Und wieder neigt sich ein prall gefülltes HipHop-Jahr dem Ende zu. Um es gebührend abzuschließen, stellten wir relevanten Persönlichkeiten der deutschen HipHop-Szene vier Fragen zu den vergangenen Monaten. Egal, ob Journalist, Rapper, Produzent oder andere, dem HipHop nahestehende Künstler – sie alle verraten uns ihre persönlichen Highlights aus 2019. Zudem beantworteten sie uns eine weitere Frage, um auch das vergangene Jahrzehnt noch einmal Revue passieren zu lassen. Somit lassen wir nicht nur ein einzelnes Jahr, sondern gleich eine ganze Dekade feierlich ausklingen. Wir wünschen unseren Lesern sowie allen Liebhabern und Protagonisten der Kultur eine besinnliche Weihnachtszeit.
Sickless
MZEE.com: Welches Album aus diesem Jahr war dein absoluter Favorit?
Sickless: Als Stuttgarter HipHop-Jungspund verfolge ich die Entwicklung von Tua seit 2005. Mit "Tua" – als hätte er es gewusst – ist ihm wahrhaftig ein Meilenstein geglückt. Sowohl produktionstechnisch als auch textlich lässt es kaum Luft nach oben. Und zwar genreübergreifend im deutschen Raum. Egal, wie komplex und abstrakt das behandelte Thema scheint, der Tod eines Familienangehörigen, Depressionen, Seenotrettung, Ängste, Sucht oder Selbstreflexion: Tua schafft es jedes Mal, mich komplett umzuhauen.
MZEE.com: Und wer ist deine Persönlichkeit des Jahres der deutschen Rapszene?
Sickless: OG Keemo und Funkvater Frank all the way through. Und wehe, jemand vergisst den Funkvater zu erwähnen. Beats, Lyrics, Delivery, Attitude, Erscheinung, Visuals, Humor … Die Jungs haben in Sachen Hunger und Freshness die Nase vorne.
MZEE.com: Von welchem Newcomer 2019 wird man in den nächsten Jahren noch viel hören?
Sickless: Ich bin sehr überzeugt davon, dass MAJAN mit den richtigen Moves noch ziemlich durchstartet. Ist aber auch kein Geheimnis mehr.
MZEE.com: Welche Empfehlung aus dem Jahr 2019 kannst du unseren Lesern vor Ende des Jahres noch geben?
Sickless: Alles von Block Opera, unserem neu gegründeten Label für Beatmaker und Produzenten beziehungsweise für instrumentale Musik. Wir hatten bereits ein paar schöne Releases: KUSO GVKI, 7apes, Nobodys Face, Smoke Trees, Brenk Sinatra, Dexter, Twit One, Cap Kendricks, Enaka, Dead Rabbit, Drum Quixote und viele mehr. Und 2020 werden es nicht weniger.
MZEE.com: Mit 2019 endet auch gleichzeitig eine Dekade. Was waren deine liebsten drei Alben aus den 2010er Jahren?
Sickless: Viel zu viele, um es so runterzubrechen. Aber auf einem HipHop-Portal nenne ich hier mal artverwandte Alben, die bei mir am meisten liefen und bis heute noch laufen. Englischsprachig: Kendrick Lamar mit "good kid, m.A.A.d city", Schoolboy Q mit "Oxymoron" und Mac Miller mit "Swimming". Deutschsprachig wären das SSIO mit "BB.U.M.SS.N", Megaloh mit "Endlich Unendlich" sowie Trettmann mit "#DIY".
Marz
MZEE.com: Welches Album aus diesem Jahr war dein absoluter Favorit?
Marz: Mal abgesehen davon, dass es aktuell niemanden mit unterhaltsameren Interviews in diesem Land gibt, ist "Geist" von OG Keemo und Funkvater Frank genau das, was der Rapfan nach den ersten EPs erwarten konnte. Endlose Liebe zu Details in der Produktion untermalen Keemos oft schon vorab entstandene Texte nahezu perfekt. Dabei schafft er etwas sehr Seltenes. Trotz harter sowie ignoranter Parts, die inhaltlich von Wasser- bis Waffengelaber reichen, ist dieser Mann nahbar. Viele Aussagen sowie Standpunkte sind nachvollziehbar und machen ihn daher einfach eines: sympathisch, Hoe. Man hört, spürt und sieht, dass hier eine Zwei-Mann-Band, die sich seit Jahren kennt, schätzt, versteht und vor allem ergänzt, am Werk ist – und nicht einfach nur irgendein Rapper und irgendein Produzent. Die beiden entwickeln sich von Veröffentlichung zu Veröffentlichung konstant weiter und schaffen eben, was viele vor ihnen nicht geschafft haben: stimmige Rapmusik zu machen. Danke dafür.
