwas Neues zu erzählen. Manch abgedroschene Floskel und überholte Betonromantik lässt sich angesichts der ansprechenden Delivery verzeihen. Aber die hier und da auftauchenden Zweckreime trüben den sonst überdurchschnittlichen Eindruck des Newcomers etwas.
Man merkt Nio an, dass er noch in einer Findungsphase ist. Mit der Zeit wird er sicherlich eine eigene Stimme finden, mit der er Inhalte packender und frischer erzählen kann. Sollte ihm das gelingen, dürfte er bald aus dem großen Schatten von Vega treten – und auch die chinesische Autofirma bei Google auf die unteren Plätze verweisen. Das Potenzial ist auf jeden Fall da.
(Florian Peking)