Kaum eine Szene hierzulande scheint so facettenreich zu sein wie die Deutschrapszene. Während es bereits jetzt schon fast unmöglich erscheint, jeden einzelnen, etablierten Vertreter zu kennen, steigt die Zahl neuer, noch unbekannter Künstler exponentiell weiter an. Den Überblick zu behalten, gleicht einer Herkulesaufgabe: Hat man sich ein Gesicht der HipHop-Hydra gemerkt, tauchen schon wieder mindestens zwei neue auf. Gleichzeitig ist es für unbekannte, junge Talente überaus schwer, aus der überwältigenden Masse an Musikern herauszutreten und sich einen Namen zu machen.
Beiden Seiten soll unser Mic Check eine Hilfestellung bieten. Rappern, die bisher noch in den Tiefen des Untergrunds untergegangen sind, eine Plattform geben, auf der sie sich kurz, aber prägnant präsentieren können. Und Hörern und Fans ermöglichen, sich einen schnellen Überblick über nennenswerte Künstler zu verschaffen, die sie bisher vielleicht noch gar nicht auf dem Schirm hatten.
MZEE.com: Während die meisten Künstler sich entweder auf das Produzieren oder das Rappen fokussieren, zeigst du in beiden Bereichen großes Talent. Wie sieht es denn mit den anderen "HipHop-Disziplinen" aus? Breakst oder sprühst du oder hast es zumindest mal versucht?
Grasime: Meistens mache ich alles gleichzeitig, um der heiligen Vielfältigkeit der HipHop-Gottheiten gerecht werden zu können. Tatsächlich begann mein Interesse für diese Subkultur mit Graffiti. Durch meinen Bruder und mein späteres Umfeld entstand dann auch die Verbindung zur Rapmusik. In meiner damaligen naiven und völlig romantisierten Vorstellung von HipHop dachte ich, dass es dazugehört, die verschiedenen "Disziplinen" zu beherrschen. Ich wollte Beats auf der MPC machen, dazu rappen und noch ein paar Scratches aufnehmen. Auf dem Heimweg wollte ich mit meinem Edding 850 ein paar Tags machen und mir zum Abschluss des Abends noch ein Breakdance-Battle vorm Karstadt liefern. Inzwischen denke ich, dass die enge Verbindung zwischen diesen Kulturbewegungen eher konstruiert ist und auch erst später aufkam. Für meine persönliche Sozialisation war das schon sehr wichtig und ich feier' das alles bis heute. Aber wenn jemand cool rappt und was zu sagen hat, macht ihn die Tatsache, dass er keine Windmills auf den Dancefloor zaubert oder keine Ahnung von Graffiti hat, nicht zu einem schlechteren oder weniger "realen" Rapper.
MZEE.com: Deine EP "Windbreaker" hast du komplett selbst produziert und geschrieben. Wie kann man sich den Arbeitsprozess vorstellen, wenn wirklich alles in kompletter Eigenregie geschieht?
Grasime: Etwa Mitte Januar kam mir der Gedanke, dass es eigentlich schön wäre, mir zu meinem Geburtstag selbst ein Album zu schenken. Ich war gerade umgezogen, die Spielecke frisch aufgebaut und ich war ohnehin heiß drauf, was zu machen. Also hab' ich losgelegt, mich erst mal durch Ordner voller Beat- und Text-Fetzen zu wühlen. Dann hier und da ausgebaut und neu gemacht, wieder alles gelöscht und neu angefangen. Schreiben, produzieren, scratchen, aufnehmen, mischen und so weiter sind dann eher simultane Prozesse, die für mich untrennbar werden.
MZEE.com: Dein Sound steht abseits jeglicher Konventionen, du vereinst oldschoolige Beats mit modernen Styles und andersherum. Wenn du bei all deinen unterschiedlichen Tracks einen absoluten Favoriten wählen müsstest, welcher wäre das?
Grasime: Es freut mich sehr, dass du das so siehst. Auf dem aktuellen Album sind, glaube ich, meine Favoriten "Fake", "Windbreaker" und "Narzisst". Wahrscheinlich würde ich morgen aber anders darauf antworten. Ich mag es, dass es mir – meiner Ansicht nach – gelungen ist, ein Album mit sehr unterschiedlichen Tracks zu machen, die aber doch in der Summe ein rundes Ding abgeben. Viele Musiker machen, finde ich, einfach den gleichen Track oder das gleiche Album immer wieder, vielleicht weil ein bestimmter Style mal gut angekommen ist oder so. Ich versuche, mich mehr zu trauen, ich mag schrägen Scheiß. Aber ich denke, man kann auch noch sehr viel weiter weggehen von allem, was sich irgendwer mal ausgedacht hat.
MZEE.com: Über die gesamte EP hinweg finden sich auch diverse eingescratchte Zitate deutscher und amerikanischer Künstler. Gibt es ganz allgemein eine Line eines anderen Rappers, von der du sagen würdest, dass es eine bedeutende oder gar die beste Zeile überhaupt ist?
Grasime: Kürzlich war ich in Leipzig auf einem Konzert, bei dem Mase spontan ans Mic gegangen ist und gerappt hat: "Mase, der Schamane, macht dein Tipi zum Bierzelt." Ich musste sehr lachen. Die kam einfach perfekt. An und für sich tu' ich mich aber schwer, einzelne Lines rauszupicken. Eine gute Line, die scheiße auf 'nen wacken Beat gerappt wird, kann ich nicht so richtig feiern, da muss schon alles stimmen. Die beste Line überhaupt könnte ich also nicht benennen, nicht mal eine bedeutende für mich. Eher ganze Alben oder wenigstens ganze Tracks, bei denen dann eben alles stimmt.
MZEE.com: Deine Texte sind stets gut durchdacht, persönlich und du scheust weder Szene- noch Gesellschaftskritik. Wenn du deine Musik auf eine Grundaussage runterbrechen müsstest – was willst du mit deiner Musik vermitteln?
Grasime: Wenn ich dir ein Stück von meinem Apfel reiche und sage: "Probier' mal, der ist so frisch und süß", könntest du reinbeißen und antworten: "Igitt, der ist ja total mehlig und viel zu sauer." Wir beide hätten recht. Ich glaube, das ist mir wichtig, zu sagen. Dinge sind weder so noch so, auch nicht so, sondern verschieden.
Ein Exclusive von Grasime könnt Ihr Euch ab sofort auf dem YouTube-Channel von MZEE.com ansehen:
(Daniel Fersch & Lukas Päckert)
(Grafiken von Puffy Punchlines, Logo von KL52)
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