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Interview

Vandalismus

"Natür­lich ist Rap erfolg­reich wie nie. Gera­de, weil er so dumm ist wie noch nie. Das ist kein Zufall." – Van­da­lis­mus im Inter­view über die aktu­el­le Ent­wick­lung von deut­schem Rap, sei­ne Mei­nung zu Charles Bukow­ski und ver­schie­de­ne Jugendkulturen.

Wenn wir von Van­da­lis­mus spre­chen, mei­nen wir nicht die Straf­tat, son­dern den Rap­per, der zuvor unter dem Namen Degen­hardt bekannt war. Kürz­lich ist Van­da­lis­mus mit "Freun­de lügen nicht" wie­der in Erschei­nung getre­ten und macht sei­nem Namen alle Ehre, indem er deut­schen Rap musi­ka­lisch ver­wüs­ten und ihm Ver­stand ein­prü­geln will. Der Sound sei­nes neu­en Albums ist wie gewohnt dre­ckig und bie­tet der Hörer­schaft eine erfri­schen­de Abwechs­lung zum Modus Mio-​Rap. Um her­aus­zu­fin­den, was alles hin­ter die­ser Per­son steckt, baten wir Van­da­lis­mus zum Inter­view und frag­ten ihn, wie es zu dem Namens­wech­sel kam, wel­che Musik er hört und wie er die Ent­wick­lung von Rap betrach­tet. Außer­dem rede­ten wir über die Bedeu­tung von Freund­schaft, sei­ne Hal­tung gegen­über Charles Bukow­ski und ver­schie­de­ne Jugendkulturen.

MZEE​.com: Degen­hardt, Van­da­lis­mus und wei­te­re – du änderst dei­nen Namen bei vie­len dei­ner Releases. Was genau steckt dahinter?

Van­da­lis­mus: Ich sehe die ande­ren Namen jetzt nicht als gro­ßen Unter­schied – ob das jetzt Dis­ko Degen­hardt, Degen­hardt oder Des­troy Degen­hardt ist. Das ist für mich ein Name. Wie ich mich jeweils nen­ne, ist eine Spiel­art für mich. Ich mache das, wie ich Lust habe. Du sagst ja auch nicht Kool Savas oder KKS, da sehe ich kei­nen Unter­schied. Jetzt habe ich zum ers­ten Mal einen ande­ren Namen, weil ich Bock auf etwas ande­res hatte.

MZEE​.com: Gab es einen bestimm­ten Grund, wes­halb du dir den Namen Van­da­lis­mus gege­ben hast? 

Van­da­lis­mus: Nö, ich woll­te ein­fach einen coo­len neu­en Namen, der mir gefällt. Das war eher Zufall. Ich hab' ein biss­chen rum­ge­sucht und den irgend­wo gele­sen, ohne aktiv dar­über nach­zu­den­ken. Der ist in dem Fin­dungs­pro­zess ein­fach auf­ge­ploppt. Ich fand den Namen so bescheu­ert und skur­ril, dass ich ihn gut fand. Ich hab' den dann ein biss­chen mit mir rum­ge­tra­gen, hat­te übel Spaß dar­an und dach­te mir: "Ach komm', genau das sollst du ja machen. Du sollst Spaß haben und dich nicht so mega ver­kopf­en." Ich mei­ne, in Zei­ten, in denen sich Leu­te Haft­be­fehl oder Capi­tal nen­nen, ist mein Künst­ler­na­me ja noch rela­tiv nor­mal. (lacht) Der hängt noch mit ande­ren Hob­bys zusam­men. Des­we­gen passt das gut.

MZEE​.com: Also hast du vor, den Namen bei­zu­be­hal­ten und dadurch in Kauf zu neh­men, dass es mit Google-​Ergebnissen schwie­ri­ger wer­den könnte?

Van­da­lis­mus: Ja, ich find' den cool. Aber das mit den Google-​Ergebnissen habe ich wirk­lich nicht gut bedacht. Das muss ich zuge­ben. Auch in Bezug auf Social Media-​Accounts ist das natür­lich extrem schwie­rig. Das hat in mei­ner Den­ke nicht statt­ge­fun­den, weil ich erst dach­te: "Wie wür­de sich das denn anfüh­len, wenn das auf dem Cover steht?" (über­legt) Ich hab' das mehr aus der künst­le­ri­schen Sicht­wei­se betrach­tet. Das Mar­ke­ting hab' ich dabei nicht bedacht, hät­te ich aber eh igno­riert. Es ist für mich eigent­lich erst der zwei­te Künst­ler­na­me. Es ist also nicht bei jedem Release so – das ist jetzt, nach neun Releases, der ers­te kom­plett neue Name.