MZEE.com: Und wer ist deine Persönlichkeit des Jahres der deutschen Rapszene?
Marz: Ich schwanke zwischen Tua und Tretti und kann es beim besten Willen keinem absprechen. Beide mit wirklich großen persönlichen sowie politischen Statements, die über ein bloßes Albumrelease hinausgehen. Ein Song wie "Stolpersteine" auf der einen Seite, auf der anderen dann beispielsweise "Vater", "Bruder II" oder das Video zu "Wenn ich gehen muss". Das sind eben Moves, die einen Künstler noch prägnanter werden lassen. Dazu ist es auch nicht nur die Frage, was man sagt, sondern mittlerweile in erster Linie, wie dies geschieht.
MZEE.com: Von welchem Newcomer 2019 wird man in den nächsten Jahren noch viel hören?
Marz: Ich würde ja narzisstischerweise mich nennen. Gefühlt ein ewiger Newcomer. Unter anderem mit den Bixtie Boys, aber die nächsten Jahre habe ich noch einiges vor. Nur hat man in den letzten zwölf Monaten absolut nichts von uns gehört. Daher sag' ich einfach Genz, weil ich ihn mag und Keemo nicht als Newcomer betiteln möchte.
MZEE.com: Welche Empfehlung aus dem Jahr 2019 kannst du unseren Lesern vor Ende des Jahres noch geben?
Marz: Ganz simpel: Liveshows. Klar, mit Nachholen wird es schwierig, wenn man es eben verpasst hat. Aber dann plan' dein nächstes Jahr eben schon mal vor. Meine besten Momente passierten regelmäßig auf und um Festivals, Touren oder halt einfach Gigs. Egal, ob mit 100 oder 10 000 Menschen. Egal, ob vor, auf oder hinter der Bühne. Egal, ob in der Heimatstadt oder irgendwo im Ausland. Dies sollte niemand missen. Und bedenke, dass dies alles begrenzt ist. Plötzlich wird wieder jemand 27 und dann war es das mit "mal eben live einen Besuch abstatten".
MZEE.com: Mit 2019 endet auch gleichzeitig eine Dekade. Was waren deine liebsten drei Alben aus den 2010er Jahren?
Marz: Kendrick Lamar mit "Section.80". Ich sag' ja immer, jede Generation hat so seinen Mozart, und wir haben Kendrick. Er stand die letzte Dekade für mich über allem. Inhaltlich, technisch, politisch und musikalisch. Drei Alben, hab' ihn vier mal live sehen können und als Startpunkt muss diese Platte genannt werden, welche ich heute noch regelmäßig durchhöre. Außerdem aus 2018 Mac Millers Album "Swimming". So mies es ist, muss ich hier leider das letzte Werk nennen. Eine weitere Veröffentlichung, die als Startpunkt eines großen Künstlers stand. Mac begleitetet mich ebenso durch die letzte Dekade und war – nein, ist – ein großer Einfluss. Fünf Alben in sieben Jahren! Wenn ich mich nicht irre, war der Gig in München 2011, den ich mit einem guten Freund besuchte – Shoutout an Mehrdeutscheworte – sein erster in Deutschland. Selten jemanden erlebt, der so viel Freude in einem Raum versprühen konnte wie Mac. Musikalisch auf "Swimming" am Zenith angekommen und keine Chance mehr, diesen auszubauen. Trauer! Außerdem ist "KOD" von J. Cole wichtig für mich. Was mich direkt zu einem wirklichen Lieblingsalbum, weil Konzeptalbum, führt. "KOD" war wohl der endgültige und verdiente Türöffner für J. Cole nach ganz oben. Es steht inhaltlich als warnendes Beispiel für das Thema der letzten Dekade überhaupt: Drogen und Sucht. Plus bestes Veröffentlichungsdatum!
(Laila Drewes)
(Foto von David Dollmann (Sickless) & Fotonoid (Marz))
(Grafik von Daniel Fersch)