Der Deutschrapzirkus ist ein umtriebiger Schauplatz. Zwischen all den Promophasen und Albumveröffentlichungen kann man schon einmal den Blick fürs Detail verlieren. Deshalb stellen wir jeden Monat an dieser Stelle die kleinen, feinen Highlights vor, die abseits des Album-Korsetts Beachtung verdienen. In den Kategorien Statement, Video, Song, Instrumental und Line präsentieren unsere Redakteure handverlesene Schmuckstücke. Egal, ob nun ein besonders persönlicher Bezug, eine wichtige Message oder ein rundes musikalisches Gesamtpaket den Anlass bieten. Hier wird ein tiefer Einblick in einzelne Facetten der Rapwelt geboten. Fünf Höhepunkte – klatscht in die Hände für unsere "High Five"!
Statement: Favorite
"Wir haben das Game gefickt – Casper, Kollegah, Shiml, Favorite." – Fast zehn Jahre nach dieser Ansage auf "Mittelfinger hoch" ist von den ehemaligen Selfmade-Legionären keiner mehr beim ursprünglichen Label unter Vertrag. Der letzte, der sich von der alten Heimat löste, war Favorite – der prompt Anfang 2019 mit einer neuen Platte zurückkommen will. Für ordentlich Randale in sozialen Medien sorgte sein Disstrack gegen Kool Savas, der den vorläufigen Tiefpunkt einer längst ausgearteten Promo-Kultur markiert. Im Song wird nicht einmal ein Grund für die Seitenhiebe genannt. Es wirkt, als hätte der Essener einfach nur irgendwelche Punchlines und stumpfe, rassistische Beleidigungen aneinandergereiht und für die größtmögliche Aufmerksamkeit auf einen konkreten Namen gemünzt. Das Feedback war entsprechend gering – kaum einer ließ sich auf diese plumpe Art noch beeindrucken. Trotz seines sofortigen Zurückruderns nach der entsprechenden Fan-Schelte sorgte Favorite damit für ein absolutes Negativ-Highlight zum Jahresende.
Video: Tua – Vater
Nach langem Warten, sozialer Abstinenz und einigen persönlichen Rückschlägen meldet sich Tua mit seinem gleichnamigen Album zurück. Eine aktuelle Auskopplung davon trägt den Titel "Vater". Tua spricht hier über den Verlust, aber auch über die Aufarbeitung des Todes seines Erzeugers. Das Video ist selbst ohne den äußerst starken Text noch aussagekräftig genug, um die Entwicklung des Dramas zu verfolgen. Ein kleiner Raum, in dem sich beide befinden, ist Schauplatz des Ganzen. Tua sitzt ruhig und nachdenklich auf einem Stuhl, der neben dem Bett seines Vaters platziert ist. Regungslos und in seinen Gedanken verfangen erkennt er nach einiger Zeit die eigene Unfähigkeit, einem geliebten Menschen nicht helfen zu können. Er ist gezwungen, den Verlust zu akzeptieren – auch wenn es ihm schwerfällt. Am Ende jedoch bleiben ihm die guten Erinnerungen, welche helfen, den Schmerz zu lindern, wenn auch nur etwas. Gedreht wurde im Schwarzweiß-Stil, was die traurig-nachdenkliche Atmosphäre nochmal untermauert und die minimalistische Szenerie verstärkt. Der Track und das dazugehörige Video sind sehr intim, sodass "Vater" dem Hörer beängstigend nahegeht.
Song: Yassin – 1985 (prod. Dienst & Schulter)
Yassin – sonst stets im Duo mit Audio88 unterwegs – beschreitet nun Solopfade und hat im Januar 2019 sein Album "Ypsilon" veröffentlicht. Mit "1985" schickte er, auf einer Produktion von Dienst & Schulter, einen weiteren musikalischen Vorboten hinaus in die Welt. Darin beschreibt er nicht nur seine Liebe zur Musik, sondern auch detailliert, wie es zu eben dieser gekommen ist und welche Auswirkungen sie auf sein Leben hatte. Während andere Jungs in ihrer Kindheit draußen waren und verschiedene Erfahrungen sammelten, saß Yassin irgendwo herum und hörte Musik. Andere Kinder spielten Fußball, er bekam ein Keyboard geschenkt. Seine Eltern trennten sich, er zog sich in seine eigene Welt zurück. Egal, was da draußen geschah, er hörte oder machte Musik, da diese immer den höchsten Stellenwert für ihn eingenommen hat und dies auch immer noch tut. Eine schönere Liebeserklärung an HipHop beziehungsweise Musik an sich kann man kaum schreiben und deshalb ist "1985" an dieser Stelle das Song-Highlight des Monats.
Instrumental: Horst Wegener – Mein Name ist Horst (prod. by Golow & DJ Vito)
Horst Wegener hat die Produktion der Instrumentals seiner EP "Mein Name ist Horst" komplett in die Hände von Golow und DJ Vito gelegt und der Beat des Titeltracks lässt vermuten, warum: Er ist unglaublich gut! Mithilfe einer siebenköpfigen Band haben die beiden einen warm klingenden Sound geschaffen, der rhythmisch wie auch melodisch in jeder Hinsicht überzeugen kann. Besonders fällt das Zusammenspiel zwischen Beat-Passagen und Horsts Flow auf. Immer wieder unterstreichen die verschiedenen Instrumente einzelne Wörter oder Sätze und rücken diese so weiter in den Vordergrund. Insgesamt erinnert der Sound etwas an Samy Deluxe zu Zeiten von "SchwarzWeiss", was wohl der Tatsache geschuldet ist, dass DJ Vito schon seit Jahren regelmäßig als DJ und Produzent im Hause Deluxe anzutreffen ist. Diese Ähnlichkeit scheint man jedoch bewusst hingenommen zu haben, da sie von Horst sogar im Song und mit einem Gastauftritt des Vorbilds im Video aufgegriffen wird. Schließlich gibt es doch deutlich schlimmere Rapper, mit denen man verglichen werden kann …
Line: BOZ – Königin der 1000 Jahre
Hauptsache, deine Reichweite wächst.
Von mir gibt's nur volle Breitseite Rap.
Schaut man sich die aktuelle Rap-Landschaft an, könnte man meinen, dass Lyricism langsam, aber sicher ausstirbt. Auf einem immer geringer werdenden Prozentsatz aller Veröffentlichungen gibt es Texte zu hören, die mehr sein wollen als bloße Erzeuger von Vibes und den Anspruch haben, lyrisch in die Tiefe zu gehen. Von den wenigen Künstlern, die sich dennoch nach wie vor das Texten auf die Fahne schreiben, sind zudem recht viele in die Jahre gekommene Ewiggestrige, deren bester Output längst hinter ihnen liegt. BOZ gehört da allerdings nicht dazu. Er scheint nach wie vor großen Wert darauf zu legen, nicht nur mit handwerklichen Fähigkeiten, sondern auch inhaltlich zu punkten. Auf dem kurzen "Königin der 1000 Jahre" demonstriert er das eindrucksvoll. Leider kann man mit dieser Herangehensweise heutzutage keine allzu große "Reichweite" generieren. Das ist ihm jedoch offenbar egal, sodass die "volle Breitseite Rap" bei ihm keine hohle Phrase ist. Das ist alles andere als gefällig – und genau das gefällt uns.
(Sven Aumiller, Jan Menger, Michael Collins, Steffen Uphoff, Steffen Bauer)
(Grafik von Puffy Punchlines)