MZEE​.com: Reden wir über dein neu­es Album. "Freun­de lügen nicht" star­tet mit einem Zitat aus "Mis­fits" – hat dich die Serie beim Schaf­fens­pro­zess inspiriert?

Van­da­lis­mus: (über­legt) Nein, nicht direkt. Aber gene­rell schon, weil das Sachen sind, die mir wich­tig sind. Ich habe ja frü­her schon Dia­lo­ge benutzt. Ich bin voll der Film- und Seri­en­jun­kie. Also sind die Sachen, die ich sam­ple, auch sehr aus­sa­ge­kräf­tig für mich. Ent­we­der habe ich direkt ein Sam­ple oder ich schaue ganz am Ende, wo man noch etwas auf­hüb­schen kann. Das ist dann die Fein­ar­beit. Ich habe ja sonst immer sehr düs­te­re und deepe Zita­te benutzt. Ich suche mir das vor­her immer zurecht, dass ich 10 bis 20 Aus­schnit­te hab' und gucke dann, wo was passt. Es ist eher so, dass das Album die Samples begrün­det. Ich wuss­te, dass alles etwas fre­cher sein soll­te. Dem­entspre­chend habe ich das aus­ge­sucht. Ein biss­chen in die Fres­se, ein biss­chen lustig.

MZEE​.com: Du rappst auf dem Track "Boss der neu­en Welt" davon, dass du frü­her ein­mal der "fal­sche Freund" warst. Wur­dest du in Bezug auf Freund­schaft auch enttäuscht?

Van­da­lis­mus: Na ja, ent­täuscht … Klar, auch. Ich glau­be, in Bezug auf Freund­schaft bin ich mitt­ler­wei­le ein ganz gesun­des Mit­tel­maß. Mir ist es schwer­ge­fal­len, rich­ti­ge Freun­de zu erken­nen, des­we­gen heißt das Album so. Ich woll­te damit ver­deut­li­chen, wie wich­tig das ist. (über­legt) Genau­so, wie ande­re Leu­te schlech­ter Umgang für mich waren, war ich das für ande­re. Bes­ser gesagt, hab' ich das nicht erkannt und war ein Cha­ot, hab' Leu­te ver­letzt, wie auch ich ver­letzt wur­de. Ich wür­de nie­man­dem ganz kla­re Schuld zuwei­sen. Jeder Mensch ist nur so bescheu­ert, wie er halt ist. Kein Mensch kommt böse auf die Welt und nie­mand macht absicht­lich böse Din­ge. Das ist Teil der per­sön­li­chen Erfah­run­gen. Ich hab' damals mehr Freund­schaf­ten gehabt, als ich pfle­gen konn­te. Heu­te gebe ich mir mehr Mühe, ein Freund zu sein. Frü­her war ich mehr in mei­nem Kopf. Durch das Ska­ten oder nächt­li­che Hob­bys hab' ich immer ein gro­ßes Umfeld gehabt. Ich hab' das aber wahr­schein­lich nicht wert­ge­schätzt oder gepflegt, wie ich soll­te. Ich habe jetzt erkannt, dass das wich­ti­ger ist als Gla­mour. Dass man merkt, dass man etwas dafür tun muss. Mehr an sich arbei­ten – auch wenn die Gewich­tung jetzt eine ande­re ist.

MZEE​.com: Man fin­det auf dei­nem Album zahl­rei­che Punk-​Querverweise. Was fei­erst du an die­ser Musik? Wür­dest du dich selbst als Punk bezeichnen?

