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Plattenkiste

Fatoni & Dexter – Yo, Picasso

Egal, ob Album, Gratis-​Mixtape oder Lieb­lings­song – in unse­rer "Plat­ten­kis­te" stel­len wir Euch regel­mä­ßig die Per­len unse­rer redak­ti­ons­in­ter­nen Samm­lun­gen vor. Die­ses Mal: Fato­ni und Dex­ter mit "Yo, Picasso".

"Was?! Du kennst das nicht? Sekun­de, ich such' dir das mal raus." Und schon öff­net sich die Plat­ten­kis­te. Wer kennt die­sen Moment nicht? Man redet über Musik und auf ein­mal fällt ein Name – egal ob von einem Song, einem Künst­ler oder einem Album – mit dem man nicht so recht etwas anzu­fan­gen weiß. Und plötz­lich hagelt es Lob­prei­sun­gen, Hass­ti­ra­den oder Anek­do­ten. Gera­de dann, wenn der Gesprächs­part­ner ins Schwär­men ver­fällt und offen zeigt, dass ihm das The­ma wich­tig ist, bit­tet man nicht all­zu sel­ten um eine Kost­pro­be. Die Musik setzt ein und es beginnt, was der Per­son so sehr am Her­zen zu lie­gen scheint. In die­sem Fall – was uns so sehr am Her­zen liegt: Ein Aus­zug aus der Musik, mit der wir etwas ver­bin­den, die wir fei­ern, die uns berührt. Ein Griff in unse­re Plat­ten­kis­te eben.

 

Fato­ni mischt eigent­lich schon eine hal­be Ewig­keit im Rap­ge­schäft mit. Ich per­sön­lich muss zu mei­ner Schan­de lei­der geste­hen, dass ich erst 2015 so rich­tig auf den Münch­ner auf­merk­sam wur­de. Genau­er gesagt war es im Novem­ber 2015. Denn da wur­de der Track "Aut­hi­ten­zi­tät" in mei­nem Mix der Woche ange­spült und Zei­le für Zei­le hat sich in mein Gehirn gebrannt. Ich fand ihn klug, wit­zig, iro­nisch und zynisch zugleich. Ein Mit­tel­fin­ger an die Pseudo-​Lebensweisheiten und guten Rat­schlä­ge, die man auf jeder x-​beliebigen Post­kar­te oder als Wand­tat­too in Stu­den­ten­zim­mern fin­den kann. 

Sofort woll­te ich mehr davon hören. Zu mei­nem Glück war das dazu­ge­hö­ri­ge Album "Yo, Picas­so" bereits auf dem Markt. Ein Kollabo-​Album, für das sich Fato­ni Dex­ter ins Boot geholt hat. Der Pro­du­cer aus Heil­bronn sorgt mit viel Lie­be zum Detail dafür, dass man auto­ma­tisch anfängt mit dem Kopf zu nicken. Die per­fek­te Grund­la­ge eben, um Fato­nis Krea­ti­vi­tät frei­en Lauf zu las­sen – Picasso-​Style. "Mit Anfang 20 war ich wack, aber guck mal jetzt, ich werd' lang­sam per­fekt." Damit ver­spricht er nicht zu viel. Der "Ben­ja­min But­ton" des Raps zeigt sich auf dem Album als facet­ten­rei­cher Finger-​in-​die-​Wunde-​Presser, der dick ein­ge­packt in sei­nem Ironie-​Mantel immer dar­auf ach­tet, als Kunst­fi­gur unan­tast­bar zu sein. Jeder Song hat sein eige­nes The­ma, für das er stets einen indi­vi­du­el­len Zugang fin­det. Oben­drauf gibt's Sto­rytel­ling à la bon­ne heu­re. Mal wird es gesell­schafts­kri­tisch, bei­spiels­wei­se in "32 Grad", auf dem der Rap­per die Flücht­lings­de­bat­te the­ma­ti­siert. An ande­rer Stel­le geht es um sei­ne eige­ne Mit­tel­mä­ßig­keit, wie in "Mike Skin­ner". Und manch­mal will man ihm ein­fach nur zustim­men, denn er hat voll­kom­men recht, wenn er sagt: "Eine Auber­gi­ne kann nichts, sieht schei­ße aus und hat kein Bewusst­sein. War­um schmeckt die nicht wie ein Schwein und kann gleich­zei­tig gesund sein?"

Im End­ef­fekt war es die lyri­sche Wucht Fato­nis, die mich nicht mehr los­ge­las­sen hat. Die Songs bie­ten eine Men­ge Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum, sodass man nie genau weiß, wor­an man bei ihm ist. Wer also ein Album sucht, bei dem man end­los über die Song­tex­te phi­lo­so­phie­ren kann, der wird hier defi­ni­tiv fün­dig. Ich selbst tue das bereits seit drei Jah­ren und bin immer noch nicht damit fertig.

(Tho­mas Linder)