Wenn es draußen langsam wieder kälter wird und sich das Jahr dem Ende neigt, blickt man selbst ja gerne mal zurück und lässt die vergangenen Tage Revue passieren. Wir möchten mit unserem diesjährigen Adventskalender einen Blick zurückwerfen – von heute bis hin zu den Anfängen von HipHop in Deutschland. Sprich: knapp ein Vierteljahrhundert deutscher Rap. Eine Szene, die Mitte der 90er unter anderem "direkt aus Rödelheim" kam, aus dem "Fenster zum Hof" kletterte, sich "vom Bordstein zur Skyline" aufschwang und "zum Glück in die Zukunft" reiste, um sich letztlich zwischen ein paar "Palmen aus Plastik" niederzulassen. Kein Element der hiesigen HipHop-Kultur dürfte in all den Jahren einen so gewaltigen Wandel, so viele Höhen und Tiefen, so viele Erfolge und Misserfolge durchlebt haben wie Rap. Genau diese Entwicklung innerhalb der letzten 24 Jahre möchten wir nun für Euch skizzieren, indem wir jedes Jahr anhand eines Albums darstellen, welches – unserer Meinung nach – nicht nur das entsprechende Veröffentlichungsjahr, sondern auch die Szene allgemein nachhaltig prägte.
2000: Torch – Blauer Samt
Haben darauf geachtet, dass der Text 'nen Sinn hat.
Ich verlang' nicht viel – nur, dass ihr euch daran erinnert.
So ziemlich jedem Raphörer dürfte der Heidelberger Torch ein Begriff sein – und zwar nicht nur der Rapper selbst, sondern auch sein Werk "Blauer Samt". Nachdem er bereits lange zusammen mit seiner Crew Advanced Chemistry unterwegs gewesen war, veröffentlichte er zur Jahrtausendwende sein erstes und einziges Solorelease und ging damit in die Deutschrapgeschichte ein.
Es gibt wohl kaum jemanden, der der Platte ihre Daseinsberechtigung in der Szene absprechen würde. Denn die Relevanz von "Blauer Samt" ist bis heute noch spürbar. So wählten etwa einige Artists in jüngerer Vergangenheit Namen für ihre Releases, die eine Anspielung – mal als Hommage, mal als Kontrastprogramm – auf den Titel des Torch-Albums beinhalten. Marsimotos "Grüner Samt" oder "Normaler Samt" von Audio88 & Yassin sind die bekanntesten Beispiele. Doch vieles von dem, was auf dem einflussreichen, "originalen" Samt in Texte gepackt wurde, ist auch ganze 18 Jahre später immer noch aktuell. Dass die vielfältigen Inhalte – vom Liebeslied bis hin zur Gesellschaftskritik – zudem nach wie vor berühren, liegt sicherlich auch an der kunstvollen Aufmachung. Zwischen den Tracks finden sich neben Interludes teilweise Gedichte wieder, was einen äußerst gelungenen Kontrast zu den Songs bildet, die durch die Beats, Scratches und den straighten Rap quasi zum Inbegriff von deutschem HipHop der damaligen Zeit geworden sind. Dennoch ist nichts an der Platte typisch. Alles wirkt durchdacht und so findet sich inhaltlich nichts, was man als stumpf oder platt bezeichnen könnte.
"Blauer Samt" hat in all den Jahren nichts von seinem Zauber verloren. Durch die verschiedenen Erzählperspektiven und den Wechsel zwischen rebellischer Gesellschaftskritik und aufrichtigen Emotionen wurde etwas Besonderes geschaffen. Man spürt als Hörer auch heute noch die Zeit und die Liebe, die hier investiert wurde. Somit hat sich Torchs Album seinen Status als echter Meilenstein der Deutschrap-Geschichte redlich verdient.
(Dzermana Schönhaber)
(Grafik von Daniel Fersch)