Van­da­lis­mus: Nicht wirk­lich. Ich wür­de mich als gar nichts mehr bezeich­nen. Ich war aber mal ein sehr lei­den­schaft­li­cher Punk und ein sehr lei­den­schaft­li­cher HipHop-​Head. Ich hat­te eine Oi!-Skin-Phase und bin auch schon immer Ska­ter gewe­sen … Ich hab' das alles immer sehr inten­siv gemacht und Jugend­kul­tu­ren gelebt. Das habe ich gesucht und fand es immer toll, Teil einer Grup­pe zu sein. Jetzt bin ich ein­fach ich. Ich habe sehr vie­le Lei­den­schaf­ten, bin mit Deutsch­punk groß gewor­den, genau­so wie mit Rap­mu­sik. Ich hab' noch 'ne Punk­band neben­her, was mega Spaß macht. Mit denen spie­le ich live, aber wir sind kei­ne Voll­blut­punks. Wir sind auch kei­ne Hip­Hop­per oder Metal-​Typen. Irgend­wann ist man ein schö­ner Mas­hup aus allem und das fühlt sich rich­tig an. Ich bin mit sehr viel deutsch­spra­chi­ger Musik auf­ge­wach­sen. Das ging von Klaus Lage über Julia­ne Wer­ding bis Udo Lin­den­berg. Danach kamen Deutsch­punk und Rap. Mir waren Tex­te immer sehr wich­tig, des­we­gen konn­te ich mit deutsch­spra­chi­ger Musik mehr anfan­gen. Bei Punk war es ganz klas­sisch: Dai­ly Ter­ror, N.O.E. und SLIME. Ich bin mit den Klas­si­kern groß gewor­den, hab' das alles noch auf Vinyl und CD, liebs und höre es auch immer noch.

MZEE​.com: Frü­her gab es eine recht kras­se Lager­bil­dung, was die ver­schie­de­nen Gen­res betraf. Waren Punk und Hip­Hop für dich gut mit­ein­an­der vereinbar?

Van­da­lis­mus: Nein, gar nicht. Ich bin mit die­ser Lager­bil­dung groß gewor­den und immer kom­plett in ein Gen­re rein­ge­stürzt. In mei­ner Punk­pha­se bin ich mit Iro und voll­ge­mal­ter Jeans­ja­cke rum­ge­lau­fen und hab' die gan­zen Rap-​CDs nach hin­ten geräumt, sodass mei­ne Freun­de die nicht sehen. Dann hat sich das gewan­delt – ich hab' die Punk-​CDs unter das Regal geräumt und bin nur im schwar­zen Hoo­die und Bom­ber­ja­cke rum­ge­lau­fen. Ich habe das immer sehr inten­siv gemacht, fand das aber eigent­lich schei­ße. Ich bin mit einem gewis­sen Schizophrenie-​Gefühl groß gewor­den. Ande­rer­seits hab' ich ja trotz­dem Julia­ne Wer­ding oder Karat gehört. Wenn ich allei­ne war und mit mei­nen Sprin­ger­stie­feln dasaß, kam ich mir ein biss­chen schi­zo­phren vor. Als Teen­ager ist man halt nicht so gefes­tigt, dass man sich selbst behaup­tet. Jetzt ist es wahr­schein­lich etwas ande­res, wie bei der Anti­lo­pen Gang oder Fei­ne Sah­ne Fisch­fi­let. Das ist ja kein Bruch mehr. Man muss sagen, dass Hip­Hop­per und Rap­per auch Fach­idio­ten oder -nazis sein kön­nen. Genau wie Metal-​Typen, die nur Metal hören. Punk, Rock und Rap sind die Gen­res, die sich am meis­ten ange­nä­hert haben und sich tole­rie­ren. Heu­te gehst du auf ein Kon­zert und hast Leu­te, die Vans, einen Ruck­sack, einen Hoo­die, 'ne Bom­ber­ja­cke und Patches tra­gen und musst dann nicht mehr sagen: "Ah, das ist ein Rap­per, der auch Punk hört." Es gibt die­se Misch­we­sen und das ist total super. Cross­over moch­te ich aber nie. Das fand ich immer total schei­ße. Rock-​Rap-​Mucke. Ist immer noch so.

MZEE​.com: Wo siehst du Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de zwi­schen Rap und Punk? Da gab es ja zumin­dest gewis­se Parallelen.

Van­da­lis­mus: Die Grund­at­ti­tü­de ist die­ses DIY-​Ding, sowohl im Punk als auch im Rap. Man kann mit sehr ein­fa­chen Mit­teln schnell Musik machen – mal außen vor gelas­sen, wie gut die ist. Ob ich jetzt eine schram­me­li­ge Gara­gen­band habe – obwohl das mitt­ler­wei­le auch teu­rer ist – oder etwas schrei­be und ein­fach rap­pe … Rapmu­cke geht inzwi­schen immer ein­fa­cher. Es geht aber nicht ums Geld. Ich bin ja nicht Prinz Pi mit sei­ner Klas­sen­ge­sell­schaft. Die­ses Gefühl "Okay, ich hab' Bock, etwas zu machen, dafür muss ich aber nicht in die Gesangs­schu­le gehen oder 20 Jah­re ein Instru­ment ler­nen, son­dern kann mich mit Freun­den tref­fen und los­le­gen" ist eine gro­ße Gemein­sam­keit. Zusätz­lich war es damals die Starr­köp­fig­keit. Da bin ich lei­der ähn­lich. (lacht) Inzwi­schen ist es so, dass bei­des eine gewis­se Offen­heit hat, sich aus­ein­an­der­set­zen will und nicht mehr die­se ver­här­te­ten Fron­ten hat. Ich red' jetzt nicht von Sam­ra und Capi­tal Bra oder sol­chem Kram, son­dern von Leu­ten wie Fato­ni. Das ist kei­ne kras­se Nischen­mu­sik mehr, genau­so wie Punk. Fei­ne Sah­ne Fisch­fi­let sind bei­spiels­wei­se auch Punk. Es darf noch real sein, ist aber trotz­dem nicht nur für Fach­idio­ten oder ein klei­nes Grüpp­chen. Es gibt gewis­se Leu­te, die sich ein gesun­des Mit­tel­maß erar­bei­tet haben. Die­ser klas­si­sche Vans-​Hoodie-​Patches-​Typ ist nichts Extre­mes, aber auch kein aus­tausch­ba­rer Main­stream. Es gibt bei bei­dem eine gesun­de Basis, die Sub­stanz hat.

MZEE​.com: Nichts­des­to­trotz posi­tio­nierst du dich auf dei­nem Album klar gegen Rap im All­ge­mei­nen. Gibt es den­noch Rap oder Musik ande­rer Gen­res, die du fei­erst, obwohl man das nicht von dir erwar­ten wür­de? Du hast bereits Julia­ne Wer­ding erwähnt, was man dir nicht unbe­dingt zutraut.

Van­da­lis­mus: Span­nen­de Fra­ge. (über­legt) Ich fin­de auch Trap-​Sachen gut. Mau­li find' ich bei­spiels­wei­se super, was mir Mucke-​mäßig eigent­lich nicht ent­spricht, wenn man mich in eine Spar­te ein­ord­nen will. Ich hat­te mal 'ne kur­ze Lil Xan-​Phase. (lacht) Hm … Ich gucke mal gera­de ganz frech in mei­nen Musi­k­ord­ner. (lacht) Ich stand frü­her auf sehr atzi­gen Sound. Sowas höre ich aber nicht mehr, weil ich kei­ne Tole­ranz gegen­über Frau­en­feind­lich­keit und die­sen Welt­bil­dern zei­gen möch­te. Ich habe kei­ne Guil­ty Plea­su­res mehr. Das will ich ein­fach kei­nen Zen­ti­me­ter mehr unter­stüt­zen. Frü­her hab' ich noch gesagt: "Okay, ich kann mir mal 187 Stras­sen­ban­de anhö­ren, Bass Sul­tan Hengzt oder MC Bom­ber." Das mache ich nicht mehr. Den gan­zen Straßenrap-​Bereich habe ich kom­plett gecan­celt. Corus 86 hab' ich sehr gefei­ert. Har­te Sachen. Ich fand aber auch das "Gra­pe Tape" von LGo­o­ny ziem­lich cool, genau­so wie Sachen von DJ Hero­in. Wenn wir den Rap­be­reich ver­las­sen, gibt es mega­viel. Ich hör' lei­den­schaft­lich Karat oder eben Julia­ne Wer­ding. Zuletzt habe ich wie­der viel Roger Whit­taker gehört, weil mei­ne Oma das immer gehört hat. Sehr viel deut­sche Musik, die man als Schla­ger bezeich­nen wür­de. Ab und zu höre ich Gab­ba. Ger­ne auch Elek­tro­sa­chen. Aller­dings kein House, son­dern eher Breakdance-​Mucke. Viel Metal, viel Oi!-Skin. Das ist bunt gefächert.

MZEE​.com: Im Pres­se­text auf der Web­site dei­nes Labels Audio­lith steht: "In Zei­ten, in denen ange­sag­ter Deutschrap enger mit dem Schla­ger tanzt als jemals zuvor, wirkt Van­da­lis­mus' Batt­ler­ap schon fast wie Punk." – Stört dich die Schlager-​Thematik tat­säch­lich oder igno­rierst du sie und kon­zen­trierst dich auf dein eige­nes Ding?

Van­da­lis­mus: Ich schla­fe des­we­gen nicht schlecht, aber es ist mir auch nicht egal. Ich hab' das Gefühl, dass Musik durch das gan­ze Modus Mio-​Ding zum ers­ten Mal sys­te­ma­tisch wird. Schla­ger­mu­sik war in den letz­ten 10 bis 20 Jah­ren unheim­li­che Retor­ten­mu­sik. Natür­lich find' ich Sachen wie "Astro­naut" von Sido schei­ße, weil es nicht geil ist und mei­nen Geschmack nicht trifft. Es wirkt nicht so, als ob sich da einer Mühe gege­ben hat oder etwas aus­sa­gen woll­te, was für mich der Sinn von Mucke ist. Wenn man Musik nicht der Musik wegen macht, fin­de ich es ver­werf­lich. Ich bin so sehr Künst­ler, dass ich sage: "Ich will Musik von jeman­dem hören, der Musik gemacht hat, weil er sie machen will. Nicht, weil er Geld ver­die­nen will und das gut funk­tio­niert." Rap ist so dumm und erfolg­reich wie noch nie. Hä? Kei­ner sieht einen Zusam­men­hang? Hal­lo? Natür­lich ist Rap erfolg­reich wie nie. Gera­de, weil er so dumm ist wie noch nie. Das ist kein Zufall. Es kommt daher, dass Rap total ein­gän­gig ist. Wenn jemand Bock hat, sowas zu machen, aus reins­tem Her­zen, dann ist das voll­kom­men in Ord­nung. Aber das kann mir halt einer von vie­len erzäh­len. Das stimmt ein­fach nicht. Wenn Musik zurecht­ge­schrumpft wird mit die­sen gan­zen Spotify-​Modus Mio-​Vorgaben, dass man kei­ne lan­gen Intros haben kann und ein Song nur so und so lang sein darf, weil du sonst nicht in das Ras­ter kommst, dann fin­de ich das krass. Der Groß­teil unter­wirft sich dem trotz­dem – natür­lich nicht alle. Ich kann mich auch auf den klei­nen Teil kon­zen­trie­ren. Ich lieb' die Sache ja. Frü­her gab es Con­scious Rap, Trottel-​Rap wie die Fan­tas­ti­schen Vier oder ganz wert­vol­le Sachen wie Cur­se. Dann gab es noch spa­ßi­ge Sachen dazwi­schen – alles gut. Aber wenn du das Gefühl hast, dass Rap über­schwemmt wird und die­se Modus Mio-​Vorgaben Amazon-​mäßig dabei sind, alles zu über­neh­men, dann darf man schon mal schrei­en: "Alter, was ist los? Stop!" Des­we­gen habe ich kei­ne schlaf­lo­sen Näch­te, aber schon das Gefühl, dass ich sagen muss: "Ey, mega scheiße!"

MZEE​.com: Was dei­ne Außen­dar­stel­lung betrifft, hast du eine sehr spe­zi­el­le Her­an­ge­hens­wei­se. Du bist kei­ner von denen, die einen beson­de­ren Fokus auf ihre Mas­kie­rung legen. Ande­re Rap­per, die anonym blei­ben, insze­nie­ren sich sehr stark mit ihrem Erschei­nungs­bild. Was hältst du davon und war­um machst du es anders?

Van­da­lis­mus: Man kann ja nun nicht sagen, dass ich frü­her völ­lig unauf­fäl­lig war. Die Fra­ge ist, wie man das defi­niert. Ich fin­de die Art und Wei­se nicht unauf­fäl­lig. Mir war das mit einer Mas­ke ein­fach zu plakativ.

MZEE​.com: Wenn ich das mit Cro oder Gene­tikk ver­glei­che, die mehr Wert auf ihre Optik legen, scheint es dir hin­ge­gen egal zu sein. 

Van­da­lis­mus: (über­legt) Ganz egal war es mir nicht. Frü­her, vor cir­ca fünf Jah­ren, wuss­te ich, dass ich mit den Tat­toos trotz­dem eine gewis­se Außen­wir­kung habe. Das ist mitt­ler­wei­le hin­fäl­lig, weil sie jeder Arsch hat. Frü­her habe ich mich mit die­ser Woll­müt­ze, dem Voll­bart und zen­sier­ten Augen ver­deckt. Das war mei­ne "alte Mas­ke". Das hat ja auch etwas her­ge­macht. Ich wür­de mich jetzt nicht so dar­stel­len, als wäre ich voll auf Under­state­ment gewe­sen. Aber es war immer mei­ne Ver­si­on. Wenn ich gar nicht hät­te auf­tre­ten wol­len, hät­te ich das ja ein­fach ver­wei­gern kön­nen oder mein Gesicht kom­plett raus­ge­hal­ten. Ein biss­chen cool soll­te das schon immer sein. Aller­dings wur­de es mir zuneh­mend unan­ge­neh­mer, ein auf­ge­ta­kel­tes Out­fit zu haben. Des­we­gen hat­te ich immer wech­seln­de Mas­ken und das wur­de mir zu dra­ma­tisch. Ich bin dazu über­ge­gan­gen, mich da raus­zu­hal­ten. Das mit der Anony­mi­tät ist trotz­dem noch gut, das wer­de ich so bei­be­hal­ten. Ansons­ten bin ich mega­cool ange­zo­gen. Da fin­de ich Gene­tikk weit­aus häss­li­cher. (lacht)

MZEE​.com: Damit woll­te ich auch gar nicht sagen, dass dein Out­fit kei­ne Cool­ness besitzt.

Van­da­lis­mus: Mir geht es um Ehr­lich­keit. Wenn ich zu einem Foto­shoo­ting geh', gehe ich hin, wie ich halt rum­lau­fe. Ich lau­fe – für mein Gefühl – so schon bescheu­ert genug her­um. Mit Parka, Jog­ging­ho­se und Sprin­ger­stie­feln. Ich bin kei­ne Nina Hagen oder ein Para­dies­vo­gel. Ich gönn' mir schon 'ne gan­ze Men­ge, sodass ich mich wohl­füh­le und bin da sehr frei. Das soll so sein. Ich ver­klei­de mich nicht. Das wür­de der Sache auch widersprechen.

MZEE​.com: Gene­rell bist du jemand, der sich eher dar­über defi­niert, was er nicht ist. Bei­spiels­wei­se erwähnst du auf "Du liest die fal­schen Bücher", dass du kein Fan von Charles Bukow­ski bist. Es gibt ja schon offen­sicht­li­che Par­al­le­len zwi­schen dir und dem Schrift­stel­ler. War­um bist du trotz­dem kein Fan von ihm?

Van­da­lis­mus: Weil mir das zu plump war. Klar ver­ste­he ich, dass da Quer­ver­wei­se Sinn machen. Ich habe den raus­ge­kramt, weil da angeb­lich offen­sicht­li­che und teil­wei­se berech­tig­te Par­al­le­len sind und ich ein­fach sagen woll­te: "Fei­er' ich nicht." Ich woll­te mich davon abgren­zen. Ich bin kein ver­lo­re­ner, depres­si­ver Säu­fer. Ich fin­de Bukow­ski sehr, sehr dünn. Das ist total pla­ka­tiv, genau wie: "Wow, ich schreib' einen Roman und dar­in kommt ein Detek­tiv vor, der ein Alko­hol­pro­blem hat, total über­näch­tigt ist und als ein­sa­mer Cow­boy rum­läuft." Das ist ein total aus­ge­lutsch­tes Män­ner­bild und hat sehr wenig Sub­stanz. So hab' ich mich nie gese­hen und so war ich auch nie. Ich war immer ein sehr sen­si­bler Mensch und hab' mich immer für schö­ne Sachen inter­es­siert. Zwar habe ich in ähn­li­cher Form Ver­lo­ren­heits­ge­füh­le wie Bukow­ski gehabt, aber das war mir zu ein­fach. Nur kaputt zu sein, ist mir halt viel zu lame. Auch in mei­ner größ­ten Kaputt­heit war ich nicht so. Da habe ich trotz­dem Gedich­te geschrie­ben und bin ins Thea­ter gegan­gen, selbst wenn ich davor und danach viel Bier getrun­ken hab'. Das ist mir zu plump. Des­we­gen war es mir wich­tig, mich trotz even­tu­el­ler Par­al­le­len abzugrenzen.

MZEE​.com: Du zeich­nest ein sehr drei­di­men­sio­na­les Bild von dir. Wür­dest du unter­schrei­ben, dass man in dei­ner Musik trotz­dem eher das sieht, was du mit Bukow­ski gemein­sam hast, als den Theatergänger?

Van­da­lis­mus: Hm … Weiß ich nicht. Man nimmt sich ja immer das raus, was man hören will. Aber ich fin­de Bukow­ski lyrisch sehr plump. Das soll nicht ver­mes­sen klin­gen, aber kei­ner wird Bukow­ski als gro­ßen Lyri­ker bezeich­nen. Ich hab' sehr viel bes­se­re Zei­len geschrie­ben als er, was die Kom­ple­xi­tät und den Gedan­ken­gang angeht. (lacht) Mag sein, dass das düs­ter ist, aber ich habe auch Sachen gehört, die düs­ter und schwie­rig sind und trotz­dem noch kom­plex waren. Thea­ter ist das größt­mög­li­che Pen­dant, des­we­gen habe ich das gesagt. Es gibt Leu­te, die sehr trau­ri­ge Sachen gemacht haben, aber trotz­dem eine höhe­re Fili­gra­ni­tät als Bukow­ski drin haben. Das sehe ich bei mir auch – ohne über­heb­lich klin­gen zu wol­len. Da sind mehr Gedan­ken als nur: "Ja geil, Sport­wet­ten, Alko­hol und ficken, yeah." Das ist doch kei­ne Kunst. Wenn man die­se Aura mit­neh­men will, ver­ste­he ich das schon. Steht ja jedem frei, aber ein biss­chen kom­ple­xer darf es für mich per­sön­lich schon noch sein.

MZEE​.com: Zu guter Letzt möch­ten wir dich auf eine Line von dir anspre­chen: "Wer nicht nachts da drau­ßen ist, der soll­te kei­ne Tex­te schrei­ben." – Bist du der Mei­nung, dass man ohne Leid zu erfah­ren, kei­ne gute Kunst kre­ieren kann?

Van­da­lis­mus: Nein, es muss kein Leid sein. Das mei­ne ich damit nicht. Ich mei­ne damit eher eine gewis­se Aus­ein­an­der­set­zung. Dass man was macht, dass man aktiv ist, dass man lebt. Das muss nicht bedeu­ten, zu lei­den. Nachts schläft man nor­ma­ler­wei­se, aber ich bin nachts viel unter­wegs durch mein Hob­by. (lacht) Es geht dar­um, dass man etwas erlebt und sich was traut. Da pas­siert etwas. Aber wenn du ein­fach nur dein Tra­la­la machst, ist es sinn­los. Es kann statt Leid auch etwas total Schö­nes sein. Du kannst zwei Jah­re durch die Welt rei­sen, tol­le Men­schen ken­nen­ler­nen und dann schreibst du das bes­te Album. Du bist nachts unter­wegs – in der Zeit, in der ande­re schla­fen – und hast die Ener­gie, um noch unter­wegs zu sein und zu sagen: "Nein, hier ist noch nicht Ende, ich mach' noch was, ich geb' noch mal Gas." Wenn du noch Power hast, ein offe­ner Mensch bist und bei dir etwas pas­siert, will ich was von dir hören. Das inter­es­siert mich. Dass es Guc­ci gibt, weiß ich schon. War mir vor­her schon egal.

(Stef­fen Bau­er & Sicko)
(Fotos von Quin­ten Quist)